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[OBF-421224-002-01]
Briefkorpus

Am Heiligabend 1942.

Geliebter!

Du!!! Nun ist Heiligabend. Weihnacht! Frohe, selige Zeit! Ich bin in all meinen Gedanken und Träumen bei Dir. Geliebter! Weihnacht ist in mein Herze eingezogen! Du bist zu mir gekommen! Du bist mir ganz nahe. Im Herzen aber am allernächsten. Mein [Roland]! Deinen lieben Boten, – ich halte ihn doch schon einige Tage in Händen – nun habe ich ihn aufgebrochen heute, nach der Bescherung. Du hast mich so glücklich, so ganz glücklich gemacht, mein Lieb [sic]!

Ernste Gedanken bewegst Du im lieben Boten, die Zeiten lassen uns so tun, aber zwischen Deinen Zeilen allen leuchtet sieghaft der Glaube an das Gute, und leuchtet hell, strahlend Deine große Liebe zu mir. Unsere Liebe! Unsere Liebe! Sie ist all unser Glück! Und hätten wir der Liebe nicht, arm wäre unser Leben. Ein Gnadengeschenk, ein Gottesgeschenk ist sie. Geliebter! Heute, am Tag des Herrn wurde mir das große Geschenk der Liebe wieder so wundertief bewußt! Ach Geliebter! Laß uns allezeit danach trachten und streben, uns dieses Gottsgeschenkes würdig zu erweisen! Zu Gottes Preis, zu Lob und Dank uns unser Leben vollenden! Oh Herzelein! Mein Herzelein! Ich halte Dich so lieb, so fest umfangen! Heute, wie in alle Zeit! Ich liebe, liebe Dich! Du bist mein! Die bist mein!

Was uns noch fehlte und mangelte an Liebe, Achtung Ehrfurcht und Hingebung gegen den Allmächtigen, durch unsre Liebe und mit unsrer Liebe ist es uns ins Herz gegeben, wie durch eine gnädige Erleuchtung ist es über uns gekommen, das strahlende Licht der Gottesliebe und Güte. Mein [Roland], Du – es wäre unser Glück nicht so hell und lauter, es wäre unsere Liebe nicht so tief, wüßten wir sie nich geborgen bei Gott, wüßten wie sie nicht fest verankert in ihm.

Du!! Das ganze große Weltenwunder oder Himmelswunder, wie wir es nennen mögen, es berührt uns erst so wundertief, seit unsre Liebe uns beseelt. Erst im völligen Einklang mit einer geliebten Seele erfassen wir die große Persönlichkeit Gott, dann erst erleben wir seine weltumspannende Güte, seine unendliche Güte. Und uns hat sie doch so ganz besonders angesprochen auf unseren [sic] Weg! Du! Mein [Roland]! Wir sind Gottes Kinder!

Stehen in seiner Gnade, unter seiner Liebe wandeln wir so sicher im Dunkel und in der Wirrnis der Zeit.

Und weil soviel Dunkel und Wirrnis ist ringsher, darum spüren wir heute zu allermeist die große Güte des Vaters im Himmel. "Da sandte Gott von seinem Thron, das Heil der Welt, dich, seinen Sohn..." Du, Herzelein, und jedes Jahr kommt der Heiland wieder hernieder zur Erde, erbarmt sich unser, in seiner grenzenlosen Liebe. Und immer kommt er wieder, weil so viele Menschen noch immer nicht ihres Herzens Tür ihm offen halten, weil soviel Nebensächliches sie bedrängt. Weil vielleicht Sorgen, Kummer und irgendwelche Nöte sie im Inneren ausfüllen; ach – er ist wohl verständlich in dieser harten Zeit – aber dürfen wir das Beste vergessen im Leben? Selbst in härtesten Tagen? Der hat Gott noch nicht ganz erlebt und begriffen, der in Stunden der Not und Sorge, der Traurigkeit das Herz vor ihm verschließt, sich verbittert abkehrt.

Auch durch Leiden spricht Gottes Liebe zu uns.

Ach Herzelein! ,Euch ist heute der Heiland geboren!'

