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Briefkorpus

Freitag, den 22. Mai 1942

Liebe, liebe [Hilde]! Teures, geliebtes Weib! Du!!! Mein!!!

Herzelein! Geliebte! Nun kommst Du zu mir mit Deiner Sehnsucht. Nun kommt zu mir der Strom Deiner Liebe! Deiner Sehnsucht! Oh Herzelein! Daß ich ihn ganz aufnehmen müßte, aller Liebe Überfluß! Daß du immer zu mir finden möchtest damit! Daß nimmer eine Leere, eine Stunde nur und des Zweifelns und Irrens bei Dir sein möchte! Oh Herrgott im Himmel, mache Du mein Herz groß und weit, all diese Liebe immer aufzunehmen und sie an mich zu binden und sie zu erwidern!  Segne unsre Liebe! Oh Herzelein! Sie kommt nicht erst mit Deinem lieben Sonntagsboten, sie ist schon lange bei mir, Deine Sehnsucht – und Deine Unruhe und die meine, sie kommt vom Hüten unsrer Liebe, ja Geliebte, sie kommt von mir und von Dir! Oh Herzelein! Du! Du!!! Wenn Du auch nur leise vermutetest, daß sie von einem anderen Menschen kommen könnte, Du! Du hättest es mir bekannt, Du hättest Dich mir anvertraut. Oh ja, ja! gewiß, Du! Geliebte! So wie ich mich Dir anvertraute, daß Du mir helfen könntest. Oh Herzelein! Wer sollte Dich noch so lieben wie Dein [Roland]? Wer könnte Dich noch sooo sehr lieben? Oh Herzelein! Wer könnte noch so wie Dein Mannerli erfüllt und bewegt sein von Deinem lieben Wesen – ich kenne sie doch nur, die Herzkämmerlein alle bis zum letzten – von dem Glück Deiner Nähe und der Stetigkeit des Einsseins mit Dir – Deinem [Roland] hast Du all das geweiht – oh Herzelein! Nein! Nein!!! Deine Sehnsucht kann mich nicht zweifeln machen an unsrer Liebe, an unserem Verbundensein. Wo sind zwei Menschen noch lieber, inniger und mächtiger miteinander verbunden wie Du und ich? Sie ist schon lange bei mir, Deine Sehnsucht, Geliebte!

Oh Du! Vorgestern war es, daß ich ganz böse mit mir war – daß ich mich nicht mehr bezwingen konnte und dich liebhaben mußte an zwei Nächten nacheinander, und so auch die Woche schon zuvor. Ach Du! Geliebte! Du weißt es, so äußert es sich bei Deinem Mannerli, daß er die Herrschaft über sich verliert, daß er sich nicht mehr bezwingen kann. Und dann muß ich mir böse sein – ja Du! – und es ist gut, daß ich es muß, sonst schade ich mir, sonst gerate ich auf Abwege. Oh Geliebte! Gehadert habe ich mit mir, mich der Schwäche geziehen – und deshalb habe ich Dir doch davon auch nicht geschrieben. Und so ist es doch erst, seit ich Dich liebhaben darf – und Du! nur Du! Du ganz allein bist es, nach der ich mich sooo sehnen muß. Ach Herzelein! Und es geht mir doch wie Dir! Daß ich Dich nur einmal sehen möchte – ach, daß all die vielen, lieben Bilder hier bei mir nicht mehr genügen, daß sie die S[ehn]sucht nicht stillen können, sondern nur vergrößern! Oh Herzelein! Geliebte! Geliebte!!!! Und dann, im ungestillten Verlangen, ach Geliebte! in dem Verlangen, einander ganz nah zu sein, einander ganz aufzuschließen, da kann auch Quälendes, Schmerzendes sein, oh ja, Geliebte! Unruhe und ein Nichteinnochauswissen [sic]. Oh Herzelein! Geliebte! Meine [Hilde]! Laß uns in solchen Stunden stille halten, die Hände falten und Gott um Kraft bitten, laß uns diese Stunden durchkämpfen und durchhalten ohne irre zu werden, ohne zu zweifeln, im Wissen darum, daß allein die ungestillte Sehnsucht uns solche Unruhe bringt – oh Geliebte! nimmer soll uns solche Stunde zweifeln lassen aneinander – nimmermehr soll sie uns zur Versuchung, zur Untreue werden!

