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[OBF-421225-001-02]
Briefkorpus

Im Dezember 1942

Meine liebe, liebste [Hilde]! Mein liebes, teures Weib!

Der Weihnachtsmann will auf die Reise gehen – und er drängt mich nun, daß ich ihm auch einen Boten mitgebe, damit er sich auch recht finde, damit er hinfinde zu Deinem Herzen und dort bestelle, was von Herzen kommt.

Nun soll das Weihnachtstor sich richtig wieder auftun – Weihnachten soll wieder werden unter den Menschen – Gott schüttet wieder aus von seiner Gnade und Güte – das Himmelreich kommt wieder zu den Menschen – der Himmel steht weit offen. Und was tun wir Menschen? Wir hören nicht und sehen nicht, sind mit Blindheit geschlagen – sind zu hochmütig, zu blasiert, sind neunmalklug oder leben dumpf und stumpf wie das Vieh – wir haben verlernt, uns recht zu freuen und recht zu leiden, wir sehnen uns nicht mehr, wir ^ haben das Glauben und Wundern verlernt – wir sehen den Himmel nicht mehr. Gott ist gegenwärtig – aber die Menschen finden ihn nicht. Er ist da, er steht vor jedes Herzens Tür, mit seiner Güte, mit dem Frieden des Herzens – aber die Menschen verkennen ihn und lassen ihn nicht ein. Und wir selbst, die wir es erkennen, finden doch nicht, immer hin zu Gott in unserem Eigensinn, in unserem Kleinglauben, in unsrer Furcht und Verzagtheit.

Oh, wie will uns Weihnachten daraus aufrütteln, wie will es uns aufrufen zur rechten Gläubigkeit – und wie wird sie so sichtbar im Weihnachtsglauben und in der Weihnachtsfreude der Kinder, so beispielhaft sichtbar. Und wir hören die Worte des Meisters: “So Ihr nicht werdet wie die Kinder, ihr werdet das Himmelreich nicht ererben!" Oh ja – weit offen steht der Himmel zur Weihenacht – und kommt zur Erde. Eine aufrüttelnde Predigt ist das Weihnachtsfest – und es will ein ewiges Licht in uns anzünden, das Licht guten Glaubens. Oh Geliebte! Und wie lebendig rührt diese Predigt nun an mein Herze, seitdem ihm soviel Liebe widerfuhr – durch Dich! – durch Gottes Güte!

In unsrer Junglehrerarbeitsgemeinschaft in Bautzen beschäftigten wir uns auch einmal mit dem Religionsunterricht — und wir besuchten diesen Unterricht bei einem Kameraden M. in Bautzen. Der war älter als wir. Und er stellte uns die Aufgabe, dieses Thema zu bearbeiten: Der Religionsunterricht in der Schule. Und das Mannerli, im ehrlichen Ringen um die Dinge, verfocht darin ganz revolutionäre Gedanken, unter anderem auch den: religiöses Erleben ist die Grundlage jeden Religionsunterrichts, nur solche Erlebnisse auch schon im Bereiche der Kinder können Ausgang eines förderlichen Religionsunterrichtes sein – religiöses Erleben ist nicht gebunden an die Vorstellung Gottes. Ich weiß noch wie heute, daß Lehrer M. etwas enttäuscht war darüber, daß gerade ich so schrieb. Und er wußte meine Gedanken auch nicht anders zu entkräften als damit: „Ich bin verheiratet, und habe Kinder – und denke darüber anders” – das sagte er ganz lieb und gütig – und ich werde das nicht vergessen – und weiß nun heute auch, was es bedeutet, und daß er recht hatte.

