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[OBF-420111-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 11. Januar 1942

Mein liebes, teures Herz! Holde, Geliebte mein!

Eigentlich sollte ich jetzt an die herrliche Luft gehen! Ach Schätzelein! Was ist das für ein Gestade! Seit 4 Tagen ist es so milde!  Hat 2 Tage geregnet und nun hat es aufgehört. Gestern waren wohl mindestens 20 Grad Wärme in der Mittagsonne. Vor zwei Stunden war der Himmel noch umzogen. Schaute groß, still und versonnen mit seinen großen Wolkenschiffen am Horizont zu seinem Spiegel, dem Meer mit seinen Segelschiffen. Es ist ja hier gar kein Meer, ist eine große Bucht, ein See, fast ruhend im umarmenden Lande.

Oh Herzelein! Ich wollt' es schon gern mal alles mit Dir schauen, jetzt, da weder Kälte noch Hitze, weder Mücken noch Fliegen den Beschauer ärgern. Die reichen Leute wissen schon, wo und wann es schön ist, sie fahren meist nicht umsonst im Februar und März an die Gestade des Mittelmeers, an die Riviera. Ja, und nun erhellt die Sonne das schöne Bild. Seit die Menschen überhaupt ein Auge haben für den Reiz und die Eigenart der Landschaft und ihrer Schönheiten, und seitdem sie reisen, ist allen großen Deutschen Italien ein Land der Sehnsucht gewesen. In Italien gaben sich die meisten dieser Männer ein richtiges Stelldichein wie in der zweiten Heimat. Du denkst gewiß jetzt mit mir auch an den Märchendichter Andersen und seinen Freund Thorwaldsen. Goethe, der Maler Tischbein, ach, alle großen Künstler reisten nach Italien. Italien war das Land, daß jeder gesehen haben mußte, ein Begriff von Schönheit. Herzelein! So südlich wie die Stadt Neapel liegen wir hier. Und Wind und Wetter und Meer lassen ahnen, welche beglückende Harmonie von Schönheit dort aufklingt, wo eine geschlossene, durchgebildete Kultur zusammenstimmt mit Schönheit und Erhabenheit der Landschaft. Die Sonne bestimmt das Antlitz dieses Erdstrichs. Mehr Sonne, viel Sonne, das ist, was man in mancher Stunde so beglückend empfindet. „Edle Einfalt, stille Größe“, so charakterisiert Winckelmann, ein Forscher und Gelehrter des 18. Jahrhunderts die Schönheit dieses Landes. Reife, Insichruhen, Erhabenheit, Durchsonnstsein ist dieser Schönheit eigen. Unruhe, Kampf, schwermütige Weite ist in aller Schönheit zu Hause, Kampf zwischen Dunkel und Licht, Süße und Herbe, Wärme des Südens und Kälte des Nordens. Herzallerliebste! Möchtest Du wohl einmal mit mir nach Italien reisen? Die Schönheit dieses Landes schauen, und darein versenken und von ihr umfangen lassen so wie unsre Maler und Dichter früher? Nicht ein hastiges Städtebereisen, ein glückhaftes Verweilen an ein paar bevorzugten Plätzen! Oh Du! Was frage ich? Dein Auge, so schönheittrunken wie das meine, Dein Herz, so offen allem Schönen und Guten! Du! Du!!! Die Schönheit des Südens und die Schönheit des Nordens – Du! Geliebte!!! Wir legen sie zu unseren großen Wünschen, ja? Du? Du!!! Geliebte! Geliebte!!! Ach Du! Hier im fremden Lande könnten wir auch gern mit Hellmuth und Elfriede reisen – Du! Wär das nicht fein! Wunderfein! Ganz märchenhaft! Oh Schätzelein! Herzensschätzelein!!

Oh Geliebte! Ein Glück schon allein, so groß, daß ich nun alle Wünsche mit Dir teilen kann – daß ich doch manche Wünsche ganz mit Dir allein hegen muß! Oh Geliebte! Du!!! Du!!!!!

Möchte Gott uns doch recht bald den Frieden schenken. Möchte er ihn uns wohlbehalten erleben lassen!

