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[OBF-421018-001-02]
Briefkorpus

Sonntagabend

am 18. Oktober 1942

Geliebtes, teures Herz! – Meine liebe [Hilde]!

Endlich stehen die Räder wieder einmal still. Sonntagabend ist wieder. Vor acht Tagen – so gehen die Gedanken zurück zu den Stunden, in denen die Liebe so eng das Band um uns schlang – Geliebte! Gehen und zurück und fassen es kaum, wie all das verschwunden sein, wie ich nun heute hier in der Ferne sitzen kann. Und gehen in Dank zu Gott, der mich gnädig und wohlbehalten hierher geführt hat.

Herzelein! Was soll ich Dir nun zuerst erzählen?

Eines liegt obenauf: Die Einheit, zu der ich kommandiert bin, ist im Aufbruch begriffen nach einer bekannten Halbinsel im Schwarzen Meer. Ein Teil ist schon unterwegs. Ein Teil wird, wenigstens vorläufig, hier bleiben. Zu welchem Teil wird man mich schlagen? Herzelein, das bewegt mich. Weiß nicht, ob es sich in Bälde entscheidet. Ach Du! Du!!! Du!!!!! Die wir so unter der Ferne leiden – soll uns das denn treffen?

Gegen ½ 11 Uhr kam ich hier an. Ich war der einzige, der hierher wollte. Kannst Dir denken, daß ich bei der Einfahrt schon die Stadt musterte. Ein großer, stattlicher Bahnhof. Ich tat mich nun erst einmal um beim Bahnhofsoffizier, brachte meinen Seesack in die Gepäckaufbewahrung. Abholen wollte man mich nicht. Mit der Straßenbahn sollte ich meine Stelle erreichen können. Meine Straße – Strada Servastopol – ist offenbar ganz neu getauft. Straßenbahnschaffner und Zivilisten konnten mir nicht rechte Auskunft geben. So fuhr ich erst mal 3 Stationen übers Ziel hinaus. Ich geriet an einen Volksdeutschen aus Temesburg [sic], der mir Bescheid sagte. So kam ich gerade zu rechter Zeit zum Essen. Schreibstube geschlossen. Spieß nicht zugegen. Kameraden nahmen mich mit in ihre Bude. Hier habe ich mich nun fürs erste eingerichtet. Hinter mir steht mein Bett, weniger vornehm als in Saloniki und in S. – ein Strohsack nur – aber ich bin nicht verwöhnt im Lager, und zum Kopfkissen nehme ich das Bettlein von Mutsch.

Ja, nun weiß ich gar nicht, ob es sich lohnt, von dem Stüblein ausführlicher zu bericht[e]n – weiß ja nicht, wie lange ich es bewohne. Der eine der Kameraden sprach auch davon, von umziehen in ein [sic] Stock tiefer, wenn die andern  fort wären. Das ist also ungewiß. Im ganzen kann ich jetzt schon sagen, das [sic] hier alles recht wenig gut organisiert ist, daß die Unterbringung recht umständlich und behelfsmäßig ist.

Aber ich will nicht zu sehr vorurteilen. Habe nach dem Essen nur eben meinen Seesack von der Bahn geholt, mich gewaschen, ein wenig mich langgestreckt. Vorhin habe ich die wichtigsten Habseligkeiten ausgepackt und in den Spind geräumt, habe Abendbrot gehalten. Die 3 Stubenkameraden sind ausgeflogen. Einer fährt morgen weg, einer im Laufe der Woche nach S. zum Lehrgang. Nun bin ich gespannt auf die Entdeckungen des morgenden Tages: auf meinen Dienst, und darauf, was man mit mir vorhat.

Ach Geliebte! Du! Du stehst immer vor meinen Augen, Du stehst immer bei mir – und damit die Sehnsucht nach Deiner Liebe, nach unserem Leben – damit der Wunsch und Wille, Dir recht nahe zu sein!

Ach! Gott im Himmel muß ihn doch kennen! Er muß uns doch beistehen! Es muß doch unser Bestes wollen? Oh Du! Du!!! Ich werde so oft und so fest Dein denken müssen in den nächsten Tagen. Ich werd Dir doch getreulich berichten, jeden Tag, Geliebte!

Und bald muß ja auch der liebe Bote aus der Heimat wieder zu mir finden! Die Feldpostnummer ohne jeden Zusatz ist richtig – so lange, bis ich anderes schreibe.

Herzlieb! Im Geiste schaue ich nun zu Euch herein – schaue zurück an die Orte, die nun in den schönen Urlaubstagen so lebendig wieder wurden – oh Du! Du!! Wie haben meine Augen getrunken und die Heimat tief in sich aufgenommen – hast Du es bemerkt? Und manche Minute habe ich zu dem und jenem Fenster hinausgeschaut, ohne daß meine [sic] Schätzelein es merkte: Oh Du! Meine [Hilde]! Wie hänge ich an dieser Heimat! Wie halte ich sie – wie hält sich [sic] mich! Und Mittelpunkt dieser Heimat – ist doch mein Herzensschaf selber!!! Ach, wo Du mit mir bist, kann wohl auch meine Heimat werden – wo Du aber fern bist, ist überall Unrast und Fremde.

Werdet Ihr nun um die Lampe versammelt sein? Vater geht die neue Woche in den Nachtdienst – ist er da heute abend zu Hause? Mutter strickt wohl am grün grauen Pullover. Und mein Herzlieb? – strickt es – liest es – schreibt es? Ach, was es auch tut – ich weiß es bei mir! Bei mir mit seinem Herzen, seiner Liebe – immer! immer für dieses ganze Leben! Und so bin ich immer bei Dir! oh Geliebte! Dein, ganz Dein für dieses ganze Leben!

Nun will ich mich niederlegen! Will hoffen für die nächsten Tage! Will beten um unsre Liebe! Oh Gott im Himmel, sieh darein! Er behüte Dich auf allen Wegen!

Ich habe Dich so lieb!

Sooooooooooooo lieb!

Bald komm ich wieder zu Dir! Gut [sic] Nacht!

Geliebte!!!

Ewig Dein [Roland]

Viel [sic] liebe Grüße

den lieben Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946