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[OBF-421027-002-02]
Briefkorpus

Dienstagabend am 27. 10. 1942.

Geliebter!

Ich bin wieder zuhause. Die Uhr zeigt ½ 1100 [Uhr] vorbei. Alles ist still. Sie schlafen. Nur eine Fliege summt noch um den warmen Ofen. Ich sitze beim Schein unsrer Leselampe, Du! Ich hatte doch schon begonnen, mich auszuziehen fürs Bettlein, als ich mein Nachthemd überzog, da wußte ich plötzlich, daß ich noch nicht würde schlafen können. Ich bin so nah bei Dir in meinen Gedanken. Du!!! Draußen rührt der Wind an die Fensterscheiben, spielt mit losen Gegenständen. Wie er durch’s Laub fuhr, durchs welke, als ich vorhin so ging, wie ein verspielter Bube. Er ist nimmer müde, die ganze Nacht hindurch. Wie der Mond, der unablässig leuchtet. Nur ich werde einmal müde sein, bald so glaub ich – noch vor Mitternacht. Ich bin ein schwächlich Menschenkind. Bin wie ein Blatt im Herbstwind, in dieser großen Welt. Und doch glaube ich auch an mein Ziel und an meine Bestinnung. Ach Du! Das Schicksal kann mich wehen, wohin es will, nur nicht hinweg von Dir! Oh wie ich Dich liebe [Roland]! Mein [Roland]! Du!!!!! Ich möchte jetzt bei Dir sein. Wenn ich nur Deine liebe Hand hätte! Ach!!! Geliebter! Fühlst Du es?, wie ich mich an Dich drängen muß so nah, so nah! Bin so ganz Dein! Ewig Dein für dieses Leben! Oh erhalte uns Gott unser, unser Leben! Alles schließt es für uns ein, Geliebter! Herrgott, o sei uns gnädig! Sieh in unser Herz! Sieh uns ganz! Amen.

Mein [Roland]! Wenn ich etwas Schönes, etwas Großes erlebte, dann muß ich Dir nahe sein! Und wenn ich es nicht kann, so ganz wortlos und körperlich nahe, dann muß ich mich im treuen Boten hin zu dir finden. Ach wie auch – ich muß, ich muß! Du! Muß alles, was mich bewegt mit Dir teilen, Du mein liebstes Geschwister.

Herzelein! Der Film Rembrandt hat mich gepackt. Ich wünschte mir so; daß Du neben mir gesessen hättest! Nicht nur der Lebensweg, das Schicksal jenes Meisters ist packend, auch die Darstellungskunst der Schauspieler. Und durch das Ganze hindurch webt der Geist der damaligen Zeit. Ach, man wünscht sich manchmal heute zurück, in eine andre Zeit hineingelassen. Aber glaube mir, jede Zeit hat ihre Konflikte gehabt. Nie läuft sie so glatt ab wie in Wunschträumen. Idealismus und Materialismus bekämpften einander wohl schon von jeher, einmal in größerem, einmal in minder großem Umfange. Das einzige Schöne ist wohl in jenen Zeiten gewesen, daß nicht die Politik im Vordergrunde stand – ich weiß es nicht, ich mein es nur zu spüren –. Politiker sein mögen Berufene, sage ich, nicht aber jeder beliebige. Man soll das Volk seine Wesensart leben lassen. Ach, was verstehe ich auch davon.

Ach, damals hatte man noch Lebensart. Da mußte man nicht dies, mußte man nicht jenes. Es gab ein persönliches Leben und ein Lebensrecht in eigenstem Bezirk. Und nur in solcher Atmosphäre kann sich ein Künstler entfalten, ein Genie.

Wird in unserer Zeit ein Rembrandt geboren? Wenn schon geboren, wird er auferstehen können, so? Ich zweifle daran.

Ach, frei muß man sein! Frei!

Geliebter! Es ist aber auch ewig wahr, daß eine tiefe, große Liebe alles aufwiegt, was das Leben sonst versagt. Kraftquell und immer neuer Ansporn kann sie sein, die gute Liebe. Unerschöpflicher Brunnen. Du!! Du!!! Wir, die wir warten müssen auf die Freiheit, Du! Uns quillt ein solcher Brunnen! Goldklar und rein! Unsrer Liebe Glück, Herzensschatz! Unveräußerlich! Du!!! Ewig mein! Ewig Dein! Gott helfe uns! Amen.

Gut [sic] Nacht! Du! Du!!! Du!!!!!

Deine glückliche [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946