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[OBF-420911-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 11. Sept. 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Du, meine [Hilde]! Meine [Hilde]!!!

Herzelein! Soll ich mal ein Probe darauf machen, daß es notwendig war, Dich gestern wieder einmal zu mahnen, auf Deine Gesundheit zu achten? Ich brauche kein Prophet zu so sein, um folgendes vorauszusagen: Wenn Du am Sonnabend nur eben hast aus dem Bettlein krabbeln können, hast Du den Keller doch gescheuert. Stimmt's? Ist das recht? Kannst Du das verantworten? –

Ja, Herzelein! Das soll keine Vorhaltung sein. Das Mannerli wäre wahrscheinlich nicht anders. Und doch sollten wir diese Einsicht beherzigen, zumal jetzt im Kriege – wirklich großgig und vernünftig beherzigen. Und wenn wir miteinander lebten, würden wir aufeinander achten und ^einander dazu anhalten. Und so wollen wir eigentlich doch schon leben auch in der Trennung.

Ich sorge mich um Dich, nach dem, was Du mir in Deinem lieben Freitagboten schreibst. Daß die Durchfälligkeit gar nicht weichen will! Ich glaube, Kohle ist ein Abwehrmittel, das gar nicht jedermann zusagt und in allen Fällen hilft. Die alten bewährten Mittel sind mir meist auch sympatischer. Ich habe z. B. eine ganz unerklärliche Abneigung gegen das Kohleessen, schlecke aber willig den Haferschleim in jeder Form. Siehst, und nicht einmal diese bescheidenen, einfachen Hausmittel sind mehr zu haben. Du ziehst Dich doch recht warm an nun? Eine Binde ums böse Bauchel als zusätzlichen Wärmehalter?! Glaubst, daß wir einander der beste Doktor sein können in diesen Fällen? Weil die Liebe zueinander – alle Wachsamkeit, alle Umsicht, alle Einfühlung und Teilnahme auf den Plan ruft. Und weil wir auch bereit sind, einander alle nur erdenkliche Hilfe zu geben. Das Mannerli tät Dir doch alles zuliebe, wenn es zu Deiner Hilfe wäre – und wenn ich mich selber mit ins Bettlein legen müßte. Ach Herzelein! Nun muß ich dir ferne sein mit meinem Rat, mit meiner Fürsorge; aber mein Liebsorgen wird zu Dir gehen über die Ferne. Du wirst wieder gesund werden.

Sorg Dich nicht ums Mannerli. Es ist wohl abgekommen [wohl: hat abgenommen] und sehniger geworden, ein wenig – aber so ein Strichmännel [sic] ist’s deshalb noch nicht. Ein bissel weniger kann am Mannerli dran sein – und ein bissel mehr muß am Weiberl dran sein – Du! Du!!! Und ich esse doch tüchtig. Das Bauchl ist schon wieder dicker, die Hose sitzt schon wieder besser. Und Dein Mannerli fühlt sich ganz gesund.

Ach Du! Mußt bald, bald wieder gesund werden! K[önn]t ich doch gleich bei Dir sein! Du! Du!!! Gott schütze Dich und helfe Dir recht bald wieder auf.

Heute in 8 Tagen, Schätzelein, ist bissel Prüfung vorbei – und noch einmal 8 Tage, will´s Gott, dann bin ich bei Dir! bei Dir! bei Dir!!! Dort, wo mein Platz ist in diesem Leben, an dem Ort, bei dem geliebten Menschenkinde, von dem mein Leben allen Sinn, allen Inhalt, allen Reichtum empfängt!

Schätzelein! Wie wird es Dir gehen? So frage ich heute oft. Und es wird mir doch keine Antwort auf meine Frage [gegeben]! Werd nur mir bald gesund.

Um ist wieder ein Tag. Es ist jetzt so wie in V.[sic]: der ganze Kursus verliert immer mehr an Reiz, Reiz der Neuheit, denn einen andern hatte er kaum. Ich werde doch froh sein, wenn ich wieder eine Arbeit habe, von der ich weiß, es ist meine Arbeit, und nach deren Erledigung ich weiß, das ist meine Freizeit. So wie jetzt ist es ein richtiges Vagabundenleben.