Schätzelein, wohin bin ich denn gekommen in meinem Brief? Ich habe Dich doch zu mir geholt! Du!!! Du!!!!! Oh Du! Zu mir! Du bist bei mir! Du bist mein! Ich bin nicht mehr allein. Oh Du! Ich habe ein ganz liebes liebes Menschenkind mir zur Seite, daß ich sooo sehr liebhaben muß!

Liegen diese Wünsche, diese Zukunftsgedanken und -bilder in der Weite dieses Tages? Oh gebe Gott, daß sie sich verwirklichen möchten! Daß ich zuallererst einmal Dir heimkehren möchte, bald, recht bald!

Aber die Sonne, die ich überall schaue, Geliebte, sie ist in meinem Herzen, Du! Du!!! Sonne der Liebe! Oh, soviel Sonne! Geliebte! Du! mein Weib! mein liebes Weib! Du hast sie angezündet! Mit Dir ist sie aufgegangen über meinem Leben! Oh Du! Du!!! Geliebte! Fühlst Du, wie fest ich Dich halte? Wie lieb ich Dich haben muß?!!! Du kannst nicht mehr von mir gehen! Du gehörst zu mir!

Oh Geliebte! Du mußt wohl eben auch so voll Glück und Sonne sein, um diese Stunde, daß sie so warm und golden mir leuchtet! Oh, Dank Gott im Himmel, daß er uns zusammenführte!

Eigentlich sollte ich jetzt – so fing ich doch an. Aber ich habe doch eben auch mein Programm – so sollte es weitergehen. Habe mit solch schönem Nachmittag gar nicht gerechnet. Kamerad H. hat heute Dienst. Und so wollte ich eben bei meinem Schätzelein sitzen, solange ich allein bin. Warum mit ihm allein? – Kannst Du noch fragen? – Soll ich meines Herzlieb Herzenswunsch erraten? Ich weiß ihn: Alleinsein mit dem Mannerli? – Du schüttelst mit dem Kopfe, Du Schelm? Versteckst Dich? Du! Du!! Ich suche Dich! Du! Ganz allein sein mit dem Mannerli – ja? Du! Du!!! Oh Herzelein! Lieben – das ist ganz allein sein, zweieinsam sein. Du hast es so erlebt wie Dein Mannerli: wenn die Liebe uns überkommt, dann sondert man sich ab von allen Menschen, dann sucht man die Einsamkeit, dann geht man ganz für sich und kehrt ganz ein bei sich in des Herzens Tiefe. Oh Geliebte! Wie oft habe ich meine Liebe so hinaus getragen, weit, immer weiter, immer einsamer – ach, gar nicht heimkehren müssen! Fliehen alle Menschen, alles Werk, die uns abziehen möchten von dieser Einkehr! Lieben – das ist tiefste Einkehr! Du! Du!!! Auch nun mit Dir vereint! Oh Herzelein! Wer ungeliebt durch dieses Leben geht, kann nie so tief einkehren. Einkehren im Kämmerlein, im Turmgemach des Herzens, in des Wesens Mitte, vordringen bis zu dieses Lebens Glut! Oh Geliebte, Du! Wenn wir zwei uns liebhaben – dann sind wir doch ganz einsam und allein! Oh Du! Dann sind wir weit weg von allen Menschen, dann versinkt alles um uns her, dann sind wir für kurze Zeit ein Mittelpunkt dieser Welt – Du und ich, ganz allein, eines, ganz Eines! Ja, Herzelein, dann vergessen wir wohl auch Gott – ob Liebe deshalb Sünde ist, Sonderung? – Und diese Stunde ist dann auch die Geburtsstunde des Kindleins.

