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[OBF-421216-001-02]
Briefkorpus

Mittwoch, den 16. Dezember 1942

Herzelein! Geliebte, Geliebte! Meine [Hilde], Du!

Jetzt komm ich aber zu Dir – und bleib bei Dir den ganzen langen Abend – Du! wie freu ich mich! Oder kommst zu mir? Das ganze Stübel ist nun leer – und alles doch für zwei gerichtet: zwei Stühlchen und zwei Schränke und zwei Bettlein – und was weiß ich noch. Heinrich ist heut mittag in Urlaub gefahren. Einen Seesack hat er von mehr als einem Zentner, einen schweren Koffer und noch die Aktentasche. Nein, weißt, dabei wäre mir nun nicht mehr wohl. Recht viel Freude will man doch mitbringen – aber so wird sie ja erstickt im Materiellen. Na – das ist nun seine Sorge. Er hat ja auch viel für andre mitgenomemen, für mich auch den Weihnachtsmann, und dafür muß ich ja dankbar sein. Hoffentlich kommt er gut an. (Von Euch steht mir die Bestätigung eines Speckpäckchens den dritten Tag schon aus – Kamenz hat es schon.) Ja, nun bin ich allein über Weihnachten, allein heute – und freue mich, Herzelein! Ich will nicht undankbar sein – aber ich freue mich, daß ich allein sein kann – Herzelein, Geliebte, das verstehst nur Du ganz – Du! Du!!! Ein bissel fürcht ich mich nun vor den vielen Weibeln über meinem Bett – Du, die werden mich doch nun nicht überfallen und bedrängen? Und noch die Weibel vom verlassenen Bettlein gegenüber dazu? Du! Die waren mir ein klein bissel zu dick – das will schon was heißen, wenns [sic] Dein Mannerli sagt – gelt? Nein, Heinrichs Frau ist reichlich stark, sie hat ein liebes Gesicht und ist wohl erst so auseinander gegangen. Das Töchterchen von 8 Jahren ist mehr nach der Mutter geartet. Heinrich kaufte mir von dem vielen Heftpflaster einiges ab für seine Frau und Tochter, die oft an Eccemen leiden. Du, die sieben Weiberl über meinem Bettlein würden sich wohl auch nicht schlecht zur Wehr setzen gegen die vier fremden, ja? Du! Ach Du! Du!!! Mein Einziges, mein Liebstes, mein Alles, Du!!!

Weil ich eben vom Bettlein erzähle: ich hab doch Mäuse unterm Bettlein! Erzählte Dir, daß ich die beiden Weihnachtspäckchen in meinen Seesack steckte für den Weihnachtsabend. Was haben die Mäuseluder gemacht? – Den Seesack aufgeschnürt, die Kiste mit den Pfefferkuchen aufgespürt – das Paket an der Seite einfach aufgestoßen und allen Pfefferkuchen herausgeholt. Ich fühlte doch jetzt mal nach, und habe nur noch etwas Deckenartiges, Weißes in der Hand – aller Pfefferkuchen rund und reine rausgefressen. Ich glaube, einer besseren Empfehlung bedarf es nicht. Kennst die Mäuseluder? Ach Du! Herrlich haben sie geschmeckt. Und ich hab mich doch immer wieder mal hingeschlichen.

Herzelein! Du! Weißt nun, wie Du Dein Mannerli fangen kannst, gelt? Mit Speck fängt man Mäuse! Schätzelein! Nach Weihnachten, wenn ich wieder Geld habe, schick ich Dir paar Mandeln oder Nüsse – dann bäckst noch mal ein paar Plätzl – ja? Ach Du! Ich weiß doch, daß Du Dich freust, wenn es dem Mannerli schmeckt. Hab nur vielen Dank noch. Die Mäuse haben doch auch auf den Schrank gefunden zum Kamenzer Pfefferkuchen. Denk ich doch gleich wieder ans Weihnachtsfest. Über acht Tage wird also unsre Weihnachtsfeier sein. In einem Saale der Stadt. Gänsebraten wird es geben (4 Mann eine Gans!) – und Bescherung – ach Du! Das alles kann mich wenig locken und mich abziehen von der Freude auf das wirkliche Fest! Unser Hauptfeldwebel und der Kapitänleutnant, der dieses Fest arrangiert, sind Wiener. An den beiden kann man Wiener Art unverfälscht studieren. Da fällt uns Sachsen schon auf die fast spielerische Freude am Ausdruck, die Plastik des Ausdrucks, wie liebevoll und aufgeschlossen man den Dingen zuleibegeht – mit einer richtigen Wonne gewinnt man einer Sache Gesichtspunkte ab noch und noch. Wie komm ich mir steif vor gegen solche Liebenswürdigkeit.

