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[OBF-421219-001-02]
Briefkorpus

Sonnabend, den 19. Dezember 1942

Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Heute ist doch der Feierabend fein lang. Ich habe diesmal Sonnabend und Sonntag keinen Dienst, ein Wunder beinahe. Bin am Nachmittag erst ein schönes großes Ringel gegangen, durch die schönen fremden Häuser wieder, aber umgekehrt den Weg. Habe die Bauten wieder und wieder mir besehen. Mit ihrem vielen Gitterwerk, auch vor den Fenstern, mit ihren kleinen Fenstern und den großen steinernen Flächen haben sie etwas Abweisendes, Abwehrendes wie die verschleierten Frauen. Um 4 Uhr mußte ich zurück sein – war Singstunde angesetzt. Nur wenige waren da, aber es langte mit mir eben zu einer vernünftigen Vierstimmigkeit. Ich erkenne nun schon, die mit Lust dabei sind. Ich denke daran, auch nach dem Feste weiterzusingen – ein paar Kameraden sind gern dabei. Ach Herzelein – es sind nur zwei schlichte Lieder, aber auch zwei der schönsten, innigen, sinnigen Weihnachtslieder – es ist ein mühsames Üben – aber die Freude kommt zum Klingen – oh Du, wie kann Singen froh machen, wie kann es lösen und befreien – wie singe ich mich gerne wieder einmal so recht aus – und soviel Freude ist dann in mir, daß ich die ganze Gesellschaft damit an stecken kann. Oh Geliebte, Du! Die Freude, die dann aufklingt, sie ist doch zum besten Teil das Geschenk Deiner Liebe – und daran denke ich doch immerzu – oh Du! so voll Dankbarkeit, so voll Liebe!

Und nach der Singstunde war ich doch frei. Ich hatte erst vor, noch einmal an die Luft zu gehen. Die Abende sind ja schön hell jetzt — aber schon den dritten Tag liegt hier ein rauher grauer Nebel, starr, unbeweglich, als wollte er ewig so liegen bleiben. Die Bäume tragen wieder feinen Anraum, der außerhalb der Stadt stärker ist. Alle Fernleitungen sind deshalb wieder einmal gestört – das bekomme ich doch sogleich zu spüren am Eingang, vielmehr dem Nichteingang der Telegramme, Fernschreiben heißt es bei uns.

Und so will ich viel lieber zu Hause bleiben. Der Weihnachtsmann hat das Buchgeschenk, das für die [Hilde] [Nordhoff] bestimmt ist und wegen der Transportschwierigkeiten nicht rechtzeitig bestellt werden konnte (auch wegen der Devisenschwierigkeiten), einmal aufgeblättert und eine schöne Novelle daraus gelesen. Ich freue mich doch schon darauf, sie Dir vorzulesen. Nun kann ich überhaupt auch sagen, wie das Buch heißt: Novellen von Wilhelm Schäfer , ein lieber Schatz ist es. Aber gelesen hat das Mannerli nur, um sich die Zeit zu vertrauen vertreiben – Du! Du!!! habe doch auf mein Herzensschätzelein gewartet – habe gewartet – und habe doch nicht umsonst gewartet. Du bist zu mir gekommen – bist sooo lieb zu mir gekommen – und hältst nun mit mir Feierabend und bist mir nun so ganz lieb nahe – oh Du! Du!!! mein liebes, treues Weib!

Sonnabend ist bei mir – Tag des Atemholens – Dein Bote aber vom Montag, Tag des Werkbeginnes. Daran denken wir doch gar nicht immer, wie und wann unser Bote den Empfänger treffen wird. Und dieser Bote müßte eigentlich ein Weihnachts-, ein Feiertagsbote sein. Wo wird mein Herzlieb sein zum Feste? Ich werd es schon noch zeitig genug erfahren.

Mein Herzelein denkt an meine Feiertage. Oh Du, Geliebte! Ja – ja! ich werde froh sein – mit Dir, mit Dir!!! Du wirst bei mir sein; wirst ganz lieb bei mir sein – Du! Du!!! Und ich werde zu Dir kommen und Dein denken, das wird mein schönster Festtag sein! Am Heiligabend will ich die Christvesper besuchen – es wird hier gewiß eine geben, am ersten Feiertag vielleicht auch den Gottesdienst. Ich werde an die frische Luft gehen. Und vielleicht noch ein Kino oder ein Konzert besuchen. Das wird sich finden. Und wenn er dunkel wird, dann darfst Du Dein Mannerli ganz beruhigt daheim wissen im Stübel, im Stübchen mit dem großen weiten Fenster, mit dem kostbarsten Ausblick – in die Heimat – hin zu Dir! Du! Du!!! Dann darfst Du es in seiner liebsten, liebsten, allerliebsten Wohnung wissen! in Deinem Herzen! in Deinem Herzen!!! Ach Du! Du!!! Bist so allein wie ich – und sollst es doch ebensowenig fühlen wie ich – und das Mannerli wird darum ganz lieb und froh zu tun haben, daß es in Deinem Herzen umgeht, so, daß Du es fühlst. Du! Ich will doch richtig aufstapfen und mit den Türen plauzen! Bis Du den Störenfried selber mal nachstiefst [sic]. Du! Du!!!

