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[OBF-421020-002-01]
Briefkorpus

6.)

Dienstag, am 20. Oktober 1942. Abends.

Herzensschätzelein! Du!! Einziggeliebter!

Du! Ich bin ja den ganzen Tag über schon so voller Freude und Glück, ach Du! Denke doch: 3 Boten sind gekommen! 3 liebe Boten von Dir, mein Herz! Du! Ich danke Dir so sehr! Wie hast Du lieb und fleißig an mich gedacht, Schätzelein! Bei aller Unruhe und Unbequemlichkeit einer solchen Reise. Ach, darum bin ich Dir für jedes Wort doppelt dankbar. Du! Alle 3 Boten sind am 16. X. abgestempelt, sind doch so fein pünktlich gekommen, ja? Ich hätte heute noch nicht gerechnet, [e]rst am Donnerstag etwa, weil ich annahm, daß Du außer Wien nun erst wieder in S. [sic] zum schreiben [sic] kämest. Umso schöner ist’s! Ist doch nun die Spanne bis zum nächsten Brief verkürzt! Du glaubst ja nicht, wie ich mich immer sehne nach einem Wort von Dir. Ach, wie ich warte auf das Zeichen von Deiner lieben Hand.

Du! Dir ergeht’s ja ebenso, mein Schätzelein! Ach – es ist doch, weil wir uns so unendlich liebhaben müssen! Sooooo lieb!

Ich kam doch eben vom Wochenmarkt heim – es war heute frisch, aber trocken, und es gibt kaum noch Kaufenswertes, Kraut – Rüben – als ich es weiß durch’s Fensterle des Briefkastens leuchten sah. Es war schon spät, ging auf 11 Uhr, ich hatte noch das Rindfleisch in der Tasche, das ich zu Mittag für die Nudeln kochen wollte – aber ich mußte erst springen und Deine Boten holen und nachsehen, was Du mir sagen wolltest. Du mein Schätz[el]in. Ach, dann gings [sic] doch gleich nochmal so hurtig mit der Arbeit. Punkt ½ 1 Uhr konnten wir essen und gut hats geschmeckt. Ich hatte doch am Vormittag gleich allerlei Wege mit besorgt in der Stadt. War bei der Schneiderin, hab mir nun ein Kleid gewählt, [es] wird Dir gefallen. Von einem das Oberteil, vom anderen Modell das Unterteil: ergibt ein nettes Neues. Du wirst es schon auch zu sehen bekommen, Du. Und bin anschließend so lang umhergelaufen nach ein wenig Seide oder Pikee in weiß, womit woraus ich den Ausputz herstellen will; nach 3 Stellen ging ich dann, wo man solche Dinge stickt, mit der Maschine, ich kam nirgends mehr an, alle haben bis Weihnachten zu tun. Und außerdem würde die Art, die ich wünsche, so selten verlangt, da könnten sie ihre Maschinen nicht erst umstellen. Ist mir schnuppe. Mach ich’s halt selbst, ich hab nun mal diese ausgefallene Idee und die setze ich auch durch. Ich will eben gerade nicht das, was alle andern auch tragen. Bis Weihnachten schaff ichs [sic] auch allein!

Dann besuchte ich die Frau des "Feuerrüpel" in der W.-straße. Ihr Gatte hat gesucht und Dich nicht in den Akten gefunden. Aber er hat mich für morgen abend hinbestellt mit meine[n] Unterlagen, da wollen wir nochmal schauen; denn das muß doch in Ordnung kommen. Ich berichte Dir vom Ergebnis. Die Möbel sind auch noch nicht da, es klappt noch nicht mit dem Spediteur. Na, hoffentlich kommt alles noch vorm Winter unter Dach und Fach. Ja, das sind so meine Kopfsorgen!

Der Nachmittag ging drauf wieder mit allerlei Kramerei und die Doppelfenster sind nun auch eingehängt. Es ist so schön gemütlich zuhaus heute abend [sic], daß ich garnicht zum Dienst mag – ich schwänze – mag doch viel lieber bei Dir sitzen noch ein Weilchen, Du! Und kuschele mich dann ins schöne, warme Bettlein und denk noch lang an Dich, Liebes! und träume von Dir, ach Du! Wir haben noch garnicht Abendbrot gegessen, [wo]llen eine feine Grießsuppe kochen und die Milch dazu darf die Mutsch erst holen, wenn’s dunkel ist, weißt schon wo!

Ich warte auf sie, es ist 8 Uhr vorbei – hab Hunger. Ja, bin noch immer Dein Vielfraß, Du! Aber vom Kaffeetrinken her bis 800 [Uhr] ist's auch eine lange Weile, gelt? Die Mutsch sagt auch, daß ihr auffällt: immer wenn Du da bist und dann noch eine Weile darnach, würde ich so viel essen! Ist's verwunderlich? Du?!! Das Nimmersatte und Hungrige erstreckt sich halt auf jedes Gebiet, in den kurzen T[ag]en, wo alles Glück inniger Liebe einmal über uns zusammenschlägt. Ach Du!! Du!!! Und langsam stellt sich dann das Seelische wie das Körperliche wieder um. Ach Du, in einem regelmäßigen Leben erst kann man doch in allen Dingen das rechte Gleichmaß finden. Und das werden auch wir beide dann, Du!!! Man wird mich vermissen im Dienst, aber ich weiß durch Frl. K. selbst, daß sie heute spricht über Krankenpflege, und das ist nicht so brennend wichtig für mich.

