[Benutzerbeitrag: BB151015]
Daniela Eichler-Schwarzkopf, Wien
Selbstkonstruktion und ‑inszenierung im Nationalsozialismus
Dieser Beitrag präsentiert die Selbstkonstruktion und ‑inszenierung der Liebenden Hilde und Roland kurz vor ihrer Hochzeit im August 1940. Die Briefe der beiden geben unter anderem einen Einblick in ihren privaten Alltag, ihre Denkweisen und Werturteile sowie den Einfluss der nationalsozialistischen Politik. Ich analysiere Sequenzen zweier Briefe aus ethnologischer Sichtweise unter Einbeziehung historischer, sprach‑, sozial- und kulturwissenschaftlicher Aspekte. Davon ausgehend, dass die Brautleute der propagandistischen Indoktrination des NS-Regimes unterliegen und diese in die Liebesbeziehung der beiden hineinreicht, zeige ich die Auswirkungen auf Hildes und Rolands Auffassung von Geschlechterrollen und Partnerschaft sowie den Einfluss traditioneller Einstellungen und Wertorientierungen.
Die Arbeiterin Hilde und der um 13 Jahre ältere Lehrer Roland schrieben einander aufgrund ihrer getrennten Aufenthaltsorte von Mai 1938 bis Februar 1946 regelmäßig Briefe. Aus der anfänglichen Briefbeziehung wurde allmählich eine Liebesbeziehung, deren vorläufiger Höhepunkt schließlich die Hochzeit am 13. August 1940 war. Diese erfolgte in einer Zeit, in der sich Deutschland seit über sieben Jahren unter einem diktatorischen Regime und seit fast einem Jahr im Krieg befand und die von Unsicherheit und Veränderung, Terror und Gewalt geprägt und die Bevölkerung einer alle Lebensbereiche umfassenden Propaganda ausgesetzt war. Doch nicht nur Deutschland befand sich in einem Ausnahmezustand, auch Roland und Hilde unterlagen kurz vor ihrer Hochzeit einer Vielzahl an Emotionen, die von Liebe über Aufregung, Anspannung und Vorfreude reichten, wie in den von mir zur näheren Betrachtung ausgewählten Briefen vom 29. Juni 1940 (400629–1‑1) und 1. Juli 1940 (400701–2‑1) deutlich wird. Die von Hilde eingegangene Verpflichtung dem Pfarrer ehrenamtlich einige Stunden täglich zwei Wochen lang zur Verfügung zu stehen, über die sie Roland in ihrem Schreiben vom 27. Juni 1940 (400627–2‑1) berichtete, war Anlass für Braut und Bräutigam sich selbst darzustellen und ihren Vorstellungen von einem gemeinsamen Leben Ausdruck zu verleihen. Aus ethnologischer Sichtweise ist es interessant zu fragen, wie Roland und Hilde knapp vor ihrer endgültigen Bindung in einer bewegten Zeit ihr Selbst konstruierten und inszenierten.
Ergänzend soll der Einfluss der nationalsozialistischen Politik auf die private Beziehung der beiden Liebenden näher betrachtet werden. Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf Arbeiten aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, beispielsweise des Soziologen und Historikers Klaus Latzel, der über Feldpostbriefe als Quelle schreibt, auf Arbeiten zu Geschlechterkonstruktionen in Briefen der Kulturwissenschafterin Inge Marszolek oder der Historikerin Kate Hunter und aus dem Bereich der Sprachwissenschaften auf Texte von Sonia Cancian und Isa Schikorsky, die den Sprachstil in Liebes- und Kriegsbriefen untersuchen. Gisela Bock betreibt unter anderem sozial- kultur- und politikgeschichtliche Geschlechterforschung und schreibt im angeführten Beitrag über unterschiedliche Frauen und deren Bedeutung im Nationalsozialismus. Zu Selbstdarstellung und ‑inszenierung führe ich einen Text von Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann an, die das Konzept der Positionierung in der Erzählforschung auf die Identitätskonstitution anwenden und zeigen, wie die KommunikationspartnerInnen den anderen deutlich machen, wie sie gesehen werden möchten und wie sie die jeweils anderen sehen. Meine These vorab ist, dass die Brautleute der propagandistischen Indoktrination unterlagen und diese in die Liebesbeziehung der beiden hineinreichte.
