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[OBF-421028-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 28. Okt. 1942

Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Gleich wird Feierabend sein. Es ist eben eine kleine Atempause – so atemlos geht es im übrigen nicht zu – und ich nütze sie, den Boten an Dich zu beginnen. Bist um diese Stunde eben auch im Dienst, einem schöneren als Dein Mannerli. Aber ich neide ihn Dir nicht – ich gönne ihn Dir von ganzem Herzen. Lernst dabei doch meine eigene Arbeit kennen und verstehen. Um die Weihnachtszeit hat die Arbeit und der Umgang mit Kindern doch seinen ganz besonderen Zauber. Man wird wieder Kind mit den Kindern. Du und ich, wir können es beide – und wenn wir im Lande der Liebe gehen, sind wir es doch auch. Gleich – so hoffe ich – muß auch die Post kommen – und mir Freude und Sonnenschein bringen – von Dir! Von Dir!!!

Ach Herzelein! Ob Dir jetzt das Ohr klingt – oder die Wange glüht? Der Abend glüht durch das gilbende Laub – ach, wenn ich könnte, möchte ich jetzt in den Abend gehen. Ach Herzelein! Man verliert ja ganz die Verbindung mit dem Naturgeschehen. So wie Sonn-u. Wochentag verwischen sich auch die Jahreszeiten. Wenn ich nur ein wenig eingearbeitet bin, werde ich mir schon eine Möglichkeit schaffen, auch täglich meinen Gang zu machen, zumal der Park so nahe ist.

Wieder daheim. Vorbei ist das Abendbrot, vorbei auch ein kleines Schlummerstündchen. Die Post hatte nichts für mich heute. Am Sonnabend wollte mein Schätzelein doch nach Breitenborn. Muß ich fein mich gedulden.

Will Dir gleich etwas von meinem Dienst erzählen.

Registrator in der offenen Registratur. Klingt bald wie Regulator – ist auch gar nicht so falsch – nur scheinen mir die Verdienste eines guten, zuverlässigen Regulators noch um weniges höher zu veranschlagen. In der Registratur wird registriert, das heißt, Buch geführt. Die offene (im Gegensatz zur geheimen) Post, ein- u. ausgehende, wird dort gebucht und verwaltet, geordnet und aufbewahrt. Das geschieht folgendermaßen: alle eingehenden Schriftstücke erhalten einen Stempel, eine Nummer, werden in das Briefbuch eingetragen – so auch die ausgehenden Schriftstücke. Nun kommen die Schreiben in den Geschäftsgang. Je nach dem Sachbetreff werden sie den Sachbearbeitern vorgelegt – auch diese verschiedenen Vorlagen werden im Briefbuch vermerkt, sodaß über den Verbleib eines Schreibens jederzeit Auskunft gegeben werden kann. Dem Inhalt nach zusammengehörende Schreiben werden verbunden und als verbundene Schreiben kenntlich gemacht. Erledigte Schreiben werden in die Akten abgelegt. Die Registratur ist also eine nur ordnende Stelle, die mit der Bearbeitung und Fertigung der Schreiben zunächst nichts zu tun hat. Solche Registraturen gibt es natürlich nur bei größeren Dienststellen. Die Registraturarbeit ist also eine handlanger-, eine Vermittlerarbeit. Worauf es ankommt: auf saubere Buchführung, ein paar Kleinigkeiten und Spitzfindigkeiten im Auge behalten, den Schriftwechsel inhaltlich auch ein wenig zu verfolgen, damit man bei Rückfragen schnell im Bilde ist. Das ist ein rein umschriebener Pflichtenkreis, der aber durch Nebenarbeiten oft und leicht Erweiterungen erfahren kann – bedeutend dann, wenn wir die Ausgänge aus den Entwürfen ins Reine schreiben müssen, das ist augenblicklich nicht der Fall, kann aber leicht noch kommen, wenn Kräfte eingespart werden sollen – ein weniger, wenn wir, wie gegenwärtig gerade, die ausgehende Post auch versandfertig machen müssen.

In diese Arbeit teile ich mich nun mit einem Obergefreiten, der darin ebensoviel [sic], noch mehr Übung hat wie ich. Magst selbst beurteilen, ob diese Arbeit mich ausfüllt. Jetzt muß ich mich einarbeiten, und manches ist mir neu. Meine Arbeit in der Kompanieschreibstube war vielseitiger und verantwortungsvoller. Aber die jetzige kann es werden, wenn ich zu der Arbeit vielleicht allein bin — es ist gerade in dieser Richtung etwas im Gange. Zeitlich sind die Dienststunden mit dieser Tätigkeit fest besetzt.

Herzelein! Ich mußte es im Zusammenhang mit dem, wovon ich gestern schrieb, denken: Mein Tag früher war so voller Wollungen und Strebungen im großen und kleinen, in Tageszeiten, in Abschnitts- und Jahreszeiten, daß ich mir jetzt dagegen manchmal wie gelähmt, wie ausgeschaltet vorkomme. Mein Tag, meine Arbeit und deren Gewinn und Freude bestanden eben in dem Wechselverhältnis von Wollen und Vollbringen. Und auf dem Wege zu einem Ziele taten sich Seitenwege, Nebenziele auf, Ausblicke – ach, überreich und voll gedrängt war der Tag. Und das ist all jetzt nicht, ist ausgeschaltet. Und ich sehe auch keine Möglichkeit hier bei den Soldaten, die mir diesen Lebensrytmus [sic] wiedergeben könnte. Herzelein! Das soll keine Klage sein. Das ist nur eine Beobachtung, eine Erkenntnis, die mit der längeren Dauer dieses Krieges sich mehr und mehr als eine Not vordrängt – und Du, die meinen Tag kannte, meine Arbeit, [wi]rst all das verstehen.

