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[OBF-421020-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 19. Okt. 1942

Herzallerliebste mein! – Mein liebes, teures Weib!

Hörst Du denn auch Radio heute? Ich sitze vor meinem Philipsapparat, bin U.v.D. (Unteroffizier vom Dienst), und bemühe mich vergebens, mit Dir das gleiche zu hören, jetzt habe ich es gerade einmal. Ach Geliebte? Ich denke um 8 Tage zurück – geliebtes Herz! Mein liebes Weib! Du, meine liebe [Hilde]!

Ach Herzelein! Ich werde aber heute müde ins Bettlein sinken, gegen Mitternacht. Der Tag war so voll von – kunterbuntem Neuen im Dienst – aber vielmehr hat er all meine Nerven gespannt. Ach Du! Ich möchte Dir doch nahe bleiben! Es ist noch nicht entschieden, Herzelein, und ist es endgültig auch nicht eher, als bis eben alle fort sind. Heute heißt es, daß ich hier bleiben soll. Oh Du! Du!! Du!!!! Mußt wissen, daß ich hier in einen Großbetrieb geraten bin, der für mich mancherlei Neues hat. Da heißt es ein paar Tage mächtig spannen und spitzen und lernen. Ich kam heute mit einem richtigen Kopfschmerz aus dem Dienst. Aber das gibt sich.

Schätzlein! Eben ist das Schlußlied vom Allerlei am Montag verklungen. Auch Du wirst es gehört haben. Ach es wird noch eine Weile dauern, bis die Boten nun wieder recht zueinanderfinden. Wenn ich hier bleibe, ändert sich die Feldpostnummer ab sofort in 19719. Die magst Du jetzt auch brauchen.

Ach, ist das wieder mal ein Durcheinander, ein rechter Herbststurm. So viel Neues will verdaut und durchdrungen sein. Und darüber will ich doch vor allem zu Dir finden, Geliebte! Wenn nur das Wichtigste erst einmal entschieden ist.

Ach Du! Gestern abend haben doch 3 unruhig in ihren Betten gelegen: Dein Mannerli. Es hat auch vom Herzensschätzelein geträumt – es war ganz kühl zu mir – Du! Du!!! Das stimmt doch gar nicht. Der Kamerad H., auch er steht vor neuen Aufgaben, muß neu sich einleben. Und Kamerad K. – jawohl. Er ist zu dem anlaufenden Schreiberlehrgang nach S. kommandiert. Im Anschluß daran muß er den militärischen Lehrgang in V. durchmachen, unterdessen wird es Winter und Weihnacht.

Den Kameraden R. trafen wir zwischen Belgrad und Nsfch [unklar] im Gegenzug, im Begriffe, nach Belgrad zu fahren und sich dort laut Weisung des Arztes operieren zu lassen. Auch er wird eine sorgenvolle Nacht gehabt haben. Ach Herzlein! Wie komme ich mir augenblicklich nur vor: wie einer, der sich gar nicht in der Gewalt hat, der keinen Boden unter den Füßen hat, der mit dem Kopf irgendwo darunter steckt. Ach, Du kennst mich, Du weißt, wie mir zumute ist, wenn ich den Kopf nicht freihabe, und wie ich alles dransetze, ihn freizubekommen.

Ach Du! Wenn es nur allein in meinem Willen stünde, dann ginge es wohl schneller. Wenn mir erst der große Druck gewichen wäre! Aber ich habe Vertrauen und Hoffnung, daß alles gut wird. Ach Du! Du!!! Du!!!!! Ich will in Deiner Nähe bleiben! Die böse Ferne! Wenn uns das erspart bleiben könnte! Gott walte es!

Herzlein! Dienstag ist, da ich fertig schreibe. Gegen 2 Uhr geht die Post. Sie wird bis zu Dir auch etwa 6/7 Tage brauchen. B. [sic] hat von daheim ungefähr die gleiche Entfernung, und die Fahrt wird ebensolange [sic] dauern. Die Karpaten müssen gequert werden. Es gibt von hier täglich zwei Zivilzüge, einen über Budapest und einen über Lemberg.

Die Nacht wahr nun heute etwas kurz, gegen 5 Uhr mußte ich mich schon erheben, damit ich die anderen aus den Betten jagen konnte.

Ob das Mannerli später zu Hause [a]uch mal den U.v.D. spielen muß? Brauch ich doch gar nichts zu pfeifen und zu küssen – kann viel, viel zärtlicher zuwege gehen – Elfelein!

So kurz die Nacht nun war, so voll Träume war sie auch. Schuld sind wohl die schweren Decken, die sich des öfteren verlagern. Auch mein Schätzelein war wieder in den Träumen, und wiederum grollend, ulkig. Aber ich erkenne die Zusammenhänge mit den Erlebnissen unsrer Tage des Wiedersehens. Hör nur zu: Wir waren in einer Gesellschaft beisammen. Auf einmal schwangst Du Dich aufs Rad und jagtest los. Ein junger Mann sagte darauf: ich laufe ihr entgegen und halte sie auf. Er sauste los, mit beiden Händen ein Tuch vor sich herhaltend, mit dem es Dich aufhalten wollte. Ich rief ihm noch nach: Vorsicht, Vorsicht, sie sieht nicht gut! Wie es nun weiter hergegangen ist, weiß ich nicht. Auf einmal kommst Du angebrescht [sic], auf den Lenkstangen stehend, auf dem Sattel den Kerl. Ich drohte nur leise Deinem Übermut. Da sagtest Du: "Bist ja nur eifersüchtig, ich will es Dir gleich beweisen!” Der Traum ging dann weiter. Ich weiß ihn aber nicht mehr. Putzig – putzig. Was hab ich doch für einen wilden Zirkusreiter zum Weiberl! Das Kunststück will ich mir mal vorführen lassen im nächsten Urlaub – lieber nicht – dann würde ich Dir nämlich das Rad beschlagnahmen.

Ob daheim wohl auch solch schöner Tag ist heute. Es hat gereift heut nacht.

Herzensschätzelein! Ich muß meinen Boten beschließen heute. Gleich wird die Post abgehen. Ich hoffe, daß meine Gedanken bald ihr Gleichgewicht wiederbekommen. Ich freue mich so sehr darauf, daß wir einander in unseren Boten bald wieder die Hände reichen können, Deine lieben Hände, die mir der Zug in die Nacht entführte.

Behüt Dich Gott, geliebtes Herz! Bald komme ich doch wieder zu Dir! Bleib mir froh und gesund!

Laß uns unser Glück Gott anbefehlen, er wird alles wohlmachen! Ich halte Dich sooo fest! Du, mein Alles!

Ich habe Dich sooo über alle Maßen lieb!

Ich küsse Dich! Du! Liebes Geschwister! Meine [Hilde]!!!

In unwandelbarer Liebe und Treue

Dein [Roland]

Dein Herzensmannerli!

Ich möchte Dir doch alles sein!

Grüße bitte die lieben Eltern. Bald will ich ihnen schreiben. Schicke mir bitte noch 20 von meinen Namenläppchen.

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Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief. Eine handgezeichnete Straßenkarte ist zu sehen, mit dem Ausschnitt sich kreuzender Flüsse, die Donau und die Save.

Ba-OBF K02.Pf1.421020-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946