In seinem Brief vom 29. Juni beklagte sich Roland über Hildes Dienst beim Pfarrer und erklärte seiner Braut, warum er „nicht ganz damit einverstanden sein“ (400629–1‑1) konnte. Er gab seinen Befürchtungen Ausdruck, dass er durch Hildes ehrenamtliche Tätigkeit in seinen Rechten „(Briefeschreiben)“ (400629–1‑1) beschränkt würde. Die Eigenverantwortlichkeit, die Hilde durch das Annehmen des Ehrendienstes beim Pfarrer zeigte, schien nicht in das bereits vor und schließlich während des Nationalsozialismus gängige Bild der untergeordneten Frau zu passen, das Roland von seiner zukünftigen Ehegattin vor Augen hatte. Die Tatsache, dass sie ihn vor ihrer Entscheidung nicht um Rat ersucht hatte, war für ihn schwierig zu akzeptieren. Marszolek weist auf die nationalsozialistische Geschlechterideologie hin, die die Bestimmung der Frau als dem „Mann zur Seite gestellt, aber ihm als Führer und Kamerad untergeordnet“[1] sieht. So meinte auch Roland auf Unterordnung „dringen“ (400629–1‑1) zu müssen. In seiner Kritik kam in unterschiedlicher Form immer wieder der Begriff Recht vor, der die von ihm beanspruchte und ihm laut Gesetz zustehende Stellung betonte. Latzel weist darauf hin, dass Frauen zur Zeit des NS – Regimes ihren Männern rechtlich und faktisch untergeordnet waren, auch wenn dies durch die ideologische Aufwertung der Mutterschaft zu gesellschaftlicher Gleichberechtigung umgedeutet wurde. Der Ehemann sollte „Führer der Familie“ sein, sollte seine „Ehefrau als Beraterin“ akzeptieren, aber „in allen wichtigen Angelegenheiten das letzte Wort“[2] behalten. Um dieses letzte Wort hatte Hilde ihren Roland mit ihrer eigenmächtigen Entscheidung gebracht. Roland jedoch erwartete freiwillige Unterordnung und die Anerkennung seiner Stellung, die er auch durch die Behauptung seiner eigenen Prinzipien oder durch die Ablehnung von Hildes Wünschen oder Forderungen, zu erreichen suchte. Sein Verständnis von partnerschaftlicher Beziehung war in der traditionellen Auffassung von Geschlechterrollen, die auch bereits vor dem NS-Regime bestanden hatte, verwurzelt.
Roland schrieb von seiner Aufgabe als „Beschützer“ und bezeichnete Hilde als seinen „Schützling“ (400629–1‑1) neben sich. Gemäß dem nationalsozialistischen Männlichkeitskonstrukt wurden Männern militärische Charaktertugenden zugeschrieben, die es ihnen ermöglichen sollten ihre Frauen gegen jegliche Feinde von außen zu schützen. „Die Stahlnaturen Ernst Jüngers wurden zum Männlichkeitsideal der NS-Volksgemeinschaft“[3], schreibt Marszolek. Der tapfere Soldat galt als Inbegriff von Männlichkeit, die sich in persönlichen Werten, wie “Mut, Hingabe an die Sache, Ehre, Treue, Glaube, Wille, Selbstzucht“[4] manifestierte. Auch Roland erwähnte seine Pflicht als Mann, Hilde zu beschützen, es gäbe schließlich „keine schönere Aufgabe“ (400629–1‑1). Allerdings müsse er sich gegen Hildes Auflehnung auch „wehren“ und „verteidigen“. Wenn Roland sich hier militärischer Begriffe bediente, so lässt dies, Schikorsky folgend, zum einen auf politische Propaganda rückschließen, Schlagwörter der Militärrhetorik sollten Optimismus ausstrahlen, Kampfmotivation versichern und Zuversicht auf einen positiven Kriegsausgang bekräftigen[5], zum anderen möglicherweise auf die Tatsache, dass Roland zum Zeitpunkt des Schreibens (noch) nicht Soldat war, jedoch schon gerne seinen Beitrag geleistet hätte. An anderer Stelle hatte Roland bereits seine Hilfe angeboten und sein Vorhaben geäußert sich „freiwillig zu dem Wachkommando auf dem W.