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[OBF-421220-001-01]
Briefkorpus

4. Advent, den 20. Dezember 1942

Liebes, herzliebes Schätzelein! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Sonntagend [sic]! Die liebste Stunde ist gekommen ist vom Tage. Das Mannerli hat sie sich doch schon am Morgen zurechtgelegt und ist so glücklich dran, daß nichts so leicht seinen Plan stört. Habe meine schöne Freizeit, unbestrittener als in Friedenszeiten – hab ein Stübchen, und hab es auch noch ganz allein für mich – o [sic] Du, wie gut hab ich es. Wie gut haben es alle Soldaten hier, so gut eben, daß den meisten zu wohl wird dabei, daß sie sich vergessen, daß sie – wo sie doch nichts gewinnen können in der Etappe (höchstens unser Ansehen im Auslande mehren) – auch noch so manches verlieren – daß ein mancher das Beste verliert – daß er nicht ein froher Heimkehrer sein kann dereinst, nicht ein froher Sieger.

Oh Du! Meine liebe, liebe [Hilde] – meine [Hilde] wohl wird mir hier nimmermehr – geschweige denn zu wohl – nie werde ich meine Freiheit verschmerzen – nie, keinen Augenblick das Unglück dieses Krieges vergessen zu empfinden – und keinen Augenblick kann ich Dein vergessen – meine [Hilde], die mein wartet, die mein wartet, so lieb und treu – die mich heimholen will – oh nie des Landes unsrer Zukunft vergessen, des Landes unserer Liebe, das so sonnenhell und golden herüberscheint – das eine Sehnsucht, eine brennende Sehnsucht ewig wachhält. Oh Geliebte! Du! Ich könnte mich nicht vergessen – Dein aber nimmermehr – Du! Du!!! All meine Liebe und Sehnsucht, Sehnsucht Du!!!

Ach Herzallerliebste! Meist ist es nicht viel, das wir uns Neues zu sagen haben von Tag zu Tag – und wir müssen auch das Wenige zueinander bringen – auch die kleine Freude, auch den kleinen Kummer zueinander bringen – wir müssen überhaupt uns lieb Seite an Seite fühlen – wir müssen miteinander leben!!! Und Du darfst ganz gewiß sein, daß ich all das, was Du mir aus Deinem Alltag so lieb berichtest, mit großer Dankbarkeit empfange. Unsre Liebe vermag doch auch um das Alltägliche zu ranken – sie vergoldet doch den ganzen Tag.

Dein lieber, lieber Dienstagbote ist in meinen Sonntag gekommen – und hat mir soviel Freude gebracht. Herzelein! Mein geliebtes Weib! Mein! Du! Mein!!! Er war nicht der erste in meinem Sonntag. Ich glaub, ich hab doch die ganze Nacht von meinem Herzlieb geträumt – ach Du! so ein Kunterbunt – und heut morgen noch einmal kurz nach dem Aufwachen, daß ich gar nicht recht wußte, hast Du das gedacht, oder hast Du es geträumt. Nein, so ein Kunterbunt. Alles kann ich Dir gar nicht schreiben – Du! Das könt ich Dir höchstens erzählen. Aber, daß das Mannerli bald wieder abreisen muß, das kehrt doch fast in jedem Traume wieder – Szenen immer auf der Schwelle des Kommens und Scheidens – Du! Du!!! Wie es immer so in Wirklichkeit war bisher. Hast Dein Mannerli immer wieder ziehen lassen – Du! – müssen – müssen! Ja? Geliebte! Geliebte!!! Und das Abschiednehmen hat sich dem Mannerli nun so eingeprägt als ein – Herzeleid – oh Geliebte! Geliebte!!! Wir haben es doch beide schon so oft miteinander getragen — und wir lassen nicht nach, Gottvater im Himmel zu bitten, daß er uns einmal zusammenführt – Oh Gott im Himmel hilf!!! In einem Traum waren wir im Kriege miteinander. An Bord eines Schiffes auch. Und Salven krachten – die Engländer griffen an. Wir duckten uns an eine Wand – und über uns schwebten schwere Kugeln an Hebelarmen u. -gelenken, die gehörten zu einem Geschütz, das jeden Augenblick losfeuern sollte – aber es ging nicht los.