Oh Geliebte! Unsere Weihnacht! Unser Fest der Liebe! Du bist so lieb und gut zu mir – und Gott im Himmel wird es sehen – und wird es segnen, unser Gutsein – er wird es sehen, das Menschenpaar, das so sich drängt zu seinem Segen, das so unzertrennlich sich zu ihm drängt – er wird uns segnen – ich habe Dich sooo lieb, wie Du mich liebhast! – Oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! ich habe das liebste Weib auf Erden – das liebste Weib auf Erden – ich weiß es, Du! ich weiß es, Geliebte, Du! Mein! Mein!!! – Und ich will Dir allzeit das allerliebste Mannerli sein – Du! Du!!! O Du! Geliebte! Alle, alle Sehnsucht will doch laut werden, wenn ich daran denke!!! Und einmal muß doch wieder Friede werden! Einmal muß doch wieder Friedensweihnacht werden! Und wir wollen Gott im Himmel bitten, daß er es uns erleben läßt! Oh Herzensschätzelein! Geliebte!

Wie wollen wir uns dann dankbar freuen – dieses Festes freuen – und des Wiedersehens! – oh, nimmermehr wollen wir es vergessen – in Dankbarkeit soll unser Herze allezeit schlagen – wird nimmer vergessen die Jahre der Sehnsucht und des Bittens um gemeinsames Leben. O Herzlieb! An Deiner Seite soll mir dieses Leben doch zu einer rechten Frucht reifen – mit Dir will ich es erfüllen – Gott wollen wir es weihen.

Oh Du! Meine [Hilde]! Vom lieben Gesellen schreibst mir, daß er nun wieder der Fester harrt – daß er nun wieder dasteht, uns und Euch aus dem Alltag hinzuweisen auf die hohe, festliche, gnadenbringende Zeit – das soll und will doch aller liebe Schmuck zur Weihnachtszeit. Damit erinnerst mich doch wieder an das erste Weihnachtsfest, das wir so miteinander begingen, die Herzen schon ganz aneinander verloren – oh Du, Geliebte – ja, schon ganz aneinander verloren! Soviel Wünschen und Sehnen war noch nie in meinem Herzen wie damals – soviel heimlich Beten und Bitten um Gottes Segen – oh Du! soviel Heimverlangen des Herzens! – oh Du! soviel Hoffnungsglanz weckte der Lichterbaum noch nie zuvor in meinem Herzen! Er mag wohl das Bild geschaut haben, das schon im nächsten Jahre Wahrheit wurde. Und so werde ich auch in diesem Jahre den Christbaum schauen – Hoffnungsschimmer soll mir sein Glänzen sein!

Oh Du! Geliebte! Soviel Sehnen und Hoffen hat sich uns schon erfüllt! So reich sich erfüllt, reicher, als wir hoffen konnten – durch Gottes Gnade. Du! Sooo lieb, so unverlierbar lieb haben wir einander schon gewonnen – oh Du! lieber, als ich es mir hätte träumen können, über alle Maßen lieb – und haben doch miteinander noch gar nicht so gelebt wie andre Eheleute.

Herzelein! Nun will aber auch ich noch malen, wie Dein Weihnachten sein wird. Du, ich glaub, das Mannerli drängelt sich überall selber mit ins Bild! Heiligabend. Hast denn den Baum auch schon geputzt und mit Lichtern besteckt? Mannerli hilft Dir schnell noch ein bissel mit. Du, hab mit Dir als meinem lieben Weibel doch noch gar nicht unterm Tannenbaum gestanden. Wie das wohl sein muß? – Du! Du!!! Ich glaub, dann steht alle Herzensfreude auf, dann steht im Segen der Weihnacht mächtig auch alle Herzensliebe auf – oh Du! Du!!! Dann wird das Mannerli wohl um Dich sein mit aller Zärtlichkeit – und mit seinem Übermut – wie der Ruprecht ums Christkind. Aber nun weiter im Anputzen – und wo mein Schätzel nicht nauflangen kann da heb ich es hoch, huppa – huppaha! Du! Du!!! Aber dafür will ich auch einen lieben Kuß haben – oder lieber noch ein feines Kringel – das gibt es nicht alle Tage — und dafür gibt es einen Klaps, gelt? Und dafür zieh ich Dir das Schürzel auf – ich glaub, wir werden gar nicht fertig bis zur Bescherung. Und dann gehen wir zur Metten. Und sitzen da, Hand in Hand – und Herz innig bei Herzen und unverwandt die Augen auf dem Weihnachtsbaum – so glücklich und selig wie die Kinder selber – und dann will alles sich lösen und freisingen im Lied. Oh weißt, was ich noch träume? Dort, wo wir dann daheim sind, da wird das Mannerli eines von den schönsten und innigsten Liedern vom Chore singen, es allen Menschen recht ins Herz zu singen, das Weihnachtswunder – oh Geliebte, wenn Du es willst. Nicht aus Geltungsbedürfnis, sondern aus einem Bedürfnis des Herzens – und Du würdest es doch am liebsten verstehen und am meisten Dich freuen sollen. Oder aber, wenn wir in einer Stadt sind, dann stellen wir uns beide in den Chor mit – und solange wir noch eine Stimme haben, singen wir mit zu Gottes Ehre – und wenn wir schon grau sind.

