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[OBF-430124-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 23. Januar 1943

Geliebte mein! [Hilde], meine liebe, liebste [Hilde]!

Herzelein! Mit Dir bin ich doch den ganzen Nachmittag schon - spürst es denn? Den ganzen lieben freien Tag nun – ach Geliebte! immer! immer!!! Und wenn ich Dich dann aufsuche von irgendeiner Beschäftigung her, dann ist es ein ganz glücklich frohes Besinnen – oh Herzelein! ein selig Wiederfinden und -entdecken: Du bist mein! Du lebst in meinem Herzen! Du wartest mein! Du wartest mein!!! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Du! Ich hab Dich doch so unendlich lieb! sooo lieb! Und das Glück unsrer Liebe, der Reichtum Deiner Liebe übertönen und überstrahlen auch den Schmerz der Sehnsucht.

Oh Du! Geliebte! Und nun ist unser Stündlein! Du! Du!!! Ich weiß Dich jetzt im Konzert! Du! Du!!! Hast mich mitgenommen? Du mußt ja! Du mußt ja! Du, den Inwohner [sic] Deines Herzens, Du!!! Es hat eben begonnen nach meiner Uhr! Da besinne ich mich doch eben: ist ja, nun ein Stuhlkonzert – ohne Bierdeckel und Teegläser.

Du! Ich wünsch Dir doch viel viel Freude!

Bist denn noch gar nicht müde heute? Hab doch mein Herzlieb mitgenommen in den Vorfrühlingstag. Blauer Himmel, Sonnenschein, milde Luft – und ein Lösen und Rinnen und Tauen wie sonst nur im März und April – ach es war eine Freude, an der Luft zu sein. Schmutzig! Die Straßen in der Stadt – die Schneeflächen draußen aber ein lockender Plan zum Tummeln und Schneeballen, Du!!! Das Mannerli konnt doch nicht wiederstehen und hatte seine Zielkunst wieder mal auf die Probe gestellt. Überall im Ausstellungsgelände stehen eiförmige Papierbehälter – und dahinein galt es zu treffen. Na, ich hab es auch geschafft. Aber mein Herzelein hätt ich eher getroffen – glaubst es mir? – Du!!!

Wie mußte ich Dein doch immer denken!

Stadtwärts bin ich dann gegangen. Ein Schlechtes [sic] Gehen war in den Straßen. Von den Häusern beseitigte man überall die vereisten Schneemassen, daß die Fußsteige an vielen Stellen vereist sperrt waren.

Und heimzu hatte das Mannerli doch seinen Arm gar nicht frei, weißt, den, der nun immerzu ein liebes Menschenkind führen will, den rechten – in der Nähe der Kirche ist ein unscheinbarer Obstladen, dort bekomme ich immer gut und reichlich - und so erstand ich heute wieder eine große Tüte Äpfelein – und am Finger hing noch ein Päckchen – mit feinen Nüsseln! [sic] Du!!!

Die rechte Hand möcht ich mir doch immer frei halten zum Grüßen – aber das ist zu komisch: die linke will frei sein – und die rechte gebunden, immer ertapp ich mich dabei, wie ich alsbald die Last wechsle – ach Du!

Du!!! Bin es doch nun schon so gewöhnt, mein Liebstes dort zu führen – gewöhnt? – ach Herzlieb! ich kenne und kann es doch gar nicht mehr anders, als mit Dir gehen immerfort! Du! Du!!!

Oh Liebes! Liebstes! Meine liebe [Hilde]! Daß ich Dir noch ferne sein muß! Daß ich Dir nicht nahe sein kann in den Stunden, da es Dich so sehr verlangt nach meiner Nähe! Daß wir unsre Liebe noch nicht bewähren können in dem Liebsten; dem Beistand in den einsamen Stunden der Sehnsucht, im Haltgeben einander, im Leben miteinander! Oh Du! Du!!!

Helf uns Gott! Steh er Dir bei in solchen Stunden! Oh Geliebte! Möchte es ganz lebendig und gewiß dann in Dir sein:

Dein bin ich ganz! Unverlierbar Dein! Und in der Fremde – erst recht! Ich vergesse Dich nicht – ich lasse Dich nie und nimmermehr allein!! Dich — Dich? Du! Du!!! Nie und nimmermehr – mein Alles, Du, mein Leben! Oh Du! Du!!! Denk dann an die Kraft Deines Herzens, an die Macht Deiner Liebe, in der ich doch ganz gefangen bin! Denk an Dein Herz, in dem ich wohne – in das ich hineingewachsen bin wie das Kindlein in der Mutter Schoß – aus dem ich gar nicht mehr herauskann, Du stießest mich denn hinaus!

Oh Geliebte! Ich bin ganz Dein! So stark ist Deine Liebe – so stark! – weißt es gar nicht, wie viel Gewalt über Deinen [Roland] hast — er kann nimmer von Dir los – Dis hast ihn doch verzaubert – Du! Du!!!

