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[OBF-421228-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 28. Dezember 1942.

Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Heute will das Mannerli mal fein zeitig ins Bettlein gehen. Ist jetzt immer etwas spät geworden, gestern abend ja, weil ich Dienst hatte. Müde bin ich jetzt noch nicht, aber es kann schnell kommen. Aber erst muß ich noch zu meinem Herzensschatz kommen. Wo ich jetzt noch so fein allein bin. Ach Du – fein ist’s allein – ich wünschte es mir immer so – oder eine so gute Harmonie wie in Saloniki. So sitzt nun das Mannerli jahraus, jahrein schon nicht allein – und hat sich daran gewöhnt – und wenn es vorher schon kein lauter und geselliger Mensch war, so ist es dabei noch stiller geworden, noch mehr in sich gekehrt, abhold allem lauten, geschwätzigen Wesen. Es war nun wieder nicht so, daß ich daheim verhockt wäre – in der Großpostwitzer Zeit [im Internat] hat ich doch mancherlei Nebenbeschäftigungen, sodaß ich oft in Zeitnot kam, weil ja der Sonnabend und Sonntag ganz frei gehalten waren für daheim. Oh, meine Woche war dicht besetzt – und das Mannerli hätte für ein Stelldichein gar keine Zeit gehabt (gut, daß mein Schätzelein damals noch die Schulbank drückte). Aber auch meine außerschulische Tätigkeit war im Grunde eine Selbstbeschäftigung, eine Arbeit zumindest – sie war keine reine Geselligkeit, wenn ich auch anderen Menschen dabei begegnete.

Ach, ausgefüllt war mein Tag immer – nie ist es gewesen, daß ich mir einmal sagen konnte, jetzt bist Du fertig – meist saßen mir aber noch eine oder mehrere ungetane Arbeiten im Nacken. Es wäre aber dieser Arbeit förderlich gewesen, wenn die Pausen mit einer entspannenden Unterhaltung, mit einer guten Freundschaft hatten angefüllt werden können. Aber manches geht einem doch in der Einsamkeit, in der Stille auf: Die Stille zu lieben, den Frieden. Das Leben geht ganz ohne Zank – lächerlich, ja gegenstandslos ist alle Aufregung über alltägliche Dinge – es geht alles besser im Frieden, in der Ruhe. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Langeweile hat mich noch nicht geplagt – und wenn ich immer die Möglichkeit gehabt hätte zu musizieren, dann wären auch keine leeren Stunden gewesen.

Herzelein – es ist, wie wenn wir draußen in Feld und Flur fein still und behutsam gehen, die Tiere können wir dann beobachten, hören etwas vom Bienengesumm und Rascheln im Laube – so kommen in die Stille mancherlei Gedanken und Bilder – nein, Langeweile hat mich noch nicht geplagt. Und die Stille lernte ich lieben. Und wenn nun doch Stunden der Sehnsucht kamen – oh Geliebte, dann was es eine tiefere Sehnsucht als nach Unterhaltung, Zeitvertreib und Zerstreuung, dann war es eine andere Sehnsucht noch als die nach der Gesellschaft guter und schöner Gedanken – es war die Sehnsucht nach wahrer, guter Liebe – nach wahrer guter Herzensliebe – die entbehrte ich in meiner sonst so reichen Einsamkeit. Herzelein, so wie die Berge in ihren wahren Höhenverhältnissen erst aus einem gewissen Abstand, aus einer Ferne beurteilt werden können – aus der Nähe verdeckt ^ nämlich der kleine Berg den hinter ihm stehenden großen – so gewinnt man das rechte Maß für die den Wert der Dinge aus einem gewissen Abstand zu ihnen. Und meine Einsamkeit, die ja keine Einsiedelei war, gab mir diesen Abstand. Ach, manchmal bin ich doch auch froh zurückgekehrt in meine Klause, wenn ich irgendwie einen Blick getan hatte in menschliche Enge, in dumpfe Verstrickung, in das Verhaftetsein in enge Verhältnisse und Engherzigkeit – oh Herzelein! wie kehrte ich dann manchmal froh zurück – in meiner kleinen Klause war doch viel Freiheit, die ich liebe! Und darum, wenn ich mich sehnte, dann schaute ich die Liebe in ihrem Wesen, in ihrem besonderen Wert. Es sind nicht viele, die ihn erkennen, die den reichen kostbaren Schatz der Liebe heben können. Und vielen Menschen mag die Ehe nicht Gewinn, sondern Verlust bedeuten: Einschränkung der Freiheit, Mißtöne im Zusammenleben.