“ (390902–1‑1) zu melden. Mit der Idealisierung von Kampf wurde die Bevölkerung auf Krieg eingeschworen, Kameradschaft galt als „Garant menschlichen Zusammenlebens“[6]. Das Modell, auf das sich die NS-Kameradschaft stützte, stammte aus der Schützengrabenkameradschaft des ersten Weltkriegs, wurde im Nationalsozialismus jedoch hierarchisiert und bezog auch die Frauen mit ein. Roland verwies mit seiner Feststellung, Hilde sei sein Schützling ‚neben‘ ihm, auf diese neue Form der Kameradschaft, die es Frauen ermöglichte als Kameradin an der Seite ihrer Männer gleichzeitig sowohl schwach und schützenswert als auch tapfer und zu Opfern bereit zu sein.[7] Rolands Interpretation von Männlichkeit wurde durch die nationalsozialistische Hierarchisierung dieses Kameradschaftsmodells beeinflusst, das in seiner erweiterten Form sowohl den männlichen Krieger als auch die schwache und zugleich tapfere Frau beinhaltete.
Roland beschrieb, was ‚Männer‘ denken und tun. Des Weitern zeichnete er das Bild ‚des Mannes‘ und ‚der Frau‘ in Bezug auf die Verteilung ihrer Aufgaben. Laut Schikorsky entspricht diese neutrale Schreibweise vor allem der „Erfüllung gesellschaftlich konventionalisierter Rollenkonzepte“[8], die den im Nationalsozialismus propagierten Erwartungen an Ehemänner sowie an Soldaten ausdrücklich entsprachen. Roland ging mit der zusätzlichen Aussage „wenn das überhaupt nötig ist“ (400629–1‑1) davon aus, dass Hilde ähnlich dachte. Er erklärte sie durch seine Aussage zu einer Person, die verständig genug war, sich nicht gegen die Unterordnung aufzulehnen. Er gab ihr zu verstehen, dass freiwillige Unterordnung ihrerseits keinerlei Druck seinerseits erforderlich machte und wies ihr so die von ihm gewünschte und den Rollenerwartungen entsprechende Position zu.[9] Wenn es allerdings darum ging seine Gefühle und Wünsche darzulegen, blieb Roland in seinen Äußerungen vage und unbestimmt: er könne „nicht ganz“ einverstanden sein, er werde in seine Rechten „verkürzt“, er müsse „etwas“ vertreten oder ablehnen, er „will hoffen“, dass das Hildes letzter Seitensprung wäre (400629–1‑1). Auf indirekte Weise versuchte Roland Hilde zu lenken und ihr damit Spielraum für die eigene Interpretation zu lassen ohne negative Konsequenzen durch direkte Anordnungen fürchten zu müssen. Auch wenn, so Lucius-Hoene/Deppermann, diese indirekten Äußerungen unter anderem auf Erfahrungen, Wissensbestände oder Konventionen verweisen, so fehlten Roland die gemeinsamen Wissensbestände, die Erfahrungen einer gelebten Partnerschaft, auf die er zurückgreifen konnte. Er steckte vielmehr durch seine unbestimmten Bemerkungen Grenzen ab, innerhalb derer sich seine Ehe in Zukunft entwickeln könnte, ohne konkret zu werden. Ergänzend könnte sein abschließendes „aber genug davon“ (400629–1‑1), Schikorsky gemäß, auf kollektive mentale Dispositionen schließen lassen, die wiederum aus gesamtgesellschaftlicher, emotionaler Neutralität resultierten könnten. Emotionen wurden entweder nicht oder nur teilweise thematisiert, da dies nicht den allgemeinen Gepflogenheiten entsprach.[10] Marszolek wiederum meint, dass dafür auch die „von Krieg und Nationalsozialismus abverlangte[n] Härtung und Panzerung“[11] verantwortlich sein könnten. Abseits der gängigen Geschlechterkonnotationen blieb Roland bezüglich seiner Gefühle und Empfindungen aufgrund fehlender Erfahrungen und aufgrund kollektiver emotionaler Neutralität zurückhaltend und vage.
