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[OBF-421016-002-01]
Briefkorpus

3.)

Freitag, am 16. Oktober 1942. am Abend.

Mein [Roland]! Einziggeliebter!

Wie draußen das Wetter tobt! Der Herbststurm heult ums Haus, und der Regen klatscht gegen die Scheiben. Wir hatten wohl recht mit unsrer Annahme, daß die gemeinsam erlebten Herbstsonnentage die letzten sind in diesem Jahre. Du! Herzelein! Es war doch, als blühten Feld und Wald noch einmal auf wie in fruchtschwerer Sommerzeit, als wir glücklich Hand in Hand wandelten; als scheine die Sonne noch einmal so lieb und freundlich zu unserm Glück. Ach Geliebter! Es waren reiche, gnadenvolle Tage, sie wurden uns bis in die Tiefe der Herzen hinein Erlebnis. Du!!

Gott sei Lob und Dank, der uns solch reiches Glück schenkte! Geliebter!! Unser Sehnen all, unser Hoffen und Wünschen, das immer und ewig in uns lebt wie unser Herzschlag, wir sahen es für Tage erfüllt. Erfüllt so ganz. Oh, mein [Roland]! Wie tief erfüllte mich täglich das Glück Deiner Nähe. Und noch viel tiefer, herzinniger wollte ich Di[ch] in mich aufnehmen, wollte ich Dich erleben wenn ich doch hätte ganz allein mit Dir leben können in unseren Tagen. Du weißt um diese, meine Sehnsucht – sie ist ja auch die Deine! Geliebter!!!

Ach, Du! Es ist unrecht, die tiefe Freude dieses geschenkten Wiedersehens schmälern zu wollen, indem wir noch unerfüllten Träumen nachhängen. Das Leben in seiner Ganzheit, es liegt ja noch vor uns, so Gott will, es bleiben uns ja noch viele, viele Jahre unumschränkten Wirkens für unser Glück und für alle großen und kleinen Wünsche und Seh[n]süchte! Oh Du!!! Ach, wenn ich mit Dir zusammenlebe in solchen Tagen innigster Zweisamkeit, dann tut sich das Tor zu jenem Lande, wo unsrer Sehnsucht letzte Erfüllung liegt, ganz weit auf. Ach, dann ahne ich etwas von der übermächtigen Seligkeit, solchen gemeinsamen Lebens, d[a]nn weht es mich an wie ein süßer Hauch, der aus einer Welt kommt, wo immer Frühling ist und Sonnenschein. Oh Herzelein, ich weiß, Du kannst mich verstehen! Auch Dein Wesen drängt ungestüm wie das meine nach Erfüllung bis ins Letzte. Und in diesem Drängen, in diesem Hoffen und Wünschen wollen wie doch leben, oh leben bis zur Stunde, da uns Erlösung wird! Wollen nicht kurzsichtig uns den Blick trüben lassen durch Ereignisse um uns her, die wie schwere Ketten manchmal an uns haften bleiben wollen, uns muß und soll Herz und Blick f[r]ei sein für unsere Zukunft, für unser Leben! Du! Ach Du!!! Wie ich es liebe, um Deinetwillen! Um unsretwillen, Herzelein mein. Das Leben, Geliebter! Ganz uns soll es doch einmal gehören! Du!!!

Ach Du! In dieser Abendstunde denke ich wieder einmal unablässig daran, wie ich Dir begegnet bin in unseren Tagen. Ob ich Dich auch recht liebte. Ob ich Dir alle die unendliche Liebe lebte, die mich erfüllt zu Dir. Ach ob Du mich recht verstanden hast immer, Du! In Tagen, wo sich das Glück, alles Glück, das sonst ein ganzes Dasein ausmacht, zusammendrängt auf eine beschränkte Zeitspanne, ach da kann es geschehen, daß man hilflos und stumm, gebannt und still ist, gepackt von der Wirklichkeit. Ich meine jetzt manchmal, wenn ich mir einzelne Bilder unsres Zusammenseins vorstelle, daß ich Dir mein Herz hätte noch viel weiter öffnen müssen, daß Du ganz tief in mich und mein Wesen hättest hineinlauschen mögen. Ach, daß Du, überwältigt vor Glück, ganz tief empfunden haben mü[ßt]est: Ich habe eine Heimat, mir schlägt ein Herz, mir allein, in letzter, treuer Liebe und Hingabe – ach, daß Du so froh und so ganz voller Glück im Herzen gewesen sein müßtest über mich, sodaß Dir auch die Abschiedsstunde geringen Schmerz bereiten konnte nur, weil Du wußtest, welch einen köstlichen Schatz Du zurückläßt.

[Ja], so denke ich. So muß ich denken, weil ich Dich so erlebte. Du. Oh Du!! Weil ich Dich ziehen lassen konnte in einer so köstlichen, ruhigen Gewißheit: Du bist ein Stück von mir – bist ganz mein – und Gott der Herr wird Dich mir erhalten. Oh Du! Ich mein Dich noch nie zuvor so tiefbeglückt ziehen lassen haben. Es war so wundersam, Geliebter. Es war mir doch keinen Augenblick so, als schickte ich Dich ins Uferlose. Herzelein, ich spüre, wie mir unsre Liebe Kraft gibt. Und ich fühle, wie mich unser Glaube trägt. Wir sind gehalten von Gottes Liebe. [Oh] Herzensschatz! Sag mir! Wie empfindest Du?

Bist du ganz glücklich von mir gegangen? Zutiefst beglückt und reich beschenkt? Oh Du! Du mußt so glücklich sein wie ich, denn all mein Glück spiegelt sich doch in Deinen Augen in Deinem Wesen! Geliebter!! Ja! Ja!! Du bist so überglücklich wie ich!!

Oh behüte Dich Gott! Segne er Dich und Deine Wege. Möge er [un]s recht bald in gutem Frieden für immer vereinen! Amen.

Mein Herz! Du! Heute war Badetag. Die Eltern sind schon schlafen gegangen. Was wirst Du tun? Ich denke mich ganz lieb und fest hin zu Dir! Was mag Dir für eine Kunde geworden sein? Ich warte sehnsüchtig auf ein Zeichen von Dir. Ach, nun schnürst Du wohl bald von neuem Dein Bündel, armer Ruheloser. Du! Ich will doch immer und überall mit Dir ziehen, mein Herz! Ich muß ja! Du hast doch mein ganzes Herz, Geliebter!

Oh Du!!! Wie ich Dich so heiß liebe!!!

Immer Deine [Hilde].

Viele liebe Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946