Erst der Glaube an einen persönlichen Gott stellt den Menschen vor die Hoheit und Größe des Glaubens. In der Vorstellung Gottes als einer Person, als des himmlischen Vaters liegt aller Reichtum des Glaubens beschlossen. Viele Menschen meinen, diese Vorstellung sei beschränkt, sie erniedrige und verniedliche Gott, sie ziehe den Erhabenen in den Staub – und viel würdiger sei es, den großen Unbekannten anzubeten, das große Unerforschliche, das rätselhafte Es anzu verehren. Oh nein! Welcher Irrtum! Sie macht ihn gerade größer! Sie macht ihn zum Herren dieser Welt! Zum Herren über unser Leben. Von Gottes Größe können wir nichts nehmen, und wir können ihr nichts hinzufügen. Erst der Glaube an den persönlichen Gott aber richtet im Menschen eine Verantwortlichkeit auf, erst sie stellt den Menschen recht Gott gegenüber! Oh Geliebte! Und wenn uns das letzte gefehlt hätte, den Glauben zu erfassen und die Wahrheit der Sendung des Gottessohnes zu erkennen – so hat unsre Liebe unsre Herzen dafür ganz aufgeschlossen: Gott ist die Liebe! „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab –" Das ist das Kernstück unsres Christenglaubens – und wo b[lie]ben vor dieser Offenbarung, vor dieser Wahrheit, vor dieser Frohbotschaft alle Systeme, alles feinsinnigen und klugen Systeme des Menschen! Ja, gerade darin wird die ganze Größe Gottes offenbar. Darauf hätten die Menschen nicht nimmermehr allein geraten, daß die Liebe der Angelpunkt dieser Welt ist – weil diese Liebe nämlich unter ihnen so wenig wohnt, weil sie davon nämlich so wenig haben, viel viel weniger als kluge Gedanken. Ja, was unter uns Menschen so wenig wohnt, das ist bei Gott die Fülle - die Liebe! Das ist eine Offenbarung, der die Welt sich wird ewig beugen müssen. Die sie nicht entwerten, nicht entkräften, nicht entthronen kann – eine wahrhaft himmlische, göttliche Offenbarung! Eine Offenbarung, in der Gottes Allgewalt, Gottes allwaltende Güte ist!

Und das zu bestätigen oder zu entkräften sind die Menschen unsrer Tage gleicherweise nicht zuständig und berufen. Dazu sind sie viel zu gescheit und blasiert, zu oberflächlich und zu schwach im Leiden wie in der Freude. Da müssen wir uns schon andre Zeugen suchen, für die Wahrheit dieser Offenbarung. „Vom Himmel hoch, da komm ich her!” so singt Luther. „Ich steh an Deiner Krippe hier" so singt Bach – und mehr als dicke Bände und Massenkundgebungen und Propagandaämter es vermögen, zeugen unsre Weihnachtslieder von der Wahrheit und Größe der Weihnacht. Oh Geliebte! Solange diese Weisen noch leben, solange diese Musik noch in mir lebt, wird man mich vom Gegenteil nimmer überzeugen. Es ist nicht ganz zufällig, daß unsre neue Zeit mit der Musik nichts Rechtes anzufangen weiß – weil sie das Herz und die Liebe nicht achtet und sie vergewaltigt, weil sie die Macht der Liebe nicht anerkennt, sondern nur die Macht menschlichen Gedankens und Willens – weil sie nicht mehr zu Gott beten kann. Liebe und Herz und Anbetung ist in aller großen Musik.

Oh Herzallerliebste, imdem ich das erkenne, ermesse ich zugleich so dankbar und froh und glücklich das Geschenk unsrer Liebe. Solange ich Dich habe, solange ich Deine Augen noch schauen darf und Dein liebend Herz neben dem meinen fühlen – so weiß ich, daß die Liebe das Größte ist auf Erden – daß die irdische Liebe darin ein Teil Abbild ist der Gottesliebe – ja, daß in der guten Menschenliebe selbst ein Teil lebt von der großen Gottesliebe – und diese wenigen glücklichen Menschen erfahren|es: [ | als Trennungsstrich für zusammengeschriebene Worte] die Liebe ist Gottes.

Oh Du! Meine [Hilde]! Ganz still und demütig und dankbar, und ganz innerlich froh laß es uns erkennen: Gottes Geschenk ist unsre Liebe.

Diese glückhafte Liebe macht nicht von sich reden – und von ihr wird auch nicht geschrieben – sie wohnt und lebt in den Herzen. Oh, Geliebte mein! Schaust Du den Garten, das Land unsrer Liebe? Es ist wohl ein rechtes Para[di]esgärtlein! Lange sind wir gegangen, heimlich und einsam zum Lande unsrer Liebe. Im engen Sachsenlande liegt es wohl nicht, eher dort, wo ich einmal mir seltsamerweise zu wohnen und zu sein wünschte: an der Schwelle zur Ebene weites, freies Land, weit der Himmel und frei der Blick – und einsam auch. Ach Du! ganz auf uns gestellt, ganz aneinandergewiesen [sic], ganz unbeirrt um die Meinung der Mitmenschen, ganz nur der Stimme unsrer Herzen folgend – nur Du in meinem Aug und Sinn! - ja, so lieb ich Dich! So lieb ich Dich!!!

