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[OBF-421212-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 12. Dezember 1942

Herzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde], Du!!!

Wieder einmal am anderen Ende, am anderen Ufer der Woche. Wie mannigfach hat man diesen Rythmus [sic] der Woche nun schon miterlebt. Als Kind in der Vorschulzeit: mit den Eltern und von den Eltern her spürten wir etwas von dem Aufatmen und Aufblicken vom Werken der Woche. Als Schulkinder dann. Jeder Wochentag erhielt vom Stundenplan her ein besonderes Gesicht, und am Sonnabend war Chorsingen, darauf freute ich mich am allermeisten. Das hätte es meinethalben jeden Tag geben können, wie an der Kreuzschule oder der Thomasschule. Ob ich mich auf den Sonntag auch freute? – gewiß – ich weiß es nicht mehr.

Und dann als Schüler, zum ersten Male aus der Obhut des Elternhauses! Da habe ich die Stunden gezählt und die Tage abgestrichen bis zum nächsten Sonnabend, bis zu den nächsten Ferien, den Möglichkeiten des Heimkehrens. Oh ja – ich weiß es noch wie heute: ich habe wohl keine Gelegenheit ausgelassen, heimzufahren – Sonnabend mit dem ersten Zuge fort – und Montagmorgen mit dem letztmöglichen zurück (die Schularbeit nahm ich mit) – und so blieb es bis zur Großpostwitzer Zeit. Wenn der Sonnabend kam, dann hielt mich nichts, dann konnte mich nichts davon weglocken, heimzufahren. Und ich frage, was mich denn heimzog, so mit aller Macht: oh Herzlieb, es war wohl die Geborgenheit des Elternhauses – zur Heimat zog es mich, zum Verband der Familie, zu diesem Ring, in dem alle Kräfte, alle Strebungen und Arme der Liebe gebunden sind, in dem man sich beheimatet und am Platze fühlt. So floh ich das unnatürliche, das harte, lieblose Dasein in der Fremde, die sich deckte mit meiner Arbeitswelt, floh die Fremde, die mir allein doch erträglich wurde durch die Arbeit.

Ach Herzelein! Geliebte! Was leben wir in einer harten, liebelosen Welt, in einer widernatürlichen Ordnung! Mit 10 Jahren und früher noch reißt man die Kinder aus den Elternhäusern – jawohl, man reißt und stößt sie hinaus – das habe ich an mir so deutlich erlebt – Und von diesem Alter an steht dann der Mensch außerhalb der natürlichen, lebensvollen und kräftespendenden Zelle der Familie. Ach, wenn ich denke, wieviel froher, wie viel kraftvoller man hätte schaffen können, wenn nach der Arbeit das Elternhaus einen aufgenommen hätte, wenn diese Unrast, das Sehnen und Verlangen nach einer Heimat nicht soviel Kräfte hinweggezehrt hätte! Wie habe ich neidvoll manchmal auf den Herbergsvater unseres Gesangsvereines gesehen, der mit seinen beiden Söhnen den Betrieb unterhielt, eine Weberei – immer daheim, in glücklicher Eintracht mit sich selbst, in einer richtigen Lebensordnung.

Oh Geliebte! Ich weiß, warum ich nicht so froh sein kann wie Du manchmal; weil ich an der Fremde leide, schon lange, so lange schon leide an der Fremde, der widernatürlichen der kalten, liebelosen Fremde, leide an der Sehnsucht nach einer natürlichen Lebensordnung. Und ich leide mehr darunter als viel andere. Kein Vergnügen, keine Freundschaft – nichts hat dieses Sehnen in mir stillen oder ertöten oder vergessen machen können, nichts den Schmerz betäuben. Oh Herzelein! Es ist nicht der Hang nach einer Bequemlichkeit, nach lieben Gewohnheiten – es ist das Verlangen nach einem gesunden, natürlichen Leben in einer Ordnung, die das Herz sich nicht verkrampfen läßt, die Herzensregungen nicht hemmt und abschnürt – und so verläuft mein Leben doch nun seitdem: – verkrampft das Herze so oft, gehemmt die Regungen des Herzens, unnatürliche Spannungen und Stauungen überall. Oh, mehr oder minder ist mir das auch immer bewußt gewesen – und nichts vermag die Armut solchen Lebens in der Fremde wettzumachen.

Ach Geliebte – ein Blick, ein Wort eines geliebten, verwandten Menschen – das Mitleben der Eltern und Geschwister, sie entbinden allein schon manches Anliegen des Herzens, sie sehen manche Spannung und gleichen aus und söhnen aus mit uns selbst.

Ach Herzelein! Geliebte mein! Du wirst nun mit Deinem liebenden Herzen fragen, was denn diese Gedanken und Gefühle in mir auslöst – und wirst weiter fragen, liebevoll und drängend: ob Du mir denn gar nicht helfen kannst? Wirst es fragen voll Sorge und Mitgefühl.

