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[OBF-421218-002-01]
Briefkorpus

58.)

Freitag, am 18. Dezember 1942.

Herzallerliebster! Mein Herzensmannerli! Du!! Du! Denkst Du wohl noch daran zurück? Es war auch ein 18. Dezember… vor 3 Jahren nein 4 Jahren …. 1939.. 1938 ... und es war ein Sonntag, viel weihnachtlicher war’s als heute, kalt und auch schon bissel Schnee. Aber viel mehr war noch! Du! Es standen zwei auf dem Bahnsteig in Chemnitz, wollten Abschied nehmen voneinander. Und es war ihnen beiden doch so ganz wundersam zumute. Vom Christmarkt aus Hohenstein-Ernstthal. kamen sie her. Und waren zusammen ein Stück schon mit dem Zug gefahren, bis Chemnitz, dann mußten sich ihre Wege trennen.

Oh Du!!! Geliebter! Etwas war auf dem kurzen Stück gemeinsamer Fahrt geschehen, das ,ihr’ für einen Moment die Tür zu aller Seligkeit auftat! Wie mag es ,ihm’ zumute gewesen sein? Ach, er war ja so verwirrt und überrascht von dem unerwarteten Ereignis. Und er wußte wohl selbst nicht, wie ihm geschah. Du!! Du!!! Der erste Kuß, Geliebter! Geliebter!!

Ich hab ihn Dir schenken müssen – ich konnte nicht andes [sic]. Oh Du! Wie im Traum sah ich alles das nur noch, was später geschah… Deinen Abschied, Dein letztes Winken. Du!!! Weißt Du noch? Geliebter!!! Mein [Roland]!

So begann es doch, das leise, zarte Weben zwischen unsren Seelen. Und wären wir uns damals schon näher gewesen innerlich, Vertrauter, durch viele Begegnungen vorher und gemeinsame Erlebnisse. Dann hätten wir uns wohl schon damals so ganz zusammengefunden. Ach Du! Wie alles kam, so war es gut. Und so war es Gottes Fügung – Geliebter!

Es war wohl der Auftakt zu unserem gemeinsamen Weg; denn durch dieses Geschehen mußten wir doch voreinander innerlich Rechenschaft ablegen und vor uns selbst, ob es denn möglich sein kann, dieses ganze Leben Seit an Seite, in so volliger Zuneigung miteinander zu erfüllen.

Herzlein! Einen ganzen Sommer hindurch noch haben wir einander geprüft, ob das, was wir innerlich wünschten und füreinander empfanden, auch der Wirklichkeit gewachsen war.

Und da entdecke ich doch gleich den Fehler in meiner Rechnung! Es war dies Erleben schon im Jahre 1938, denn im Sommer darauf reisten wir nach Böhmen. Und da war doch auch noch eine Station, ich kam Dich besuchen, nach Lichtenhain! Und Du warst es doch dann, Geliebter, der mir all die ungezählten Küsse zurückschenkte, die ich Dir längst in meiner großen Liebe heimlich zugedacht! Oh Herzelein! Weißt Du noch?! Welch selige Zeit!

Wie die Kinder am Weihnachtsabend, staunend, glückstrunken, so standen wir vor dem wundersamen Geschenk unsrer aufblühenden Liebe. Ach Du! Es war eine selige, köstliche Zeit! Du!! Keinen Tag möchte ich daraus streichen – auch nicht die wenigen Stunden, da uns durch unsre Liebe Leid ward.

Geliebter! Geliebter!! Das war unser erstes, gemeinsames Weihnachtsfest gelt? Ganz heimlich lieb im tiefsten Winkel des Herzens versteckt! Dann kam das zweite Weihnachten. In der lieben Mitte in Kamenz! Unvergeßlich bleibt’s mir, das schöne, trauliche Beisammensein. Es war doch schon ein Kriegsweihnachten! Und die Zeit rollte, das Jahr 1940 sah uns als glückliche Brautleute. Jäh kam das Ende, Du wurdest Soldat. Das dritte Weihnachten erlebtest Du im Norden Deutschlands Du! B.! Wo sich die Füchse Gutenacht sagen!