Ach Schätzeli! Nun verlief doch Deine Rückfahrt wieder einmal nicht so ganz planmäßig wie sie eigentlich sollte. Beinahe habe ich mir’s gedacht; denn ich hatte es richtig so im Gefühl. Na, nur gut, daß wir Dich gut genug verproviantiert hatten, sonst würden ich und die Eltern uns jetzt nachträglich sorgen. Ich bin nur froh, daß H. mit Dir war; ist schon eine andre Sache, als wenn man so ganz mutterseelenallein durch die Gegend dunselt. Ihr fandet also ein Lager, wie es für Soldat[en] kein schönres gibt und konntet mal zwischendrein langgestreckt schlafen. Auch konntest Du reichlich deutschen Kohl verzehren. Das ist doch typisch bei allen öffentlichen Verpflegstellen: Im Herbst gibts nix wie Kohl, Kraut, Kohl.

Ist so die richtige "Fülle" für den Bauch, der sich darnach so schön aufbläht und das Beieinandersitzen im engen Abteil des Zuges so besonders angenehm gestalten hilft, gelt? Aber ich weiß, mein Mannerli macht sich darüber keine Kopfsorgen, es stirbt nicht an "Magendrücken”! Denn man tau – ich war nicht dabei. Ach pfui! Ist das eine nette Unterhaltung für zwei Liebesleut‘?

Dein Kamerad hat Dir vom neuen E. erzählt! Ich glaub gern, wie glücklich er ist! Ich möchte die Frau H. schon auch gern mal wieder besuchen, weiß nicht, ob es heuer nochmal klappt. Nun haben sie mit unserm Besuch gerechnet – ja, gäbe es noch 3 Wochen Urlaub, dann … Wie schwer mag auch ihm das Scheiden gefallen sein, er läßt soviel Liebes, Teures zurück. Ach Herzelein, wir beide wollen ganz stark bleiben und einander helfen, die böse Zeit zu überwinden, einander helfen das Weh der Ferne tragen. Du!

Ach Du! Wenn Dich der Zug erst einmal für immer zurück gebracht hat, dann wollen wir ihm beide aber mal lange, lange richtig gram sein. Du schilderst mir recht lieb und anschaulich, wie und wo Du die Zeit des Aufenthaltes in B. verbrachtest. Besonders dank ich Dir für die Skizze und die Ansichtskarte, beides vervollständigen Deine Beschreibungen recht gut. Du! Bis zu der Stelle, wo die beiden bedeutsamen Flüsse zusammenfließen würde ich mich doch schon ganz alleine finden! Du, ich bin doch nun, nachdem ich wieder Deine Eindrücke kennenlerne, die B. auf Dich machten [sic], so froh daß Du bis auf den Tag noch nicht an solcher Stätte zu leben brauchtest, wo Unfrieden und Zerstörung ihr Unwesen treiben. Ach gebe Gott, daß Du es künftig auch wieder gut triffst! Es muß solche Stadt einen unheimlichen Eindruck auf einen machen, [z]umal man noch Kampfspuren sieht und Häuserruinen. Überall scheint noch Hinterhältigkeit und Aufsässigkeit zu lauern.

Ach, sei mir nur immer recht vorsichtig in solchen Gegenden!

Wenn ich von B. reden höre, sehe ich immer den Soldaten vor mir, der bei Oma in der Gaststube war, er ward in B. von unbekannter Hand mit einem vergifteten Messer in den Arm gestochen, als er in einem Lokal saß und es zu Anrempelei kam. Aber Du trinkst ja nie, ich glaube das könnte Dir nie passieren. Und doch kann man nicht vorsichtig [ge]nug sein gegenüber solchen fremden Volks. –

Du! Die Mutsch ist da, sie kocht eine feine Suppe es geht schon auf 1000 [Uhr] das wird ein spätes Abendbrot, weißt? ich will noch ein wenig lesen, Was unser B. macht, damit ich nicht mit so vollen Bauch ins Bettlein steig – sonst träum’ ich bös, Herzelein!

Du! Ich habe heute wieder nach unseren geknipsten Filmen gesu[ch]t, ich finde keine weiter als nur die zwei Stück. Überleg Dir nur mal, wo wir die hingesteckt haben könnten. Etwa in Kamenz vergessen? Oder hast noch einen in Deinem Koffer? Ich weiß aber auch nicht mehr, wieviel wir im ganzen verknipst haben. Ich lasse mal die 2 entwickeln, an den Bildern kann ich dann feststellen, was noch fehlt.

Du! Schätzelein, ob Du denn heute noch in S. sitzt? Mir glüht die eine Wange so sehr, bist Du schon wieder unterwegs und sehnst Dich nach mir? Bald mußt Du Post von mir bekommen, Du! Ach – ich möchte es so, sooooooooooooo lieb mit Dir meinen, Herzelein! Ich liebe Dich! Gott behüte Dich mir! In Liebe und Treue ewig Deine [Hilde].

Gut Nacht! Ich küsse Dich! Vieltausend Grüße von den lieben Eltern!

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Kommentare

Der Brief kann wie folgt zusammengefasst werden: Hilde berichtet, dass sie Briefe von Roland erhalten hat; Hilde schreibt, dass sie auf dem Wochenmarkt war; Hilde besucht eine Schneiderin und berichtet über ihre besonderen Wünsche für ein Kleid: Hilde schreibt, dass sie mit ihren Eltern Grießsuppe isst; sie schreibt, dass ein Kamerad ein Kind bekommen hat; Hilde kommentiert Rolands letzte Briefe.

Der Brief ist interessant, denn Hilde schreibt davon wie sie mit den Ehefrauen der Kameraden, die das Paar durch den Krieg kennenlernte, sozial aktiv war, sich vergemeinschaftete, auch mit der Kriegsgemeinschaft. Und Hilde bedauert Roland dafür, dass er einen Tag dort verbringen musste, wo (durch den Krieg, aber das sagt sie nicht) Zerstörung und Unheil angekommen sind.

Einordnung
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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946