Oh Herzelein! Je größer und tiefer die Liebe, desto größer die Einsamkeit. „Liebe schwärmt auf allen Wegen“  – oh, wo schwärmt sie nicht alles – Liebe des Tanzbodens, der Straße – Eintagsschwärmen, öffentliche Liebe! – Oh Herzelein! Laß uns umschauen! Du! Du!! Du!!! Siehst Du den rechten Weg hinter uns? Oh Du! Wir können ihn nicht absehen, so weit und verschlungen! Wir finden nicht mehr zurück. Wir würden irre gehen, wenn wir ihn zurückgingen! Fühlst Du die Einsamkeit um uns her? Nur der Schlag unserer Herzen – sonst keine Menschenspur, kein Hauch, kein Laut. Brauchst Du ein Spiegelein für Dein Ich, Dein Selbst? Ein Echo, einen Widerschein? Du hast nur mich, das Du! Dein Du! Oh Geliebte, Du! Du!!! Wer ging noch so weiten Weg in die Einsamkeit? Wen trieb die Tiefe der Liebe noch so in die Zweieinsamkeit [sic]? Oh Herzelein, Du gingest diesen Weg mit mir! Und wir gehen ihn noch! Du fühlst mit mir beglückt diese Zweieinsamkeit! Oh Geliebte! Du bist ganz mein! Um uns her liegt weit das Land uns[e]rer Liebe! Oh, Du musst mich ganz sehr liebhaben, ganz sehr lieb – ganz tief verstehen, daß Du mit mir diesen Weg gingest, daß wir dieses Land der Liebe fanden, daß gleiche Liebe uns bewegte!!!

Oh Herzelein! Wir haben es doch zusammen gesucht – und gefunden! Ja? Du!!! Du!!!!! Du Liebe hast mich bei der Hand genommen - oh Du! soooooooooooo lieb! sooooooooooooo gläubig – glaubhaft, glaubtest, mit mir dieses Land zu finden! Und das Mannerli ließ sich bei der Hand nehmen, das große, alte Mannerli – es machte sich mit Dir auf den Weg! Und nun suchten wir! Suchten!!! Du! Geliebtes Herz, oh Du Allerliebste! mit Deiner Gläubigkeit, mit Deinem Herzen! – und das Mannerli mit dem Zieren und Zweifeln der wachen Sinne und des Verstandes, mit Glauben und Sehnsucht auch im Herzen, und doch auch ein wenig Zweifeln – ach Du! Du!!! Suchten das Land der Liebe auch in unsrer Art – Du, mein, liebes, einziges Weib – und ich Dein Mannerli! Oh Herzelein! Und suchten es aber beide sooo weit, sooo fern, sooo einsam – wie konnte dieses ersehnte Land so nahe liegen? So allen erreichbar, so leicht zu finden?

Oh Geliebte! Laß uns Gott von ganzem Herzen danken! Daß wir es so weit suchten! Daß Du nicht nachließest in Treue und Geduld Deines Glaubens – und daß auch das Mannerli suchte und zweifelte und immer wieder Umschau hielt! Oh Herzelein! Nun haben wir es gefunden! Du! Du!!! Und [wir] haben es noch nicht einmal erst umschritten, dieses Land! Und nun sollen wir doch seine Schätze erst entdecken, Du! seine Schönheiten! Und sollen es bebauen!

Oh Geliebte! Geliebte! Du! Du!!! Aber dieses Glück kann ich doch gar nimmer in Worte fassen! oh Geliebte! Weiter kann ich ihm gar nicht Ausdruck verleihen in Worten, sonst sprengt es mir die Brust!

Oh Du! Du!!! Sei Gott uns allzeit gnädig! Ich habe Dich sooo lieb! Sooooooooooooo lieb! Und das kommt, weil Du mich ebenso lieb hast!!!

Oh Herzelein! Nie fände ich wieder solches Glück. Mit keinem anderen Menschenkinde konnte ich sooo glücklich werden! Oh! Daß Du mich bei der Hand nahmst! Du!!!!! Du!!!!! !!!!! !!! Herzelein! Du! D[u]!!! Ich bin so glücklich, fühlst Du es? Es muß auch Dich ganz glücklich machen! Oh Du! Du!!!

Ach Du! Ich möchte nur immerzu bei Dir bleiben heute! Es ist jetzt schon finster. Aber ganz allein möchte ich mit Dir sein! Oh Du! Im Herzen bin ich es und bleibe es!