Die Unruhe, sie ist nicht Zeichen dafür, daß wir einander nicht festhielten, sondern fallen ließen [sic] – sie ist das Zeichen des Gegenteils, daß wir ganz einssein möchten!

Oh Herzelein! Das ist die Not der Trennung.

Du! Du!!! Wir beide, die einander nun so liebhaben und ganz erfüllen können, die einander alle Liebe aus den Augen lesen und ganz Heimat sein zu können, ganz glücklich miteinander, ach Du! Deren Herzen so ganz zusammenschlagen über alle Ferne – wir müssen uns nun so bezwingen, verzwingen, wenn die Sehnsucht so übermächtig wird. Geliebte! Du! Herzelein!

Wie hast Du mich so lieb, sooooooooooooo lieb! Wieviel Liebe flutet zwischen uns! Oh Du! Auch mich will es doch mit unendlichem Glück erfüllen – ach du! Du!!! ganz überglücklich will es mich machen, daß Du zu mir kommst mit Deinem Sehnen, daß Du mir Dein Herze ausschüttest, damit ich Dir helfen kann, daß Du zu mir Dich flüchtest, daß Deine Liebe so mächtig und entschieden zu mir geht, zu mir allein! Oh Herzelein! Daß Du mir die Treue hältst! Und mich sooo lieb hast!!! Oh Geliebte! Birg Dich an meiner Brust, in meinen Armen. Laß sie rinnen, die Tränen, laß alle Liebe verströmen – Herzelein, Geliebte! Du machst mich sooo glücklich damit! Du erfüllst doch damit all mein Sehnen, ein liebes Menschenkind, Dich, meine [Hilde], so ganz einzunehmen. Oh Herzelein! Du weißt, dass ich Dir zuhören kann, daß ich Dich ganz verstehe –  ach vielmehr, daß all das, was Dich bewegt und erschüttert und ergreift und beglückt mich gleicherweise berührt und beseelt aus tiefster Seelen- und Herzensverwandtschaft – Du! Du!!! So ist es doch, seit Du zum erstenmal zu mit kamest, da unsre Herzen wund waren und in die Herzwunde das Samenkorn unsrer Liebe gelegt wurde. Und so ist es geblieben, nein, nur immer inniger sind wir verwachsen – oh Geliebte! Du bekennst es so glücklich und jubelnd wie ich es Dir bekenne! Über alle Ferne hält und trägt uns die Liebe, läßt unsre Herzen gleichschlagen, verbindet uns in Gedanken, im Träumen und Sehnen, in Freud und Leid – zu allen Stunden. Oh Geliebte! Das laß uns glücklich und dankbar erkennen, das laß uns zu Trost und Stärke und Geduld gereichen! Herzelein! Der Tag wird kommen, von dem an wir einander ganz gehören, da wir uns gar nicht mehr verzwingen müssen, da Du mich immer findest, oh Herzelein! immer bereit Dich einzulassen, immer offen Deinem Sehnen, Dir bereit Tag und Nacht, Geliebte – und da ich zu Dir kommen kann – ja Herzelein! – das Mannerli wird doch nicht weniger oft kommen, Du!!! – Und Du läßt mich ein, Du! immer, immer! Geliebte!!! Und weißt, wenn wir so in Liebe zusammenleben, werden wir uns doch begegnen auf dem Wege zueinander – oh Du! Du!!! Herzelein! Geliebte mein!!!!!

