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[OBF-421115-002-01]
Briefkorpus

28.)

Sonntag, am 15. November 1942.

Geliebtes, teures Herz! Mein allerliebster [Roland] ! Du!!

Heute komme ich aber ganz zeitig am Nachmittag zu Dir! Es ist gleich erst 1 Uhr vorbei. Wie sind schon fertig mit allem und wollen nun Sonntag halten. Papa muß zwar schlafen, damit er heute im Nachtdienst nicht umfällt. Aber das sind wir ja schon gewöhnt, daß wir Vater Sonntags nicht immer daheim haben, und das ändert sich im Kriege auch kaum. Schön ist es aber nicht. Die Mutsch sitzt mit dem Strickzeug am Ofen – ja, es ist sehr kalt heute, die Pfützen waren gefroren und manche Fensterscheiben hatten ein wenig Eis. Es wird nun Winter daheim. Du! Gestern hat mich doch ein ganz unvermuteter Besuch wieder mal aus dem schönsten Deingedenken gerissen, die Trudi G. kam! Rund und furchtbar dick, strahlend! Entlassen! Frei! Sie ist froh.

Über 2 Stunden saß sie da und dabei wollte sie nur mal im Vorbeigehen hereinschauen, sie hatte noch Wege zu besorgen. Sie hat nun von allem Möglichen erzählt. Und ihr Papa ist von Glatz aus wieder mit heimgekommen. Seine Reise nach der Front wurde um 8 Tage verschoben.

Er hat ein ödes Kommando: er gehört zum Bewachungskommando einer Kompanie Untersoldaten, die unmittelbar hinter der Front Aufbauarbeiten verrichten. Das sind solche entlassene Zivilsträflinge, die im Osten zu nützlichen Arbeiten eingesetzt werden. Ihm graut davor! Kaum einen Menschen hat er, mit dem er sich mal austauschen kann. Viele liebe Grüße läßt er bestellen an Dich! Seine Frau und T. auch. Ja, jedenfalls ging das Mädel erst ½ 700 [Uhr] fort, Papa war schon zu haus und wollte Abendbrot essen, sie wollten ja mal ins Kino.

Die Mutsch mußte auch ihre Plätterei unterbrechen, weil ich ja das Hefestück auf dem Ofen stehen hatte für den Sonntagskuchen! T. hatte Bilder mit und erzählte und belegte mich ganz mit Beschlag. So haben wir bloß so nebenbei wenigsten [sic] den Kuchen backfertig gemacht [sic] Abendbrot [sic] zugerichtet, daß die Eltern dann weggehen konnten.

Ich habe dann schnell bissel aufgeräumt, mich umgezogen für meinen Besuch, den Kuchen bewacht – unglücklicherweise waren 2 Bleche einzuschieben! wie lang das dauert, wenn man 'was vorhat! – dann habe ich wenigstens rasch noch den Boten an Dich beendet, daß ich ihn in den Kasten stecken konnte. Erst um 8 Uhr kam ich zu T.s sie [sic] meinten schon, ich bliebe aus. Ach, das ging mal wieder schief.

Die Trudi sah aber auch nicht unsere Beschäftigung und rührte sich [n]icht vom Fleck, selbst als sie um unsere Pläne wußte und unsere Anstalten sah zum Aufbruch. Sie hat da eine Bombenruhe. Darum wohl auch ihre behagliche Rundlichkeit. Ich glaube, die "verhuppt" sich im Leben kein Bein! Aber ich mag sie gern, trotzdem. Sie hatte mir nun eben viel zu erzählen, aber dazu hätte ein andrer Tag, wo mehr Muße war, besser gepaßt. Sie lud mich auch ein zu sich für Donnerstag. Nun siehst Du gleich mal wieder aus der Ferne, wie es so zugeht bei uns, wenn Du nicht da bist. Besuch wie im Taubenschlag, gelt? Na, heute soll mir nichts meine Ruhe rauben. Ich habe mich zeitig gleich zu Dir gesetzt und will mich behaupten! Was wird denn mein Mannerli machen? Mittagstündchen vorbei? Du bist doch ne Stunde voraus in der Zeit. Mir täte ja auch ein Schläfchen not, bin erst um Mitternacht von Hilde heim. Es gab wieder mal so viel zu erzählen von früher und von allen möglichen Dingen, eine Schulfreundin war noch da, vom Friseur S. neben dem Ratha[u]s die Tochter, die ist schon 5 Jahre verheiratet – sie war einst die erste in unsrer Klasse – und hat schon ein 3½ jähriges Mädelchen. Es war mal nett wieder so Erinnerungen auszugraben. Es hat nun jede ihren Weg gemacht, ihr Ziel erreicht, was ihnen als Mädchen vorschwebte. Und sind alle glücklich auf ihre Art.

