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[OBF-421128-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 28. November 1942

Herzensschätzelein! Du! Herzallerliebste mein!

Umsonst habe ich gewartet heute, es ist kein Bote zu mir gekommen. Am Montag wirst Du wenig Zeit erübrigt haben – aber am Sonntag hast Du mein doch gewiß gedacht – wer weiß, woran es wieder mal liegt.

Ja, nun muß ich heute allein wachen – ach Herzelein – nicht allein, immermehr allein —

so muß ich heute rufen, ohne Antwort zu haben –

ach Herzelein, Antwort, jubelnde Antwort geben uns doch alle Boten vorher, gibt mir mein Herze selbst –

oh Geliebte, verhüte es Gott, daß sie einmal ausbliebe. Sonnabend ist wieder. Ein wenig bereitet man sich doch auf diesen Tag und den Sonntag darauf. Und was sonst sich spannt für den Dienst, das spannt aus schon in der Voraussicht freier Stunden. Und dieses Ausspannen hier bei den Soldaten ruft das Bewußtsein der Leere doppelt hervor, einer Lücke, einer Hohle. Die Arbeit vermag vergessen machen – aber die Ruhe ruft alle Erinnerung herauf. Und darum freue ich mich und warte ich auf den Boten an diesen Tagen doppelt.

In der U.v.D.- Stube sitze ich wieder einmal. Besser heute als morgen. Und günstig ist es am Sonnabend insofern, als man bis Sonntag in der Frühe bis 7 Uhr schlafen kann auch als U.v.D. Aber nun will ich ein paar Sonnabende und Sonntage (sind) nicht wieder dran sein. Herzelein! Was wirst Du eben anstellen? Ach, das Herze auch möchte einmal ausschwingen, möchte einmal zur Ruhe kommen und Feiertag halten – möchte einmal wieder ganz stille werden – und das kann es doch nur daheim, bei Dir! bei Dir!!! Oh Geliebte! Die glückhafte, tiefe Stille – das glückliche tiefe Ruhen und Atmen – oh Du! dazu muß ich Dich an meiner Seite fühlen, muß Deinen Atem hören und Deinen Herzschlag spüren. Oh Geliebte! Zu Zweien lauschen in das Weben und Singen der Welt, in das Rinnen der Zeit – ganz ohne Hast, ohne Angst – ganz stille lauschen! Wie töricht ist die Menschheit, daß sie sich um das Beste selbst betrügt – wie töricht sind wir in unserem Einzelleben, daß wir so wenig in die Stille lauschen, daß wir unser Leben so überwuchern lassen von kleinem Kram und kleinlicher, nichtiger Hast. Es sind nur ganz wenig Dinge, um die es sich zu hasten und zu eifern lohnt, die unsern Eifers wert sind, ganz wenig nur. Dieser Krieg läßt es wieder einmal ganz deutlich werden. Und er erschwert uns doch widerum die einfachsten, alltaglichen Bedürfnisse. Ich begann heute am Nachmittag mit der Beantwortung Herrn K.s Brief. „Die Vernunft hat für lange Zeit wieder einmal ausgeredet und ausgespielt. Das muß jeden denkenden Menschen mit tiefstem Leid erfüllen, das ist eine Niederlage allen geistigen Lebens, dem doch in bescheidenstem Maße. auch unsre Berufsarbeit galt, und dem wir uns doch auch persönlich verschrieben haben. Wie es hätte anders sein können, so dürfen wir, so dürfen Sie, lieber Herr K., insbesondere gar nicht denken; die Enttäuschung ist zu grausam." Ja, möchte auch ein Land aus diesem Kriege für sich materiellen Gewinn ziehen – die Welt, die Menschen werden ärmer in solchem Krieg: zerrüttet viele Menschenleben, zerstört und erschüttert soviel Gutglauben, niedergerissen so manche Schranke guter Sitte und Bildung, und mit dem Todeshaß der Vernichtung gewinnt das Tier im Menschen die Oberhand, der Egoismus erhält mächtigen Auftrieb. Und zurückgeworfen wird alles Werk der Bildung an den Menschen um Jahrzehnte.

Schätzelein, Herzelein! Die Uhr geht nun auf Mitternacht. Bald werd auch ich zur Ruhe gehen können. Dem Adventstag entgegenschlafen. Will mein Herze bereiten, daß es von dem Licht der Weihnacht etwas aufnehme. Von der Botschaft der Liebe Gottes, – ach daß es die lebendige Liebe Gottes auch in meinem, in unserem Leben recht dankbar erkenne allzeit! Ich habe so viel Liebe erfahren, so viel Liebe und Güte! Und Deine Liebe war zu einem guten Teil der Mittler. Oh Geliebte! Uns wurde gerade zur rechten Zeit das Licht der Liebe angesteckt, daß wir nicht im Dunkel dieser Zeit tappen und tasten müssen, sondern getrost und frohen Mutes und der Gewißheit des Glaubens unsre Straße ziehen können. Herzelein! Ich denke an das verklärende Aufglänzen der Sonne, als wir bei Tische saßen zu unsrer Verlobung. Ach, was bereitet ein solcher Tag, wenn zwei sich doch nicht von Herzen zugetan sind, wenn es nicht Gipfel und Krönung ist eines steten Anstieges, und wenn er nicht Ausgangspunkt ist einer Gipfelwanderung. Aber wenn er es ist, dann ist er doch eine unverlierbare Erinnerung, ein Siegel, ein rechtes Gelöbnis aus erprobtem Herzen! Oh Geliebte! Meine [Hilde]! Treue Liebe ohne Wanken – treue Liebe aus ganzem tiefem Herzen müssen wir einan der bringen! Eine trutzige Feste – eine ragende Burg soll unsre Liebe sein! Alles Gute, allen guten Glauben, alles gute Streben, ach alles Wollen, dieses Leben zu erhöhen und zu krönen, tragen wir zu ihrem Bau zusammen. Und es ist ein so frohes Bauen, ein so liebes Wetteifern – oh Geliebte, ist Erfüllung, reiche Erfüllung des Lebens. Nimmer, nie und nimmer könnten wir davon lassen, was in unserem Herzen lebt als Sinn und Erfüllung dieses Lebens!

Gott schenke zu unserem Wollen sein gütig Vollbringen! Er behüte Dich mir! Bleibe froh und gesund! Werd mir recht bald wieder ganz gesund!

Ach Geliebte! Du! Du!!! Wie sehn ich mich nach Dir! Nach dem Ausruhen an Deinem Herzen!!!

Komm bald wieder zu mir! Mein Alles, Du! Du!!!

Ich hab Dich doch so lieb – ich kann doch nicht mehr sein ohne Deine Liebe!

Ewig

Dein [Roland]!

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Der Brief kann wie folgt zusammengefasst werden: Roland wartet auf einen Brief von Hilde und wartet zudem auf seine freien Stunden; wenn Roland am Sonntag keinen Dienst hat, kann er bis 7 Uhr schlafen; Roland zitiert aus einem Brief eines Bekannten; Roland erinnert sich an seinen Verlobungstag.

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946