Oh Herzensschätzelein! Wenn ich daran denke – wieviel Freude lassen sich die Menschen entgehen - wie schlagen sie Gottes dargebotene Hand beiseite – was müßte das ein Blühen und Singen sein in deutschen Landen um die Weihnachtszeit! – und nicht nur um die Weihnachtszeit – im deutschen Lande, dem Gott so reich begnadete Sänger schenkte, so einen reichen Schatz von Liedern! Brach liegt er zumeist, ungehoben, verkannt. Die Menschen haben vergessen, daß der Gottesdienst der höchste Dienst ist, der den Menschen selbst am meisten erhebt und beglückt und adelt, der ihn ansport zu höchsten Leistungen, der ihn segnet mit ^ besten Kräften. Oh Geliebte! Er soll uns keine heiligere Pflicht sein, als die Kinder, die Gott uns in Gnaden schenkt, so ganz lebendig und überzeugend auf den rechten Weg zu weisen – wir werden es ihnen vorleben – und werden freie, frohe Menschen dabei bleiben. So steht es nämlich in vielen verschrobenen Hirnen, daß solch freies, frohes Menschsein unmöglich und unvereinbar sei mit der Demut und dem Gehorsam zu Gott. Es sind aber meist dieselben Menschen, die Sklaven sind eines viel niedrigeren Herren: die von einer Gunst leben, die sich sonst vorwärtsschieben ^ im Leben , oder sonst die Sätze eines vergänglichen Menschengeistes anbeten. Der gläubige Mensch ist der wahrhaft freie Mensch.

Herzelein! Willst denn an meiner Bescherung auch eine kleine Freude haben? Ich wüßte nichts Lieberes. Ich habe an der Bluse selber soviel Freude – und dachte nun, sie mit Dir zu teilen. Ach — wenn Dir es so ergeht wie mir: all diese Geschenke sind ja nur ein Mittel, ein Zeichen der Liebe. Und wenn ich nun solch Zeichen wähle, dann soll es zum Ausdruck bringen, daß ich Dich so ganz lieb und wert halte, daß ich für Dich nach etwas ganz Besonderem, nach etwas Eigenem und Seltenem suchte. Ach Herzelein! Schätzelein! Wär ich ein Maler oder Dichter oder Musiker – das Liebste schenkte ich Dir – oh, wenn ich es doch könnte! Wenn ich den Thron in meinem Herzen doch noch schöner und reicher schmücken könnte – oh Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Ach, nimm vorlieb mit meinem Herzen! Nimm mein Geschenk: mein ganzes Leben sei Dein! Ich will es in inniger Herzensverbundenheit mit Dir leben – ganz lieb, ganz eigen, ganz Dein!!!

Oh Geliebte! So wollen wir offenen, weiten Herzens durch diese Weihnachtszeit gehen – wollen von ihrem Segen mitnehmen für das ganze lange Jahr. Wollen dankbar und froh bedenken, was wir Gutes erfuhren, soviel Gutes – und wollen daraus Hoffnung und Zuversicht schöpfen für die festlose Zeit. Wollen das Bewußtsein recht tief uns bewegen lassen, daß wir im Herzen ganz frohe und freie Menschen sind – froh und frei durch die Bindungen des Glaubens – froh und frei und glücklich durch innigste Bande heißer, tiefer, einmaliger Liebe.

Oh Herzelein, Geliebte! Ich bekenne es Dir frei und froh und glücklich: So gefangen war ich noch nie – aber auch noch nie so froh und frei und glücklich wie in der Gefangenschaft Deiner Liebe!!!

So wie ich es ersehnte – und viel reicher noch – hat es sich erfüllt – Du! Du!!! Einziggeliebte! Mein liebes, teures Weib!

Behüt Dich Gott auf allen Wegen!

Und nun geh ich mit Dir durch diese Weihnachtszeit – ich fühle Dich glücklich mir zur Seite – und ich bleibe bei Dir – Du! Du! Geliebtes Wesen! Seelengeschwister! Ich muß ja mit Dir gehen – ich muß ja bei Dir bleiben – bis ans Ende meines Lebens. Oh Du! Du! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!!!

Gut [sic] Nacht – Herzensschätzelein! Du! Liebes Christkind! Möchtest mit dem alten borstigen Ruprecht das Bettlein teilen? Der Ruprecht möcht schon –

Du! Du!! Oh Du mein! Ganz mein!!!

Und ich bin ewig Dein! Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946