Und von heute an bis in Ewigkeit sollen wir ihm untertan sein, ihn lieben und ehren, ihn fürchten und vertrauen – wie die Kinder ihren Vater in Liebe und Vertrauen untertan sind.

Herzelein! Wir sind auf dem Weg zu Gott! Wir haben einen Zugang zu Gott! Und nichts kann ihn uns rauben oder verbauen und verwehren! Unsere Liebe zueinander will auch hierin kraftspendend wirken, will wirken zum Vorwärts! Auch im Glauben! Auch im Dienen um Gottes Liebe! Ich für Dich – Du für mich! Und immer füreinander! Und nimmer gegeneinander.

Geliebter! Ganz eins auch im Bunde mit Gott. Mein [Roland]! Ich will Deinen lieben Weihnachtsboten noch einmal – ach viele Male lesen, daß ich Dich so ganz nah bei mir fühle in Deinem geliebten Wesen. Du! Ich muß doch dann ganz allein sein mit Dir noch, Du!

Mein [Roland]! Nun laß Dir erzählen vom heutigen Tag. Am Morgen plättete ich noch verschiedenes, dann ließ ich Mutsch allein bei der Hausarbeit, besorgte die letzten Gänge. Da gings zuerst zum lieben alten Schuhmacher. Dem brachte ich doch vorgestern meine Stiefelein zum Absätze baun [sic] und gestern schon schickte er mir sie wieder funkelnagelneu besohlt und Absätze drauf! Aber ich sage Dir! So etwas Feines, Ordentliches! Ich war begeistert und wäre am liebsten gleich hin zu ihm und hätte ihn mal gedrückt für seine gute Arbeit! Wie würde sich mein Mannerli freuen, wenn es die großartig besohlten Stiefelein sähe! Und nun sind doch erst mal Ppaar anständige Sohlen drauf, da merke ich kein Steinel mehr hindurch. Die ersten hatte ich allzu rasch abgelaufen. Ach Mannerli, nun kann schlecht Wetter kommen, jetzt halt’ ich dicht!!

Dem guten Alten brachte ich ein Stück Stollen und Quarkkuchen hin, was meinst Du, wie er sich freute!

Er hätte sich Mühe gegeben, daß er mir beweisen könnte, daß er ein Stückchen auf mich halte! Ich wär' sein Sonnenschein, wenn ich in seine alte, schmutzige Werkstatt käm'. Na, Mannerli, von einem 72 jährigen kann ich schon diese „Liebeserklärung" annehmen, die ist ungefährlich, gelt?

Er bestellt sogar an Dich, mein Mannerli, frohe Festtagsgrüße! Tja, dann zum Onkel E., meinen alten getreuen "Liebesbriefträger", der ist nur jetzt seinem vorgeschrittenen Alter halber in der Paketannahme, aber trotzdem vergesse ich ihn nicht zu Weihnachten, er wartet drauf denke ich, daß ich an ihn denke, als lieben, alten, guten Freund.

Auch er läßt Dich herzlichst grüßen. Die Eltern wünschen’s auch, daß ich ihm zum Fest gratuliere mit einer kleinen Gabe, sie haben ihn auch gern, den allzeit gefälligen Herrn E.. Weiter ging mein Weg zum Buchbinder, die Wochenzeitschriften holen. Anschließend brachte ich 4 alte Regenschirme zum Schirmmann, er kann sie nicht verwenden, sind schon zu schlecht.

Die drückten sich schon so lang herum bei uns. Vielleicht kann er uns einen neuen Schirm besorgen. Er bekommt im Januar wieder eine Sendung aus Prag.

Bei T.s kaufte ich noch die 4 Lichter, die jeder kinderlose Haushalt zu Weihnachten bekommt. Und beim Gärtner kaufte ich für die Eltern noch ein schönes Alpenveilchenstöckel, zartrosa die Blüten sehen so der Christrose ähnlich. Zuhause angekommen kochte ich das Mittagessen: eine kräftige Kartoffelsuppe und für jeden ein Brühwürstchen drinnen! Für den Abend bereitete ich einen pikanten Kartoffelsalat, wunderbar verfeinert mit 4 Scheiben feingeschnittenem, zerlassenen Speck vom Mannerli! Ganz herrlich ist der doch! Du Guter!

