Bitte warten...

[OBF-411112-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] Mittwoch, 12. Nov. 1941

Herzensschätzelein! Mein liebes, teures Weib!

Wie mag es Dir heute ergehen? Ich mach mir nun doch ein wenig Sorge. Woher hast Du nur diese böse Erkältung? Das übelste ist der Husten. Den mußt Du Dir baldmöglich vom Halse schaffen! Daß er Dich so quält. Ganz fein im Stübchen bleiben, Herzlieb, und der Gesundheit zuliebe alles rücksichtslos beiseiteschieben! Du kannst es Dir noch leisten. Ach Herzelein, Du willst gesund werden, für mich, ich weiß es! Du!!! Und Du wirst alles tun, was Du nur vermagst und wirst Dich so halten, wie das Mannerli Dir rät. Ich hoffe ja, daß es dann rasch besser wird, wenn Du erst die bösen Tage überwunden hast. Herzlieb! Könnte ich bei Dir sein! Du bist allein, krank, in diesen grauen Tagen. Ach Liebste! Könnte ich bei Dir sein! Könnte ich Dir meine Zärtlichkeit bringen. Ach Du! Du!!! ‚Komm, Schätzelein, birg Dich an meinem Herzen, schlaf Dich gesund!‘ Könnte ich so sagen! Könnte ich Dir ganz nahe sein! Ich weiß, wie tröstlich und herzerwärmend die Nähe eines geliebten Wesens ist in kranken Tagen. Herzlieb! Möchtest Du recht, recht bald wieder ganz gesund werden! Ach Du! Möchte Dich die Gewißheit meiner Liebe erwärmen und durchsonnen. Weißt Du noch? Ich liebe Dich! Liebe Dich mit der ganzen Kraft meines Herzens! Du bist mein Sonnenschein, mein Leben, mein Ein und Alles! Alle Unruhe in mir ist zur Ruhe gekommen bei Dir! Herzlieb! Heimat, Geborgenheit, Hafen bist Du dem früher so ruhelosen [sic]. Alles ungestillte Sehnen fand Erfüllung bei Dir. Oh Herzlieb! Ich darf verehren, darf schenken, darf lieben, lieben – darf Dich in meine Liebe hüllen! Du!!! Ich fand die Eine, die Rechte, daß sie den Thron in meinem  Herzen einnehmen könnte – oh Herzelein! Die Eine, Dich! Geliebtes Wesen! Du! Du!! Ich muß Dich doch sooo liebhaben! Ganz unersetzlich bist Du mir! Du mußt mir bleiben!

Geliebte! Daß ich Dir anders gar nicht helfen kann! Ich wollt[‘] doch gar nimmer von Deiner Seite weichen! [Wollte Dir eine Hälfte der Krankheit so gern abnehmen! Du! Wenn Du wirst einmal unwohl sein später – am/besten käme es gar nicht dazu – bleib ich gleich bei Dir! Will Dir doch alles zuliebe tun, alles! Ich könnt[‘] mich doch kein bissel grauen und ekeln bei Dir – und kein bissel verdrießlich sein bei solchem Dienst! Du! Oh Schätzelein! Du weißt es! Kannst Dich ganz mir vertrauen – soviel wie dem Onkel Doktor – und noch mehr. Schätzelein! Wie die liebe Mutsch könnte ich zu Dir sein!

Und wenn ich einmal nicht weiterkönnte – ich weiß, wen ich dann zuallererst rufe, wer mich dann ganz viellieb versorgte und wenm ich mit dieser Sorge am liebsten betraute. Du! Wir haben einander sooo lieb! Fühlst Du es?! Herzallerliebste mein! Mein liebstes Geschwister! Wir können einander ganz, ganz anvertrauen, können einander gar nicht mißverstehen. Herzlieb! An mir sollst Du allen Halt finden, den Du brauchst in Deinem Leben! Oh Herzlieb! Wie könnte ich tiefer alle Liebe, alles Einssein fühlen, als wenn Du Dich an mich lehnst, mir bis ins Letzte vertrauend. Oh Schätzelein! Und kein andrer Eifer, der mich beflügelte, als Dir der beste Halt zu sein!

Und so empfindest auch Du! Mein ganzes Vertauen gehört Dir, Geliebte! Und es macht Dich froh, ich sehe es, ganz froh, es drückt Dich nicht, das Vertrauen vom älteren Mannerli, es macht Dich ganz glücklich!

