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Briefkorpus

Am 2. Pfingstfeiertag 1942.

Mein liebes gutes Herzelein! Du!! Geliebter!! Mein [Roland]!

Wirst Dich wundern, daß das Geschriebene aus Bleistift ist? Ich sitze unten im Garten im Liegestuhl, die Beine hochgezogen und auf meinen Knien liegt der Schreibeblock, auf den ich mein Brieflein an Dich schreiben will. Ob ich es am Abend nochmal mit Tinte abschreibe? Ach Du! wirst es schon auch so lesen können, gelt? Und ich will doch lieber die Zeit, die ich zum Abschreiben brauchte, verwenden, um noch ein bissel länger mit meinem Herzelein zu reden. Du!!!

Ach Herzelein! So ganz lieb möchte ich [D]ich doch haben, sooo ganz sehr lieb! Schätzlein Du! Ich bin doch heute wieder ganz gesund, Du!! Du!!! Und nun ist meine Sehnsucht soo groß nach Dir, Geliebter! Im Garten sitze ich, zu meinen Füßen die Mutter, sie strickt. Der Vater hat ja heute schon wieder Dienst.

So ganz schön ist es heute nicht draußen. Oft wird die Sonne von Wolken bedeckt, die der Wind unaufhaltsam von West nach Ost fegt. Ja, wir haben keine gute Luft, sie kommt aus dem Wetterwinkel. Wer weiß wie lange noch, dann regnet es wieder. Aber wir nützen die Zeit, wochentags kann ich mir’s hier unten im Garten sowieso nicht so bequem machen, ohne den Neid der andern zu erwecken. Und das will ich um jeden Preis vermeiden. Am Morgen haben wir doch wahrhaftig bis um 9 geschlafen! Mutsch hat sich nochmal hingelegt, als Papa fortging. Ganze 12 Stunden habe ich somit in dieser Nacht geschlafen, Herzlieb! Und so tief und fest! Ich habe heute ganz fein ausgeschlafen. Bin doch immer noch Dein Murmeltierchen! Die Post hält heute auch mal Feiertag, es ist nichts angekommen. Nun haben wir zwei Frauensleute unsere Häuslichkeit instand gerichtet, haben das Essen gekocht und rumgekramt. Mutter hat neue Verdunkelungen angemacht im Haus und in der kleinen Küche. Ich setzte für die Girokasse in Bad Schandau ein Schreiben auf, damit sie nach den Feiertagen gleich hören von mir.

Und dann haben wir Mittag gehalten, die Mutsch brachte dem Vater das Essen hin. Das ist unser 2. Feiertag, heute abend kommt vielleicht Ilse S. mal zu uns. Und wenn Papa nicht zu müde ist, dann wollen wir noch ein Ringel gehen. Ach Herzelein! Nun höre erst mal, wie unser erster Feiertag verlief. Morgens ½ 9 gemeinsamer Kaffee bei Kriegsaschkuchen und Radiomusik. Freilich war unser Hubo auch mit dabei!! Auf dem Radio stand er und schaute aus seinem lieben Gesichtel [sic] zu uns her. Ach, ich hab ihm vielemals [sic] so lieb zugenickt und mit den Augen zu ihm geredet, Du! Und fast war es doch, als wärest Du richtig bei mir gewesen, mein Schätzlein, Du! Dann mußte ich zur Kirche gehen, auf dem Wege begegnete ich der Briefträgerin und sie gab mir meine Post. Einen Brief vom Herzlieb, einen von Elfriede und eine Karte von Gertrud G. Sie läßt auch Dich schön grüßen! In Wanderup ist sie jetzt, in einem neuen Lager und es gefällt ihr garnicht gut. Ach glaubst, die G.s haben Sorgen jetzt: Er ist in Rußland, das Mädel weit fort. Sie ist zuhaus, und eben ist sie im Begriff, sich operieren zu lassen. Ich habe es von Trudi’s [sic] Freundin erfahren. Sie will ihren Angehörigen garnichts davon sagen. Eine böse Darmsache hat Frau G. Und Trudi hat ihrer Freundin geschrieben, daß sie ihre Mutter an ihrem Geburtstag, am 6. Juni mit ihrem Urlaubsbesuch überraschen will, sie soll es aber ihrer Mutter nicht verraten. Und Frau G. bat wieder die Freundin, nichts von der Operation zu schreiben. Ich sehe schon kommen, wenn Frau G. im Krankenhaus liegt, wird Trudi heimkommen. Wie wird sie da erschrecken, die Ärmste. Das ist unrecht von Frau G., wenn sie so etwas verheimlicht; denke nur Herzelein! Wenn die Operation mißlingt! Nicht auszudenken, dieses Unheil, beide – der Mann und die Tochter ahnungslos. Ja – was können wir dazu sagen. –

Herzelein! Auch Elfriede schrieb mir. Eine liebe Karte und erzählte mir vom schönen Urlauberurlaub. Und am liebsten war mir doch der Brief vom Herzelein! Von meinem, lieben guten Herzelein, Du!!! Ach Schätzelein! Du bist doch das allerliebste Mannerli auf der Welt! Ach Du!! Du!!! Geliebter!!! Wenn Du so lieb zu mir kommst in Deinen Boten, dann empfinde ich doch soo tief beglückt unser trautes Glück. Oh Du! Unser kostbares Glück innigsten Verstehens und Einsseins. Es gleicht keinem mehr, keinem anderen, das ich kenne. So einmalig ist unser Glück, unser Lieben, Herzelein! Wie eben unsre Liebe zueinander nur einmal bestehen kann. Oh Du!!! Laß es uns hüten, unser Kleinod, wie unser Leben! Herzelein!! Es ist das Herzliebste, was uns in diesem Leben beschieden sein kann. Reine, treue Liebe, Du!!!