Im Bettlein haben wir auch miteinander gesteckt – aber Vaters wegen war ein Mißverständnis w zwischen uns – aber das kann ich nicht schreiben – Du, ich muß lachen – über solchen Blödsinn.

Und heute morgen, da ging es um das Haar – wieder einmal, gelt? – um meines Schätzleins Haar - aber nicht um Zopf oder Puppenkopf, sondern ob braun od. schwarz. War eine dritte Person dabei, die redete auf mich ein: Dein Haar würde doch schwarz – und ich wollte das nicht.

Ach Du! Ich hab mich trotz allem gefreut, daß Du bei mir warst im Traume – hab ich doch viel mehr Zeit für Dich als bei Tage – komm nur bald einmal wieder – Du! Du!!! Ich laß Dich doc[h] immer ein!!! Meine [Hilde]! Sonntags wird bei uns doch ½ 8 Uhr geweckt – dann ist es bei Dir ½ 7 Uhr. Aber munter ist das Mannerli doch wie alle Tage – um 6 Uhr oder schon früher – und dann denkt es doch lieb zu Dir – und wünscht sich manchmal, es möchte noch lange so dämmerig bleiben – ach Du! merkst Du es denn nicht? Du!!!

In den drei Dienststunden hatte ich alle Hände voll zu tun. Es gab auch zwei Rüffel drunterherein – ein Schreiben zu spät vorgelegt: Um ½ 10 Uhr bekam ich es – um 11 Uhr soll ein Vortrag sein – und ½ 11 Uhr habe ich es zum Kapitän gegeben, nicht ahnend, daß es kürzer befristet ist als das dringlichste Fernschreiben – ich hatte es ausnahmsweise auch nicht gesehen. Na, das war nun geschehen. Nach dem Essen hatte ich meine Sänger bestellt – als sie endlich alle beisammen waren, zeigte es 2 Uhr. Ein Stündchen haben wir gesungen. “Kommet ihr Hirten" nimmt nun schon ganz schön Gestalt an – „Es ist ein Ros’" ist schwerer. Das Mannerli hat doch die Lieder erst selber vierstimmig schreiben müssen, hier ist kein Notenbuch da. Durch die verspätete Singstunde bin ich eigentlich um meinen Spaziergang gekommen, auf den ich mich so freute.

Um 4 Uhr habe ich dann im Kirchl die weihnachtliche Musik besucht mit einem der singenden Kameraden. Die Kirche war ganz voll von Soldaten und Zivilisten. Daß man bei der Musikstunde trotzdem nicht warm wurde, lage. 1) daran, daß es ziemlich kalt war in der Kirche

2) daß man die Gemeinde so ganz unbeteiligt ließ, selbst bei den Liedern, die zum Mitsingen in dieser Zeit doch geradezu auffordern.

Siehst, der Professor S. an der Orgel, dann ist’s auch der, der sie sonntags schlägt – so flüssig und sauber. Nach der Weihnachtsmusik bin ich mit dem Kameraden noch ein Ringel gegangen. Der Nebel ist dichter geworden – eine ungesunde Luft draußen, vor der ich gleich ins Stübel geflohen bin. ½ 6 Uhr war es. Habe dann noch die schmutzige Wäsche für die Abgabe morgen bereitgelegt – und dann kam – der Postill[on]! Ich wartete doch schon auf sein Klopfen. Und er klopfte fein pünktlich, zu des Mannerli höchster Sonntagsfreude – pünktlich mein Schätzelein – pünktlich der Zug – und pünktlich der Postillion – das dreis muß doch zusammentreffen, wenn solche Freude sein soll.