Und wo es doch eine Hütte gab, die ein junges, hohes Glück barg für Tage! Weißt Du noch? Geliebter!

Weiter ziehen die Bilder an meinem geistigen Auge vorüber. Mein Herzlieb rutschte nach Südosten.

Das vierte Weihnachten in Griechenland, im unweihnachtlichsten Lande, gelt?

Aber weil der Winter derb ausfiel, spürtest Du auch etwas von Frost und Starre, wie sie zuhaus herrschen zu dieser Jahreszeit. Weißt? Eigentlich kann man nur zuhaus in Deutschland so recht Weihnacht feiern. Das könnt am allerbesten Ihr Lieben beurteilen, die Ihr nun schon so oft dies Fest im fremden Land erleben konntet. Und diesmal nun, das fünfte Weihnachten, daß [sic] uns zusammen sieht und doch äußerlich getrennt, Du verlebst es im fremden Land wieder. Wenn Du auch Deutschland um ein Beträchtliches näher rücktest, im Lande selbst sogar teilweise Deutschtum findest und liebe, alte Sitten, so wirst Du doch herzlich wenig spüren gerade in Deiner Umgebung, von dem alten schönen Zauber, der von der göttlichen Weihnacht ausgeht.

Soldatenleben verwischt in seiner Rauhheit jeden innigen Eindruck der hohen Feste. Sei es nun Ostern, Pfingsten, oder irgend ein Fest. Beim Weihnachtsfest aber spürt es der empfindsame und feinfühlende Mensch ganz besonders, wie es der Mehrzahl doch nur um ein leibliches Feiern geht. Das ist eine traurige Feststellung.

Gewiß, das Feiern in dem Sinne ist auch Sitte, Brauchtum und soll wohl im tieferen Sinne das Frohsein und Glücklichsein äußern, daß [sic] wir Menschen empfinden mit der Geburt des Heilands. Aber es ist mit den Jahren leider so geworden, daß sich das Nebensächliche immer mehr in den Vordergrund schob, und der eigentliche Sinn des hohen Festes geht dem Hundertsten überhaupt nicht mehr auf. Glaube mir, in 50 oder 100 Jahren wissen die Menschen vielleicht kaum noch etwas von Weihnachten, wenn die Gesinnungsart so weiter geht wie jetzt. Ich fragte die Kinder, warum wir Weihnachten feiern. Da wurden mir recht verschiedene Antworten! Und an den richtigen Antworten, den wenigen, da erkannte ich sofort das gute Elternhaus.

Es ist erschreckend und höchst betrüblich, wohin die arme Jugend gelenkt wird.

Es werden noch einmal bittere Vorwürfe kommen, kann ich mit denken, wenn diese Menschlein erwachsen sind und der Leere im Innern hilflos gegenüber stehen! Aber nur nicht so schwarz sehen! Gott sitzt noch immer im Regimente. Jedes Ding zu seiner Zeit.

Ich kann es doch nimmermehr glauben, daß ein Christentum einer Wahnidee zum Opfer fällt.

Mein Herzelein, nun wird’s politisch. Jetzt hört’s auf! – Ach, Du! Ich denke am heutigen Abend an so vieles. Und ich wünschte mir so sehnlichst, daß ich Dich jetzt bei mir hätte, mein [Roland]! Neben Dir möchte ich hocken, dicht an Dich gekuschelt auf dem Sofa, Du! Beim milden Lichte der Leselampe und wollte mit Dir plaudern von einst, und vom Kommenden…. ach, wollte auch ganz still nur an Dich gelehnt sitzen und des Glücks inne werden, das mir Deine liebe Nähe schenkt. Mein [Roland]! Geliebter!! Oh Du! Weißt Du es wohl, Wie [sic] ich Dich liebe!? Heute über 8 Tage, da ist der erste Weihnachtstag.

