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Briefkorpus

92.

Freitag, am 15. Mai 1942.

Herzenschätzelein! Mein geliebter, guter [Roland]! Herzelein!

Es ist doch wieder Abend geworden, da ich nun endlich mich zu Dir setzen kann. Der Tag war reich angefüllt mit Geschäften aller Art. Wie überhaupt der Freitag der heißeste Tag in der Woche ist. Frühmorgens beginne ich mit dem Reinemachen, soviel Schmutz gibt es zwar nach dem großen Putz nicht gleich wieder. Aber in den beiden Küchen, wo wir immer herumhocken, da sieht es reichlich schmutzig aus wenn eine Woche um ist. Bis Mittag bringe ich damit zu und nebenbei koche ich noch unser Essen. Wenn ich mit den Eltern Mittag gehalten hab, dann geht‘s weiter im Takt. Aufwaschen, die Hausordnung und in diesem Monat wöchentlich einmal den Oberboden wischen. Na, meißt [sic] ist es dann 3 Uhr. Schnell wasche ich mich, ziehe mich um zum Einholen. Unterdessen habe ich das Badewasser im Ofen! Ach glaubst, jetzt ist es manchmal zum .....! bei dem bissel Einkaufen. Man steht an wer weiß wie lange und dann geschieht’s nicht selten, daß die Ware eben ausging wenn man dran ist. Man darf sich aber trotzdem nicht verdrießen lassen, immer wieder muß man gehen, tut man das nicht, reut einem dazu die Zeit, so hat man nichts zu essen. Ich liege jeden Nachmittag paar Stunden auf der Straße, ich lüge nicht. Man muß immer herumgucken und spannen, wo es was gibt! Manchmal komme ich mir vor wie eine Spionin!

Aber ich kann’s nicht ändern – jetzt geht halt das leibliche Wohl vor. Lieber renne ich mal schnell fort und lasse zuhaus was schmutzig, ehe ich das Nachsehen habe. Ich denke manchmal: was hätten wir bloß zu essen, wenn wir alle bis abends arbeiten müßten?! Unmöglich glaubst Du?

Wenn unser Vater nichts gescheites zu essen hat, ist’s aus mit der guten Laune!

Und mit dem wenigen, was dir zur Verfügung steht mußt du doppelte Zeit verwenden. Die Eltern müssen wirklich froh sein, daß ich zuhaus sein kann. Sind sie auch! So war ich nun heute einmal beim Bäcker, Fleischer, Milchmann, Grünwarenmann, Kaufmann. Bei den beiden letzteren war’s vergebens: „kommen Sie in 2 Stunden nochmal, dann wird etwas da sein!“ Gut. Läufst eben nochmal. Und so geht das fort. Niemals nach deinem eignen Programm. Und da muß man froh sein, wenn man überhaupt noch was kaufen kann! Wieviel [sic] Male man danach läuft spielt heute keine Rolle.

Jetzt dürfen auch die Bauern nicht mehr auf den [sic] Markt halten. Die Erzeugnisse müssen alle in die Kreissammelstelle gebracht werden, von wo aus sie an die Verbraucher durch Grünwarengeschäfte weitergeleitet werden. Man hat keine Gelegenheit mehr mal ein Pfund Gemüse mehr zu kaufen. Wir sollen Grünwarenbezugskarten kriegen. Am Dienstag waren K.s aus Kaufungen bei mir. Die guten brachten mir einen Eimer voll Spinat, Porree und Rapünzchen. Ich habe mich soo gefreut! An dem Tag war mir gerade Milch sauer geworden und ich buk rasch einen Tortenboden aus Kartoffeln mit wenig Mehl, schlug in die saure Milch ein Ei und Zucker, ein Päckel Pudding und belegte das ganze zuledt zuletzt mit Stachelbeeren. Früh um 9 war die Torte fertig, ich wollte Mutsch überraschen, sie ißt gerne was Gutes nachmittags!

Weil mir nun K.s die Freude machten und mir Grünwaren ins Haus brachten, da habe ich schnell Kaffee gekocht und sie eingeladen. Nun war die Freude auf ihrer Seite! Was meinst denn, wie es ihnen schmeckte!

Die Bilder von unserm Winterbesuch zeigte ich ihnen, sie wollten gerne welche haben. Viele herzliche Grüße! Sie kommen nun auch nicht mehr auf den Markt, erstens, weil erst wieder was wachsen muß. Es regnet ja nicht mehr bei uns! Ist nur trübe immer.

Aber ich fahre runter zu K.s und kaufe ein, was ich brauche. Auch zu meinen anderen Bekannten und Verwandten gehe ich. Wenn ein Blitzer kommt dann werde ich mir schon zu helfen wissen. Wenn er mir gar dumm kommt, dann stülpe ich ihm gleich den Korb über’n Kopp [sic].

Ach Herzlieb! Da fiel mir doch ein heute: Sonntag ist ja Muttertag! Nun aber rasch noch das Päckel nach Kamenz schicken. 3 feine geklöppelte Spitzendeckchen erstand ich für die Mutter, ein ovales und 2 kleine runde, sowas haben Frauen gern! Das weiß ich. Ich schrieb ein Briefchen dazu, knüpfte alles in ein Seidenband, obenauf paar Maienzweige.

Per Einschreiben ging’s ab, hoffentlich freut sich Mutter, ist doch von ihren Kindern, von Dir und mir, gelt? Meine Mutsch kriegt ein Salatbesteck, ein Küchenmesser und nen Tulpenstrauß. Für Papas Mutter buk ich eine „Kartoffel-Grieß-Torte“ (Achtung! Kriegsrezept!!) Und von Rosinen einen Kranz obenauf und in die Mitte ein schönes Herz. Fein ist mir die gelungen, eben habe ich sie auf dem Ofen geholt. Und die Oma F. bekommt einen Kamm, von Dir weißt? und paar Blumen. So, mehr Mütter hab ich nicht. Und mein Vati? Der soll bald paar feine Plätzchen kriegen von guter Butter, wir haben doch von Tante Herta welche gekriegt! Wenn ich nur erst wüßte wohin ich schicken kann! Ich bekomme wieder mal recht schlecht Post. Nun weiß ich garnicht recht wo Du steckst.

Mutters Bekannte gab uns Schokoladenmehl, da mache ich nun endlich mal Nougat, ich habe ein Rezept und bisher immer keine Zutaten. Aber nun klappt’s! Sollst auch mit kosten, Herzelieb! Kannst doch sicher Nougat essen?

Diese Woche habe ich falsche Leberwurst gemacht! Fein! Die Eltern waren begeistert. Ich lerne immer mehr Betrug bei dieser Kriegswirtschaft! Ist dir nicht Angst, daß ich Dir später das ganze Wirtschaftsgeld unterschlage? Du?!!

Wenn ich weiter die Kriegsrezepte verwende im Frieden und dabei alles Geld für mich spare? Ach so, Schätzel! Du kennst ja Deine Lecker[hilde], die wird froh sein, wenn‘s mal wieder was Handfestes zu essen gibt! Sie will ja ihr Mannerli dickfüttern!!!

So mein Schätzelein! Es ist gleich 10 Uhr das Bettlein winkt! Morgen will ich lieb und lange mit Dir plaudern. Ich bin müde. Herzelein! Behüt Dich Gott! Ich hab Dich ganz sehr lieb! Du!!! Mein Goldherzelein! In Liebe und Treue Deine [Hilde].

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Hilde berichtet über die Lebensmittelknappheit, das Ausprobieren von Kriegsrezepten, sowie die Geschenke an die Mütter zum Muttertag.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946