In ihrem Brief vom 1. Juli 1940 erklärte Hilde Roland als Antwort auf seinen Brief ihre Beweggründe den Ehrendienst beim Pfarrer anzunehmen und rechtfertigte ihre Handlungsweise. Auch wenn sie ihrem Bräutigam in Bezug auf sein „Recht“ (400701–2‑1) an ihr zustimmte, auch seine Verstimmung nachfühlen konnte, so lehnte sie sich dennoch vehement gegen seine Bevormundung auf und erklärte nur sich selbst als für ihr Handeln verantwortlich. Marszolek bezeichnet diese selbstverantwortlichen Handlungsspielräume als „Frei-Räume“, die „entgegen dem dominanten Frauenbild, das die Frau als Mutter auf die häusliche Sphäre zu beschränken versuchte“[12], eine Option darstellten aus der Privatheit des Familienlebens herauszutreten und, als Bonus für das NS – Regime, Frauen als Erwerbstätige oder für den Kriegsdienst zu nutzen. Hilde empfand ihre eigenmächtige Entscheidung als notwendig, da sie „sofort gebraucht wurde“ und keine Zeit hatte lange nachzudenken. Durch die Verhältnisse im nationalsozialistischen Regime waren Frauen zwar in der partnerschaftlichen Hierarchie untergeordnet, aber gleichermaßen den Männern „ebenwürdig“[13]. Deshalb zweifelte Hilde weder an der Richtigkeit ihrer Entscheidung noch an einer positiven Reaktion ihres Bräutigams. „Ich war bei dem Gedanken an Dich völlig ohne Arg“, (400701–2‑1) so Hilde. Bock zufolge, lag dem NS-Regime nicht nur daran, den Frauen „einzig die Familie und gewissenhafte Mutterschaft“[14] zuzuordnen. Außerhäusliche Aktivitäten waren üblich, so stieg die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen ab 1933 stetig und war während der gesamten Zeit unter nationalsozialistischer Herrschaft höher als in den meisten anderen westlichen Staaten. Die Grenzen traditioneller Geschlechterrollen konnten überschritten werden, da die Nationalsozialisten den Frauen hinsichtlich ideologiekonformer Karrieren Zugeständnisse machten.[15] Aufgrund der doppelgleisigen Geschlechterpolitik des NS-Regimes konnte sich Hilde als moderne und selbstständige Frau präsentieren.
Hilde beschrieb Roland ihre Überlegungen hinsichtlich ihres Engagements, die „Grundsätze“ (400701–2‑1), die sie veranlassten die Arbeit anzunehmen. Hildes Entscheidung wurde zunächst davon getragen, dass überall Arbeitskräfte gebraucht wurden und sie ihren Beitrag „im kleinen an der inneren Front“ (400701–2‑1) leisten konnte. Frauen mussten, wie Marszolek meint, mit fortschreitender Kriegsdauer sowohl bereit sein „Krieg in der Heimat zu führen“[16] als auch ihre häuslichen Pflichten wahrzunehmen. Die Volksgemeinschaft war oberster Wert und höchstes Ziel der NS – Politik, in ihr sollten sich, abseits von sozialen, religiösen oder klassenspezifischen Unterschieden, die Deutschen gegen den Feind vereinen.[17] Die NS-Volksgemeinschaft benötigte die Opferbereitschaft auch der Frauen, ihren Dienst am Volk, für die Gemeinschaft. Hilde brachte dieses Opfer, nicht nur, indem sie sich, wie sie sagte, „nützlich“ machte, sondern auch durch „doppelte Leistung daheim“. Denn, so Hilde, „Was nützt es, wenn ich ohne Mühe opfere?“ (400701–2‑1). Opferbereitschaft wurde von Männern und Frauen erwartet, die Opferbereitschaft war allerdings, wie Latzel hervorhebt, nach Geschlechtern differenziert. Frauen hatten demnach ihr Opfer sowohl für den Staat als auch für ihre Männer zu bringen.[18] Latzel meint weiter, dass durch die Verwendung der Opferrhetorik das eigene Leben wichtiger und größer dargestellt wird als es tatsächlich ist. Hilde betonte mehrmals, dass sie unbezahlt arbeitete, sie bezeichnete ihre Tätigkeit als „Ehrendienst“ oder „Ehrenamt, wo ich nicht Lohn beziehe“ (400701–2‑1), als Aufgabe, derer sie sich gewachsen fühlte und die die ihr selbst Freude bereitete. Auch die Anerkennung des Pfarrers war ihr eine Erwähnung wert. Ihre Arbeit, wie beispielsweise der Dienst beim Pfarrer, war eine Form der sozialen Praxis, durch die Hilde zu einem Teil der NS-Volksgemeinschaft wurde.