Nach dem Abendbrot hat das Mannerli sich nun zu Dir gesetzt. Hat sich ganz voll gegessen. Gab Schinkenspeckbrote, einen Apfel. Und vom Mittagessen hatte ich mir gute Bratensoße mitgenommen. Die habe ich mir gewärmt und Fieder hineingebrockt. Mit der Post kamen auch schon 2 Gratulanten: Vater und Mutter! Noch einmal muß das Mannerli schlafen – dann darf es den Geburtstagsmann hereinlassen – oh Du! Du!!! Ganz spät erst – um 12 Uhr – nein, wenn es daheim um 12 Uhr ist – dann will ich ihn einlassen – und ich werde auf ihn warten – Du! Du!!! Geliebte! Das Mannerli hat aller Voraussicht nach morgen U.v.D. Das paßt ja gerade! – Und morgen gehen wir nun in die Weihnachtswoche. Ach, die böse Welt will sich nicht ein wenig darauf zurichten – der Haß tobt ärger denn je. Und im Osten zumal wird es harte Kämpfe geben auch über das Fest – oh Geliebte! wie mancher brave Mann und Mensch wird über soviel Grauen und soviel menschlicher Bosheit den Glauben verlieren und irre werden an Gott und den Menschen. Und das schrecklichste: wie mancher wirde so zerfallen mit sich und der Welt in den Tod gehen müssen. Gewiß, die Welt hat einen Sinn von uns, von unserem Volk her gesehen – aber sie hat doch auch einen weiteren Sinn – soll sie sich denn nur zerfleischen in ewigem Haß? Ach, Geliebte! Ich muß auch immer wieder das Allgemeinmenschliche sehen – kann nicht immer nur von unserem Volke her sehen. Und wird dieser Krieg denn wirklich einen dauerhaften Frieden bringen – wird er die Herde der Hasser ausbrennen und alles Unrecht tilgen??

Ach, möge Gott im Himmel sich unser Erbarmen. Möge er es in recht vielen Menschen Weihnacht werden lassen – bei Freund und Feind – möchte er den Glauben an das Gute, möge er den Glauben an die Liebe nicht untergehen lassen in dieser Welt – den Glauben an die Liebe! – auch in unserem Volke nicht untergehen lassen. Oh Du! Mein liebes, liebes Weib! Wir haben ihn – und halten ihn, solange wir leben! Aber so viel Menschen um uns haben ihn nicht – und verlieren ihn – und entfernen sich von der Quelle solchen Glaubens – die Welt wird ärmer, immer ärmer an Liebe! Oh Du! Du!!! Herzelein! Geliebte! Halt mich fest! Und ich will Dich festhalten – ganz fest – Du! Du! Mein liebes Weib!

Und sei mit mir auf der Hut: Der Mensch, in dem das Böse und der Unglaube eingezogen sind, dem is[t] das Gute ein Vorwurf immer, ein Ärgernis, ein Greuel, er will alles auf seine Stufe ziehen, er neidet dem Guten das Gute. Oh Herrgott, Du, im Himmel! Laß Weihnacht werden unter den Menschen! Tilg allen Haß! Laß aufgehen die Saat der Liebe unter uns Menschen! Laß die Liebe nicht sterben unter uns Menschen! Erbarme Dich unser! Amen!

Herzelein! Erzählst mir wieder soo lieb von Deinem reichen Tag. So klein nun der Eltern Behausung ist, soviel Mühe macht Ihr Euch damit. Oh Herzlieb mein! Was ist denn der Antrieb zu solchem Mühen? Es ist doch im Grunde die Liebe! Und darum kann ich das Walten meines lieben, lieben Hausmütterleins gar nicht schelten. Ordnung und Sauberkeit und Schönheit sind gute Strebungen – sind Ideale auch – nirgends verwirklicht länger als einen Augenblick. In der großen Welt schon gar nicht – und in der Welt des Heims eben jenen Augenblick. Und die Freude daran ist gute Freude – und die Übung darin – ist gute Übung auch für den ganzen Menschen: Ordnung – Sauberkeit – Schönheit. Ach Du! Liebes, liebstes Weib! Wie will ich es Dir Dank wissen! Wie will ich Dir das Schaffen Deiner Liebe danken mit dem meinen! Wie will ich Dich immer lieb und wert halten!

Oh Herzlieb! mein! Fühlst Du es auch immer ganz glücklich, daß Du mir über alles sooo lieb und wert bist? Fühlst Du Dich in Deinem Schaffen auch immer recht anerkannt von mir? Oh Du! Du!!! Es ist doch mit eingeschlossen in meiner Liebe zu Dir! Oh Du! Du!!! Mein Alles! Mein Liebstes! wer hätte mehr Liebes empfangen von Dir als Dein [Roland]? Wer wüßte tiefer um Deinen Reichtum, als ich es weiß? Oh Herzelein! Die Menschen sind undankbar zueinander – sie erkennen das Gute selten an – die Eigenliebe ist zu mächtig. Mißverstehen und Verkennen sind überall. Und nur Liebende, glücklich Liebende, die einander ganz ins Herze schließen und aufschließen, erkennen und schätzen einander recht, sie werden einander lieb und wert – und unersetzlich! Dieses Erkennen, dieses Lieb -und Werthaben, dies Liebaneinandergeben [sic] macht doch recht eigentlich das tiefe Lieben aus.