Der Abend schaut durch die Fenster, mild und friedlich. Es war ein schöner Tag heute, und ich bedaure, daß ich ihn nicht besser nützen, auskosten kann. Immerzu in den Zimmern die besten Tagstunden verhocken. Morgen soll daheim nun großes Waschfest sein. Kirmes steht wieder bevor.

Und ich sehe mich gehen auf der Höhe nach Kaufungen oder nach Chursdorf. Herbstsonne, letzte Glut und Sonnengold über den Fluren, leicht umflort schon und umschleiert vom Altweibersommer, vom Ahnen der dunklen Zeit. Und rufend zu trauter Einkehr und Heimkehr stehen im Tale, in bläulichem Dunst die Häuser Licht und Wärme verheißend und Schutz vor dem Eishauch des Winters. Und wie ein Klingen und Läuten ist in der Luft von Frieden, Ruhe und Danken – und ein Rufen, ein Rufen: Kehr ein! Kehr heim!!!

Oh Geliebte! Geliebte!!! Ist es wohl noch so? Klingt es wohl noch so?

Es herbstet noch immer und wieder. Und Frieden wölbt sich über der Heimat, und Ruhe zieht ein auf den Fluren. Nur unter den Menschen ist Haß und Tod und Leid, ist Schrecken und Verderben. Oh Sehnsucht des Herbstes, Sehnen nach Frieden und Heimkehr – daß doch bald Frieden einzöge unter den Menschen, daß stille würden alle Wunden, daß sich zutäten die Pforten des Jammers, daß die Menschen heimkehrten aus Haß, Fremde und Wildheit in Traute, Heimat und Liebe!

Und sehnend stand ich einst und suchte vergeblich im Tale, im Dunst des Dämmerns ein Licht für mich, ein Fenster, hinter dem Wärme, Traute und Liebe mein warteten – oh Schmerz der Heimkehr in die Einsamkeit!!! Aber heute! Heute weiß ich im Tale die Heimat, die Heimat; die liebste, trauteste wartet mein! Die Du mir bereitest, Du! Du!!! Herze, Heimat und Liebe mein !!!!! Oh unendliches Glück, einander heimkehren dürfen, unendliches Glück, einander Heimat sein können! Geliebte! Bald will ich Dir doch heimkehren – bin Dein Heimkehrer, Dein Herz ist meine Heimat – so gerne, so glücklich so voll reiner Herzensfreude kann doch kein andres Mannerli heimkehren! Und ich möchte Dir doch der liebste Heimkehrer sein, Du sollst so wie ich mich freuen. Und ich sehe Dich doch voll solcher Freude – oh Du! oh Du!!!

Oh Herzelein! Schau mein Herze! es lebt nichts andres drin als das Sehnen nach der Heimkehr; als das Glück, eine Heimat zu besitzen, als das Verlangen, Dir eine Heimat zu sein, mit Dir eine Heimat zu bilden!

Und mit Dir kann ich es! In De[ein]r Liebe springen alle Türen meines Herzens auf, öffnen sich alle Quellen der Liebe, daß sie mit dem Deinen sich vereinen, daß Du Wohnung nimmst in meinem Herzen! Herzelein! Schaust Du es mit mir? Der Abend scheint durch die Fenster unsrer Stube. Und das Mannerli hat es zum Instrument gezogen. Und Du bist mir lieb gefolgt, und leise fühl ich Deine Wange an der meinen. Und beide schauen wir in die Landschaft einer begnadeten Seele, in ihr Singen und Schwingen, zu dem die unseren drängen. Und dann sehen wir Hand in Hand – Frieden, Frieden! Und in unsern Händen halten wir alles Glück – und es wohnt in unserem Heim, und es webt und wirkt und streut Segen – und es ist ein heimlich Strahlen, ein Atmen, ein Leben ein Wogen – wir sind nicht allein, nicht leer und einsam – es ist Leben und Blühen und Verheißung der Erfüllung, der Frucht!!! Oh Geliebte, Du, mein Weib! Mein Weggesell! Mein Alles! Mein Leben! Mein einziges, geliebtes Herz!

Gott sei mit Dir! Er schenke Dir recht bald wieder volle Gesundheit. Ich bin immer bei Dir! Bin in unwandelbarer Liebe und Treue

ewig Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946