Aber ich weiß es, Liebster! So glücklich wie Du und ich ist selten wieder ein Menschenpaar. Ach, das fühle ich aus so vielen Beispielen heraus. Wir sind einander ganz besonders verbunden. Unsere Liebe ist so wundertief und wunderselten. Ein einzigartiges Geschenk. Oh, daß wir es so ganz besitzen! Wir allein! Du und ich! Du!!!!! Wie bin ich glücklich! Sooo glücklich! Mein [Roland]! Du!!!!! Und es kann im Leben kommen, was auch will, an unserer Liebe ändert sich nie mehr etwas. Unser Einssein ist unantastbar. Wir gehören einander mit Leib und Seele, so ganz ausschließlich, vor Gott und vor den Menschen. Unser Bund ist uns heiligstes Vermächtnis, heiligster Bezirk, in dem der Schatz unsrer Liebe ruht, geborgen von unsrer Treue, und der Wille zueinander ist unbezwingbar. Daß Du mein Ein und Alles bist, mein höchster, köstlichster Besitz, mein teuerster Schatz – Geliebter! Das erkenne ich immer wieder! Du bist mir unersetzlich! Soo unendlich lieb und wert, wie mir nie wieder jemand im Leben sein kann. Bist mein Einziggeliebter! Bist all mein Glück! Meine Erfüllung! Herzenslieb! Nur mit Dir konnte ich der Liebe Urgewalt und -tiefe so erleben. Nur mit Dir allein, Sternengeschwister, Du! Geschwisterseele.

Wir mußten einander begegnen auf diesem Erdenrund, um das höchste Glück der Liebe aneinander und miteinander zu erleben. Oh, ich habe es schon einst geahnt, mit dem feinen Vorgefühl, das dem Weibe eigen ist. Du würdest mein Schicksal sein. Und bist es gewor[de]n. Erfülltes Schicksal! Zu Dir bekenne ich mich! Dich liebe ich! Dir lebe ich! Bis in den Tod. Geliebter! Gott hat mir in Dir das köstlichste Geschenk beschert, das ich je mir erträumen konnte. Oh, möchte Gott uns gnädig und barmherzig sein und mir Dich wieder zuführen, daß wir gemeinsam an unserm Werke schaffen, Gott zur Ehre! Geliebter! Nur mit Dir hat mein Dasein einen Sinn. Ich begehre nichts vom Leben, als Dich! Dich, mein Geliebter! Du wirst mir heimkehren! Unbändig stark ist mein Glaube daran. Meine unendliche Liebe hält dich, trägt sich, zieht Dich heim, heim zu mir, an mein Herz, da Deine Heimat nun ist. Ach Du!!! Laß uns nie müde werden im Ringen und Beten um Kraft und Geduld zum treuen Ausharren. Ich fühle es, Du! Unser Warten, unser Opfer wird nicht umsonst sein! Nicht umsonst sein. Gott hat seinen Plan mit uns, wir wollen uns ihm beugen.

Geliebter! Wenn auch ringsum Kriegsunwetter tobt, laß es uns nicht anfechten! Wir müssen hindurch! Das ist die Zeit der Bewährung. Mit Gottes Hilfe wird alles gut werden. Unser Wille muß stark bleiben. Ach, Du weißt ja nicht, wie froh und glücklich ich an Dich denken kann immer! Unsere Liebe ist so wie die Sonne, hell und strahlend und erwärmend, belebend. Du! Daß wir einander so lieb haben! D! Und weil ich Dich wieder so geborgen weiß im fremden Land, kann ich so glücklich sein und so ruhig. Ach, ganz dankbar müssen wir sein! Von ganzem Herzen dankbar, Geliebter! Und über die kleinen Sorgen des Alltags, die ja dem gegenüber so nichtig sind, wollen wir es immer und immer wieder bedenken: wie lieb uns Gott hat, daß er uns ein so gütiges Geschick bescherte bisher.

Du! Schätzeli! Ob Du denn heute nun Deinen Kuchen zum Sonntagskaffee verzehren kannst? Bin gespannt, wie lang ein Päckel nach B. brau[ch]t. Heute ist wieder keine Post gekommen, von nirgends her. Aber morgen! Weißt? Warten, richtig sehnsüchtig warten tu ich doch bloß auf einen Brief immer! Kannst Dir denken, welcher das wohl sein mag? So habe ich jetzt wieder Deinen lieben Sonntagsbrief neben mir liegen.

Ist doch gerade so, als ob ich zu Dir hinschauen könnte, so lieb läßt Du mich an allem teilhaben, Du Lieber! Regensonntag hielt Dich zuhaus vor 8 Tagen, wie bei uns war das Wetter. Euer Abendbrot helft Ihr verfeinern durch Bratkartoffeln, das freut mich! Ach, Du wirst dich schon kümmern Herzelein, daß Du immer richtig satt wirst, gelt?

