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Donnerstag, d.15.10.42
Herzensschätzelein!
Es geht auf Belgrad. Tag ist es wieder. Der heutige soll uns noch bis an unser vorläufiges Ziel bringen. 8 Uhr vorbei. Du wirst wieder an Dein Tagewerk gehen. Ich muß immer Dein denken.
Ach Du! Es ist so grausam, so stückweis von Dir entfernt zu werden. Wenn der Zug nur immerzu führe – aber er hält ja oft – auf den Stationen, die vor 3 Wochen zur frohen Heimkehr wiesen. Und nun zeigen sie umgekehrt.
Der Zug ist gut geheizt. Kalt ist die Luft heut morgen. Ich habe doch ein paar Stunden genickt. Habe auch geträumt. Habe mit einem Baby gehadert. Es wollte immerzu an eine Speise fassen, und ich wehrte es ihm. Mir gegenüber sitzt Kamerad H.. Er erzählt: Der neue Erdenbürger ist ein ganz liebes, herziges Kleinchen. Er ist sofort mit ihm vertraut gewesen. Es hat es verwöhnt. Wenn es ihn gesehen hat, hat es immer hellauf gelacht und herausgewollt. Es hat schon soviel Haare auf dem Kopfe, daß man ihm eine Schleife hineingebunden hat. Die größere Tochter wird frech, sagt er. Der Abschied wird immer schwerer. In Lohmen auch ist viel fremdes Volk: Polen, Russen, Franzosen. Die Frauen mögen abends gar nicht mehr allein durchs [sic] Dorf gehen. Etliche haben sich schon mit Franzosen eingelassen. Die Obsternte daheim ist beendet. Nur ein paar Apfelbäume haben getragen. Man hat mit unserem Besuch gerechnet.
Nun steht der Zug wieder – zwei Stunden vor B. [sic]. Ich werde den Brief in Belgrad zur Post geben. Welch lange Reise muß jeder unsrer Boten zurücklegen! Unser Abteil ist mit 8 Mann voll besetzt. Es ist kaum ein Gespräch. Jeder ist mit sich beschäftigt. Jeder hat anderes an den Quellen der Heimat getrunken. Was wirst Du eben anstellen?
Ach Herzelein! Ich möchte doch schnell zu gern einmal nachschauen – aber nun ist dieser Wunsch für lange erst einmal unmöglich – Ich will stark bleiben mit Dir! Will mit Dir das Weh der Ferne tragen und überwinden.
Ach, wenn nur der Zug erst nicht weiter mich Dir entfernen darf!
Herzlieb! Ich glaube, ich werd der Eisenbahn, die so oft nun schon einander uns entführte, noch einmal richtig gram. Aber jetzt darf ich’s noch nicht, bis sie mich Dir für immer zurückgeführt hat.
Ich habe schon mein Frühstück ein genommen [sic]. Ihr habt mich so unendlich lieb versorgt – den ganzen Urlaub mir zu einer Fest- und Rastzeit bereitet – ach Du! Du!!! Sag auch den Eltern meinen Dank! Gleich wird Mutsch einmal geguckt kommen [sic]. Könnte ich es doch auch! Ach zurückfahren mit diesem Brief – Herzelein, ich erfuhr zu viel Liebe!
Behüt Dich Gott! Helfe er uns durch diese böse Zeit!
In Ewigkeit
Dein [Roland]! Ganz Dein!!!
