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[OBF-421019-002-01]
Briefkorpus

5.)

Montag, am 19. Oktober 1942. Am Nachmittag.

Herzensschätzelein! Mein geliebter [Roland]!

Gleich nach dem Mittagstisch komme ich aber nun zu Dir Schatz! Hör mir zu, wie mein Sonntag verlief. Als ich morgens vor 8 Uhr aufwachte, da war ich doch gleich so enttäuscht vom Wetter.

Finster, grau der Himmel und es goß, was nur herunter konnte. Es war ja Kirchgang angesetzt auf meinem Programm, wieder Heldenehrung. Nach dem gemeinsamen Morgenkaffee, ach Du! der ja unsre Gedanken immer nur zu Dir hinlenkte; vor 8 Tagen war doch fast ebensolcher [sic] Sonntag, als wir zur Kirche gingen und [nu]r rieten alle 3, wo Du nun an diesem Sonntag sein wirst.

Bin ich nun hinaus in den Regen, der Briefträger begegnete mir, er hatte nichts von Dir, nur von den lieben Eltern und vom Siegfried. Die Eltern fragten nach Dir, wollen von Deiner Abreise wissen, sie sind nun gespannt, wo Du landen wirst. Und Mutter legt mir nochmal ans Herz, unsre Matratzen und das Emaille Geschirr schicken zu lassen. Na, ich werde den beiden lieben Leuten nochmal schreiben und ihnen sagen, daß ich bei der nächstbesten Gelegenheit die untergestellten Sachen einmal mitnehme. Schicken lasse ich es auf keinen Fall, es geht mir viel zu sehr drunter und drüber auf der Post und Bahn. Von Polenz aus sind die Eltern nochmal in Großröhrsdorf ausgestiegen, sind auch in Bisch. [sic] gewesen, haben alles hergerichtet für den jüngsten [Nordhoff]. Und morgen hat Mutter große Wäsche, so gehts [sic] bei ihr auch immer voran ohne Pause. Unser Kleiner mahnt mich ich hätte ihn wohl vergessen, auch nach Kamenz habe er ein Donnerwetter losgelassen; es wäre nicht schön, wenn man bei der Postausgabe mit leeren Händen davon gehen müßte. Weil aber Dein [Roland] da war, so schreibt er weiter, [sol]l der „Anschnauzer" gnädig ausfallen, aber unter die Gläubiger fiele ich doch mit. Er schreibt nicht viel, sein Zahn sei gezogen und somit wäre er der Operation entgangen. Bei der Kasinoeinweihung sei er tüchtig "sauer" gewesen, seit langem wieder mal. Und sonst ginge es ihm noch gut. Im November hofft er auf einige Tage Urlaub. Er fragt nach Dir, wohin es Dich nun verschlagen hat.

Von der Trudi G. kam ein langer Brief am Freitag schon, worin sie mir ihr Herze ausschüttet, weil sie sich nicht ihrer Mutter anvert[ra]uen mag, sie sorgt sich zu sehr und regt sich unnötig auf. Sie ist in mancherlei Art festgefahren da in ihrem Lager. Ich habe nie so den Gemeinschaftsgeist kennengelernt und kann sie in manchen Punkten nur schwer verstehen, aber ich fühlte aus ihrem Briefe heraus, daß sie eines freundschaftlichen Zuspruches bedürfe. Sie ist ein empfindsames, anhängliches Menschenkind und sie nimmt das Leben ernst, hat somit mehr Konflikte zu überwinden als manch eine andre. Wir hätten mögen einen regeren Briefwechsel führen, daß empfand ich, als sie so vertrauensuchend zu mir kam im Briefe – aber ich kann mich unmöglich nach jeder Seite hin binden.

Ende Oktober wird sie entlassen, in der Zeit, wo sie wieder zuhaus weilt, wird es sich zeigen, ob sie meine Freundschaft wirklich sucht und braucht, dann will ich mich ihr nicht versagen.

So schrieb ich ihr gestern einen lieben Brief und hoffe damit, ihr wieder zurechtfinden zu helfen in ihr seelisches Gleichgewicht.

Es ist rührend, wie aus all ihren Empfindungen reines, unverbogenes Mädchentum spricht, sie wird es einmal nicht leicht haben in unsrer Welt, sich zu behaupten und zu bewahren. Aber sie hat den festen Charakter ihres Vaters, wenn auch ein Schuß Lebhaftigkeit von der Mutter ihr im Blute pulst. Ist doch verwunderlich, wie sich so ein r[e]chtes Mädchen erhält in ihrem Wesen, unter einer Gemeinschaft, da auch übelste Auswüchse vegetieren. Und es ist wieder dasselbe hier, worüber ich auch schon mit Dir sprach; wie Du es erlebst beim Militär; wo die Masse zusammenlebt, da fällt bald die Moral, u.s.wu.s.w. Kein Wunder, das [sic] ein andersgesinnter Mensch allein geht, daß das Heimweh nagt an ihm und daß er immer von einer quälenden Sehnsucht befallen ist.

Ach Du! Wieviel Glück ist es dann, weiß man sich zur Seite einen lieben Menschen, der voll innigem Verstehen und [vo]ll Liebe ist, der zu einem steht in Freud und Leid. Und zu dem man sich flüchten kann mit allem, was das Herz bewegt. Ach Du! Wir haben solches Glück zu eigen! Wir sind so reich! Geliebter Du! Ach, um nichts in der Welt tauschte ich mein großes Glück ein! Du! Du!! Nimmermehr lasse ich Dich! Du bist mein für immer. Und ich bin Dein. Gehöre Dir für dieses ganze Leben, Geliebter! Ach, wenn diese Trudi auch einmal so glücklich werden könnte wie w[i]r. Das gönnte ich ihr von Herzen.