Ach Geliebte! Du! Mein liebes Weib: Sei ohne Sorge! Ich trage es. Und ich trage doch nun viel leichter daran, viel, viel leichter, weil ich Dich habe! weil ich Dich h[a]be! Und mit Dir eine Heimat! Und mit Dir eine Hoffnung auf das Ende dieses Lebens in der Fremde, dieses Lebens außerhalb der Ordnung. Oh Du! Meine [Hilde]! Herzlieb mein! Daß Du mit Deiner unendlichen Liebe in mein Leben getreten bist! Daß so sich mir eine Herze aufschloß, Heimat zu sein – daß so sich mein Hoffen erfüllte. Heimat suche ich bei Dir – Heimat für das Herze – oh Geliebte! Und ich habe sie gefunden! Und ich weiß, daß ich mit Dir ein Leben beginnen kann, wie ich es ersehne – oh Geliebte – ein Leben ohne zehrendes Sehnen, endlich, ein Leben aus der Geborgenheit der Herzenstraute mit Dir. Oh Herzelein! Kann mit Dir dann erst mein Leben gestalten nach meinem Willen. Oh Du! Du!!! Traumhaft schön und fern scheint es mir manchmal wieder, weil ich so lange von Dir getrennt sein muß – aber ich glaube an dieses Leben und bitte Gott täglich darum – um das Leben mit Dir! Herzlieb – dann werde ich auch immer ganz froh sein und im Frieden mit mir selbst – durch Dich!

In Deinem lieben Boten vom Dienstag kommst Du so froh und glücklich zu mir – ach Geliebte! – kommst so glücklich zu mir – mein glückliches Weib, meines Lebens Sonnenschein – sei Gott mit Dir immer auf allen Wegen – erhalte er Dich bei so glücklichem, sonnigem Herzen! – und willst mich ganz froh mit machen – mich ganz froh mit wissen – Herzensschätzelein – wenn ich Dein denke, Deiner Liebe, oh Du!, dann bin ich es doch! Oh, Du, Du ganz allein kannst mich so froh machen!

Du bist meines ganzen Lebens Freude und Sonnenschein! Wo im Herzen das Beste ist, das Tiefeste, das am meisten und tiefsten mich bewegt: Dort, am Quell des Lebens selbst, der Lust und Freude am Leben, dem Sehnen nach Halt und Liebe – dort bist Du, Geliebte, dort bist Du nun – der Platz, das Kämmerle steht nimmer leer, oh Du!, steht nimmer leer – Du bist darin! und füllst es ganz! Und darum ist in mir so große Freude, soviel Frohsein – ach ja, Geliebte! ein ganz tiefes Frohsein. Ich bin nicht mehr allein! Du bist mit mir! Bist die Meine! Oh Geliebte, Du! Bist so ganz die Meine – wie halt ich Dich sooo glücklich und fest umfangen – Dich, mein Liebstes, meinen besten Schatz! Soo glücklich und fest umfangen! Und weiß mich geborgen in Deiner Liebe – tief geborgen.

Oh Herzelein! Du verstehst mich. Ich klage nicht. Ich ringe mich nur immer wieder durch zum rechten Frohsein – ich muß Dir nur immer wieder einmal mein Herze ausschütten, dann wird mir leichter.

Ach Du! Sollst Dich auch nicht sorgen, daß Dein Mannerli Dir nicht recht froh sein könnte – die Fremde, die Trennung dämpft es mir immer wieder und Deine Liebe zerreißt die Nebel immer wieder. Daß ich in Deiner Liebe gehe – daß Du mich darin hältst, sooo fest, das ist all mein Glück, mein Sonnenschein.

Geliebte! Mit dem Dienstagboten ist auch Dein lieber Geburtstagsbote gekommen – ein ganz dicker. So lieb pünkt[lich] ist der Geburtstagsmann – und soviel Liebheimliches hast Du nun wieder für mich – ach Du! Nun zähle ich doch die Tage bis zum Geburtstagsmann, daß ich Dich vorlassen kann – ganz allein werde ich sein! und nacht [sic] wird sein! Und ich werde wachbleiben – und werde zu Dir kommen – Dich, mein Liebstes zu umfangen – ach Du! ist doch nun auch Dein Fest mit! Magst Du es mit mir feiern? Feiern – Geliebte! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Im Frieden dann! Oh, lasse ihn Gott nicht mehr zu fern sein!

Bleib in Gottes Hut froh und gesund!

Ich hab Dich so lieb – sooooooooooooo lieb!

Mein Alles, Du! Mein Leben!

Ewig Dein [Roland].

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Kommentare

Schon wieder endet eine Woche und Roland erinnert sich an seine Schulzeit und wie er im Internat als Oberschüler als erster nach Hause fuhr und erst Montag früh zurückkam. Die Schularbeiten nahm er mit nach Hause. Mit 10 Jahren wurde er herausgerissen aus der Geborgenheit der Familie, um aufs Gymnasium zu gehen. Er hat darunter sehr gelitten. Das Chorsingen war das Einzige, was ihm Spaß gemacht hat. Als Roland Lehrer war, hat sich das so fortgesetzt, dass er immer wieder versetzt wurde und in der Fremde sein musste. Das Einzige was ihn freute, war seine Arbeit. Und jetzt leidet er auch wieder an der Fremde. Immer wünscht er sich eine gesunde, natürliche Ordnung. Roland stellt fest, dass er deshalb nicht so fröhlich sein kann wie Hilde, die ja noch in der Geborgenheit bei den Eltern wohnt. Er möchte leben in einer Ordnung, die nicht das Herz abschnürt und die Herzensregungen verkrampfen lässt. Da er aber nun Hilde gefunden hat, lässt sich dieses leichter tragen: das Leben in der Fremde. Roland schreibt, wie sicher er sich ist, die richtige Frau gefunden zu haben. Ihre Briefe und Geburtstagswünsche machen ihn froh. Er hofft, dass sie bald im Frieden sein werden und dann ihre Geburtstage zusammenfeiern werden.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946