Und wir sind doch nicht einsam. Oh Du! Du!!! Mein lieber Geselle, meine Gefährtin, mein liebes Weib! Bei Dir bin ich nicht einsam – bei Dir bin ich so wunschlos – bei Dir ist aller Reichtum des Lebens – und mit Dir ist alles Freude ist Schaffenslust und Lebensmut. Und so groß ist der Garten unsrer Liebe! Man sieht ja kaum die Grenze. Kann gar nicht bis zum Nachbar schauen – oh Herzelein, es hat ^ wohl eine Grenze, schaust Du Dein Ringlein, den goldenen Reif, den goldenen Kreis? Ich schau die Grenze ^ aber nicht, weil Du mit mir im Garten bist – und ich will dies ganze Leben in diesem Garten bleiben mit Dir! Oh Geliebte, Golden ist die Grenze! Und Golden ist uns, was sie umschließt. Ich sehe nur die Arbeit, die uns der Garten bringt – ich fühle nur die Lust, ihn zu bestellen – oh Geliebte! mit Dir! unser Garten! Dein und mein! Oh Herzelein! Schaust Du beglückt mit mir, was wir neu schon bestellten? Unsre Arbeit! Unser Glück! Schaust Du beglückt, wie reich die Saat der Liebe aufgeht, und wie sie schon die ersten Früchte trägt? Oh Du! Du!!! Ich schaue nur Dich, Geliebte! Meine liebe Gärtnerin! Und meine ganze Freude ist es mit Dir den Garten zu bestellen – oh Du! wieviel Arbeit, wie viel Freude wartet unsrer noch – das Leben langt doch gar nicht zu – Du! Du!!! Und jeden Tag müssen wir ein Stück bestellen, jeden Tag. Und verloren und trübe wäre uns der Tag, an dem wir es nicht könnten!

Ach Du! Wie könnten wir den Garten noch verlassen, wie könnten wir noch begehrlich nach den Nachbarn schauen, wo wir so ganz erfüllt sind von eigenen Plänen und Aufgaben, ganz davon erfüllt, und wo wir schon so weit voran gegangen sind zu ihrer Erfüllung – Oh Geliebte! Das sei Dir mein Weihnachtsgeschenk: Daß Du es ganz froh und tief fühlst; wie ich Dich so sehr liebhabe! Wie Deine Liebe in mir alle Gegenliebe findet – ich liebe Dich von ganzem Herzen! Ich bin ganz Dein! Ich gehe so ganz sicher in unsrer Liebe, und glücklich! Du bist mit mir auf Schritt und Tritt! Du wohnst in meinem Herzen selber! Du hast mich so ganz eingenommen. Und die Liebe hat mich gewandelt und erfüllt – daß ich es selber als ein Wunder schaue.

Oh Herzlein! Und dazu wisse ganz froh: daß sie nur Dir lebt, daß meine Liebe einzig nur Dir strömt – Dir nur strömen kann – und damit ist sie einmalig und ganz! Oh Du! Du! Du!!! Und so froh kann ich nur sein und so erfüllt nur, weil Deine Liebe zu mir dringt – weil Du mich sooo liebhast!

Herzelein! Geliebte! Behüt Dich Gott! Ich wünsche Dir ein recht frohes, gesegnetes Fest! Ich bin bei Dir! Immer! Mit meiner Liebe – mit meiner Sehnsucht – oh Geliebte – und Deine Liebe weckt sie immer neu, mir Deine Liebe! Ich liebe Dich! Ich bleib Dir ewig treu! Ich muß Dich doch sooo liebhaben! Sooooooooooooo lieb! Du! Du!! Du!!!!! !!!!! !!! Weib! Mein liebes, liebstes Weib!

Meine [Hilde], Du!!!!! !!!!! !!!

Ich bleib Dein Mannerli – Dein Herzlieb,

ewig Dein [Roland]!

 

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946