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Briefkorpus

Donnerstag, den

4. Juni 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]

Gleich wird es ganz still sein im Hause. Die Kompanie steht unten angetreten. Sie soll an der Beisetzung eines Matrosen teilnehmen, der durch leichtsinnigen Umgang mit der Schußwaffe sein Leben verlor. Um 3 Uhr ist es am Nachmittag. Den dritten Tag nun schon das gleiche Wetter: Es ist frisch, ein wenig schwül um Mittag, Gewitter ziehen von Ost nach West. Gleich will ich die Stille und Einsamkeit nutzen, mit Dir Zwiesprache zu halten. Du kennst ihn schon, der nichts lieber täte, als sich mit Dir hinter der dicken Mauer verschanzen, der an Deiner Liebe vollstes Genüge findet, der die Einsamkeit mit Dir sucht und der, der erst in dieser Einsamkeit mit Dir recht glücklich ist! Du! Du!!! Geliebte! Mein Ein und Alles!!!

Nun weißt Du auch schon, daß Dein lieber Bote vom Sonnabendvormittag bei mir ist.

Möchtest Dein Mannerli auf Überraschungen vorbereiten. Kannst Du es verstehen, daß es zuerst ein Groll ist, der dem Mannerli hier draußen aufsteigen will, wenn Du davon sprichst? Vielleicht könnt ihr daheim es so wenig verstehen, wie wir die Ungeduld nicht begreifen können, die euch ergreift, irgendwo mit zuzupacken. In bester, friedensmäßiger Ordnung möchten wir daheim alles wissen. Hier bei uns kann keine friedensmäßige Ordnung sein – aber daheim? So wie ihr daheim auch alles in Ordnung wünscht bei uns. Herzelein, wir haben uns darüber nun schon viel verbreitet. Ach weißt, im ersten Groll wollte ich sagen: „Nun gut – ich lasse mich überraschen. Gegen eine Überraschung, die Du halt Dir wünschst und auf die Du Dich freust – kann ich ja nicht sein, bin ich ja machtlos. Nur soviel Recht erbitte ich mir noch, daß zur Besinnung soviel Zeit gewährt wird, wie Frage und Antwort zwischen uns brauchen."

Und damit hätte ich Dir doch bitter Unrecht getan. Du willst mich ja eben nicht überraschen, sondern vorbereiten. Du sprichst Dich nicht näher aus, aber gewiß ist am Donnerstag in der Kantorei von 'dem großen Umsturz' erzählt worden, daß Du Dich wieder so damit beschäftigst und Dich mir mitteilst. Und Du sagst es ja selber: „wenn ich mich auch noch voll einsetzen muß" - „wenn es soweit kommen sollte" - „wir wollen abwarten, was geschieht." Sagst freilich dann auch wieder: „Und ich mag doch gar nicht als Außenstehende betrachtet werden, ich will doch gern auch mithelfen am Kampf, will siegen helfen."

Nun, wenn Du von Hause [sic] fortmußt, hört Mutter auf zu arbeiten – eines nimmt 'die Arbeit' auf, der andre legt sie nieder - Enderfolg?  - Ach Herzelein! Un[d] wieder täte ich Dir Unrecht mit solcher Rede.

Ich kann Deine Ungeduld, Deine Unzufriedenheit doch verstehen, weil ich sie doch an mir selber erfahre, obwohl ich nun doch an einem Zipfelchen mit anfassen kann und muß -  es ist letztlich die Ungeduld auf unser Einssein!!! Ach Herzelein! Denk nie und nimmer, daß ich sie als Treu- oder Lieblosigkeit auslege. Ich könnte ganz traurig darüber werden, daß ich hier nicht helfen kann, daß ich zur Ohnmacht verurteilt bin.

Und darum verstehe ich doch auch, daß Du ein wenig lieb Dir ausmalst und mit Freude daran den[k]st, daß die Einsatzpflicht Dich zu Deiner Lieblingsbeschäftigung mit Kindern führen könnte, in einen Kindergarten, in ein Säuglingsheim.

Ach, Geliebte! Wenn es wirklich sein muß, dann kann ich doch auch nur wünschen, daß Du an einer Stelle stehst, an der Du am besten aufgehoben bist. Ach Herzelein! Es wäre doch ein großer Umsturz und für mich eine Sorge, wenn Du nun wirklich von Hause [sic] fort müßtest. Ich will doch verantwortlich sein für Dein Wohlergehen, für Dein Unterkommen, ich bin doch dein Mannerli, das Dich so lieb bewahrt wissen möchte - und soll es dann nicht sein können! Und es wäre mir dann eine Beruhigung, Dich in einem Dienst zu wissen, der Dir zusagt und womöglich Freude macht. Herzelein, Du weißt, anders kann ich doch dann gar nicht wünschen! Es bleibt dann ohnehin noch Sorge genug; denn darüber gib Dich keiner Täuschung hin: Wohin Du auch heute gestellt wirst, Du wirst ein Übermaß an Arbeit finden und Deine Kraft wird bis zum letzten beansprucht, weil es überall mangelt, denk nur ans Oberfrohnaer Lazarett.

