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[OBF-421211-001-02]
Briefkorpus

Freitag, den 11. Dezember 1942

Herzlieb! Geliebte! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Ob Du denn auch schon weißt, wie ich meinen Sonntag verlebte? Dein lieber Sonntagbote ist doch schon bei mir, in dem Du mir alles so lieb aufzeichnest – in dem Du so lieb mit mir plauderst – in dem Du mich so lieb hast. Oh Herzensschätzelein! Du bereitest mir soviel Freude. Heute komme ich doch erst spät zu Dir. Heinrich hatte 2 Kinokarten und 'verleitete' mich zum Mitgehen. Dreimal in der Woche zumeist, Dienstag, Mittwoch und Freitag ist Gelegenheit zu einem freien Kinobesuch. Im Reichsdeutschenheim kann man täglich um geringes Geld einen Film sehen. Ach Herzelein! Dieses Überangebot hat für mich wenig Verlockendes. Die guten Filme will ich nicht verpassen, aber die anderen lasse ich mir auch nicht schenken, meine Augen sind mir noch zu schade dazu. "Großreinemachen" - ein Unterhaltungsfilm mit Situationskomik und Verwechslungen, lohnt sich nicht, ihn zu erzählen – genügt mir wieder für lange — viel lieber wäre ich bei Dir gesessen. Aber ein Stündchen find ich Dich schon noch munter – gelt? Im Badestübl? Freitag ist doch heute. Könntest Dir gleich das Mannerli noch vornehmen.

Nun will ich mir nur gleich erst Deinen lieben langen Boten vornehmen, Du! Am Sonntag habt Ihr beiden Mütterlein also wieder einmal Menschen – nachgemacht. Ihr habt Euren Spaß dran, es kann nicht anders sein, sonst würdet Ihr nicht einfach eine übermachen. Als das Mannerli in Urlaub war, sollte ja auch solch Balg gestopft werden. Eine also für den Nikolaus. So hat ein Vorfahre von uns tätsächlich [sic] auch schon geheißen – Nikolaus, das klingt schon. Nikolaus ist nur etwas breitspurig als Vorname mit seinen 3 Silben. Aber die Verkürzung ist doch einsilbig und gefällig: Klaus. Ja, nun steht dieses kleine Menschenkind auch im Fluß der Zeit – das Leben muß rinnen – und am Anfang und Ende wird es recht bewußt, wie schnell es rinnt.

Ich saß heute mit einem Kameraden zu Tische, der nach dem fernen Osten, Ziel Kaspisches Meer, abkommandiert ist. Er wird 22 Jahre alt sein. Ist nun schon längere Zeit in B. Er hat hier ein Mädchen kennen gelernt, Volksdeutsche, das er nun heiraten will. “Ja, man hat ja nicht Gelegenheit, ein Mädchen sonst kennen zu lernen. In den 3 Wochen Urlaub: zu kurz die Zeit." Wir denken dabei an Siegfried, der nun schon das fünfte Jahr dabei ist und an all die jungen Menschen seines Alters, Burschen und neuerdings auch Mädel, denen gerade mit diesem Kriege die Jahre entschwinden, in denen Menschen sich zusammenfinden. Das ist eine betrübliche Erscheinung. So laufen nun viele zusammen, die sich nur flüchtig kennen lernten, aus den verschiedensten Winden – dieser Krieg begünstigt die Lockerung aller Bande und Ordnungen und treibt die Entwurzelung und Heimatlosigkeit unsres Volkes mächtig vorwärts. Ach Herzensschätzelein! Geliebte! Welch unermeßliches Glück, welch gnädige Fügung, daß wir uns fanden, bevor dieser große Weltenbrand zum Ausbruch kam!

Dein Sonntag war durch den doppelten Bruch ganz zerteilt. Recht, daß Ihr die Klöße habt verdauen lassen – das Mannerli ist währenddem spazieren gegangen. Nun seid Ihr auch daran gegangen, hinüberzuräumen in die neuen Schreine. Wie werden die sich umschauen nach dem, was ihnen da einverleibt wird. Ja, die werden sich noch mehr umschauen, wenn eines Tages dieses geruhsame Leben für sie zu Ende geht. Ja Schätzelein, wenn Du hättest nach Kamenz ziehen wollen jetzt, hätten doch die Eltern gar kein Stübel mehr gehabt. Das jetzige soll doch das unsere sein. Und die lieben Eltern sollen es dann auch noch schön haben – doch für uns mit, wenn wir zu Besuch kommen.

Da denke ich an den anderen Punkt unsres Meinungsaustausches. Ich billige Deinen Plan, nach dem Du den lieben Eltern bei passenden Gelegenheiten (nichte [sic] zu selten) unauffällig unter die Arme greifst – und was wir ihnen sonst noch zudachten, wollen wir aufsparen, daß wir ihnen beim Auszug dereinst ein schönes Geschenk machen können, vielleicht ihnen ein neues Stübel kaufen. Dazu scheint es mir gut, wenn wir das Geld dazu jetzt gleich monatlich von dem unseren abzweigen und auf ein besonderes Sparbuch eintragen lassen – denn sonst wird es nicht. Ich denke an 40 ℛℳ monatlich, die ich von Sch. in Zukunft mehr überweisen lasse. Du müßtest dann ein neues Sparkonto eröffnen lassen – auf irgend einen Namen, am besten Deinen. Bitte schreib mir, wie Du zu diesem Vorschlag denkst.