Oh Herzallerliebste mein! Und es in doch wichtig, daß beide Teile die gute, hohe Liebe ersehnen – dann erst kommt es zu rechtem Glück, dann ist die Liebe ein köstlicher, unersetzlicher Schatz, ein Reichtum, dann ist sie reichster Gewinn!

Oh Du! Mein lieber [könnte auch "liebes" heißen] Gemahl! Frieden wird sein bei uns – und Freiheit – und Raum nur für alles Gute und Hohe und Schöne – oh Geliebte, Frieden, und Freiheit, die überall dort wohnen, wo Treue, Hochachtung und letztes Vertrauen leben! Das Mannerli wird nichts verlieren – aber es wird reich gewinnen an der guten Liebe! Ach Du – hat, hat schon gewonnen! Und Du bist mein liebstes, einziges Weib, durch das mir solches Glück teilhaftig wurde. Ach Du liebe, liebste [Hilde]! Möcht Dich vor lauter Liebe und Jubel an mich drücken – Du liebes Weib – so rank und gerade und groß, und voll Liebe zur Freiheit, voll Sehnsucht nach guter, großer Liebe; so wie das Mannerli in wachem Bewußtsein, so erfaßt Du aus Deinem Wesen und Gefühl dies Leben bei allen vier Zipfeln, bei seinen hohen Werten, bei seinem Wesentlichen – ach Du! meine liebe, liebste [Hilde]! Daß ich Dich fand! Daß Du mir geschenkt wurdest!!! Daß ich Dich lieben darf!!! Du! Du!!! Wie sooo lieb habe ich Dich! wie liebe ich Dich aus meines Herzens Grunde in Deinem Wesen. Oh Geliebte – wie überreich wird mir mit Dir geschenkt, was ich ersehnte! Herzelein! Ganz fest halte ich Dich – habe Dich bei Deinen Herzzipfelein! Oh Du, in Deinem Wesen lieb ich Dich – liebe in Dir das Bleibende, das Treue, Deine Seele. Oh Geliebte! Manche Frau will ihren Mann gewinnen und reizen mit neuen Moden, mit wechselnden Haartouren [sic] und -farben, mit wechselnden Aufmachungen und Mitteln. Und wo es ohne diese Mittel gar nimmer geht, da ist die Ehe schon zerbrochen innerlich. Oh Geliebte! Meine [Hilde]! In der Echtheit Deiner Gestalt, in der Echtheit und Wahrheit Deines Wesens, der Geradheit Deines Herzens lieb ich Dich! Oh Herzelein! So trägt die Natur nicht auf in Farben, so hart setzt sie nicht Licht und Schatten, so launisch ist sie nicht wie die Menschen in ihrer Gefallsucht, in ihren Künsten und Listen und Lüsten – so raffiniert ist sie nirgends. Sie hat tausend feine Schattierungen und Übergänge [sic] sie wächst und entwickelt und entfaltet. Oh Herzelein! Ich schaue das Blütenwunder des Weibes, ich liebe die Wahrheit und Schönheit der Schattierungen und Übergänge, der zarten Regungen – oh Geliebte! die Stille, die Einsamkeit lehrte mich sie erkennen und lieben!!! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich – Du, meine [Hilde]! Ich liebe Dich so sehr in der Innigkeit Deines Herzens, wie sie mir aus Deinem lieben Bildnis so still, so reich, oh Du, sooo liebenswert leuchtet!!!

