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[OBF-430101-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 31. Dezember 1942, Sylvester

Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Noch ein letztes Gedenken im alten Jahre, Herzelein! Es ist jetzt 7 Uhr am Abend. Ich bin aus dem Sylvestergottesdienst heim. Die alten frommen Liedersänger kündeten wieder am besten, was mein Herz bewegte, die Predigt war viel zu matt und gedanklich. Paul Gerhardt, der tüchtigste unter diesen alten Sängern – hat Gott gelobt und gedankt und bekannt mitten aus einer Zeit, die ähnlich schrecklich war wie die unsre, und furchtbarer noch in ihrer Dauer, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Oh, welche Kraft liegt in unsren schönsten Kirchenliedern, in ihren Worten und Weisen!

Herzelein! Heut abend will ich einer Einladung folgen. Ein 'Professor' hat drei Marinesoldaten zu sich geladen. Der Hauptfeldwebel fragte mich – und ich habe zugesagt, obwohl ich den Sylvesterabend lieber allein und in der Stille beschlossen hätte. Aber einen Reiz hat diese Einladung doch auch – nicht nur den von Genüssen, sondern auch den, einen Menschen, einen frohherzigen Rumänen kennen zu lernen. Ich werde Dich doch mitnehmen, werde nach Hause denken auch – ach Du, werde Dein denken, so ganz glücklich – so ganz glücklich!

Geliebte! Wenn man abends so durch die Stadt geht, wie ich vorhin auf dem Heimwege vom Gotteshaus, da kann es geschehen, daß man blitzartig erhellt die ganze Fremde um einen her empfindet, in der man steht und sich bewegt – die Ungebundenheit, die Losgelöstheit, die Verlassenheit, die Zufälligkeit des Hierseins gleichsam

und dann aber sofort danach das ganze reiche, tiefe, goldne Glück des Herzkämmerleins, die Gebundenheit in reichster ewiger Liebe, die Herzenstraute und Herzensgemeinschaft, die ich mit Dir habe, oh Geliebte, die ganze Güte und Kostbarkeit unsres Schicksals, das wir in Gottes Händen wissen. Oh Du! Du!!! Mein Hort, meine Heimat, Ort, an dem mein Herze Heimat, Ruhe und Hafen findet – oh Du, welch einziger trauter, heiß ersehter [sic] Ort, Geliebte, Geliebte!!! Der Platz an Deinem Herzen – Deine Liebe!!! Oh Herzelein! Geliebte! Ich weiß mich an dies [sic] Leben und Schicksal gebunden. Ein Menschenkind sucht mich, ein Menschenkind fragt nach mir – und wartet mein – und sehnt sich nach mir – oh goldene Fessel der Liebe, oh glückliches beheimatetsein [sic] in der Liebe.

Oh Du! Du!!! Zwei geliebte Augensterne wollen sich in den meinen spiegeln – ein Herz ist mir erschlossen zur liebsten Wohnung – zwie [sic] Arme wollen mich in Liebe umschlingen – zwei Herzspitzlein mir entgegenblühen – oh Herzelein! ein Gärtlein [sic] wartet des Gärtners – und ein lieber, heiliger Schoß harrt der Frucht – oh Du! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Weißt Du auch sooo fest und glücklich Dich an dies [sic] Leben und Schicksal gebunden? Ach Du, Herzallerliebste mein, so traut und lieb und süß auch Dich an dieses Leben gebunden wie Dein Mannerli! Oh Du! Mein Alles! Mein einziges, geliebtes Weib! Meine [Hilde]! Meine liebe [Hilde]!

Herzlein! Ich glaub, so früh ist Dein Mannerli noch gar nicht heimgekommen wie heute zum Neujahrstag, um ½ 7 Uhr war’s – ganz klar und gerade! Nun laß Dir nur erzählen. Fein war’s, ich hab es nicht bereut. ½ 9 Uhr waren wir also zur Stelle, das Mannerli mit einem Mann aus der Kompanie und dem Koch des Admirals. Eine deutsche Hausdame ließ uns ein, der 10jährige Sohn des Hauses begrüßte uns, und im Zimmer wartete der Herr Professor (Professor für das Handelsrecht an der Universität hier). Ein gütig dreinschauender, kleiner, untersetzter Mann mitte [sic] vierzig. Es begrüßte uns wohlwollend und lud uns ein niederzusitzen.

