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Briefkorpus

Montag, den 11. Mai 1942

Herzelein! Geliebte! Meine liebe allerliebste [Hilde], Du!

Sitz doch schon wieder bei Dir! Schnell ist der Tag herum von einem Händefassen und Liebgedenken zum andern. Und der Mai erscheint schon wieder zweistellig. Herzelein! Hast doch schon wieder eine Urlaubshoffnung eingepflanzt, Du, Herzallerliebste! Weil Du mich gern wieder einmal bei Dir haben willst, weil Du mich so liebhast! Du! Du!!! Was man im lieben Maien pflanzt, das wächst doch fein schnell. Und dein Mannerli ist doch so glücklich, daß Du Liebes so auf mich wartest – und es wird doch das zarte Pflänzchen ganz fein und lieb mit in achtnehmen und hegen und pflegen. Glaubst Du mir das? Du! Du!!! Du!!!!! Wo ich Dich doch so sooooooooooooo lieb habe! Und doch sooo gern, ach Du, am allerliebsten und gleich auf der Stelle für immer bei Dir einkehrte, um nimmer von Deiner Seite zu weichen. Du! Da sind im Juni mal noch ein paar Tage mit Frostgefahr, ist eine Klippe, um die wir erst herumsegeln müssen – dann wäre der Weg frei. Im Juni beginnt wieder ein militärischer Lehrgang, Ende Juni. Nun heißt es zwar, erst müsse der Fachlehrgang besucht sein, ehe der milit. Lehrgang drankäme – aber wer kann wissen, wie alles läuft. Aber Du, liebes Herzelein! Ich hoffe und warte doch mit Dir – oh, Du weißt es, geliebtes Herz.

Herzelein! Über der Tür zu unserem Zimmer, innen, hängt ein versilbertes Hufeisen. Besinnst dich noch auf die vom Lichtenhainer Glückshäusel? Du!!!

Und denk nur: in unserem Hause nisten die Schwalben. Im ersten zweiten [sic] Stock hatten sie schon ein Nest auf einem Sims im Flur. Jetzt haben sie auch in unserem, dem ersten Stock, ein Nest gebaut. Ich habe es doch beobachtet. Du! Du!!! Wieviel Freude haben die Tierchen dabei gehabt. Du! Du!!! Haben so sooo verliebt miteinander gezwitschert und sich beraten. Und schnell war das runde Körbchen gemauert. Und früh und abends ertönt doch das liebe Gezwitscher. Von weitem klingt es so einerlei, draußen im Freien. Aber hier, im Flur, da klingt es so süß, so verliebt, Du! Du!!! Was mögen sich die Schwälbchen nur zu sagen haben? Du! Des Abends? Ich kann‘s natürlich nur vom Mannerli sagen. Ich denk: „Holde mein, lässt Du mich ein?“ Und des Morgens? „Guten Morgen, herzliebes Schätzelein! Laß mich doch recht lieb zu Dir sein mit einem feinen Küsselein!“ Und sonst noch? „Da wird es aber höchste Zeit, daß wir ein liebes, warmes Nestel bauen!“ Du! Du!!! Sind doch beinahe dieselben Sorgen, die wir haben, gelt? Und denk nur. Tret ich des morgens aus der Schreibstube, ist eben einer dabei, mit einem Leitungsrohr das Nest aus purer Zerstörungslust abzustoßen, er gehörte gar nicht zu uns. Ich habe ihm gewehrt [sic]. Und es war noch nicht zu spät. Die Schwälbchen sind wiederkommen, sie brüten schon. Das bissel Dreck, das sie da machen ist ja garnichts gegen das Gekotze, das da manchmal früh im Gang zu sehen ist.

Herzelein! Es wohnt sich ganz schön auch im neuen Haus. Es lässt sich leichter sauber halten, weil überall in den Fluren Fliesen liegen. Darum wird es auch kühler sein. Mein Arbeitsplatz ist freundlicher. Und weil ich doch hier mit Dir auch ganz allein sein kann – darum bin ich doch nun ganz ausgesöhnt wieder.

Oh Du! Du!!! Herzelein! Muss Dich doch gleich erst mal ganz lieb küssen und an mich drücken – Du! Du!!! Ich habe Dich so, [sic] lieb, sooo lieb!!!!! Du, wenn zwei immer mit sich allein sein wollen, die müssen sich aber gut sein, die müssen aber reich sein! Oh Herzelein! Geliebte!! Mit Dir bin ich doch sooo reich und glücklich, Du!!!!! !!!!! !!!

Bis hierhin schrieb ich in der Mittagsstunde. Nun ist wieder Abend. Alle sind ausgeflogen. Das Mannerli ist ganz allein zu Hause, hütet die Stube mit den sechs Bettlein und wünschte sich doch gleich, daß das liebe Schneewittchen oder Dornröschen oder Herzlieb auf Besuch käme. Ist auch noch etwas vom Abendbrot übrig, ein paar Gackeier [sic] ein bisserl Schweizerkäs zum Brot und kalter Kaffee, das ist ja bei Soldatens [sic] schon ein richtiges Diner.