Oh Schätzelein! Daß auch Du bei mir eine Heimat fandest! Daß auch Du bei mir zur Ruhe kommst, Du liebes junges Blut! Kommst zu mir mit Deinem Sehnen! Mit Deinem Sorgen! Mit Deinem Heimverlangen! Und weißt, daß ich Dich ganz verstehe, daß Dein liebendes Auge rein sich spiegeln kann in dem meinen, daß Deinem lieben Herzen das meine schlägt in geschwisterlicher Liebe und Treue! Oh Herzelein! So soll es immer bleiben zwischen uns: Kein falscher Blick, kein Lauern, Verletzen, Versteckspielen! Du! Ich weiß, es wird uns gelingen – die hohe Liebe wird bei uns bleiben! Wir werden beide darnach  trachten, darum ringen und nimmermehr davon ablassen. Es wird gelingen mit der Glut unsrer Liebe im Herzen und uns[e]re Augen auf Gott gerichtet. Oh Herzlieb! Wenn ich es einen Tag unterließe, Dich recht zu lieben – ich glaub, ich kann es nicht! Ich täte mir selber bitter weh damit!

Warum andre Paare das gar nicht spüren? – Weil sie sich noch nie recht liebten. Es ist doch ein rechtes Unglück auch, daß Mißverstehen und Mißverstehenwollen und Nicht-zueinanderfinde[n]können bei G.s. Herzlieb! Du kamst Dir unfertig und unerfahren vor gegenüber dieser Frau. Reicher bist Du! Herzelein! Und glücklicher mit Deinem ganzen „einfältigen‘ Herzen, ungebrochen vom Zweifel. Bist es mit mir! Oh Du! Du!!! Nimmer könnte ich der sein, der dieses Herze bricht! Geliebte! Du weißt es! Aus Treue nicht zu Dir und mir selbst (nicht) – noch weniger aber aus der Liebe, die mich unlösbar Dir verbindet für dieses Leben!

Oh Schätzelein! Gefährlich könnte diese Frau werden mit der Kompliziertheit ihres Wesens, die so bewußt alles betrachtet, die die Grenzen des letzten Vertrauens nicht kennt und achtet, die des Herzens Heimlichkeit kaum zu kennen scheint, die sich gewöhnt hat, mechanistisch und medizinisch zu denken. Herzlieb! Wir sind gefeit gegen diese bösen Keime. Auch Dein Mannerli! Es hat von all diesen Stichen gehört und hat sich üben müssen in ähnlich sezierendem Denken – und hat es doch aus dem Grunde seines Wesens stets abgelehnt, hat es nicht eingelassen. Hat lieber seinem gesunden Gefühl vertraut, dem Taktgefühl, dem Schamgefühl, hat die Augen weit offengehalten und zugesehen, wo rechtes Glück zu Hause war – und hat sich nimmer beschwätzen lassen von noch so gescheit sich dünkenden Leuten. Oh Herzlieb! Die Ehrlichkeit auch in diesen Dingen ist wenig gefragt. Was bläht sich da nicht – was lügt da nicht und betrügt sich selbst! Schätzelein! Du magst es in meinem Geheimbüchlein nachlesen, wie ich als junger Mensch zu einer Weisheit mich flüchtete, die sonst nur die herbe Frucht reiferen Alters ist: „Schweigen soll ich, ich will schweigen!“ Diese Zuflucht sollte mich vor eigener und fremder Geschwätzigkeit ebenso bewahren. Sie sollte mich hellhörig machen für alle anderen Stimmen und Laute als die der Zunge und des Mundes. Sie sollte mich zu Härte und Ehrlichkeit erziehen und davor bewahren, mich selber zu entschuldigen. Und ich bin sehr streng gewesen mit mir. Ich besinne mich auf einen Auftritt gelegentlich meiner zweiten Prüfung im Jahre 1931. Als Wahlfach wählte ich Mathematik, ein Gebiet, auf dem es keine Flausen und Ausflüchte und Umschweife gibt, in dem eines aus dem ander[e]n folgt. Und ich verbiß mich gegen meine Neigung in diese Arbeit und beherrschte mein Pensum ziemlich gut. Die schriftliche Arbeit habe ich sehr gut erledigt. In der mündlichen Prüfung wurde ich vor eine Aufgabe gestellt, die über den Bereich des von mir Durchgearbeiteten hinausging. Ich stand vor meiner Tafel, zog die Schlüsse, die ich konnte und sagte dann, ich kann die Aufgabe nicht weiter lösen, ich habe das Verfahren (Integrieren) nicht studiert. Meine alten Lehrer waren ob dieser runden Absage betroffen, sie wollten mir zu einer guten Zensur verhelfen – und ich schnitt ihnen mit meiner bündigen Erklärung jede Möglichkeit, mir durchzuhelfen, mich durchzuschieben, durchzuschmuggeln ab. So drückte nun diese mündliche Prüfung auch meine Zensur um ein Grad herab. – Herzlieb! Ich erzähle das, nicht um Dir Eindruck zu machen, sondern um Dich gewiß zu machen, daß Dein gutes, einfältiges Herz in dem meinen ein Geschwister hat. Und Du bist es gewiß und fühlst es: daß ich Dich nicht beobachte, daß ich Dir nicht auflauere, daß ich Dir offen und herzlich begegne, aus jeder Reserve und Zurückhaltung heraustretend – daß ich mit Dir weine und jub[e]le, daß ich mich ganz an Dich verlieren und Dir gefangen geben kann – daß ich so glücklich bin mit Dir! Oh Herzelein! Du würdest es fühlen, wenn es anders wäre! Ich habe mir ein einfältiges, gläubiges Herze bewahrt.