Nun gingen die Augen erst einmal auf und ab, um heimisch zu werden. Oh, und die Augen hatten viel, viel zu sehen. Aus zwei Zimmern war eines gemacht – und am Ende des Speisezimmers brannte der Christbaum, ein großer, stattlicher Baum mit buntem, reichem Behang und elektrischen Kerzen, er brannte den ganzen Abend – schön war das. In der Verbindungstür hing ein Adventskranz mit 3 roten elektrischen Kerzen. Wir platzierten uns ganz zwanglos mit dem Gastgeber zuerst im Arbeitszimmer. Mußt Dir gar keinen Professor vorstellen, sondern einen gütigen ernsten Mann, dessen Güte desto deutlicher in Erscheinung trat, da er die deutsche Sprache nur wenig beherrschte. Aber die Augen hatten noch viel Beschäftigung. Die beiden Zimmer wo sind eine richtige Gemäldegalerie – die Wände sind dicht behängt mit Aquarellen, Ölgemalden, Zeichnungen, und Stichen behängt, Werke rumänischer Künstler, auch der ersten, moderne Bilder, Landschaften, Still[ebe]n, Frauenbildnisse, Akte – eine reiche Schau – dem Auge zu viel, dem Einzelwert des Kunstwerkes abträglich. Dazu etliche Bronzen und Terrakotten – und, der Stolz seines der Besitzers: griechische, echte Statuetten, aus dem Sand am Strand des Schwarzen Meeres gegraben (wahrscheinlich Beigaben für die Gräber). Du hast doch mit mir in Dresden das Albertinum besucht - diese großen Statuen klein gearbeitet, puppengroß, noch kleiner – und nun Bruchstücke davon, Köpfe zumeist, sehr schön gearbeitet und gut erhalten, so mußt Du Dir es vorstellen.

Ja, um diese Dinge ging nun auch zuerst das Gespräch – und damit fanden wir uns auch schnell zusammen nicht nur in Gedanken. Der Gastgeber ist ein wirklich kunstsinniger und kunstliebender Mensch (Musik auch!), mit wirklichem Stilgefühl. Ganz natürlich geht dann das Gespräch über auf unsre Person, unsre Mission hier, unsre Eindrücke von Stadt, Land und Leuten, auf Reiseeindrücke des Gastgebers, die er auf einer 3 wöchigen Studienreise durch Deutschland gewann. Dabei wurden nun auch die Verhältnisse der Person des Gastgebers bekannt. Es ist der Sohn eines rumänischen Admirals (verstorben). Lebt geschieden von seiner Frau mit seinem Sohne, den er sehr liebhat. Im Laufe der Abends lernten wir noch einen Bruder kennen mit seiner Frau – Bauingenieur, 6 Jahre in Berlin studiert, einen zweiten Bruder, einen Onkel und einen Hausfreund, die stellten sich bis 11 Uhr ein. Das Söhnchen besucht die deutsche Schule im vierten Jahre. Es ist in seinem Berufswillen schon entschieden: will Chirurg! werden. Hat schon allerlei Schriften und Bücher, zerlegbare Modelle des Menschen – und beschäftige sich damit wie ein Erwachsener – und wächst so in diesen Beruf hinein – lebt sich hinein – wird bestimmt zum Ziele kommen und ein guter Chirurg – ist das nicht glückhaft?

Ja, wir saßen und unterhielten uns und dachten, man warte noch auf einen Gast. Aber nein. Es ist Brauch, über Mitternacht beim Essen zu sitzen – und um 11 Uhr begann die Tafel. – Ja, das wird nun noch eine lange Geschichte – magst noch zuhören, Herzelein? – Magst Dich gleich auf meinen Schoß setzen – Liebstes! Liebstes!!! – und ein liebes, liebes Neujahrskußel [sic] – ach Du — so viel Du magst – Du! Du!!! Aber nicht zu viel – will doch erst noch fertig erzählen – Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Und ganz hell ists doch - ach Du! wir gingen doch gleich ins Kämmerlein – ja? Du!!! Ich müßt Dich doch ganz, ganz sehr liebhaben, wenn ich bei Dir wäre!!! Meine liebe [Hilde]!!!!!