Meinen Boten, den Du gegen Abend erhieltest hast Du mir nun so lieb beantwortet, daß ich alles wieder weiß, was ich Dir damals schrieb. Manchmal muß man sich doch emsig besinnen, wenn man mit einer Antwort garnichts [sic] anzufangen weiß. Aber nur manchmal. Uns ist doch – zu unser [be]ider höchstem Glücke – so viel Zeit meist gegeben, daß wir all unsre Anliegen ausführlich bereden können, niederschreiben. Ich freue mich nur, daß wir uns immer so gut verstehen, was manchmal nicht so leicht sein mag über die große Ferne, so im Briefe. Aber wir gewöhnen uns an diese Art der Verständigung immer besser mit der Zeit und unser Inneres schließt sich voreinander immer mehr auf, bis in die letzten Winkel der Seele. Und ich wüßte nicht ein Winkelchen in mir, das Du noch nicht kenntest – oder umgekehrt, Du! Und es wird zwischen uns einmal keine Frage geben, die nicht in liebendem Verständnis und Lieb-aufeinander-eingehen zu lösen wäre.

Ich denke nochmal an Deinen Wunsch, das Buch Gottes bei Dir zu haben. Wie haben einander auch darin lieb verstanden. Ach Herzelein, wenn wir schon für immer beieinander wären, würden diese Fragen doch so garnicht kommen. Unsre Herzen stimmten ganz zusammen – wir fänden in unsrer Liebe zur rechten Zeit das rechte Wort. Und wenn wir es einmal nicht fänden, dann wissen wir einen Weg: dann stellten wir uns miteinander unter Gottes W[or]t. Ach, wenn es uns neben unserem Glück des Einsseins jetzt noch nach etwas anderem verlangt, etwas Hohem, Guten, Edlen, dann ist es doch nicht so, daß wir einander nicht recht erfüllen könnten – es bringt die Trennung mit sich; ach, und man möchte sich manchmal weit hinausheben über alle irdische Qual und Wirrnis, möchte das schier endlose Dunkel durchdringen und so ist man ein ewig Suchender, Ruheloser, ein ewig Sehnender, Dürstender. In solchen Stunden flüchtet man sich am liebsten zum Vater im Himmel. Ich begreife es ja so ganz. Ach Du! Du! Und so soll es ja auch sein: immer wollen wir doch einander unsre Anliegen vortragen, wir wollen miteinander alles tragen, was uns bewegt. So ist ja Liebe in ihrem tiefsten Sinne: ganzes Einssein, Ach, [sic] wir werden füreinander immer Rat wissen, immer da sein füreinander. Und laß uns nur erst beisammen sein!, dann wollen wir uns doch in Liebe leben den ganzen Tag, jeden Tag, den Gott uns schenkt! Du!!! Geliebter! Denke ganz glücklich mit mir voraus! Ja ich habe dann auch noch ein Bibelbuch zuhaus, ein schönes großes mit Bildern. Altes und neues Testament. –

Du liebstes, herzliebtes Mannerli. Was Du mir beilegst von Rosenbergs Rede ist interessant. Man sollte seine Ausführungen sammeln und bei gegebener Zeit sie mit den Tatsachen vergleichen. Ach, man kann uns kein X für ein U vormachen. Aber eines ist klar und is[t] auch gut so, daß dieser Krieg, wie bitterhart er auch für uns sein mag, den Menschen, den meisten, die Erkenntnis bringen wird, wie bitter notwendig der Glaube für uns ist, ja wie er lebensnotwendig ist. Aber noch ist die Menschheit noch nicht reif für solche Erkenntnis. Aber ich sage, dieser Krieg wird noch so manches ins rechte Licht rücken. Und wir haben keinen Grund zu zagen. Noch sitzt Gott allein im Regimente. Und wird es, bis ans Ende der Zeiten. –

Mein Lieb! Nun will ich mich der Eltern noch ein wenig widmen, Papa muß ja bald fort. Bleib froh und gesund! Ach, denk ganz glücklich daran, daß ich Dein bin, daß ich Dich liebe, daß mein Herz nach Dir verlangt! Daß Du mir bleiben mußt! Mir heimkehren mußt! Du über alles Geliebter!

Behüt dich Gott! Herzinnige Grüße und Küsse von Deiner [Hilde] Deiner glücklichen

viel liebe Grüße auch von den Eltern!

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Kommentare

Es ist interessant, dass Hilde das neue Testament erwähnt. Das neue Testament wurde von den Nationalsozialisten nicht geschätzt. Jesus war ja Jude.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946