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[OBF-421207-001-01]
Briefkorpus

Am 2. Advent, den 6. Dezember 1942

Meine liebe [Hilde]! Geliebtes, teures Herz!

In der zehnten Stunde ist es, da ich zur Feder greife.

Ach, mit meinen Gedanken war ich schon all die freien Stunden daheim und bei Dir zuallermeist. Mein Sonntag verlief ganz einfach. Nach dem Mittagessen bin ich noch einmal zur Dienststelle gegangen und habe ein Stündchen aufgearbeitet, damit ich morgen nicht zu sehr ins Gedränge komme. Grau war der Tag, eine rauhe Luft ging, sodaß ich zum Schal griff. Die Bäume sind bereift. Ins Freie zu gehen war auch kein bißchen verlockend. So bin ich in die Stadt gebummelt und mußte daran denken, welche Freude es uns bedeutete, durch die Stadt zu gehen um die Weihnachtszeit, durch das frohgeschäftige Treiben, durch das frohe Gedränge – und die Herrlichkeiten in den Schaufenstern zu bestaunen. Nichts von Vorweihnacht in dieser Stadt.

Das Weihnachtsfest ist doch so recht ein deutsches Fest. Nur in den Blumenläden, die ich immer wieder bewundere, hingen auch Adventskränze zum Verkauf – 3000 Lei ein Kranz – 50 ℛℳ. Ja, stimmt denn das? Jawohl, 3 000 Lei! Auf dem Boulevard im Zentrum drängte sich eine Menschenmenge – ist der Bummel, oder Strich, oder Korso und wie die Ausdrücke sonst noch dafür sind. Vor den Kinos staute sich das Volk. Ich hatte nicht die mindeste Lust, da mitzuwandeln, auch zum Kino keine Lust. So bin ich schnurstracks und spornstreichs wieder heimwärts gesteuert.

Es war noch kälter geworden, und ich mußte schnell gehen, wenn ich meine Füße warmbehalten wollte. Als ich am Tore anlangte, kam gerade der Postbüttel von dem Feldpostamt gefahren – ohne Post – der Zug war wieder zu spät eingelaufen. Daheim habe ich erst einmal Dämmerstündchen gehalten, mich langestreckt. Vom Nachbarzimmer bekam ich kostenlos und an unaufgefordert Radiomusik – Feldpost hieß die Sendung. Viel sentimentaler Quatsch dazwischen, den die Männer ganz vorn als Hohn und Betrübnis empfinden müssen. Und keine weihnachtliche Weise.

Ja, und nun sitze ich wieder bei Dir! Ach Herzelein! Wie viel lieber würde ich wieder einmal bei Dir selber sein als nun mir wieder nur mit der Feder zu helfen. Bei Dir sitzen – ach Herzelein, Deine lieben Hände in den meinen halten, ganz lieb und fest – ach Geliebte! Das ganze liebe Herzblümelein ins Auge fassen, Dein liebes Bild, – welches Kleidel wirst denn anhaben heute? Ach Geliebte! Wieder einmal an Deiner Seite s[ei]n, wo mein Platz sein sollte. Aber es kann nicht sein – es kann nicht sein – und warum denn nicht? Weil da ein Muß steht – eine unüberwindliche Mauer – das Schicksal. Und gegen das Schicksal sich auflehnen? – Dann kommen wir lebend nimmer zueinander – nur mit dem Schicksal, das Gottes ist, kommen wir wieder zueinander.

Ach Herzlieb! Heute schreibe ich nicht mehr. Neben mir liegen die Bilder, die mir soviel bedeuten, die mir sagen von glücklicheren Tagen – in ihnen will ich noch ein wenig lesen und dann mich schlafen legen. Oh Du! Geliebte! Mein Sehnen Du! Mein Alles! Wenn ich Dich nicht hätte, wäre nur das Dunkel dieses Schicksals um mich! Aber nun ist ein Ausblick, ist eine Hoffnung und ist Glaube!

Oh Geliebte! Bleib mir! Halt mich fest!

Gut Nacht! Ich habe Dich so lieb, sooo lieb!

Dein [Roland]!

Herzelein! Nun ist Montagmittagstunde, da ich Dir fertig schreibe. Ich bin bald ins Bettlein gegangen gestern. Es war ein wenig trübe um mich.

