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[OBF-430121-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 20. Januar 1943

Meine liebe, liebste [Hilde]! Herzallerliebste mein! Zwei liebe Boten sind heute zu mir gekommen. Darunter auch der Nachzügler vom Dienstag.

Er berichtet wieder einmal von einem Alarm, der nun mit dem heutigen Boten als ein blinder sich erwies. Komisch, daß erst die vielen Helfer nicht dawaren [sic], sodaß man Dich rief. Ist das ein böses, ruhloses Durcheinander – ich muß daran denken, wie die Menschen früher, als sie noch seßhafter waren, glücklicher dranwaren [sic], wie sie einander auch schneller zur Hand sein konnten mit Rat und Hilfe. Man kann nicht sagen, daß die Menschen mit der größeren Freizügigkeit glücklicher geworden sind. Ja, nun erkennt man auch, daß es gut war, daß die Eltern diesmal der Chemnitzer Tante M. absagten. Wer hätte sie noch versorgen sollen?

Ob denn Lotti wieder gesund ist?

Ja, nun weiß ich mir auch Hellmuths Gruß zu deuten: „Siehe, ich verkündige euch große Freude – Nikolaus Mathis" – er hat nun richtig seinem Einzug gehalten im Nest – der kleine Erdenbürger – ein vom bösen Kriege aufgestörtes Nest ist es – traurig ist es – der Vater nicht zur Stelle, um der Mutter beizuspringen – Unruhe und Sorge schauen in die Wiege, ohne daß die Eltern sie ganz fernhalten könnten, weil sie selbst von dieser Sorge zu hart angefaßt werden. Und doch obsiegt die Freude über all das Sorgen und Entbehren. Und es muß schon ganz wundersam für die Eltern, zum ersten Male ihr Kindlein mit im Kämmerlein zu haben und sein Atmen zu hören: ein Neues, ein Drittes – Du!!!

Ja Herzelein, ich bin froh mit Dir, daß man auch ohne Deine Hilfe auskommt, daß Du in Deiner eignen Ordnung nicht ins Hintertreffen kommst, daß Du nicht gerade jetzt, im kältesten Monat umherreisen und frieren mußt.

Lieb ist Deine Bereitschaft – es gibt doch kein lieberes Helfen als für die Lieben mit einzutreten – und das Mannerli hätte doch garnichts [sic] dagegen eingewandt. Nur, wenn Du Vater versorgt hättest: Du wärst auch ganz streng gewesen – ja? – und hättest darauf bestanden, im Kämmerlein für Dich zu schlafen? – Du! Daß Du mich nicht falsch verstehst – das sind ein paar Wünsche, das sind ein paar Empfindlichkeiten, die Du verstehen mußt, nicht nur verstehen, sondern die zu Deinen eigenen gehören müssen – mein Eigen sollst Du sein – mein Eigen willst Du sein – Herzlieb, Empfindlichkeiten, Empfindungen, eigensinnige, zarte, vielleicht nur uns recht verständliche, aus heißer, leidenschaftlicher, tiefer Liebe geboren, deren Rücksicht uns aber gerade während der Zeit des Getrenntseins selbstverständliche, liebste Pflicht ist, auch wenn sie von den anderen nicht verstanden wird.

Ist es so? Du! Du!!! Geliebte mein!!!

Wenn Du ohne Dein Mannerli mit einem anderen Mannerli das Kämmerlein teilst – das tut mir weh – das schmerzt mich – das ist eine Störung unsrer Kameradschaft (Kamerad – der die Kammer mit mir teilt) – Herzelein, das ist ein ganz feiner Schmerz in den leisen Empfindungen – das ist ein Mißtönen in den zartesten Seiten.