Wahrheit der Wesens, Schönheit des inneren Gesetzes, Geradheit des Herzens – die werden wir uns bewahren in unserem Leben, die werden wir allem aufprägen und einprägen was wir gestalten und womit wir uns umgeben.

Ach Geliebte! Nun ist es doch schon wieder spät – und ich werde doch heute gar nicht müde, bei Dir zu sitzen. Wirst eben auch mein denken? War gewiß auch bei Dir heute strammer Arbeitstag nach den vielen Fest- u. Feiertagen.

Ach Du! wenn nun bei uns mal so viel Feiertage sind – Du! Du!!! Du!!!!!

Einiges Geschäftliche hatte ich Dir auch noch mitzuteilen. Noch ehe Du mir die Kontennummern schicktest, habe ich die Girokasse mit meinen Geschäften beauftragt. Habe Dir 300 ℛℳ überwiesen, damit Du die Schuld bei den Eltern tilgen kannst und wieder ein Anfangskapital hast. Dazu habe ich die Girokasse angewissen [sic], künftig 180 ℛℳ zu überweisen – 40 ℛℳ wollen wir monatlich zum Sparkonto legen – 30 ℛℳ gibt das Mannerli, 10 ℛℳ mein Fraule dazu – ist’s so recht? Kannst sicher der Girokasse einen Sparauftrag geben, sodaß die 40 ℛℳ zum Monatsersten automatisch überschrieben werden.

Ein Herzelein schick ich Dir heute mit, Du! Ach, gar nicht bloß eines – zwei Herzelein – und gar nicht zwei – doch eines – lieb, lieb verbunden – ach Du! Du!!! Kennst wohl die Geschichte dieser Herzelein? – Oh Geliebte! Du schickst mir doch das Reiterlein – und ich schick Dir das Herzelein! Ach Du! Du!!! daß es Dir alle warme, schützende, segnende Liebe bringe – ein guter Gärtnersmann, – so wie einer, der seinen Tieren ein guter Herr ist – er geht doch durch seinen Garten, liebend, und sorgend, und helfend, hoffend und segnend, Gutes herbeiwünschend. Und wenn ich mein Herzlieb auch nicht leibhaftig einhüllen kann – meine Liebe, meine Sorge, mein Hoffen und Wünschen kann ich ihm strahlen – oh Du! Du!!! Geliebtes Herz! Herzblümelein – laß mich Deinen [sic] Sonnenstrahl sein!

Und wenn mein Schätzelein wieder ganz gesund ist, dann schickt es mir die Herzen wieder zurück – und auf die Seite vom Weiberliherzelein gibt es mir Antwort – magst Du das? Herzelein!!! Aber das Weiberliherzelein, wirst es denn erkennen – Du? !!!!! Sonst muß ich gleich mal kommen und suchen helfen – Du!!! Du!!!!!

Oh Geliebte! Ich habe Dich so lieb! Und ich sehne mich nach Deiner Nähe – nach Deiner Liebe!

nach Deiner Liebe!

Nun will ich ins Bettlein gehen! Ach Du! Du!!! Wie froh macht mich das Deingedenken [sic]! Wie lieb ich diese stillen Stunden, da Du mir so nahe bist! Oh Herzelein, wie glücklich gehe ich in Deiner Liebe! Behüt Dich Gott! Er bewahre Dich vor allem Übel. Er schenke Dir bald wieder volle Gesundheit.

Oh Du, meine [Hilde]! Hier ist Dein [Roland] , Dein Herzensmannerli – ich liebe Dich – ich möchte zu Dir! möchte an Deiner Seite gehen und Leben [sic]!

Ich lasse Dich nicht! Ich halte Dich so fest! Ich bleib Dir ewig treu! Und Du wartest mein! So voll Sehnsucht, wie ich Dir heimkehren will!

Oh Du! Meine [Hilde]! Über alles Geliebte! Ich küsse Dich herzinnig!

In ewiger Liebe und Treue

Dein glücklicher [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946