Ach Du, Die Versuchung war groß manchmal. Und am unheimlichsten trat sie an mich heran mit dem vertraulichen (!) Angebot eines Buches: „Die Kunst des Liebens“ van der Velde. Vielleicht hast Du davon auch gehört, Herzlieb! Ein ganz sicheres Gefühl sagte mir, daß dahinter das Böse lauere, Falsches, Unlauteres. Schon die Art des Angebotes, viele Abbildungen verheißend, die Aufzählung der Schemen. Ich weiß, daß dieses Buch viel gekauft worden ist. Ich habe Kameraden sich darüber unterhalten hören, verständnisinnig schmunzelnd zumeist. Geschämt, tief geschämt hätte ich mich vor mir selber, wenn ich auch nur die Karte hätte in den Kasten stecken sollen, wieviel mehr, wenn es unter meinen Büchern gestanden wäre.  Dieses Schamgefühl ist doch ein Hüter, ein guter. Denn dieses Buch wirkt zersetzend. Es seziert. Es nimmt brutal unter das grelle Licht und tödliche Messer sezierenden Verstandes und schaut medizinisch, was wir unter Liebe nur begreifen und verstehen können. Herzelein! So fremd, ja feindlich sogar, sich diese Wörter gegenüberstehen: Liebe – Verstand, Medizin, mechanisch, so falsch und zersetzend ist diese Betrachtungsweise. Der Arzt mag manches so nur schauen können – der Ärmste – aber diese Gedanken in einem Buche für jedermann in die Breite getreten, ist eine Sünde. Sie sind ein Gift. Sie nehmen den Menschen jede Unbefangenheit, die Unmittelbarkeit und Tiefe des Gefühls; sie sezieren, was ein unteilbares Ganze ist; sie zielen ab auf ein fades Gewissen; sie zerren ins Licht schamlos das, dem unser gesundes Gefühl einen Platz in der tiefsten Heimlichkeit zuweist; sie sprechen aus, worin Liebende sich schweigend verstehen, und entweihen, ja verunreinen [sic] es damit. Und diese Betrachtungsweise finden wir heute weit, weit verbreitet. Sie bedeutet Zersetzung allen wahren, ganzen Glückes.

Oh, wenn doch die Menschen lieber gelernt hätten, die Liebe vom Glauben her zu begreifen! Wenn sie sich das Gefühl für die Größe und des Einmaligen, des Schicksalhaften bewahrt hätten! Daß sie in sich noch einen Rest heiliger Scheu trügen! Wenn sie lieber dem Dichter und Sänger gefolgt wären als dem Arzt, wenn sie lieber der Stimme des eigenen Sehnens gelauscht hätten!

Oh Herzelein! Du fühlst mit mir! Alle Hohheit und Leidenschaft des Empfindens will sich verdichten im Dank zu Gott und im Beschenken, im Sichverstehen, im Einssein von Leib und Seele! Geliebte! Unsrer Liebe bester Drang ist der Wille zu gemeinsamem Leben und Schaffen, zu ganzem Werk.

Ich bin so glücklich mit Dir, Herzelein, mein Sonnenschein! Laß uns Gott bitten, er möge uns gnädig sein und uns[e]re Herzen bewahren vor aller Bosheit!

Er schütze Dich! Er schenke Dir bald, recht bald volle Kraft und Gesundheit!

Oh Herzlieb! Möchtest Du fühlen, daß ich Dir nahe bin all zeit! Daß ich Dich liebe um alles in der Welt!

Daß Du mir alles bedeutest, Geliebte!

Daß Dir mein Herz schlägt in unauslöschlichem Dank, in Treue und Liebe!

Herzlieb! All mein Sehnen geht zu Dir!

Heimkehren will ich Dir!

Und Du wartest mein, Du! Du!!

Ich komme! Freust Du Dich? Oh Du! An Deinen Augen hängt mein ganzes Glück! Ich bin Dein – Du bist mein!

Ewig Dein Roland! Geliebte!!!!! !!!!! !!!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946