Vorbei ist schon der Heiligabend – wir werden einander in Gedanken in der Christmette suchen! 1730 [Uhr] beginnt sie hier. Und dann um 600 [Uhr] kommt Papa heim und wird alles hübsch gemütlich finden. Beim Abendbrot werden wir Dich in unsrer Mitte wissen, mein [Roland]. Und dann wird doch auch Bescherung sein. Wenn wir einander auch nichts weiter zu schenken haben. Ich wünsche mir doch von meinem Schätzeli nur etwas! Einen ganz lieben Boten, worin ich sehe, wie lieb Du mich hast! Ach, das ist mein einziger Wunsch. Geliebter! Und daß Du froh bist! Garnicht traurig!! Du!! Du!!!

Sieh! Ich bin doch sooooo lieb bei Dir allezeit!

Ich hoffe doch, daß am Feste nicht gerade wieder mal eine Unregelmäßigkeit in der Postzustellung sein wird! Ach Du! Und am allerschönsten ist es doch dann, Herzelein, wenn wir uns vor den Bogen setzen und recht lieb aneinander denken! Das ist unser Feiern und Fröhlichsein! Mein [Roland]! Du!!! Geliebtes Herzelein!

Ich wünsche Dir doch von ganzem Herzen ein frohes, gesundes und gesegnetes Fest! Mögest Du dankbar und zufrieden auf alles schauen, was Gott uns in Liebe bescherte! Du! Wir wollen nicht unzufrieden sein! Nur dankbar.

Sieh! Du bist so glücklich bewahrt geblieben vorm Schlimmsten. Wie leicht hätte können Dich die Wahl treffen nach Rußland. Dann müßte ich Dich heute in der Öde suchen, irgendwo vielleicht in einer behelfsmäßigen Unterkunft. Wer weiß, ob da ein weihnachtlicher und heimatlicher Laut an Dein Ohr dränge!

Gott sei Lob und Dank für seine unendliche Güte und Liebe! Das Jahr geht nun zu Ende – wir müssen uns zutiefst beschenkt und begrüßt fühlen! Trotz allem, was ein eitel Menschenherz noch wünscht!

Ach – es ist doch nicht viel, oder ist es denn so viel, daß wir nur einander nahe sein wollen, sonst nichts? Geliebter! Gott sieht unsere Herzen, es wird uns Kraft schenken, das zu tragen, was er uns aus väterlicher Liebe auferlegt. Laß uns denn am lieben Weihnachtsfeste ganz froh und dankbar die Hände falten und Gott auch fürderhin unser Leben anbefehlen. Was Gott tut, das ist wohlgetan.

Gott hat sich in seiner großen Liebe der Menschheit erbarmt, es gab uns seinen Sohn, daß er uns erlöse von Sünde und Schuld. Auch mir und Dir würde diese Gnade! Laß uns beide uns ihrer würdig sein und leben!

Mein [Roland]! Du! Mein [Roland] ! Es war doch heute Waschtag bei uns.

Ach, ich bin wohl recht müde vom Schaffen und Hantieren. Seit morgens 6 Uhr sind Mutter und ich an der Arbeit. Jetzt ist es bald um 8 Uhr abends. Und denke nur: wir haben es doch wieder mal geschafft, voll und ganz!

Die Wäsche ist gespült und zum Aufhängen bereit.

Du magst vielleicht nicht wissen, was alles drum und dran ist, ehe man’s soweit wieder geschafft hat. Aber das brauchst auch nicht, Du Mannerli! Ist doch Weibelsach’!

Und Dir mag genügen: hurra! Wir sind fertig!

Morgen gibts [sic] nicht wieder so viel Arbeit dann.