Heute dürfte das Mannerli auch gar nicht ausgehen, weil es von elf Uhr an Läufer ist. Ja, Herzlieb! Mit der Urlaubskarte in der Tasche kann man sich wohl ein wenig frei fühlen – aber noch freier, noch weiter ist mir doch, wenn ich zu Dir kommen kann. Die Stadt mit ihrem Getriebe macht die Freude nur immer lebhafter bewusst – die Gedanken allein machen frei. Oh Herzelein! Und einmal sollen wir ganz wirklich frei sein.

Heute Nachmittag besuchte ich einen für uns Soldaten angesetzten Vortrag des Dirigenten Dr Hartmann: „Ein Spazierganz durch Saloniki.“ Mir ging es vor allem darum, diesen Mann ein klein wenig kennen zu lernen. Er kanne Ende fünfzig, Anfang sechzig sein, ergraut schon. Als Dirigent wirkt er noch so elastisch und jugendlich. Und so ist auch sein Herz noch. Es ist ein Herz voll Güte, Edelmut, und hohem Empfinden. Dr. Hartmann ist Historiker, und so ging er in seinem Vortrag überall den historischen Erinnerungen nach, die hier so ganz und gar vernachlässigt werden. Es war ein interessanter Vortrag, der uns allzuviel Neues nicht brachte. Denn die Sehenswürdigkeiten haben wir alle auch schon beaugenscheinigt [sic]. Unter den Kameraden war zuletzt wenig Aufmerksamkeit. Sehenswürdigkeiten sind ihnen nicht die Kirchen und Tore und Brunnen, sondern ganz andere Dinge.

Heute erhielt ich Post von Hellmuths. Der Mann hat Urlaub, die Frau hat Urlauberurlaub – wir freuen uns doch mit ihnen, gelt, Herzelein? Urlaub ist doch was Feines. Und mein Herzelein hat sich doch auch schon längst wieder einen verdient, Du!!!

Nun will ich aber die lieben Boten herzusuchen, daß ich Dir Antwort gebe.

Sonntag der 3. Mai. Oh, so ein langer, lieber Bote, ist doch ein richtiges Buch – und das noch geschrieben am heißen Waschtag. Ach Du! Herzelein! Hast mich so lieb, sooo lieb – das liebe Schätzelein geht so flink und lieb und gewandt, ach Du! Du!!! Und soviel Liebes bringt es mir – solange ließ ich Dich doch gar nicht allein reden, wenn ich bei Dir wäre, da ginge mir doch mein Schnäblein über vor Ungeduld. Und wenn zwei zugleich reden wollen und zugleich es einander wehren: da gibt es doch – ein Küßchen. Ich glaub, es gibt erst einmal nur lauter Küßchen, wenn wir wieder beieinander sind – Du! Du!!! Und nun hast Du doch vom Mannerli geträumt so lieb, sooo lieb! Du!!! Ist es doch zu Dir gekommen, in der Nacht, auf den Flügeln der Sehnsucht, den schnellen, mit den Strahlen der Liebe, den allgegenwärtigen. Ich habe doch auch von Dir geträumt von Dir in der vergangenen Nacht; aber der Traum ist nur undeutlich gewesen. Ich weiß doch bald nimmer, wie mein Schätzelein dreinschaut, trotz der vielen Bilder, die ich bei mir habe. Ach Du! Sie lassen ja alle Lebendigkeit nur ahnen, alle Güte und Liebe Deines Wesens. Und viel deutlicher, als Dein äußeres Bild, lebt in mir das Bild Deines Wesens, oh Herzelein! Und mit jedem lieben Boten wird es doch wieder ganz lebendig – oh Du! Du!!! – und weckt in mir alle große tiefe Sehnsucht – nach Dir! nach Deinem geliebten Wesen – oh Herzelein! nach meiner Heimat!

Du hast nun wieder so rüstig geschafft den ganzen Tag. – für den Haushalt der Eltern, nicht für uns – und doch für uns. Herzelein, so wie ich noch weniger für uns schaffe hier, und noch entfernter doch für uns. Wenn Du jetzt schon in unserem Heim sein könntest – ich weiß, öfter und schmerzlicher würde Dir dann das Alleinsein bewußt werden, lieber würdest Du schaffen, aber das Mannerli nur mehr vermissen, daß ihm all Deine schaffende Liebe zuteil würde. Oh Herzelein! Geliebte! Ein tiefes, herzinniges Danken möchten all meine Boten auch sein, täglich, für all Dein liebes Schaffen, und Warten, und Gedulden – Du armes, liebes, liebes, treues Weib!!! Und es ist doch meine größte Freude, daß Du froh durch den Tag gehst in meiner Liebe. Oh Herzelein! Täglich, immer möchte ich Dich so froh und glücklich machen!!! Oh Du! Du!!! Geliebte! Wie sehne ich mich doch danach, recht lieb und zärtlich zu Dir zu sein, Dein liebes Köpfchen in meinen Händen zu halten und Dir die Stirn zu küssen, ganz lieb und lind und leis – und wenn Du müde bist, ganz lieb Dich in meinen Armen zu betten – oh Herzelein! Geliebte! Ich glaube, es ist der Liebe köstlichste Stunde, wenn wir zueinander kommen im liebstem Vertrauen, die Geborgenheit der Liebe suchend. Oh Herzelein! Geliebte! Komm immer zu mir! Komm, komm! Und wenn ich in der tiefsten Arbeit steckte, und wenn ich es ganz eilig hätte – es ist nichts wichtig und ist nichts eilig – für Dich bin ich immer da zuerst und zuliebst – Dir Heimat zu sein, Geborgenheit – oh Herzelein! Nimmer sollst Du warten, sollst Du dich einsam und verlassen fühlen. Sollst Dich in mein Leben drängen – Geliebte, es ist meiner Liebe höchstes Entzücken! Wir werden immer bereit sein, einander ganz einzulassen. Oh Du! Du!!! Ich weiß den Ort, den lieben, lieben Ort, der mir immer offensteht, der mich birgt sooo lieb und tief und traut – Du! Du!!! meine Heimat, meine Zuflucht – Dein liebes, treues Herz!