Hilde entwarf ein Bild ihrer gemeinsamen Zukunft mit Roland und beschrieb das Leben, wenn die beiden Liebenden vereint wären. Sie idealisierte ihr zukünftiges Eheleben und meinte, dass sie „im höchsten Vertrauen und im besten Verstehen alles, was das Leben mit sich bringt“ (400701–2‑1) in Kameradschaft teilen würden. Solche Idealisierung, so Cancian, geht in schriftlicher Kommunikation oft Hand in Hand mit Trennung. Der Partner, die Zukunft, die Beziehung unterliegen einer Überhöhung, die dazu dient, Gefühle nicht nur auszudrücken, sondern erst zu schaffen oder auszuweiten. [19] Wenn Hilde das „Schöne und Beglückende unserer Liebe“ (400701–2‑1) zitierte und von deren höchstem Wert schrieb, so tat sie das nicht nur, um ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen, sondern diese sowohl bei sich als auch bei Roland zu verstärken. Des Weiteren entsprach sie damit dem nationalsozialistischen Gedankengut, das die „arische“ Ehe, die „»Keimzelle des Staates«“[20], als notwendig und für den Aufbau der Volksgemeinschaft als von besonderer Bedeutung erachtete. „Die Welt der Frau ist, wenn sie glücklich ist, die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim.“[21] Sie schrieb davon, nur mehr eine Woche beim Pfarrer zu arbeiten, und dann nur noch Roland zu gehören. Marszoleks Argumentation folgend, war Hilde zwar stolz auf ihre Selbstständigkeit, sie wurde jedoch nicht zum Leitbild ihres Lebens. Ihre Selbstständigkeit sah Hilde als zeitlich begrenzt, „noch eine Woche geh ich in’s Pfarrhaus“, danach wäre Roland ihr Beschützer für „alle Tage“ (400701–2‑1). Zum Abschluss all ihrer Rechtfertigungen und Erklärungen bezüglich ihrer eigenmächtigen Entscheidung, kehrte Hilde zu dem zurück, was Roland sich von ihr wünschte und dem traditionellen Frauenbild entsprach: die dem Mann untergeordnete, aufopferungsvolle und ergebene Kameradin, die in der Ehe ihre Erfüllung findet. Hilde räumte der nationalsozialistischen Propaganda bezüglich der Rolle und Stellung der Frau einen Platz in ihrem Leben ein und akzeptierte damit das dominante Frauenbild des Nationalsozialismus.