Mein Schätzelein! Als ich aus der Kirche heimkam, habe ich 2 Apfeltorten gebacken aus Roggenmehl, sie schmeckten nicht gut, aber auch nicht schlecht! Kriegskuchen gibts nun wieder, damit wir feinen Stollen backen können. Ich mußte backen, weil wir nachmittags nach Limbach ins Krankenhaus wollten, da liegt unser Patenkind, die Erika C. vom Schneider. Sie ist beim Kartoffelausnehmen auf G. Bauers Hof so unglücklich gefallen, daß gleich die ganze Kniescheibe blosgelegen [sic] hat. Dr. H. mußte sie sofort ins Krankenhaus überführen. Nun wissen sie noch nicht, ob sie ein steifes Bein behält. Sie hat sich doch so sehr gefreut über unseren Besuch.

Das sind nun lauter so unvorhergesehene Dinge, die unser Programm doch immer wieder kreuzen. Ich habe dann noch geschrieben bis [a[bends spät: An die Eltern, an Trudi, an den Siegfried, nach Breitenborn, nach Narsdorf – das Theater ist doch erst am kommenden Sonnabend! – nun drücken mich momentan nur noch 2 Schreibschulden: Elfriede und Hellmuth. Und neben der täglichen Hausarbeit sind immer noch Dinge, die von unsrer Urlaubszeit her liegen geblieben sind. Es gibt dauernd Arbeit. Wegelaufen muß ich auch immer wieder. In sämtlichen Apotheken frage ich nach Mutters Medizin. Morgen will ich auf dem Weg zum Markt die Brand[ver]sicherung regeln. Der Möbelhändler war noch nicht da.

Heute wollen wie noch Doppelfenster einhängen, es klappt gerade, es regnet nicht. Dann möchte ich mich für die Kinderschar vorbereiten, Birnen wollen wir einkochen, meinen Mantel den zertrennten waschen Schnitt herausrädeln, für den kleinen [Nordhoff] muß ich das Röckchen fertig stricken, für den Hubo Socken anfangen und, und ..... Heute ist Vortrag im K. [sic] Verein anläßlich der Buchwoche, ich hab[e] keine Zeit. Morgen DRK Dienst. Mittwoch ist besetzt; Donnerstag in 8 Tagen gibts große Wäsche. Na, für mich gibts keine Minute Langeweile. Ach, ich stöhne nicht! Immer schön eins nach dem anderen. Du! Ich nehme mir schon Zeit, das versprech' ich Dir.

Herzelein! Ich hatte die Stiefelein beim Schuster, er hat mir die Nägel entfernt und ich hatte sie auch schon an, er hat mir den Rechten geweitet, ein wenig besser gehts. Ich kann gut laufen und fein warm sind sie auch. Der Schuster meint, daß er sie nur heuer noch besohlen müßte, Sohlen und Absätze taugten nichts. Ich glaubte ihm nicht, aber nun bin ich gestern eines besseren belehrt worden. Als ich vom Krankenhaus heimkam hatte ich nasse Füße. Das dürfte eigentlich bei neuen Schuhen nicht vorkommen. Nun bin ich gespannt wie es bei Schneewetter ist. Vielleicht behebt sich der Schaden, [w]enn neue Ledersohlen drauf sind. Es tut mir leid, Du hast so viel Geld bezahlt, wenn sie nun nichts taugen sollten. –

Schätzeli! Nun ist doch schon wieder gleich eine volle Woche um, seit wir einander die Hand zum Abschied reichten. Wie schnell doch die Tage eilen, es ist nur gut so, denn so empfinden wir wenigstens nicht allzuschmerzlich [sic], wieviel schöne Zeit uns zwischen den Händen zerrinnt, wo wir einander ferne sein müssen. Du! Ach gebe Gott, daß Dir die Zeit auch schnell [ve]rgeht und daß du trotz allem ganz froh bist, froh unsres Glückes, Herzelein! Ach Du! Du ahnst ja nicht, wie so glücklich ich bin in Deiner Liebe, mein [Roland]. Wie nur, frage ich mich, könnte ich dieses Leben ertragen ohne Dich? Oh Du!! Du!!!!! Geliebter!!! Ach, daß Du doch unsres ganzen großen Reichtumes auch so ganz bewußt geworden bist wieder, in den Tagen glücklichen Beieinanders! Du! Ich habe mir so viel heimliche, große Freude herübergenommen in die einsamen Tage, Herzlieb mein! Du! Sie reicht doch, bis du wiederkommst!! Und bald, bald wirst Du sie mir täglich neu anzünden, durch Dein treues Liebgedenken! Ach Du! Wie freue ich mich schon wieder auf Deine lieben Boten. Es muß ja nun bald wieder einer kommen von Dir. Du!

Wo magst denn nun weilen? Ob Du noch mit H. zusammen bist? Ach, ich bin ja so neugierig, Liebster. Du! Muß doch immer wissen, wo mein Schätzeli weilt! Will ja zu ihm!! Nur immer zu ihm!!! Du! Wie ich Dich liebe! Wie ich Dich liebe! Mein [Roland]!

Gott behüte Dich und schenke Dir allzeit ein frohes, geduldiges Herz!

Ich aber grüße Dich und küsse Dich innigst! Deine [Hilde].

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Kommentare

laura.fahnenbruck

Mi., 01.07.2020 - 15:51

Hier positioniert sich Hilde direkt gegen andere Haltungen gegenüber der Zeit, das ist spannend.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946