Da standen also an jedem Platz drei Gläser, richtige Glasnäpfe, vom größten bis zum Kleinsten – und drei Teller übereinander – und zwei Bestecks. In der Mitte der Tafel stand ein [sic] Glasplatte mit Fächern, darin lagen nun Bissen und Bißchen, an Stäbchen gespießt – und das kam uns in Form und Inhalt erst mal 'japanisch' vor. Appetitsbissen waren es: rot: Schinken; weiß: Speck; noch einmal weiß in Brocken: Käse; dunkel wie Kirschen: Oliven. Na weißt, ein richtiges klein Appetitsfeuerwerk, und gar nicht alles dem Gaumen vertraut. Dazu bracht man Brot und trank einen Nationalschnaps: Zuika, ein Pflaumenschnaps, aber wasserhell. Dann gab es eine säuerliche Geflügelbrühsuppe, in Suppentassen gereicht, mit dem Löffel verspeist – hat dem Mannerli geschmeckt. Die Dienstbaren Geister trugen dann drei Platten auf: dreierlei kalten Braten: Schweinebraten, Spanferkel (auf der Platte auch der knusperbraune Kopf als Garnierung!) und Gans. Dazu reichte man wieder Brot – und in Schüsseln trug man dazu auf Melonen und Paprikaschoten sauer gemacht (salzsauer) und essigsaure Gurken.

Zu diesem Gang trank man Bier. Ach, es war durchaus nicht steif und genierlich. Das Mannerli bekam vorgelegt von der anwesenden Dame, die neben mir saß. Möcht wissen, wie alt sie war. Ihr Mann, der Bauingenieur, war ein Ende Vierziger, Anfang fünfziger, sie aber war so mädchenhaft zurechtgemacht, daß man hätte auf 25 raten können, auch aus der Nähe, sie war aber bestimmt älter – schlicht in Haarform und Kleidung, langer, schwarzseidener Rock zu einer weißseidenen Bluse – Lippen und Finger hochrot bemalt. Sie sprach nur ganz wenig deutsch, dafür aber sehr gut französisch – sie blieb ein wenig reserviert, aber nicht unfreundlich. Wirst die ganze Gesellschaft noch im Bilde sehen, ist auch fleißig photographiert worden. Ja, unterdessen war es nun auch Mitternacht geworden – das Radio ging – ein Supper [sic] + so geht’s, wenn man die Gedanken bloß bei der – Fresserei hat. Blaupunkt mit allen Raffinessen, auch Plattenschrank – weißt, es war überhaupt alles da in diesem Hause.

Um Mitternacht standen alle auf, mit dem Glockenschlag ließ man den Sektpropfen springen – man wartete, solange der König sprach und die Nationalhymne erklang – dann stießen wir an – ja, mit Champagner, Herzelein! – “Prosit Neujahr!” “La multi ani”, d. h. auf viele Jahre (noch) – und ich habe doch heimgedacht bei diesem Wunsch – ach Du, den ganzen Abend doch auch immer an Dich – ach Du! das ist so seltsam und wundersam, daß ich all das eigentlich für zwei alles aufnehme!!! Herzlein! Ja – und nun aß und trank man weiter, zum Sekt (alles in Maßen – fein anständig in Maßen alles, das hat mir sehr gefallen) kam dann noch Rotwein und Weißwein, den man auch mit Eiswasser verdünnt trank. Glaubst, daß ich nicht viel habe essen und trinken können? Man ist es einfach nicht mehr gewöhnt. Nun habe ich vergessen: Das Söhnchen erschien als Schornsteinfeger verkleidet und wünschte allen mit Handschlag ein glückliches Neujahr. Es erschien dann in rumänischer Hirtentracht: weißes, besticktes Rockhemd [sic] aus Leinen – darüber, reich besetzt und verziert, eine ärmellose Lederweste, eine Binde um den Leib, auf dem Kopf eine weiße Pelzmütze.