Ach, Geliebte! In allem, was Du nun noch dazu sagst, erkenne ich doch Dein geliebtes Wesen wieder, nach dem ich mich so sehne und das ich sooo glücklich mein Eigen nennen darf, das ich doch sooo gern um mich hätte, immer, immer!!!!! Willst Dich an eine liebe Sache verschwenden, willst an unsre Zukunft denken, ans eigne Schaffen, dem wirklichen Leben mit seinen Wundern verbunden sein, willst schaffen in der Vorfreude auf unser Glück, möchtest mit Kindern umgehen, mußt dort schaffen, wo Liebe und Gutsein nicht brachliegen müssen.

Herzelein! Geliebte!!! Ich verstehe Dich so gut, so ganz – weil ich doch selber so bin!

Ach, Du hast doch dabei mit keinem Atem daran gedacht, Dein Mannerli darüber zu vergessen. Hast doch all meinen Wünschen bisher sooo lieb bedacht. Ach Du! Herzelein! Ich will doch überhaupt darüber mit Dir nicht rechten. Es wäre so undankbar gegenüber dem Schicksal, daß das uns so gnädig bedachte. Und es wäre ein Mißtrauen in unsre Liebe, die doch alles bedenkt, die doch alles einander zuliebe tun muß. Auch Du kannst doch nicht anders wie Dein Mannerli: Dich entscheiden für mich! Über alles Mißtrauen erhaben ist unsre Liebe!

Ach Herzelein! Du wirst auch Dein Mannerli verstehen. Seinen Groll, der sich ja nicht gegen Dich richtet, sondern, ja – gegen wen denn? - - gegen das Schicksal selber letztlich, denn wir beide haben nur den heißen Wunsch, beieinander zu sein! Meine Herzensnot: Helfen möchte ich Dir – und kann es nicht, möchte Dir nahe sein – und kann es nicht; [ich] möchte Dir alle Wünsche und Sehnsüchte erfüllen – und kann es nicht! Möchte dich ganz lieb geborgen und behütet wissen – und möchte Dir doch auch hinweghelfen über die böse Zeit des Wartens. Ach Du! Du!!! Du!!!!! - Herzelein! Ich werde nicht zulassen, daß man Dir eine unliebe Arbeit zumutet. Und Du sollst dann selber alles unternehmen, daß diese Zumutung unmöglich wird, daß man Dir einen Dienst zuweist, den Du gern versiehst. Und das bitte ich Dich: Wenn es dahin kommt, daß Du Dir eine Bedenkzeit erwirkst – Du kannst es – in der Du mir Nachricht geben kannst und in der ich Dir Antwort geben kann. Ich glaube, das ist noch unser gutes Recht, ist das das gute Recht auch Deines Mannerli.

Ach Herzelein! Es soll genug sein! Es lohnt ja gar nicht, darüber soviel Worte zu verlieren. Ich wohne in Deinem Herzen. Und Du kannst nicht ohne mich Dich entscheiden – niemals gegen mich! Du hast mich lieb und mußt mir alles zuliebe tun -  Du kannst nicht anders – und Dein Mannerli kann nicht anders. Ach Herzelein, und das ist doch unser Einssein, wenn wir uns auch fern sein müssen, die Gewißheit innigster, unverbrüchlicher Liebe. Du kannst darauf bauen wie ich. Ach Herzelein! In Deinem Herzen bin ich, als wäre ich leibhaftig um Dich – und so kann ich Dir doch nahe sein, kann Dir helfen, kann Dich leiten und beschützen. Und was wir nicht können, wollen wir vertrauensvoll Gott im Himmel anbefehlen. Er kennt unseren Wunsch, unsre Herzen, unser Wollen und Trachten – bei ihm liegt alles beschlossen – und was auch kommt, es geschieht sein Wille zu unserem Besten.

Herzelein! Laß Dir danken für alle Liebe! Du hast mich lieb, sooo unendlich lieb! Oh du! Ich weiß es! Herrgott im Himmel! Erhalte und segne Du unsre Liebe! Sei du mit meiner [Hilde] auf allen Wegen! Schenke uns Kraft und Geduld zu getreuem Ausharren. Herzlieb! Herzallerliebste! Ich habe Dich sooo lieb, sooooooooooooo lieb! Du weißt es!

Ich bleibe ewig Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946