Ach, das verstehst Du! Das empfindest Du auch! Weil Du mich ebenso lieb hast wie ich Dich – und wenn Du es nur irgend kannst, diesen Schmerz ersparst Du Deinem Mannerli – ja?!!! Du! Du!!! Geliebte mein!!!!! !!!!! !!! Herzelein, so wie ich eifersüchtig darüber wache, daß ich Dir nicht Schmerz bereiter, Dich nicht kränke, wenn ich bei Dir bin – und mehr noch, wenn ich Dir fern bin! Du! Du!!! Es ist doch, als ob Du immer mit mir gingest – und ich trage Dich doch auch in meinen Herzen immer. Und meine Liebe zu Dir hält doch alle Versuchungen weit, weit ferne.

In Dir kränkte ich mich doch selbst – in Deiner Liebe doch auch meine Liebe – denn eines sind wir – Du bist ich – und ich bin Du – Geliebte!!!!! Und unsre Liebe ist unser Besitz – Dein und mein – Dein Glück und mein Glück – Dir so teuer und wert wie mir.

Ach Du! Warum ich daran denke? Weil ich weiß, daß diese Frage gekommen wäre.

Meine Mutter kennt 'ihren Vater' auch, sie kennt seine Schwäche, sie sieht sie ihm nach – und verspürt doch auch leise Kränkung – das weiß ich, von früher her, wo sie sich darüber auch einmal geäußert hat. Das kleine Winterfoto vom Hutberg betrachtete ich jetzt einmal wieder – und da sah ich das eigentlich diesem Bilde zum ersten Male an: Mutter sitzt allein. Neben ihr ein Liebesglück – und sie allein. Steht nicht in ihrem Gesicht eine leise Kränkung zu sehen? in ihrer ganzen Haltung eine Abwehr? Das ist nicht recht. Vater gehört an Mutters Seite – oder Mutter noch mit zur Gruppe.

Ich glaub, das Liebesglück der Kinder muß die Eltern selber noch einmal alles Liebesglück miterleben lassen – Liebesglück in seiner ganzen Tiefe und Reife.

Ach Du! Du!!! Herzlieb mein! Wir erkennen es doch immer wieder - wie so selten, und welch großer Reichtum, tiefe, ganze Liebe ist, welch reiches Geschenk und Glück! Ein Geschenk des Himmels, eine Gnade!!! Uns ward es zuteil – uns ward es zuteil! Und wir wollen es hoch und heilig halten und es Gott anbefehlen, daß es nicht von uns genommen wird! Oh Du! Du!!! Herzallerliebste mein! Meine [Hilde]! Du mein ganzes Glück! Mit Dir bin ich sooo ganz glücklich! Nur mit Dir kann ich es sein! Oh Du! Du!!! Wie weiß ich mich sooo lieb von Dir gehalten – wie halt ich Dich fest – sooo fest! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Herzlieb mein! Heut ist auch das Mannerli müde. Morgen muß es wieder U.v.D. spielen, wird es wieder spät. Ich mag nicht so ins Ludern kommen mit dem Schlaf. Wenn ich Zeit habe, komme ich morgen im Dienst noch einmal zu Dir.

Hast mir ja wieder einen ganzen Kalender von Plänen und Diensten mitgeteilt – muß ich mir auch gleich ein wenig aufschreiben, damit ich immer mit Dir gehen kann. Das will ich doch – Du! Und Du nimmst mich doch auch überallhin [sic] mit – oh Schätzelein! Ich bin doch so froh und glücklich mit Dir – so leg ich mich doch jetzt nieder – muß morgen früh noch einmal zu Dir kommen, paßt doch gar nicht mehr alles drauf – wird doch so enge nun – gar kein Platz mehr zum Schreiben und Erzählen – nur noch zum Liebhaben – Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Meine liebe, liebste [Hilde]! Du! Du! Du! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Gut Nacht! Behüt Dich Gott!

Dein – mein! Mein! Ganz mein – Meines

Herzelein! Geliebte! Guten Morgen! Guten Morgen! Liebstes! Du!!! Fein geschlafen hat das Mannerli bis zum Morgen, hat gegen morgen auch geträumt, bunt durcheinander mit der ganzen lieben Verwandtschaft, aber ich weiß nichts mehr Gewisses. Donnerstag – mein Schätzelein wird in der großen Stadt weilen zur Arbeitstagung.