Ja Herzensschätzlein – mich abziehen vom eigentlichen Fest – so schreibe ich – das wird nun auch bald sein – und es wird höchste Zeit nun, auch weihnachtlich heimzudenken. Weihnachtlich sieht es draußen eben noch nicht aus – und wie Du schreibst, daheim auch nicht. Aber kalt und rauh ist es nun wieder, und der Pelz wird dem Weihnachtsmann nicht zu warm werden. Ja – und wo find ich Dich denn nun zum Feste? Mit Dir will ich es doch begehen. Jetzt weißt Du es wohl selbst noch nicht. Hängt diesmal doch von dem neugebornen Kindlein ab und seinen Eltern, dem Pappi überhaupt. Wird doch unterm Lichterbaum tatsächlich ein neugeboren Kindlein stehen mit einem glücklichen Elternpaar – ein Abglanz von der himmlischen Freude und Gnade, die ehedem dem ganzen Menschenvolke geschenkt wurde. Und wir freuen uns mit ihnen von Herzen. Geliebte, meine [Hilde]!!!

In Oberfrohna – in Bischofswerda – in Kamenz – das ist nun die Ungewissheit, die mit Dir vielleicht noch zur Stunde ist, die Dich vielleicht auch gar nicht lieb schon einrichten läßt auf die Festtage. Die lieben Eltern möchten sich wohl ein wenig verlassen fühlen – und die Aussicht auf die Reiserei zur Weihnachtszeit, über die Feiertage, denke ich mir auch nicht gerade verlockend. In Bischofswerda erwartet Dich zudem eine Häuslichkeit, die eben nicht gerade festlich stimmen kann. Halt Dich nur fein warm! Dafür denke ich mir das Beisammensein desto schöner – ach, nur müßte ich immer in die Ferne denken, wenn ich so allein in frohe Festlichkeit geladen würde – Du! Du!!!

Ja, und das Mannerli? – Es ist diesmal der Heimat ein Stück näher – und im nächsten Jahre? – Ich werde zur Kirche gehen – und werde mir dann daheim bescheren lassen – und werde heimdenken – werd mit meinem Herzlieb reden, nur mit ihm am Heiligabend – werde versuchen, durch das Weltfenster ein paar Heimatklänge zu erlauschen – ach, und werde froh sein im Grunde des Herzens – ja, werde gewiß froh sein – und nicht allein — mit Dir! mit Dir!!!!! Ich werde alle Liebe der Heimat um mich stellen – und um mich fühlen – Du wirst bei mir sein, Du wirst doppelt lieb bei mir sein, Herzallerliebste – so wie ich doppelt lieb um Dich sein werde am Heiligabend. Und meine Gedanken will ich rückwärts führen zu den liebsten Stationen unsres gemeinsamen Weges – und will sie träumen lassen von künftigem Glück.

Herzelein! Über acht Tage ist doch auch der Geburtstagsmann bei mir gewesen – ich glaube, er bringt mir gewiß etwas ganz Liebes! (ob ich schon etwas weiß? Liegt alles fein verwahrt, das Mannerli kann ganz brav sein – und ist doch trotzdem neugierig und läßt sich von den Heimlichkeiten seines Fraule ganz scharfsinnig und helläugig machen – wie ein Detektiv – aber das sag ich Dir erst zum Geburtstag, wenn ich sehe, ob ich auf der rechten Spur war – Du!) Ach Herzelein! Du kannst mich so ganz lieb beschenken, am allerallerliebsten – weißt Du es noch? – bis ins tiefste Herze hinein das Mannerli frohmachen [sic] und glücklich – Du allein kannst es! Du allein!!!