Ja Herzelein! Ich weiß mir und Dir keinen anderen Trost als Gottes Regiment über dieser Welt und auch über unserem Leben – und unsrer Liebe, und die feste Hoffnung und Zuversicht auf unser Leben in Liebe vereint. Oh Geliebte! Du weißt, daß ich Dich liebe über alles!

Meine Boten sind Dir dessen Zeuge. Und wenn Du herschauen könntest zu mir, und in mein Herz: ich liebe Dich mit meiner ganzen Herzenskraft. Herzelein! So kann Dich kein andeer Mensch liebhaben. Oh Herzelein! So tief ersehnen und heiß verlangen kann kein andrer Mensch Deine Liebe wie Dein Herzensmannerli. Ich bin doch so ganz Dein! Und Deine Liebe allein ist es, die mich hält, die mir täglich neuen Mut gibt und Schwung zur Arbeit – oh Geliebte, die mir allen, allen Sonnenschein bringt in dieses Leben!

Und wie ich es Dir auch noch sagen und zeigen möchte zu Deinem Glücke, Du weißt es längst – und ist doch kein besserer Zeuge als unsre Sehnsucht, die heiße, zehrende – Du! Du! Du allein rufst sie so mächtig mit Deinem Lieben – ich kenne kein andres Weib, und liebe Dich allein immer und ewig! – wenn Du mich nicht liebtest, sie fände nicht zu mir in die Ferne – und wenn ich Dich nicht liebte, mein Herze wäre nicht empfänglich für Deine Liebe! Und Deine Sehnsucht – sie kommt von mir! Geliebte! Ach Du! Du!!! Täglich muß ich bei dir sitzen. Wenn ich sie nicht so befreien könnte zu einem Teil!

Herzelein! Oh möchte ich Dich trösten können mit meinem Boten. Komm! Komm immer zu mir!

Ich will Dir tragen helfen! Ganz lieb! Sooo lieb! Du weißt es! Und wenn Du es mir verschwiegest, ich fühlt es doch, weil Dein Leben, Dein Herzschlag in dem meinen ist.

Herzelein! Daß Dir der Sonntag mit seiner Besinnung Befreiung brachte! Ja, ja, ich habe es doch gefühlt! Am Sonntag war ich doch so froh, Herzelein, noch kaum zuvor schaute ich alles um mich her, auch das fremde Land, so beglückt! Oh Geliebte! Du! Mein geliebtes Herz! Wie will ich mit dir alle Sonntage so lieb und besinnlich begehen, wie wollen wir sie zu rechten Feiertagen machen und ausschmücken mit allem Schönen! Wollen unsre Herzen an diesen Tagen weit öffnen. Oh Geliebte! Wie freut und beglückt es mich, daß ich dazu werde beitragen können und daß in dem Verlangen und Bedürfnis nach dieser guten Besinnlichkeit sich unsre Herzen begegnen! Ich freue mich mit Dir über die schöne Vesper und daß sie Dir Gewinn brachte, Entspannung. Oh Geliebte! Wie dankbar müssen wir sein für all die Gelegenheiten, die  unser Herz, unsre Seele noch angesprochen wird – auch im Gotteshaus – immer seltener werden diese Gelegenheiten. Herzelein! Dankbar schaue ich auf mit Dir zu Gott, der Dir diesen reichen Sonntag schenkte und damit Hilfe brachte. Gott wird uns weiterhelfen! Er wird uns Kraft schenken, getreulich auszuharren! Herzelein! Du weißt es: Eher will ich mich in Liebe verzehren als unsre Liebe vergessen! Und dahin wird es nicht kommen. Und immer, wenn ich schwach werden will, denke ich Dein, Geliebte! Daß ich Dir ganz gesund und stark bleiben muß!

Nun laß Dir noch etwas von mir erzählen.