Ja, dann hab ich auch noch Grießplätzchen und Braune Plätzchen gebacken! Wir hatten ja unsre – wie beschämend – aufgefressen wie die Mäuse!! Aufgewaschen und gebohnert habe ich und die gute Mutsch hat auch rumgewirtschaftet immer. Bei den Klängen der lieben Weihnachtslieder werkten wir. Und als die Dome zu uns sprachen durch ihre Orgelmusik und Glockengeläute, in der 4. Nachmittagstunde, da putzten wir grade unsern Baum! Du! Wie oft haben wir Dein gedacht und von Dir geredet! Du!!! Mußt es doch bis hin gemerkt haben, Herzelein! Ach Herzelein! Schön sieht unser Baum aus! Wenn Du ihn doch auch mal ansehen könntest! Aber bis zum April wird er sich bei aller Grüne nicht halten! Du!

Wir haben alles fein gemacht zuhaus, wenn Papa heimkommt, daß ihn sogleich die rechte Stimmung umfängt. Mutsch und ich sind in die Metten. Vorher war ich nochmal bei der Schneiderin, das Luder bringt mein Kleid erst morgen früh um 8 fertig!

½ 6 Uhr begann die Christvesper, ein überfülltes Gotteshaus betraten wir. Und dann begann es, das schönste des Christenfeste, Weihnacht!

Geliebter! Es mag in Limbach noch inniger gefeiert worden sein – aber die frohe Botschaft, die glückbringende Tatsache, die verkündete uns der Pfarrer hier wie dort mit den gleichen Worten aus der heiligen Schrift.

Und wie wundersam, ergriffen vernehmen wirs immer wieder. Die weitere Festfolge lies bitte vom Blatt, das ich Dir beilege. De Vorträge fielen zu größter Zufriedenheit aus. Und schon beim Nachhausegehn wurde Lob laut darüber.

Die Kinder haben sich brav bewährt.

Ach Liebster! Wie wünsche ich in solchen Stunden frohen Gelingens bei einer Arbeit zu Lob und Preis Gottes, Dich an Herrn H. Platze, wie viel Liebe und Fleiß würdest auch Du auf solches Werk verwenden! Mein geliebter [Roland]. Wenn Dir doch auch später wieder Gelegenheit gegeben wäre, als Chorleiter zu wirken. Ich glaube, darin erfüllt sich ein großer Wunsch von Dir, gelt Schätzelein?

Und auf dem Glockenstuhle brausten doch wahrlich die altvertrauten Klänge unsrer lieben Glocken in die Weihnacht! Durch den Lautsprecher, auf Schallplattenübertragung! Wie bekannt das uns vorkam, wie vertraut. Alle horchten verwundert und erfreut! Und das war wohl für die meisten auch eine Art Geschenk für das Ohr – aber auch fürs Herz.

Und Mutsch mußte heim allein, weil ich beim Tischler neben der Kirche erst noch das Bild vom Einrahmen holen mußte für die Eltern. Sie bekamen dasselbe wie Du, als Andenken.

Heimgekommen, fand ich alles schon bereit zum Abendbrot, genau 7 Uhr saßen wir zu Tische. Hat Dir das Ohr geklungen? Hat’s Dich geschluckt? Du warst ja im Bilde bei uns dabei, wie auch im Herzen! Und in meinem ganz besonders, Du!!!

Im Rundfunk hörten wir auf die Ringsendung eine Weile. Ein Teufelskasten so ein Radio, gelt? Was da alles los ist! Den Herrn Goebbels wollte ich nicht hören, auch die Eltern nicht. Herzelein! Um 800 [Uhr] fast wars [sic], als die Tür zum Weihnachtszimmer offenstand! Der schöne Baum strahlte uns an! Papa war so erstaunt, freudig überrascht! Ihm verrieten wir doch garnichts [vornweg! Und darunter stand die H. wie sie leibt und lebt mit dem Kopfe! Die Freude der Eltern war ja groß! Wenn sie bei Dir auch so war, dann freue ich mich erst recht, Du!