Private Korrespondenz kann sich als aufschlussreiche Quelle erweisen, die, entsprechend befragt, aus der Vergangenheit erzählt. Hildes und Rolands Briefe stellen innerhalb dieser Quellengattung bezüglich Umfang und Dauer der Kommunikation eine Besonderheit dar und sind deshalb umso mehr geeignet, Auskunft über historische und soziokulturelle Lebenswirklichkeiten der Schreibenden zu geben. Die eingangs aufgestellte Hypothese hinsichtlich Art und Reichweite der nationalsozialistischen Einflussnahme lässt sich durch die Analyse der zitierten Briefe bekräftigen und um den Einfluss traditioneller Rollenbilder, die bereits vor dem NS-Regime bestanden hatten, ergänzen. Nichtsdestotrotz werfen die Briefe weitere Fragen auf, die in diesem kleinen Rahmen nicht beantwortet werden konnten. So könnte die Untersuchung der Briefe über einen längeren Zeitraum Aufschlüsse über die Veränderung von Einstellungen und Werten im Zeitverlauf ermöglichen oder Unterschiede in der Aufnahme und Umsetzung der nationalsozialistischen Propaganda nach Geschlecht und Generation zum Vorschein bringen. Interessant wäre auch eine Vertiefung einzelner vorgestellter Thesen wie zum Beispiel zur sozialen Praxis der Herstellung der NS-Volksgemeinschaft oder NS-Kriegsgemeinschaft. Abschließend muss jedoch festgehalten werden, dass trotz aller Ergiebigkeit der Quelle privaten Briefverkehrs immer nur Einblicke in die Lebenswelten der Schreibenden gegeben werden können und viele Fragen offen bleiben werden.
[1] Marszolek (1999): S. 46
[2] Latzel (1989): S. 213
[3] Marszolek (1999): S. 46
[4] Brockhaus (2006): S.169
[5] Vgl. Schikorsky (1992): S. 308 u. 309
[6] Brockhaus (2006): S. 164
[7] Vgl. Marszolek (1999): S. 45f.
[8] Schikorsky (1992): S. 298
[9] Vgl. Lucius-Hoene/Deppermann (2004): S. 168 und 169
[10] Vgl. Schikorsky (1992): S. 299
[11] Marszolek (1999): S. 52
[12] Marszolek (1999): S. 47 (Hervorhebung im Original)
[13] Marszolek (1999): S.47
[14] Bock (1997): S. 263
[15] Vgl. Bock (1997): S. 261–266
[16] Marszolek (1999): S. 43
[17] Vgl. Brockhaus (2006): S. 165
[18] Vgl. Latzel (1989): S. 216
[19] Cancian (2012): S. 758
[20] Latzel (1989): S. 215 (Hervorhebung im Original)
[21] Adolf Hitler, zit. in Latzel (1989): S. 212
Literatur
Bock, Gisela (1997): Ganz normale Frauen. Täter, Opfer, Mitläufer und Zuschauer im Nationalsozialismus. In: Heinsohn, Kirsten/Vogel, Barbara/Weckel, Ulrike: Zwischen Karriere und Verfolgung. Handlungsräume von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland. Campus Verlag: Frankfurt/New York. S. 223–277
Brockhaus, Gudrun (2006): Sozialpsychologie der Akzeptanz des Nationalsozialismus: Kritische Anmerkungen zu »Rausch und Diktatur«. In: Von Klimó, Árpád/Malte, Rolf (Hg.), Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen. Campus Verlag: Frankfurt/New York. S. 153–176
Cancian, Sonia (2012): The Language of Gender in Lovers´ Correspondence, 1946 – 1949. Gender & History, Vol. 24 No. 3 November 2012. S. 755–765
Latzel, Klaus (1989): Die Zumutungen des Krieges und der Liebe – zwei Annäherungen an Feldpostbriefe. In: Knoch, Peter (Hg): Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und Friedenserziehung. Metzler: Stuttgart. S. 204–221
Lucius-Hoene, Gabriele/Deppermann, Arnulf (2004): Narrative Identität und Positionierung. Gesprächsforschung – Online – Zeitschrift zur verbalen Interaktion (ISSN 1617 – 1837). Ausgabe 5, S. 166–183
Marszolek, Inge (1999): »Ich möchte dich zu gern mal in Uniform sehen«. WerkstattGeschichte 22. Ergebnisse Verlag: Hamburg. S. 41–59
Schikorsky, Ida (1992): Kommunikation über das Unbeschreibbare – Beobachtungen zum Sprachstil von Kriegsbriefen. In: Wirkendes Wort 2. S. 295–315