Ach Du! Denkst Du denn, ich könnte mich jetzt niederlegen und schlafen? Nein. Erst muß ich doch noch zu Dir kommen. Mein allerliebster, einzigster Schatz! Du!!! Du!!!! Herzelein! Du hast mir doch heute in mein hartes Schaffen hinein einen so hellen Sonnenschein gezaubert mit Deinem lieben Dienstagboten, ach Du!! Die Sonne am Himmel heute, sie konnte ja nicht heller scheinen und stahlen, wie die in meinem Herzen! Geliebter! Ich küsse Dich voll tiefer Dankbarkeit! Ach Du! Niemand liebt mich so wie Du! Bist nur für mich auf der Welt! Dein ganzes Glück bin ich allein!

Geliebter! Geliebter mein! Diese Augen, diese Lippen, die sind Dein –

mein ganzes Herz gehört Dir allein,ich liebe Dich! Ich liebe Dich! Jubelnde Melodie! Wie klingt’s und jauchzt es durch die Seele: Du liebst mich so herzinnig!

Ach Du! Du!! Doch ebenso heiß, wie ich Dich liebe! Mein [Roland]! Wenn ich jetzt bei Dir sein dürfte! Du!! Ich müßte doch mit Dir hingehen zum Brünnlein unsrer Liebe! Müßte mit Dir mich tief, tief neigen hin zum Quelle… oh Du! Und trinken… trinken, mich so ganz satt trinken.

Dann möchte ich selig in Deinem Arme entschlummern – oh Geliebter, dann bräuchte es doch kein Erwachen mehr zu geben, bei Dir! Ach geliebtes Herz! Was Du mir schenkst mit Deiner Liebe, ich vermag es überhaupt nicht auszudrücken. Du! Oh Du!! Es ist mein ganzes Leben ein tiefes Bekenntnis zu Dir! Ein einzig Danken und Wiedergeben!

Meine Liebe, Deine Liebe, ein wundersames Ganzes! Ein selig Verschmelzen und innig Umschlingen, Du! Du!!! Bis in die Tiefen unsrer Herzen und Seelen hinein, tief hin bis in der Herzen Grund und in der Seelen Mitte reicht das feine unsichtbare Geäst der Würzelchen unsrer Liebe. Keine Macht der Erde kann diese Pflanze ausreißen.

Denn Gott hat sie gegeben, seine Allgewalt schützt sie, so glauben wir fest, gegen alle böse Macht.

Und was nur in unsrer Macht liegt, das wollen wir tun unser Lebenlang, diese köstliche Blume zu hegen und zu pflegen, daß sie nur immer herrlicher erblühe und knospe – ja auch knospe, Du!! Viele neue Knöspchen sollen doch noch hervorkommen!

Und es muß uns liebste, heiligste Pflicht sein, den Nährboden zu erhalten für diese jungen Triebe, die da kommen wollen, so Gott will.

Ach mein [Roland]! Das brauchen wir uns doch garnicht besonders vorzunehmen! Das alles gebietet uns ja unser Herz von selbst! Die große Liebe treibt uns dazu mit ihrer Urgewalt.

Ach mein [Roland]! Was ist es für ein Glück um unsre köstliche Liebe! Gott segne unseren Bund! Er lasse uns gute Frucht bringen! Ach schenke er es gnädig, daß Du mir bald, bald heimkehren darfst! Daß wir nun vollenden können, was wir begannen.

Möchte uns doch das Weihnachtsfest weit, weit wieder die Herzen auftun für die große Liebe und Güte Gottes! Möchte alle Menschheit von dem Wunder der Weihnacht ergriffen werden und geläutert, gewandelt zu guten Menschen. Ach, zöge mit dem Friedensfest der Christenheit auch Friede in die ganze Welt ein!

Das soll unser Wunsch an das neue Jahr sein.

Gott im Himmel stehe uns bei, und unserm Volke.

Behüte mir mein Liebstes! Erhalte uns gesund an Leib und Seele. Laß uns rechte Kinder Gottes sein. Gläubig, demütig und ehrfürchtig. Nimm uns auf in deine Liebe. Amen.

Mein Geliebter! Mein [Roland]! Ich bin so sehr glücklich mit Dir! Sich mich an! Nimm mich an Dein Herz! Ich bleibe stets Deine glückliche [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946