Und nun rückte das deutsche Neujahr heran. Vom Sender Belgrad ließen wir es uns künden – und aller erhoben sich wieder beim Erklingen der Nationalhymne – und dann stießen wir noch einmal an.

Und so saßen wir dann alle bis 6 Uhr morgens, bei ruhiger, bröckelnder Unterhaltung, beim Lichterschein – weißt, es war ein Beisammensein in echtem Sinne, wie wir es auch einmal pflegen wollen – wir photographierten, das Mannerli spielte etliches auf dem Flügel – dann ging das Radio, einige Platten wurden gespielt – und dabei immer ein wenig geschmaust – Kuchen gab es noch – Apfelkuchen und Napfkuchen - türkischen Kaffee – Konfekt – noch einmal kalte Platte, noch einmal Kaffee – huch, wie sah es in meinem Bauchel aus von all den ungewohnten Dingen! Ich glaub, meinem lieben Weiberl hätte es gewiß auch gefallen. Um ½ 6 Uhr! brachen dann die Gäste auf. Wir mußten alle unsre Anschriften dalassen, auch die Heimatanschrift, und so wurde es 6 Uhr, als wir dieses gastliche, reiche Haus und seinen festherzigen Gastgeber verließen.

Wie tat die Morgenluft wohl! Ja, meinst, nun hätte ich schlafen können? Ich hat [sic] es versucht. Es ging nicht – das Bauchl [sic] zu voll, die Stunde zu ungewohnt – und mit den Gedanken allen war ich schon bei Dir – und Du gewiß bei mir? Du!!! Ach Du! Du!!! Mit den liebsten Gedanken all und den heimlichsten auch – ach Du! Du!!! Glaubst, daß das Mannerli auch liebheimliche Gedanken hat? Und von wem sie wohl kommen – und zu wem sie wohl gehenall, alle, alle oh Du! Du!!! Du!!!!! Geliebte mein! Es ließ mir keine Ruhe im Bettlein. Aufgestanden bin ich – und nun sitz ich bei Dir – gleich ist Mittag wieder.

Herzelein! Das war nun mein Sylvester! Freust Dich mit mir? Schön war es. Ach Du! Du!!! Wie wird es nur bei uns einmal sein? – Oh wann! Wann, wann? Du!!! Herzelein! Schwalbenweiberl, liebstes, wann werden wir denn unser Nestchen bauen können? – und hinein schlüpfen miteinander – erst mein Weiberli – und dann das Mannerli hinterdrein –

und dann die Tür hinter uns schließen – und dann? -

einander leben, einander leben in Liebe -

und erst einmal ganz ganz liebhaben – oh Du! Du!!!

Herrgott im Himmel! Schenk uns dieses Glück! Führe ihm uns wenigstens näher in diesem Jahre! Oh segne unsre Liebe!

Herzelein! Nun lasse ich Deine liebe Hand erst einmal! Ein schöner Tag ist draußen. Weiß noch nicht, wie der Tag wird verlaufen! Wo kann ich Dich denn finden heute? Ach Du! Du!!! Gestern ist kein Bote gekommen.

Nun magst auch den lieben Eltern etwas berichten – ihnen etwas vorlesen auch – aber nicht alles, Du! Du!!!

Oh Herzensschätzelein! Wie hab ich Dich so lieb, sooo lieb!!! Oh Du! Du!!! Möcht gleich bei Dir bleiben jetzt – ach, zu Dir kommen, zu Dir fliegen! – und bei Dir bleiben, bei Dir bleiben dies ganze Leben – ewig!

Ich küsse Dich vielvieltausenlieb! [sic]

Ich liebe Dich!

Ewig Dein [Roland]!

Dein glückliches Manneri!

Du! Du!!! Liebstes! Allerallerliebstes! Such mich! Hasch mich!

Jetzt hasch ich aber Dich – und fang Dich – und fang Dich!!!

Und küsse Dich! Und küsse Dich! - oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946