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[OBF-421127-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 27. November 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]!

Es ist kein Brieflein heute gekommen. Ich hatte auf das vom Sonntag gehofft heute – es wird morgen kommen. Von den Eltern kam gestern schon wieder ein Gruß. Sie haben Nachricht, daß Siegfried nahe der südfranzösischen Küste in Perpignan ist. Er hat es nicht geschrieben, sondern ein Kamerad hat den Brief mitgebracht, wenn ich nicht irre, Freund Tommy, der jetzt in Urlaub ist. Gestern kam auch schon Mutters Stollen! Ein vorzeitiger Weihnachtsmann – was soll ich nun machen? noch einmal nach Hause und wieder zurücklaufen lassen? Ich muß mir schon die Genehmigung vom Weihnachtsmann einholen, das Paket vorzeitig zu öffnen – es wäre zu schade um den wertvollen Inhalt. Denk – in einem Monat ist das liebe Weihnachtsfest wieder schon vorbei – vorbei – ach, alles vorbei immer! alles auch, von dem man wünscht, daß es recht lange bliebe.

Gestern sprach ich telefonisch mit Sofia und fragte bei dieses Gelegenheit nach Kamerad K. Der ist doch wieder nicht beim Lehrgang gewesen! Hat sich doch irgendwie wieder freigemacht – der Angsthase. An Kamerad H. habe ich heute geschrieben – ich bin gespannt auf seine Antwort. Ach, wenn ich mir das so vorstelle – dieser sitzt an jenem Ende, jener an diesem Zipfel – und das Mannerli nun hier – seinem Weiberl am nächsten von den Dreien!

Verfolgst auch die Politik mit? Es flammt an mancherlei Enden – die Flammen des Widerstandes, genährt von unerbittlichem Haßwillen und Wehrwillen. Die Russen haben wieder angegriffen, bei Stalingrad und nördlich Moskau. In Nordafrika haben wir uns immer weiter zurückziehen müssen. Heute steht ein Artikel in der Zeitung, der von dem verstärkten Druck der Allierten auf die Türkei spricht. Dazu kommt heute die Neuigkeit von Toulon. Es geht durch diese Ereignisse auf den verschiedenen Schauplätzen, ein gemeinsamer Wille des Widerstandes, ein abgemachter Plan. Und die Feinde hängen sich mit den Gewichten ihrer Übermacht an die weit ausgestreckten Arme unsrer Macht – ein zäher, erbitterter Kampf. Amerika, England, Rußland, die Länder mit den größten Reserven an Rohstoffen und Menschen. Menschen vor allem. Unglaublich schier, was der Russe immer wieder angeschleppt bringt, wo er es nur fabriziert. Ich glaube doch, daß der Russe nun auch kämpft, um sein Vaterland vom Feinde freizukämpfen.

Herzensschätzelein! Bis dahin habe ich gestern abend geschrieben. ½ 9 Uhr war es nach unsrer Zeit, als mich eine mächtige Müdigkeit überfiel. Ich glaube, das mit Nudeln vollgestopfte Bauchel war mit dran schuld. Nudeln gab es abends warm, die schmeckten aber auch gut. Nun war das Mannerli heute mal ein Langschläfer. Gegen 5 Uhr mag ich erwacht sein. Es war mir ein bissel zu zeitig. Und ich wünschte mir: ich möchte doch einmal von meinem Schätzelein träumen. So habe ich tatsächlich auch noch kurz geträumt: Zuerst war ich im Zimmer des Adjutanten. Die Frau Adjutant (die kenn ich doch gar nicht) packte einen Koffer, Weihnachtsgeschenke, Kleider, Pelzumhang. Ich schaute zu und sagte dann: Das haben Frau Adjutant gewiß nicht vom Wehrsold gekauft. „Nein, ich habe hier als Angestellte gearbeitet". Und dann wechselte der Schauplatz: Bautzener Bahnhof. Wir gingen zum Mittagessen. Na, nun kann der Bahnhofswirt mal seine Kunst zeigen, so sagte ich, ich besinne mich. Zuerst war ich allein in einem Bürozimmer. Herbert W., mein früherer Freund saß dort an der Schreibmaschine. Und dann kamen Mutter und Du. Du zogst mich beiseite, wir lehnten an einem Fenster, und ich hielt Dich ganz vertraut in meinem Arme. Und Du erzähltest mir ganz traurig: daß Du gar nicht gesund seist, und daß es aus den Herzeln manchmal tropfe. Ach Du, so komisch – und so traurig erzähltest Du mir das und ein wenig vorwurfsvoll, sodaß ich begütigend antwortete: aber das kann ich doch gar nicht wissen, wenn Du nicht jeden Tag zu mir kommst. – Aus war der Traum. Aber ich habe mich gefreut, daß Du in meinen Traum gekommen bist, Herzelein. Ja, ich hoffte nun, heute am Vormittag ein wenig Zeit zu gewinnen, Dir fertig zu schreiben. Aber es gab viel Drasch. Und nun bin ich heute wieder U. v. D., na besser als morgen, am 1. Advent. Den möchte ich doch ganz meinem Herzlieb schenken! Ja, und nun ist es gleich 2 Uhr – die Post geht ab. Und ich mag kein Stündchen zu spät kommen.

Ob der Postbote heute etwas für mich hat?

Ja! Ich warte doch so drauf! Um 5 Uhr kommt es, kommt mein Herzensschätzelein!

Ach, daß ich nun das wichtigste vergesse: Dir zu sagen, wie sooo lieb, sooooooooooo lieb ich Dich habe. Oh Herzelein! Geliebte!

Sollst jeden Tag in meiner Liebe gehen! Sollst Dich ganz fest und lieb gehalten wissen von Deinem [Roland].

Behüt Dich Gott!

Ich bin ewig Dein! Ganz

Dein [Roland]!

Und zum Schluß noch ein liebes, liebes, langes Küßchen, Du!!!!!

 

 

 

 

 

 

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946