Oh, Geliebte mein! Gute, starke Liebe erfüllt unser Herze, uns zu reichem Segen! – Du erkennst es mit mir! Und Gott, der unsre Herzen lenkt, ihm danken wir unsre Liebe, und daß wir treu und beständig gesinnt sind – und Gott wird mit uns bleiben und unsre Liebe segnen!

Bist also am Sonntag auch im Gottesdienst gewesen, mit Deinem Mannerli zusammen – und ich bin um dieselbe Stunde erbaut und beschenkt worden wie Du. „Und das Licht scheint in der Finsternis", so war unser Textwort - und daß wir Spiegel sein sollen des großen Gotteslichtes hier in der Welt, das war auch das Kernstück unsrer Predigt.

Oh Geliebte! Wie klang das aus dem Munde dieses ehrwürdigen, gereiften Mannes, verhalten, aber doch warm, gütig, und schwingend aus tiefstem Überzeugtsein [sic] von der Wahrheit, aus tiefster Erfahrung, aus tiefer Seelenfreude:

Die große Gottesliebe, die uns den Gottessohn schenkte, ist so etwas Großes und Einmaliges und Gewaltiges wie die große Himmelssonne selber, etwas so Großes, das alles politische Geschehen hier auf Erden, alle menschliche Kritik und aller Zweifel janz klein daneben, ganz nichtig sind!

Ja Geliebte! Ich denke eben auch wieder an Rosenberg.

An diesem Kernstück zerschellt doch alle Kritik – an ihm muß sie sich vorbeidrücken, wenn sie nur ein wenig etwas darstellen will. Alle Gescheitheit, Geistesschärfe, verstandesmäßige Bedeutsamkeit, scharfer Umblick, umfassende Schau, alle Gewitztheit des modernen Menschen ist doch dünn und schwächlich vor der Tatsache der Gottesliebe und -güte.

Ja, Herzelein, und darüber wundern wir uns gar nicht - denn in der Liebe ist unsre Zeit schwach – schwach - das wird mehr und mehr offenbar – überall dort, wo die Liebe bauen und zeugen muß: im Kulturschaffen, in den Künsten – das ist ja schon offenbar und wird es immer mehr.

Herzlieb!

Und schau Dir alle Gedankengänge an der Parteidoktrin, die Erziehung in der Jugend: die Liebe hat keinen Raum darin – Verstand (nicht zu viel, bitte!) – Werte – Gehorsam – Härte – Kameradschaft - die Liebe hat keinen Raum darin. Alle Hilfe kommt vom Staat, vom Führer, Volkswohlfahrt, Altersversorgung, K.d.F.– der Staat, der Führer und seine Funktionäre halten die Volksmasse schon in Bewegung: Arbeit, mal ein Quantum Freude, ein Quantum Erbauung, eine Dosis Sinnenlust – es ist ja für alles gesorgt, keiner soll mehr hungern und frieren, ein Idealstaat – wozu braucht es da noch der Liebe? Der Liebe, die den großen Wohltäter Staat nur in den Schatten stellt, die den Menschen stark persönlich bindet an den Mitmenschen, die Kinder an die Eltern, den Menschen an Gott – womöglich stärker als an den Blockwalter und Gauleiter und den Staat - schlimmste Sünde am totalitären Staat! Ist es nicht so? Eifersucht – Machtgelüste – Überspanntheiten – Vermessenheit — Feindseligkeit gegen alles tiefere Eigentum.

Du sollst nichts lieber haben als Dein Volk – so heißt das moderne Gebot.

Und so verstehen wir auch, daß die Kirche und ihre Diener als ein Staat im Staate angesehen werden, als Gegenspieler, Verführer, Konkurrent, Störenfried – sie muß eben verschwinden – der Staat, der Führer befriedigt alle Bedürfnisse – wozu brauchen wir noch Gottvater? Wozu brauchen wir noch einen erbarmenden Gott? wo es doch einen allerbarmenden Staat gibt? Sünde? – Im Einklang ist der Mensch mit sich und der Welt, wenn er nur recht gesund ist und geleitet wird.

Herzelein, es ist ja geradezu belustigend zu sehen, wie dieser Staat nach göttlicher Vollkommenheit strebt, wie er bestrebt ist, den Bedürfnissen der Menschen ganz auf den Leib zu passen – einem Durchschnittsmenschen freilich, einem willigen, leitsamen, den man erst formen muß, den man beschneiden muß an Eigenwillen, Denken und Freiheit.

Ich habe Rosenbergs Mythos schon einmal gelesen.

