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[OBF-421022-002-01]
Briefkorpus

7.)

Donnerstag, am 22. Oktober 1942. Am Morgen.

Herzensschätzelein! Du!! Mein herzallerliebster [Roland]!

Ich komme heute gleich am frühen Morgen zu Dir, weil ich doch gestern garnicht dazu kam Dir zu schreiben, Herzelein. Es ist gerade um 900 [Uhr], eben brachte die Post eine Karte vom Vater aus Kamenz, worauf er mir nochmal ans Herz legt, unsre Sachen aus Schmilka abzuholen. Er hat es schon in die Wege geleitet. In Schöna–Herrnskretschen an der Bahn [unklar] ist ein früherer Schüler von Dir [Roland], mit Namen J., er will die Angelegenheit gern besorgen. Es läge nun bei mir, Frau Sch. zu benachrichtigen, daß das Geschirr abgeholt wird. Vielleicht müßte ich auch an J. eine Karte schreiben, damit er sich bei Frau Sch. ausweisen kann und meine Wünsche weiß. Er müßte sich eine Kiste besorgen und alles gut verpacken, die Kosten hierfür müßte er gleich auf dem Frachtbrief vermerken. Ich will mirs mal beschlafen. Und weiter rät mir Vater, auch die Matratzen aus Lichtenhain kommen zu lassen, damit endlich mal alles beisammen sei. Eigentlich ist das recht gedacht; denn da nun das Schlafzimmer und die Küche sowieso hier bei uns untergebracht werden sollen, können auch die dazugehörigen Dinge dabeistehen. Sollte es doch noch klappen, daß wir unser Schlafzimmer aufstellen können im Hause, ginge es ja sowieso nicht ohne Matratzen. Na, ich will’s nochmal mit den Eltern bereden und dann an die Leute schreiben.

Die Mutsch war eben da zum Frühstück, sie wußte "das Neueste"! Eine junge Frau drüben im Geschäft hat gestern im Laden einen Urlaubsschein gesehen von einem Soldaten aus Rußland, darauf sei in einem weißen Streifen, der quer durch den Schein läuft, gedruckt gewesen: Wenn bis 24. November Waffenstillstand im Osten eingetreten sei, sollen sie sich in ihrer Garnison melden, andernfalls die Rückreise antreten. Sag, ist das nun Satismus [sic], Sarkasmus – ich finde keinen Ausdruck für solchen Blödsinn! So Oberfrohna!! O wer sich noch in solchen Illusionen wiegen kann angesichts der nüchternen Tatsachen. Natürlich bildet jene 'Tatsache' nun den Mittelpunkt allen Geschehens, das im begrenzten Horizont dieser Leutchen da drüben abläuft. Wollen ihnen ihre Freude lassen. –

Mein Schätzelein! Gestern Mittwoch, ich war nachmittags bei meinen Kindern. Es machte mir wieder Freude, nach so langer Pause, und wir hatten ein recht gutes Verhältnis zueinander, in beiden Scharen verlief alles reibungslos. Für die folgende Zeit haben wir uns schon Bastelarbeiten für Weihnachten vorgenommen: Laternen, Transparente, Leuchter aus Holz, Notizblöcke in hübscher Form, Kästchen für so kleine Utensilien wie Nähzeug, Kragenknöpfe und wenn wie erst mal das alles fertig haben wird wohl schon Weihnachten sein, Du kennst ja die Arbeit mit Kindern. Aber es herrscht eitel Freude in der kleinen Bande.

Es war schon 1/4 nach 600 [Uhr] abends, als ich heimkam. Ich aß sogleich Abendbrot, weil ich zwischen 600 + 700 [Uhr] bei Herrn Oberlehrer M. erwartet wurde. Punkt 700 [Uhr] war ich dort. Er wartete bereits, ein netter älterer Mann. Und nun stellte es sich heraus, daß Du wohl in seinen Akten eingetragen warst, aber seinerzeit hast Du nichts veranlasst bei Deinem Wegzug von Oberfrohna, somit beschloß der Vorstand am 22.I.1941 Streichung! Ja, da ist nichts mehr zu machen, wir mußten also das Ganze neu beantragen. Herr M. hatte die Güte mir alles auszufüllen und ich brauchte nur zu unterschreiben. Er riet mir auf 16000 [ℛℳ] zu versichern, es mache nur 40 Pfennige mehr aus als bei 15000 ℛℳ. Nun gut, so sind wir einig geworden. Ich lege Dir mal den alten Antrag bei worauf die Bleistiftzahlen Dir kenntlich machen, wie unser neuer Antrag aussieht; ich mag das Original nicht aus den Händen geben, verstehst Du? Ja, das wird nun nach Leipzig eingesandt und in Kürze bekomme ich die Genehmigung und eine neue Mitgliedskarte. – In Zukunft wollen wie aber fein achtgeben, daß bei Umzug auch die Ummeldung erfolgt in dieser Brandkasse! – Es wird ungefähr 8 ℛℳ kosten an Gebühren, die ich an ein genanntes Konto überweisen muß.