Ach Geliebter mein! Du weißt: nimmermehr kann ich Dir untreu werden! Nimmermehr! Mein Herz ist Dein, solang ein Atem in mir ist. Dir gehöre ich mit allem, was ich bin und habe. Oh Du! Ich lebe nur noch in Deiner Liebe!

Herzelein! Ich habe es gestern wieder so deutlich gespürt, wie eng ich Dir verbunden bin, Geliebter! Ja, laß Dir erzählen. Als wir über dem Mittagessen saßen, überlegten wir, wie der Tag wohl verlaufen sollte. Prächtig war das Wetter nicht, aber es versprach, durchzuhalten. Und der Vater wollte schon gerne mal unter Menschen, mal andre Bilder sehen, weil er nur den einen Feiertag hatte. Und ich mochte nicht dagegen sein, wenn ich auch viel lieber den Tag mit Dir verbracht hätte zuhaus, Liebster. So wurde denn beschlossen, nach Chemnitz zu fahren mit dem Zug [...]. Die Schirme, die wir mitnahmen zur Vorsicht, sie traten auch bald in Tätigkeit. Es regnete, als wir in der Stadt ankamen. Viele Menschen waren unterwegs und zeigten frohe Gesichter. In der Mehrzahl sind es Frauen und Mädchen, denen man begegnet. Männer gibt es wenige hier, sie sind sicher alle im Kriege. Zu M.s führte uns der Weg. Und als wir hinkamen, fanden wir verschlossene Türen! Tja – wer unangemeldet kommt, der muß damit rechnen! Im Hause erfuhren wir, daß sie schon am Morgen nach Burkhardtsdorf gefahren sind. Onkel’s [sic] Bekannter hat dort ein Landhaus. Er ist Fleischer von Beruf! Was nun? Wir setzten uns wieder in Bewegung stadtwärts. Wir wollten ein wenig durch die Straßen bummeln, die Schaufenster besehen und einmal einkehren. Das Wetter war nicht schön zum umherlaufen[sic], in ein Lokal zu setzen wars uns zu früh am Tage; so gingen wir darauf aus einen Film uns anzuschaun. Vater hatte Lust dazu, wir Frauen hatten ja erst am Sonnabend einen gesehen! Gut, gingen wir ins Kino „Rittmeister Stix“. Es war ein guter Kriminalfilm.

Doch der Film „Schicksal“ mit Heinrich George war mir lieber gewesen. Er war voll Tiefe und voll Sinn. Herzelein! Magst ihn Dir anschauen, wenn er zu Euch kommt. Er ist es wert. Dieser George spielt großartig, er kann den Zuschauer fesseln. Daraus, wie unser 1. Feiertag verlief kannst Du sehen, Herzelein, daß es ein wenig schief ausging! Na, wir trösteten einander auf einen gemütlichen Abend daheim. Denn daheim ist’s doch immer wieder am schönsten, man sieht es erst recht ein, wenn man draußen irgendwo sitzt. Das Dumme war, daß kein Zug nachhause fuhr, am ganzen Nachmittag keiner. Bis [...]  mußten wir warten. Das ist der erste und letzte sonntags. So sind wir noch einmal in die Erzgebirgsschänke eingekehrt, in der Nähe des Hauptbahnhofes. Es war viel Betrieb da, Musik und Spaß.

Aber ich wurde doch garnicht warm da, Herzelein, ich mag das Herumsitzen in solchen Lokalen nicht. Und meine Gedanken gingen so oft zu Dir! Ach Herzelein! Wenn man mit den Eltern ausgeht als Mädchen, dann fliegt mancher Blick zu einem hin von Männern, abwägend und abschätzend, so empfinde ich. Und sie mögen doch meinethalben allesamt denken, daß ich von den Eltern ausgeführt werde, um einen Mann zu bekommen. Ach Du!! Du!!! Mein Herz ist doch längst nicht mehr frei!! Längst nicht mehr frei!!! Du!!! Und ich bin sooo überglücklich, daß es doch nur dem einen gehört, den ich von Herzen liebe! Ach Herzelein! Ich bin so ganz glücklich in Deiner Liebe! Und ich weiß beseligt, daß sie mich ausfüllt bis auf meines Herzens Grund! Du!!! Du!!!!!

Als wir heimkehrten aus Chemnitz, hielten wir noch ein gemütliches Abendbrot zu dreien, saßen ein Weilchen noch beisammen und suchten alle [Nordhoffs] zusammen in Gedanken. Dann sind wir zu Bett. Es ging schon auf Mitternacht, ich habe doch erst noch ein Weilchen in Deinen lieben Boten gelesen, mein Goldherzelein! Ach Du! Soo froh bin ich mit Dir unsres großen Glückes! Du! Herzelein!

Ach lieber [Roland]! Jetzt hat uns gleich die Ilse S. überfallen, nun muß ich erst mal Schluß machen, Du! Sonst guckt sie mir womöglich über die Schulter, Du!!! Sie braucht doch nicht zu sehen, wie sooo lieb ich Dich habe, gelt?

Nur Du mußt es sehen, Herzelein! Du!!!

So sei denn für heute von ganzem Herzen lieb geküßt und gegrüßt mein Herzensmannerli! Du! Ich habe Dich doch ganz sehr lieb! Ich bin Dir sooo nahe, Du! Von allen beiden Frauen viele herzliche Grüße! Besonders innig aber grüßt Dich Deine glückliche [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946