Ich besinne mich nicht mehr recht. Wir werden das Buch noch einmal miteinander lesen. Das Christentum wird darin eben als artfremd seiner führenden Stellung enthoben – das Gute darin wird anerkannt, aber als nicht originell und einmalig verkleinert und gleichwertig neben andere hohe Gedanken gestellt. Das ist aber für die Beurteilung Rosenbergs nicht entscheidend. Herzelein, entscheidend ist, was die kleinen Funktionäre im engeren Kreise ihrer Dörfer und Städte wühlen und niederreißen mit Mitteln des Drucks und der Erpressung, im Auftrage Rosenbergs, mit dessen Wissen und Zustimmung – und das nennt er dann noch einen ritterlichen Geisteskampf. Nein, Herzelein, wer ein so freier Mensch ist, ein Mensch von so umfassender und tiefer Einsicht, wie der Artikler ihn malt, der reicht zu solchem Spiel nicht seine Hand, dem ist freier und ritterlicher Kampf oberstes Gebot.

Nein, nein – alles, was wir an Heimtücke und Hinterlist und Niedertracht auf diesem Gebiete schon erfahren haben – das wird zum mindesten von der führenden Stelle geduldet – und das genügt uns.

Herzelein! Er ist erkannt als die Seele des Antichrist – da gibt es kein Verstecken mehr. Und das neue Ostland wird ja dann sein großes Versuchsfeld sein – das nationalsozialistische Musterland. Aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel – auch im nationalsozialistischen Staat nicht.

Herzelein! Nun ist Sonntagmorgen. Wirst schon ausgeschlafen haben? Das Mannerli hat gestern vorm Schlafengehen noch gebadet, ½ 12 Uhr war es, als ich ins Bettlein stieg. Wollt noch warten, bis mein Schätzelein heimkäme – bin aber eingeschlafen – aber war bald darnach [sic] wieder ganz munter! Du!! Da bist gewiß heimgekommen und hast das Mannerli noch einmal munter gemacht – mit einem lieben Kussel? [sic] oder hast Dich ganz lieb nahe herangekuschelt? wär das Mannerli aber böse geworden – glaubst nicht?

Ach Du! Du!!! Liebstes! Herzallerliebstes!

Ist wieder ein ganz blanker heller Morgen heute – führ ich mein Schätzelein wieder spazieren in die goldene Sonnenflut, daß es ganz froh wird mit mir! an Gottes Sonne!

Hattest am vergangenen Sonntag zwei Freundinnen zu Besuch. Und Du hast erkannt, daß sie die Ehe kaum verändert hat, geschweige denn gewandelt, daß sie gar nicht ein wenig gewachsen sind.

Woran liegt es nun? An beiden, an Mann und Frau. Sie suchten nicht mehr und erwarteten nicht mehr, sie tragen keines hohes Bild von der Liebe in sich, sie haben aber auch nicht einmal helle wache Sinne, um Freude und Schönheit und Reichtum um sich her zu erkennen, denn dann würden sie auch ein Teil davon in ihrem Leben verwirklichen wollen.

Oh Herzelein! Solche Ehe muß zerbrechen in diesen Zeiten – und wenn die Frau nicht untreu wird, der Mann wird es bestimmt, weil nichts ihn bindet wenn er nichts in sich trägt, was hoch steht über sinnlicher Befriedigung.

Oh Du! Ganz lose sind solch sinnliche Bande. Sie rühren das Herze kaum an. Und solch Lieben wird bald schal, macht freudlos, dumpf, überdrüssig, gering. Und solch Lieben kann auch keine Brücken schlagen über die Ferne - oh Du! wie es das Lieben von Herzen kann. Oh Geliebte! Wir können doch einander auch liebhaben über die Ferne! Ganz sehr lieb! Ach Du, so wunderlieb, daß wir sooo froh und sicher und glücklich gehen! Ein Segen ist gute Liebe! Oh Du! Du!!! Geliebte! Wir sind sooo reich beschenkt!

Gestern erzählte mir Fräulein Sch., die neue Helferin, daß sie es schon bereut, sich gemeldet zu haben, daß sie entsetzt und unglücklich ist, mit solchen Kameradinnen zusammenleben zu müssen, mit Mädchen, die sie zu Hause nicht angesehen hätte.

Herzelein! Der erste Eindruck ist der rechte – und so würde es Dir ebenso ergehen, wenn Du zum ersten Male hinauskämest – ein wenig weißt Du vielleicht schon besser Bescheid.

Schätzelein! Ich weiß davon ebensowenig, denn ich kümmere mich nicht darum – und habe gar nicht das Verlangen und bin nicht einmal neugierig, da Erfahrungen zu sammeln.

Ich sehe es diesen Mädchen nur an, daß nicht viel zu ihnen ist, und lehne sie im Innersten ab – und bedaure sie – ach, daß sich Gott dieser Welt erbarme und uns erst einmal wieder Frieden schenkte! – und komme dann zu Dir, Geliebte! sooo froh, und glücklich, und dankbar – Du! mein liebes, einziges Weib! Meine [Hilde]! Mein Alles! mein Glück! mein Reichtum, mein Leben!!! Oh Du! Du! Du!!!

Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen!!!!! !!!! !!!

Herrgott! Erhalt uns unsre Liebe! Segne sie! Amen!

Ich küsse Dich herzinnig! Und bleibe Dein – ewig Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946