Und was soll ich nun zu Deinem Weihnachtsgeschenk sagen? Ich kann es nicht sehen – ich weiß nicht, ob es mir so ganz gefällt – nur eines weiß ich – und das ist entscheidend: daß Du es ganz lieb mit mir meinen willst – ach, daß Du dabei mir und ganz hingewandt an unser Glück, an unser Heim gedacht hast, an Dein Mannerli, mit dem Du es bauen willst. Ach Du! Du!!! Geliebte! Du hast mich lieb! Du trägst mich in Deinem Herzen! Du hältst mich mit Deiner Liebe – Du hast mich lieb, so lieb!!! Und wir haben einander so lieb – sooo lieb! Oh Herzensschätzelein, daß die Liebe uns so fühlbar hält und trägt und zu einem kostbaren Schatz, zu einer Quelle der Freude und Kraft geworden ist! Schätzelein! Die Liebe hat unsre Herzen so ganz angefüllt, sooo ganz – zu unserm größten Glücke. Ach Du! Du!!! Ich lasse Dich nicht! Ich liebe Dich!!! Du! Mein Glück, mein Schatz!

Schreibst mir, daß Herr L. nun von der Insel geschieden ist. Ich freue mich mit. Du! Lieber ginge ich noch nach Rußland als auf diese Insel. Die älteren Jahrgänge von 07 an sollen in rückwärtigen Diensten verwandt werden: ja Herzelein! Das bin ich ja schon immer. Und es ist schon so: daß mein Dienst hier noch mehr ein rückwärtiger Dienst ist als der in Westdeutschland.

Vorgestern kam ein Fräulein, eine Angestellte hier durch, die früher bei uns arbeitete, jetzt aber in Konstanca beschäftigt ist. Sie hatte ein Telegramm erhalten aus Hamburg, daß die Mutter vom Schlag getroffen sei. Auf mein Fragen erzählte sie, daß sie 5 Geschwister seien, und keines daheim, alle vom Arbeitsamt erfaßt und verschickt trotz Reklamationen. Der Vater aber ist Schiffseigner und steckt irgendwo in Norwegen. Das ist wieder einmal ein klassisches Beispiel dafür, wie Familien auseinandergerissen werden, wie durch den Zugriff des Staates auch die letzte Kraftreserve einer Familie genommen wird!

Von meinem Zimmer aus sehe ich immer nach dem Eingang einer rumänischen Kommandostelle. Ein Posten steht da und so wie jetzt eben meist mehrere Zivilisten, Mädchen, Frauen, Männer. Es ist die Stelle, bei der man sich Auskunft holen kann über den Verbleib von Soldaten. Die Rumänen stellen neben den Finnen und Italienern wohl die meisten Truppen zum Kampf gegen Rußland.

Ach Herzensschätzelein! Wir müssen so froh und dankbar sein unsres Schicksals!

Hast mir in Deinem Boten gestern Euer Weihnachtsprogramm mitgeteilt. Wenn das Mannerli daheim wäre, würde es wohl den Rotstift nehmen und manches abstreichen – oder selber mit Hand anlegen, daß es schneller bewältigt würde und jeden Tag ein rechter, lieber Adventsfeierabend bliebe. Und unser Programen dereinst im Frieden, das werden wir gewiß so gestalten – höchstens, daß dann im Feierabend der Weihnachtsmann noch umgeht – ja? Herzelein! Geliebte!!!

Oh Herzelein! Wenn ich daran denke – ganz froh werd ich Dir dann sein und mich mit Dir freuen können wie die Kinder selber. Oh Herzensschätzelein, was soll dann alles lebendig werden in unserem Heim – um die Weihnacht zumal! Oh Herzelein, Geliebte! Unser Heim dann – und Du darin mir gefangen – und ich Dir – und Du immer bei mir! und dann erst recht die Meine – oh Herzelein! Herzelein, Geliebte! Dann will das Leben strömen und die Liebe – dann möchte alles stille stehn – ich denke es mir soo[o] schön – und lieb – und lieb – Mit Dir! mit Dir! Oh Du! Du!!! Mein Alles! Geliebte mein!