Gottseidank – wären wir auch das wieder los.

Ich kam erst um 900 [Uhr] heim, wir verplauderten uns noch ein wenig und es war finster, als ich mich endlich langsam heimtappte. Herr M. war im Weltkrieg in Saloniki, 1911 war er 3 Jahre Marinelehrer, hielt Vorträge anstelle unbefähigter Offiziere! Ja, er ist bewandert auf manchem Gebiete. Es wäre nett gewesen, wenn Du ihm hättest mit zuhören können. Vielleicht kommen wir nochmal mit ihm zusammen.

Schätzelein! In rumänischem Land finde ich Dich. In B.! Du! Ich freue mich, daß Du für den Winter zumal in einer großen Stadt sein kannst, Du wirst ein wenig Zerstreuung haben, wirst am Kulturleben teilnehmen können, was in V. sicher nicht in dem Maße sein kann. Außer Veranstaltungen, rein im Sinne der Wehrmacht. Der Sommer in V. ist bestimmt schön, der Winter aber? Ach, nicht abwägen! Sich abfinden mit dem gezogenen Los.

Es geschieht nichts ohne Grund und Sinn in unserm Leben.

Und ich glaube bestimmt, daß in Deinem neuen Schicksal eine gütige Bestimmung liegt. Geliebter! Vertrau mit mir!

Sieh, ich bin Dir so nah, wo Du auch weilst! Geliebter! Und Du wirst Dir, kraft Deines großen inneren Reichtumes die guten Seiten Deines neuen Daseins abgewinnen.

Laß mich Dir helfen dabei! Laß mich teilhaben an allem! Ach Du! Du!! Weil ich Dich nur wieder an einem Orte weiß, wo Du zur Besinnung kommen kannst, ausruhen einmal wieder von dem ruhelosen Hin und Her. Alles andre wird sich nach und nach einfinden: das Wohlbehagen, soweit man davon reden kann beim Militär – im Dienst und im Leben sonst.

Du wirst Dich umtun, das weiß ich, bis es einigermaßen so ist, daß Dir das Dasein erträglich ist. Ach und dann bist Du ja auch kein Rekrut mehr, hast schon hier und da eine Verbesserung, gelt? Ich werde ja bald mehr hören von Dir, Herzelein!

Ich suchte doch sofort auf der Karte, wie Du und H. gefahren sein könnt, am Sonntag von S. aus. So spät seid Ihr also angekommen! Schändliche Verspätung! Und ich kann mir die Gedanken vorstellen, die Euch bewegt haben müssen, als Ihr beladen nach Eurem Wäldchen zogt und dann wiederbeladen den Lastwagen bestiegt! Ach, Soldatenleben! Die Bahnlinie verfolgte ich also. In Plevna mein ich, bog H. ab nach der Küste zu und Du nach Norden mehr, nach B. zu[.] Und als Ihr mit der Fähre das rumänische Ufer erreichen wolltet, das muß bei Rustschuk-Georgiu gewesen sein. Nun kennst Du also auch das dritte Land auf dem Balkan. Ich bin begierig mehr zu hören! "Guter fremder Reisender, der du den Boten für meinen [Roland] so treu besorgtest!” Er ist in Wien abgestempelt. Ach Du! Ich habe es ja gewußt, daß Du mir so rasch wie möglich Nachricht gibst!

Herzelein! Ich danke Gott, daß er dich so gnädig geführt hat. Er wird Dir auf allen Wegen gnädig beistehen. Dich mir erhal[te]n, froh und gesund. Das glaube ich fest. Geliebter! Mein [Roland]! Ich grüße Dich herzinnig! Ich bin bei Dir! Ich liebe Dich!

In Ewigkeit Deine treue [Hilde], Dein.

Karte
Kommentare

drew.bergerson

Mi., 01.07.2020 - 15:52

This is fascinating: Hilde is inviting Roland to accept his life in the war as normal. And she shares in his adventures by following his movement on the map.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946