Und so liebe ich Dich doch — Du! Du! Meine [Hilde]!!! Du! Ich liebe Dich! Oh Du! Wie soll ich es Dir sagen – Du weißt es. In liebe Dich von ganzem Herzen! Und bin so glücklich, daß ich Dich gewonnen!!!!! !!!!! !!! Und will so ganz Dich einnehmen und lieben! Wie ich so ganz der Deine geworden bin!

Oh Geliebte! Laß uns still und demütig werden vor Gottes Gnade: Wir haben das Geschenk guter Liebe! In uns wird darum Weihnacht werden! In uns lebt darum der Glaube an die Weihnacht! Lebt der Glaube auch an das Weihnachtswunder. Oh Du! Lebt die feste Überzeugung und Gewißheit, daß Gott sich den Menschen nicht größer und herrlicher offenbaren konnte als in der Liebe!

Gott halte uns fürderhin in seiner Liebe! Er behüte Dich auf allen Wegen! Oh Geliebte! Wir dürfen von Herzen lieben! Ich darf Dich liebhaben! Und weiß mich von Dir geliebt! Du! Du!!! Meine [Hilde]! Mein liebes, einziger Weib! Mein!!!!! !!!!! !!! Dein glücklicher [Roland].

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Kommentare

Abends schreibt Roland und freut sich, dass er das Stübchen für sich hat und Freizeit. In der Etappe können sie nichts gewinnen, höchstens das Ansehen der Soldaten mehren. Aber viele Soldaten vergessen sich und fühlen sich zu wohl. Aber Roland vergisst keinen Augenblick des Kriegsgeschehens.
Roland stellt fest, dass sie sich nicht viel Neues zu schreiben haben von Tag zu Tag. Aber es ist ihm wichtig, dass es geschieht. Roland hat ganz viel geträumt. Was immer wieder vorkommt, dass er Abschied nehmen muss und abreisen, wie es auch in Wirklichkeit immer wieder war. – Roland hat einen Rüffel bekommen, für ein zu spät vorgelegtes Schreiben. - Nach dem Essen hatte er seine Sänger bestellt.“ Kommet ihr Hirten“, geht schon ganz gut.“ Es ist ein Ros‘ entsprungen“ fällt den Sängern noch schwer. Roland hat alle 4 Stimmen selber schreiben müssen, weil kein Notenbuch dafür vorhanden war. – Danach war er in der Kirche mit einem Sängerkameraden. Die Gemeinde war leider bei den Liedern nicht beteiligt. Zum Abendbrot hatte er noch Bratensoße vom Mittagessen, hat diese erwärmt und hat sich Fieder [Brotbrocken] hinein gebrockt. – Pünktlich brachte der Postbote die Geburtstagspost: Um 12°° Uhr nachts will er sie öffnen und auch die Päckchen. (Sein Geburtstag ist am 22. 12.) – Roland denkt daran, dass sich die Menschen zerfleischen in dem Krieg, dass viele redliche Männer den Glauben verlieren und in dem Zustand sterben müssen. Er denkt auch an den Hass unter den Völkern und den Sinn des Krieges:“ Möge es einen dauerhaften Frieden geben, Herrgott!“ Im Osten sind harte Kämpfe zu befürchten. Hilde und Mutsch haben die Wohnung für Weihnachten total gereinigt. Roland erkennt es an und sagt ihr, dass er die Ideale gut findet von Sauberkeit und Ordnung, auch wenn das Ergebnis nur kurze Zeit andauert: “Fühlst Du Dich in Deinem Schaffen auch immer ganz anerkannt von mir?”

Emilie Sitter

Di., 14.12.2021 - 22:17

Ich finde interessant, dass Roland hier explizit betont, über das „deutsche Volk” hinauszusehen – dass außerhalb Deutschlands die Menschen genauso unter dem Krieg leiden und sich ein Leben in Frieden verdient haben…

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946