Oh Schätzelein! Was waren das für glückliche Stunden heute! Sollen sie wohl Verheißung sein? Du!!!!! !!!!! !!! Gott danken wir unser Glück! Oh Herzelein! Ein große, fromme Musik möchte ich jetzt hören, daß mein Herz dankbar sich mit ihr erhöbe zu Gott! Oder selber mit einstimmen in den Lobgesang! „Ach, daß ich tausend Zungen hätte!“

Herzelein! Einen französischen Film wollte ich mir ansehen heute. Nun bin ich doch bei Dir geblieben den Nachmittag. Bei Dir!!!!! Ach Du! Wo ist meines Bleibens sonst? Bald wird Kamerad H. heimkommen. Ich will den Abendbrottisch richten. Will ihm dann noch ein wenig Gesellschaft leisten. Ich möchte noch weiter schreiben. Den Eltern beiden. Der lieben Mutsch auch danken für ihren lieben Brief. Er hat mich ganz sehr erfreut. Aber das Schreiben drängt nun nicht mehr. Weil mir nun der Bote an Dich fast fertig ist daß er Dir Glück und Freude bringe. Ach, ich fühle mich den Lieben allen daheim ganz sehr verbunden. Unser Glück wäre nicht ohne sie. Und unser Glück ist doch ihre größte Freude!

Kamerad K. müßte heute zurückgekehrt sein – er wird wie alle ein, zwei Tage später kommen.

Und mein Urlaub, unser Urlaub? wirst Du denken – Herzlieb! Sei ganz zuversichtlich mit mir! Nichts ist noch entschieden. Jeden Tag kann es sich entscheiden. Ach Herzelein! Ich bin so froh und zuversichtlich heute – oh, soviel Kraft ist in uns[e]rer Liebe! Ich weiß, ich kann um unsre Liebe viel, viel erdulden! Gott wird mit uns sein! Wie immer bis auf diesen Tag! So gnädig, Du!!!

Oh Geliebte! Und ich weiß Dich ebenso froh und dankbar und zuversichtlich! Oh! Weiß Dich gehalten im Glauben und in meiner Liebe! Oh Schätzelein! Gehalten von meiner Liebe! Du, mein Eigen! Mein Eigen!!! Mein Ureigen!!! Ich darf Dich lieben! Dich beglücken, Dich entzücken! Dich erfüllen mit meiner Liebe! Ich allein! Und Du fühlst sie! Sie beglückt Dich! Sie erfüllt Dich! Sie bewegt Dich in der Tiefe des Herzens! Oh Geliebte! Sie macht auch Dein Brünnlein überlaufen! Du bist mein! Ganz mein!!! „Ich bin doch so sicher und behütet in der Gewißheit meiner Liebe zu Dir – in dem glückhaften Bewußtsein Deiner Liebe!“ Du! Du! Du bist es! Du bist es!!! Oh Herzlieb! Nichts mag ich noch heißer und inniger wünschen und wollen und erstreben in diesem Leben! Oh Herzallerliebste! Wenn Du es nicht wärest – ich fände nicht eher Ruhe in diesem Leben, als bis ich Dir das Allerliebste wäre – aber mit Gewalt lässt sich das doch gar nicht herbeizwingen – bin doch schon dein Herzallerliebster – von Anbeginn – ja? Du!!! Oh, sonst könnten wir doch einander gar nie so lieb gewonnen haben! Oh Du! Sonst könnte doch gar nie soviel Glück und Sonne in mir sein – nein, könnte nicht! Wir sind eines! Ein Paar! Ein ganz glückliches Paar! Du!!!

Gott behüte Dich! Ich bin Dein! Ganz Dein!!!

Oh Du! Ich bleibe Dein! Schaust Du das Land unsrer Liebe? Unser! Unser Glück! Oh Schätzelein! Geliebte! Warte mein! Daß ich Dir heimkehre!

Daß wir Einkehr halten! Einkehr! Du!!!!! Daß wir einander ganz sehr liebhaben!

Ich bleibe in Liebe und Treue ewig Dein

[Roland],

Dein glückliches Mannerli!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946