Ein paar Kleinigkeiten lagen ausgebreitet: von Mutters nimmermüden Händen eine Schürze, einen Frisierumhang, eine Flasche echtes, französisches Parfüm!! Meine Leidenschaft, darüber hab ich mich riesig gefreut. Papa hat unser altes Grammophon verkauft an die Belgier im Geschäft, der Erlös ist sein Geschenk an mich. Mutsch bekam Kleiderstoff, eine Garnitur Unterwäsche, Papa 2 Hemden und Hosenstoff und jedes 1 Paar Filzschuhe.

Die größte Überraschung brachte Vater vom Geschäft mit heim. Eine Lebensmittelkarte – Führer-Paket für Ost-Urlauber! Hältst zu das für möglich?! Wie waren einfach platt.

Die hat ihm der Chef persönlich übergeben mit einer Geldspende. Höre mir! 2 ℔ Bütter, 2 ℔ Fleisch, 3 ℔ Nährmittel, 5 ℔ Mehl und 2 ℔ Zucker! Zucker!! Mutters Traum!

Das war ja eine Freude für uns, Du! Das wollen wir aufheben und mit Dir Wiedersehen feiern! Die Karte ist gültig bis Mai 1943. Mannerli!, komme in dieser Zeit heim! Na, Vater hat es sich redlich verdient, gelt? Das Begleitschreiben lege ich Dir mal bei. Wenn das jede Familie hätte!

Ach Mannerli! Alles wollte ich missen, wenn wir nur erst Frieden hätten und Euch Lieben zuhaus!

Wir saßen nun eine Weile gemütlich im Stübel bei einer Tasse Bohnenkaffee und Stollen und Plätzchen. Herzelein, schicke nur bald wieder Zulassungsmarken!! Geliebter! Erst als die Eltern sich ver zurückzogen in die Küche, Mutsch zu Selleri [sic] und Kraut, Papa zum Radio, da las ich Deinen lieben, lieben Weihnachtsbrief!

Ich danke Dir so sehr! Du! So nahe Herz bei Herz sind wir heute und immer, wie Du es versinnbildlicht hast! Du!!!

Und nun ist Papa schon zur Ruh, Mutsch sitzt bei der Zeitung. Die Uhr zeigt bald ½ 1200, Du! Ob Du auch noch wach bist? Bei Dir ist’s ja noch später! Mein Geliebter! Du! Ach, wie magst Du das Fest heute verlebt haben?

Ganz gewiß warst Du auch in der Kirche heute.

Ich möchte doch zu gern schnell mal einen Blick hintun zu Dir, mein Herzelein! Ob Du jetzt schon im Bettlein liegst? Mein Herzelein, mein Herzelein! Oh Du! Wie sehne ich mich nach Deiner Nähe heute. Geliebter! Wie glücklich und dankbar denke ich an Dich! Und glücklich und dankbar suche ich Dich an einem friedlichen Orte. Oh Gott sei Lob und Dank für seine Güte! Amen. Herzelein! Nun halte ich die Wacht über Deinem Bettlein, Du! Oh, ich lasse Dich nimmer allein! Nie und nimmer! Immer enger dränge ich mich hin zu Dir! Geliebter! Ob Du Dich wohl gefreut hast, daß ich Dir dies Bild schickte? Oder magst Du es garnicht aufhängen, weils so groß ist? Wird wohl Dein Kamarad H. erschrecken, wenn er heimkommt! Ach Du! Ich will doch recht lebensnah zu Dir kommen! Am liebsten selbst!

Denkst zu auch an die Lieben in Kamenz? In Bischofswerda? Und überall sonst in der Welt? Was werden alle treiben? – Du! Der Weihnachtsmann von Dir hat Verspätung, eben denke ich daran, es ist noch kein Paket da. Aber Dein lieber Bote! Geliebter! Und darum ist Weihnacht in meinem Herzen! Ohne Bote wäre ich traurig! Heute ist er nämlich ausgeblieben. Und nun für heute Gutenacht! Behüt Dich Gott! Träum’ mit mir in die Weihnacht hinüber! Innigst Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946