Und Du, Geliebte! Du weißt, daß Dir ein Herz offensteht, ein Thron bereitet ist, offensteht, solange ich lebe, Dir allein! Dir allein! – bei deinem [Roland]. Und nichts beseligender, als wenn ich Dich darinnen fühle so heimisch und froh und glücklich!!!!! Oh Herzelein! Und ich fühle es doch zutiefst beglückt, wie Du zu mir kommst, täglich, mit allem, mit Deinem ganzen Herzen, wie Du Dich mir so lieb anvertraust, wie kein andres Weib es seinem Mann tun mag. Herzelein! Und Du weißt es: Du lebst in mir, zu Dir hin drängt es mich unwiderstehlich, Deiner Liebe tut sich mein Herz auf – Du sollst mich ganz kennen, sollst mich ganz besitzen, in Deinem Herzen will sich mein Wesen spiegeln – weil Du mich liebst. Es ist in allem Lieben Eigenliebe, in aller Sympathie schon und allem Angezogenfühlen. Nur verwandte Seelen können einander verstehen und ganz nahe kommen und austauschen.

Ach Herzelein! Wie beglückt es mich immer mehr, zu erkennen und zu fühlen, daß wir einander so lieb verstehen können. Oh Geliebte! Wie Dein Wesen dem meinen doch so verwandt ist, oh Du!!! wie es ein ganz ganz seltenes Glück ist, daß wir einander fanden. Fühlst Du es auch so deutlich und beglückt?

Geliebte! Wie freue ich mich darauf, mit Dir durch dieses Leben zu schreiten, daß es uns immer enger verbindet und zusammenwachsen läßt – ich nehme Dich doch immer mit, mag keinen Schritt mehr allein tun, keine Freude mehr allein haben, keinen Gewinn mehr für mich – und Du Liebstes, Herzigstes sollst mich doch auch beiseitenehmen, mich stillstehen heißen und teilnehmen lassen an Deinem Freuen und Empfinden – ich will Dir doch so lieb folgen immer. Und ich weiß doch: das brauchen wir uns gar nicht vorzunehmen, das kommt so von ganz allein beim Zueinanderneigen in tiefster, innigster Liebe.

Oh Herzelein! Wenn ich das bedenke, dann mag mich doch auch der Unterschied unsrer Lebensalter gar nicht bange machen. So lieb und fein werden unsre Leben aufeinander abgestimmt sein – daß ich so jung bleibe wie Du – und Du mein liebster, treuester Lebensgefährte, tausend Bande werden uns inniger verbinden als Jahre uns einander entfremdenden u. entfernen könnten. Oh Herzelein! Geliebte! Ich glaube an den festen Grund unsrer Liebe. Ich fühle sie in mir, so mächtig, kraft- u. lebenspendend. Du, Geliebte, bist dessen Zeuge, ach, bist dessen ganz inne, wie sie so ausschließlich und entschieden auf Dich gerichtet ist, wie sie Dein Mannerli bewegt und wandelt und ausfüllt.

Oh Geliebte! Mein ganzes Sein und Leben und Lieben ist Dir zugewandt – ganz an Dich bin ich verloren – Du hast mich ganz – ob ich es will oder nicht – Liebe! Liebe! Ich liebe Dich!!!!! Ich weiß nicht, ob noch ein anderes Mannerli Dich so lieben kann – aber das weiß ich, daß Du keines reicher beglücken, keines mehr erfüllen, keinem mehr bedeuten kannst mit Deiner Liebe als Deinem Mannerli – Du! Mein Alles! Mein Leben! Oh bleibe Gott uns gnädig! Segne er unsre Liebe! Behüte er Dich auf allen Wegen! Du! Mein liebes Weib! Meine [Hilde]!

Ich halte Dich ganz fest und lieb umfangen – Du! Mein!!!

Ich küsse Dich herzinnig! Und bleibe Dein! Ewig Dein!

Dein [Roland]!

Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Mein!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946