Habe doch geträumt von Dir in der letzten Nacht. Ich ging mit Dir durch eine alte Stadt, bald sah es Bautzen ähnlich, bald wieder nicht. Und heftiges Gewühl war in den Straßen, Schützenfest. Und wir kamen an einen alten Turm. Und im Turme hinauf fuhr eine ganze Fahrstuhlkette wie eine wuchtige Schaukel. Und Du lieber Springinsfeld machtest Dich auf einmal von mir los und bestiegst einen Fahrstuhl – ich sehe Dich noch entschweben im weißen Kleide – und gleich nach Dir bestieg den nächsten Fahrstuhl ein böser, älterer Mann in Schützenuniform, er hatte nichts Gutes im Sinne, und ehe ich Dir nachkonnte, hatte mich die Menschenmenge abgedrängt – und ich habe doch gewartet und gewartet, daß Du wiederkämest – und fand Dich doch nicht und war ganz traurig – und darüber wachte ich auf. Und noch vorher im Halbschlafe bewegte ich dazu diese Gedanken:

Du sollst nicht denken, daß ich engherzig bin und Dir keinen Willen lasse – und nun mußt Du doch einsehen, daß ich es nur lieb meine und ich Dich beschützen will. – Das war mein Traum. Ich freue mich doch immer, wenn ich von Dir träumen kann, Herzelein!

Morgen ist nun Pfingstsonnabend. Und wieder umfängt uns die Traute der Festtage – wieder gemahnt sie uns schmerzlicher an alles, was wir entbehren müssen – läßt sie uns alle Sehnsucht inne werden.

Oh Geliebte!

Wir wollen einander weiterhin ganz lieb festhalten! Und wollen nicht nachlassen, Gott um seinen Segen zu bitten. Wollen uns im lieben Pfingstfest seiner Allgegenwart und Allgüte versichern lassen!

Oh Herzelein! Behalte Du mich lieb! Bleibe du mir! Bleibe mir froh und gesund! Und ich will nimmermehr von Dir lassen! Oh Geliebte! Wenn ich sie nicht schon besäße, ich wollte Dich bezwingen mit meiner Liebe und Treue, daß Du mir Deine Liebe schenktest. Ich weiß nichts anderes auf dieser Welt! Oh Herzelein! Du bist mein Ein und Alles! Mein Reichtum! Mein Leben! Ich habe Dich so lieb! Soooooo lieb! Du!!! Herzelein! Eines [sic] sein möchte ich mit Dir! Mit Dir nur bin ich ein ganzer, froher Mensch, und ein glückliches Mannerli!

Behüte Dich Gott! Er schenke uns Kraft und Geduld zu getreuem Ausharren! Ich danke Dir sooo sehr für all Deine Liebe. Herzelein!

Ich küsse dich – und habe Dich sooooooooooooo lieb!

Ewig Dein [Roland]! Dein – Mein!!!!!

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Kommentare

Ein sehr persönlicher Brief. Immer wieder versichert R. sich der gegenseitigen Liebe und sieht sie als Geschenk der Güte Gottes, für das sie dankbar sein sollten. Diese Liebe gibt ihm Kraft und Mut, den Alltag zu bewältigen. Trotz der Gewißheit der Liebe plagen ihn aber auch Verlustängste, wie es ein Traum deutlich macht, den R. Hilde erzählt. Verstört ist er über die Gewalt des physischen Verlangens, das er nicht immer beherrschen ('verzwingen') kann. Auch da bittet er um Gottes heilende Kraft. Auffällig wieder, dass er seine Umwelt in keiner Weise wahrzunehmen scheint, jedenfalls beschreibt er sie nicht.

drew.bergerson

Mi., 05.09.2018 - 16:34

In seinem Traum lese ich den Versuch, er und Hilde sich in einem Turm der Liebe zu verstecken – vergebens. Der böse, alte Mann und seine Menschenmassen bezeichnet vielleicht die Wehrmacht?

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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