Segne Gott unsre Pläne! Erhalt er Dich mir und führ er uns recht bald zusammen!

Geliebtes, teues Herz! Ich habe Dich so lieb, sooooooo lieb! Bei Dir sind meine Gedanken – immer! Bei Dir ist mein Herze! Du bist mir alle Freude, aller Sonnenschein – alle Hoffnung!

Ich küsse Dich herzinnig und bleibe ewig

Dein [Roland]

Dein glückliches Mannerli.

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Kommentare

Roland ist allein im Zimmer und bleibt es über Weihnachten. Heinrich ist in Urlaub gefahren mit einem Seesack, der mehr als 1 Zentner wiegt. Darin sind auch Weihnachtsgeschenke an Hilde. – Über den beiden Betten im Zimmer hängen die Bilder ihrer Frauen und Töchter. Scherzhaft schreibt er, dass er sich vor so vielen Weibeln fürchtet. – Unterm Bett hat er Mäuse. Die haben seinen Seesack geentert und die Pfefferkuchen von Hilde restlos aufgefressen. Kennt Hilde Mäuseluder? Roland schreibt: “Herrlich haben sie geschmeckt. Er hat sich immer wieder hingeschlichen: “ Du weißt nun, wie Du das Mannerli fangen kannst, denn mit Speck fängt man Mäuse.“ – Nach Weihnachten, wenn R. wieder Geld hat, will er ihr Nüsse und Mandeln schicken, damit sie noch einmal für ihn backen kann. – Der Hauptfeldwebel und der Kapitänleutnant organisieren die Weihnachtsfeier. Sie sind beide Wiener. Roland studiert mit Freude deren Ausdrucksweise und die Wonne mit der sie alles arrangieren. Bei so viel Liebenswürdigkeit kommt er sich steif vor. Beim eigentlichen Fest in der Kompanie wird er sich bald zurückziehen. – Wo wird Hilde Weihnachten feiern? In B. ist das neugeborene Kindlein unterm Tannenbaum. Da wird es nicht so festlich sein.

“Dafür wird, denke ich mir, das Beisammensein umso schöner.” Hilde soll sich schön warmhalten! - Das Geburtstagsgeschenk von Hilde ist schon angekommen. Er wartet aber mit dem Auspacken bis zum Geburtstag (22. 12. 1907). – Sein Weihnachtsgeschenk ist ja das Herrenzimmer, was er nicht sehen kann. Erst wenn er Urlaub hat, bekommt er es zu sehen. - Hilde schrieb ihm, dass Herr L. die Insel (Kreta) wieder verlassen hat. – Vorgestern kam ein Fräulein, das hier früher gearbeitet hat aus Konstanca. Sie erhielt ein Telegramm mit der Nachricht, dass ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hätte. Keines ihrer 5 Kinder ist noch am Orte. Sie sind in alle Richtungen dienstverpflichtet worden. Wie kann sie denn nun nach Hause kommen? Der Vater ist mit seinem Schiff in Norwegen und die Mutter ganz allein! – Im Gebäude gegenüber ist eine rumänische Kommandostelle. Dort stehen immer Leute an, die wissen wollen, wo ihre Soldaten geblieben sind. Die Rumänen stellen selber mit den Italienern und den Finnen, die meisten Truppen im Kampf gegen Russland. – Roland schreibt, dass sie ihrem Schicksal dankbar sein müssen. – Roland würde, wenn er zu Hause wäre, sicher etliches wegstreichen aus dem Weihnachtsprogramm von Hilde. Er will jeden Adventsfeierabend genießen. Nur der Weihnachtsmann darf umgehen. – Nun träumt R. wieder vom Frieden und von Weihnachten im eigenen Heim und mit eigenen Kindern. Und immer mit Hilde zusammen.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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