Ein Bote ohne Kopf ist losgelaufen – ja, ich habe es nun gemerkt, wenn auch erst einige Tage später. Kann mir denken, daß Du ein wenig erschrocken bist, zumal bei dem Gedanken, daß der Kopf in eine falsche Richtung gekullert sein könnte. Es war doch so, daß ich den Brief in der Dienststelle begann und dann vergaß, den Kopf aufzusetzen. „Hättest Du mich eines Tages nicht mehr lieb – – –”

Herzelein, Geliebte!!! – eines Tages – Du! Du!!! Du! wenn ich Dich nicht mehr liebhaben wollte, brauchte ich dazu doppelt soviel Tage als wie dazu, daß ich Dich liebte bisher – ach Du! Du! Du!!! – eines Tages – daß der Quell meiner Liebe sollte aufhören zu springen - daß die Sonne Deiner Liebe sollte aufhören zu scheinen - daß der Thron im Herzen verwaisen sollte – daß alles strahlende Herzensglück sich sollte in Dunkel verkehren – daß jeder Herzschlag nicht mehr der Schlag meiner Liebe zu Dir sein sollte – da müßtest Du mich verlassen haben – da müßtest Du mir bitterweh getan haben – und noch dann müßte mein Herze in Liebe schlagen und sich verbluten. Oh Du! Du! Du!!! Mein Herzlieb! Mein liebes teures Weib! Mein Herzblut! Mein Leben Du! Du weißt es: bist in meinem Herzblut, in meinem ganzen Lebensmut und Lebenswillen und Lebensplan – bist mit mir verwachsen, unlösbar, unzertrennlich – wir sind einander Schicksal geworden und müssen miteinander leben in Freud und Leid und müssen einander liebhaben – auch dort, wo die Liebe Schmerzen bringt.

Oh Herzelein! Ich bin doch Dein Herzensmannerli, Dein Herzensbub – ich bin so ganz Dein! Du hast mich doch so weit, so ganz eingelassen in Dein Herze, hast ganz Dich mir zu Eigen gegeben – und bist nun mein Liebstes, mein Allerliebstes – Du, mein Herzallerliebstes!!! Oh Herzensschätzelein – wenn ich das hergeben müßte, was mein Eigen ist – dann wärst Du das letzte, das ich hergeben würde – äußeren Besitz, und Stellung, und inneres Vermögen, sie gelten alle weniger als das Geschenk Deiner Liebe – daß Du mich liebst – daß Du mich liebst!!! Oh Du! Du!!! Du!!!!! Oh Geliebte, Du allein weißt es, wie die Liebe in mein Leben getreten ist als eine Befreiung, eine Erlösung, eine Erfüllung, wie ihr alles bereitet war – und wie sie nun mir alles bedeutet!

Meine [Hilde], Du! Mein liebes Weib!

Oh Geliebte, das bekenne ich Dir nicht etwa kniefällig, oder Dich irgend wie zu beschwören – Du! Du!!! Wenn ich so mich Dir in Liebe neige – dann doch, weil ich mich so geliebt weiß und fühle von Dir! Oh Herzelein! Weil unsre Herzen sich so ganz in Liebe zuneigen müssen, so ganz, so tief! Du! Du!!!

Herzlieb! So groß und tief ist unsre Liebe – und doch so innig zugleich, daß schon ein Wort uns Unruhe machen kann - ach Herzelein! Ein Harmonieren in allen Herztönen, daß auch ein unreiner Ton von uns bemerkt würde – und gleich beseitigt – ja? Du! Du!!! Du!!!!

Ach Herzelein! Wenn Du mich einmal kränktest sehr – ich müßte in meiner Ehrlichkeit und im Ringen um das seelische Gleichgewicht vielleicht einen oder zwei Tage aussetzen mit dem Schreiben – aber dann müßte ich wieder zu Dir kommen und müßte Dir sagen, wie mir ums Herze ist. Aber Du wirst mich nimmermehr kränken – Du wirst mich nur liebhaben! liebhaben!

Herzelein! Dein Geburtstagsmann ist doch gekommen – so pünktlich – und ganz unversehrt, äußerlich – hab doch noch nicht reingeschaut – Du! – Ach Herzelein! Ich hab es sooo froh empfangen und werde es jetzt nach Haus [sic] tragen – ich weiß, daß etwas Liebes, etwas ganz Liebes drin ist – oh Du! Du!!! Etwas, daß das Mann[er]li an das Liebste gemahnt – und das bist Du doch selber – Herzelein! Du, mein Liebstes. Oh Schätzelein! Jetzt will ichs [sic] doch fein folgsam zulassen – aber dann, nach Mitternacht, dann muß ich’s aufmachen – Du, die Bänder lösen und die Hüllen – und vordringen zu dem Liebsten, das Du mir schenken willst. Oh Herzelein! Welch Wogen der Liebe! Welch glückliches Schenken der Liebe von mir zu Dir, von Dir zu mir!

Ich liebe, liebe Dich! Gott behüte Dich mir!

Ich küsse Dich herzinnig! Ich bin ewig Dein! Dein [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946