Ich muß mich ihrer auch irgendwie erwehren. Ich denke daran, einiges aufzugreifen, was ich mich mir seinerzeit für stillere Stunden schon aufhob und vormerkte. In einem der nächsten Päckchen schicke mir doch bitte das Neue Testament mit. Das wollte ich schon immer einmal studieren. Ich besitze die große Musikgeschichte von Hans-Joachim Moser. Derselbe Mann hat auch eine kürzere Zusammenfass[un]g dieser Musikgeschichte herausgegeben – ich glaube, er nennt sie Lexikon der deutschen Musik oder so ähnlich. Ich bitte Dich nun, mal bei S. mit vorbeizugehen und nach diesem Buch zu fragen, vielleicht kriegt er es heran. In seinem großen Lexikon müßt ihr mal suchen unter Musikgeschichte oder Hans-Joachim Moser. Seine große 3 bändige besitze ich also schon. Die ist mir zu umfangreich zum Mitnehmen.

Herzelein! Kannst mir auch mal Kants (des Philosophen) Werke bestellen. Vielleicht kann er mir sie gebraucht versorgen [sic]. S. hat manchmal so etwas in. ^an der Hand. Herzelein, daß Du nicht Angst bekommst und mich falsch verstehst. Viel Zeit bleibt mir ja ohnehin nicht – und von Deiner, von unsrer Zeit, soll nicht eine Minute abgehen – nein, nur daß ich zu den wenigen Gelegenheiten etwas in die Hand nehme, was ich schon immer einmal wollte, was in meinen Plänen liegt.

Geliebte! Du erkennst so lieb und froh die Zeit zwischen Abschied und Wiedersehen! „Sie ist Erwartung, nichts als selige Erwartung! Ach, auf alles! Auf die Zeichen schenkender, überströmender Liebe; auf alle Kunde, die uns vom Geliebten wird; ach, selige und nur frohe Erwartung auch auf das, was der Vater droben uns schickt in Weisheit und Güte!“

Oh Geliebte! So ist es – so soll es auch bleiben. Wir wollen nicht müde werden im Hoffen, im Gottvertrauen, im Gehorsam gegen Gottes Willen.

Oh, Gott im Himmel hat mich mit fig [*] meinem Zagen und meiner Unruhe durch seine Güte beschämt – wir sind schwache Menschen.

Oh Herzelein! Überwinden müssen wir alle Ungeduld – müssen lernen stillehalten. Aber ob auch einmal schwache Stunden uns kommen – unauslöschlich, unverrückbar bleibt uns die Liebe wie die liebe Sonne selber auch hinter der dicksten Wolke.

Schätzelein! Du ertapptest mich im Urlaub bei der Redensart: „so ist es“. Weiß nicht, woher sie mir kommt – aber sie ist ein Zeichen von dieser Lähmung, von willenlosem Ergeben.

Ach Du! Du!!! Über alles Geliebte! Wer von uns beiden ist das Geduldigere? Manchmal glaubte ich, es zu sein. Oh Du! Du!!! Mit Dir leben – mit Dir leben!!! Wie ruft das Herz nun schon so lange, so lange — und immer wieder müssen wir es beschwichtigen: Geduld, Geduld! Und in manchen Stunden werden wir über dem heißen Wollen und dem Ungestüm solchen Drängens unzufrieden und undankbar – vergessen wir doch, wie uns ein glückhaftes Nahesein doch vergönnt ist vor abertausend anderen – wie gerade die Trennung uns ganz, ganz nahe gebracht hat – und wie doch eben auch diese Zeit bei Gott beschlossen liegt und damit zu unserem Besten ist und einen Sinn hat. [Nur] das zu erkennen und anzuerkennen fällt nicht immer leicht.

Oh Herzelein! Laß uns darin wie in allen Dingen zusammenstehen: daß wir einander bestärken in der rechten, gläubigen Geduld – daß wir Gott um Kraft bitten zu treuem Ausharren.

Herzensschätzelein! Du sitzt wohl eben um diese Stunde auch und denkst mein. Wir können es täglich – welch reiches Geschenk! Und daß es uns dazu drängt – Zeichen unsrer Liebe, unseres Glückes! Oh Gott im Himmel! Bleibe uns gnädig! Segne unsre Liebe!

Er behüte Dich auf allen Wegen!

Ich denke Dein in Liebe und Sehnsucht. Du, mein Alles! Mein einziges, geliebtes Weib! Ich liebe Dich über alle Maßen! Ich bin Dir ganz verloren! Du hast mein Herz – mein Leben!

Ich bin ganz Dein! Ewig

Dein [Roland],

Dein Herzensmannerli.

Du! Du!!!!! !!!!! !!!

Du Liebe! Du Gute!

Mein! Mein!!!!! !!!!! !!!

[* um das Wort wurde ein Rechteck gezeichnet und dann wurde es mit 3 horizontalen Strichen durchgestrichen]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946