Nun kenne ich auch die ganze Geschichte wegen Übernahme des Schardienstes. Siehst Du, so möchte ich sagen, so ergeht es denen, die sich übernehmen, die zuviel [sic] übernehmen, wenn ich an Frau S. denke – sie werden unglücklich dabei.

Zwei Mädchen aus dem 7. Schuljahr können natürlich nur Hilfen sein, können Dich nicht vertreten. Ich denk immer noch einmal an ein paar Mädels aus "Glaube und Schönheit“ (dieser Titel!), die haben das richtige Alter und für die ist das doch auch eine schöne Aufgabe. Du wirst nicht lockerlassen, gelt?

Ja, das ist eine richtige Familie jetzt um mich her (ich schreibe doch im Dienst). Da sitzt neben mir der kleine Georg ("Dschidschi"), Hausmeisters Söhnchen, ein schwaches, aber gescheites Kerlchen mit einem nordischen Schädel [nationalsozialistische Redewendung] – ein richtiger Dolmetscher ist er mit seinen 6 Jahren, spricht rumänisch, deutsch, versteht ungarisch – richtig wunderbar ist das, wie die Kinder das so im Vorbeigehen und vom Hinhören lernen, ohne Wörterbuch und Grammatik besser als mit. Das Bürschchen spricht am besten deutsch vom ganzen Hauspersonal. Und schreibt Maschine und malt über sein Alter.

Ja, und gegenüber sitzt neben J. die neue Helferin. Sie soll sich hier ins Briefbuch einarbeiten, was dann geschieht, steht noch dahin. 23 Jahre alt ist sie – wie mein Herzensweib – groß, größer als das Mannerli, und dazu ein Dickerle, ist eine schwammige ungesunde Dickde [sic] (wenn sie es nur wüßte, daß ich darüber schreibe), aber sonst wohl ein anständiges Mädchen, das erste Mal von Hause weg, aus Elberfeld–Barmen, wo die Eltern ein Geschäft haben. Der 53 jährige (!) Vater ist jetzt zur Polizei eingezogen worden, und das Geschäft wurde geschlossen. Du! Wenn Vater nicht schwerverwundet wäre, sie würden ihn auch noch holen.

Ja, wenn ich nun mit diesem Mädchen arbeiten muß, dann bin ich insofern zufrieden, als es ein anständiges Mädchen ist.

Herzelein! Vertraust Du Deinem Mannerli? Vertraust Du ihm ganz? Oh Du! Bist Du dessen so ganz gewiß, daß Dein [Roland] Dir ganz gehört im Innersten? daß er nicht einen Herzenssonnenstrahl Dir entzieht und anders verschenkt? Daß er das fertigbringt aus seiner unendlichen Liebe zu Dir und mit seinem Wesen, zu dem es gehört, Ordnungen und Grenzen zu achten! Oh Du, Geliebte! Mein Ein und Alles! Mein geliebtes Weib! Mit dem ich tausend fältig und wundertief verbunden bin und es mehr werde täglich! Ich bin so ganz unverlierbar Dein! Ich habe Dich sooo fest in mein Herz geschlossen! Ich trage Dein Bild in mir – nur und immer nur Dein Bild!! Oh Du! Du!!! Ganz Dein bin ich! Nicht nur mit den letzten, tiefsten Herzkämmerlein – mit allen!!! Mit allen!!! Oh Herzelein! Geliebtes Weib! Du gehst bei mir ein und aus – mein Herzensweib – meine Herzenskönigin! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Und niemand hat sonst Zugang zu meinem Herzen – und niemand hat auch das Schlüsselein dazu als die Eine, die Einzige, Einziggeliebte mit ihrer wundersamen Liebe – Du! Du!!! oh Du!!!!! !!!!! !!! Meine [Hilde]! Behüt Dich Gott! Er sei mir Dir auf allen Wegen!

Ich küsse Dich ganz lieb und heimlich! Und habe Dich lieb! sooo lieb!

Ewig lieb! Du!!!!! !!!!! !!! Dein [Roland]!

Meine liebe [Hilde] !!!!! !!!!! !!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946