Unterdessen ist der Postbote gekommen am Vormittag und hat mir Deinen lieben Dienstagboten gebracht. Ich danke Dir von ganzem Herzen. Ach Herzelein! Es ist mir die Hand, die liebende, die sich mir entgegenstreckt, die mich hält bei diesem Leben und die mich hinüberziehen will ins Leben, in die Zukunft, ins Land unsrer Liebe. Ach Du! Mein Liebstes! Mein Alles! Mein Leben, Du!!!

Der Bote kommt mitten aus Deinem geschäftigen Alltag. Du vergißt mich. nicht!!! Mußt mir erst schnell mal Deine Freude teilen über den Nikolaus Mathis, so wie ich gestern. Die Vornamen hat man mir nicht geschrieben. Heute kommt auch schon Vaters Meldung – das ist ein Nachrichtendienst, dreimal dasselbe, so wird es wohl wahr sein. Mußt auf meine Boten warten – ach Du, ich weiß doch, wie das tut.

Schätzelein! Hab schon aus der Parteiheimatzeitung von den Lazarettbesuchen gehört. Du hast wahrhaftig keine Zeit mehr übrig, Du müßtest sie Deinem Mannerli oder Deiner Nervenkraft abknapsen – ich bitte Dich, bleib standhaft in Deiner Ablehnung. Mögen solche gehen, die noch Zeit übrig haben, so wie Frau L. und Frau H.. Eine Frage der Zeit ist das freilich nicht nur – und für Frau L. ist das gewiß nicht die rechte Aufgabe.

Herr B. Ich schrieb Dir schon, daß ich mich geärgert habe über diese Oberschlafmütze, und nun will er uns auch noch übers Ohr hauen. Du hast unsre Sache schon recht vertreten. Bist ein lieber, tapferer Rechtsanwalt – Anwalt für unser Recht, für das Deines Mannerli mit. Ach Herzelein! Ich weiß es doch – aus lauter Liebe – wie ich es auch nicht anders kann! Du! Du!!! Du!!!!! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!!!!!

Unsre Filme! Schade – schade! Hast denn noch einmal in meinen Zivilsachen nachgesehen? Die können wir nicht verloren haben. Ich freute mich so auf die Aufnahmen des Niederfrohnaer Kirchls. Sie werden schon noch zum Vorschein kommen.

Und das Gänsl will nicht kommen – will auch mit der Post nicht kommen, sondern mit der Bahn, Expreßgut. Ich denke schon, daß es kommt, aber wie! Na, dann war es eben ein Versuch.

Herzelein! Die Zeit drängt. Heute komme ich doch noch einmal lieber und länger zu Dir! Oh Du weißt, daß ich nimmer von Dir gehen wollte – daß ich mich so sehnen muß nach Deiner Nähe – daß ich Deine Liebe, Dein treues liebes Herz, meine Heimat suchen muß – immer, immer, solange ich lebe! Gott behüte Dich! Herzelein! Geliebte! Herzblümelein!

Du! Herzenskönigin – Du! Du! Du!!! Ich küsse Dich. Ich habe Dich sooo lieb! Du, Mein Alles! Meine [Hilde]!

Ewig

Dein [Roland]

Ich sehne mich nach Dir! Du!!!

Herzelein! Du! Ich liebe Dich!!!

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Roland hat nach Feierabend noch eine Stunde vorgearbeitet, damit sich die Arbeit am nächsten Tag nicht so drängt. Da es neblig und frostig ist, lief Roland lieber in der Stadt herum, als im Wald oder Park. Die Straßen sind ohne weihnachtlichen Schmuck. Nur in den Blumengeschäften sieht man Adventskränze. Diese kann man kaufen für 3000 Lei; das entspricht 50 RM. – Der Postbüttel kam gerade vom Bahnhof, aber er hatte keinen Brief von Hilde dabei, weil der Zug zu spät eingefahren war. So holt er die Fotos vom letzten Urlaub in der Heimat hervor und stellt fest, dass das glücklichere Tage waren als jetzt. Er ist betrübt u. geht müde zu Bett, ohne den Brief zu beenden. - Am nächsten Tag schreibt er fertig, nachdem die Vormittagspost einen Brief von Hilde brachte. In Hildes Brief erfährt er, dass das Baby von Elfriede und Hellmuth “ Matthis” heißen soll. – In der Parteiheimatzeitung hat er schon gelesen, von den Lazarettbesuchen, die auch Hilde machen muss. – Das Gänzl, gemeint ist die Gans ist noch nicht angekommen, obgleich Roland sie per Bahn und Express geschickt hat. – Er hat Sehnsucht nach seinem Herzblümelein und einzigen Weibe.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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