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Briefkorpus

86.

Sonnabend, am 9. Mai 1942.

Herzensschätzelein! Geliebter! Mein lieber, guter [Roland]!

Du! Heute sitze ich im Stübchen, weil die Mutter in der Küche plättet, da ists mir zu eng, zu warm! Du! Die Sonne scheint zu den Fenstern herein, offen stehen sie; ein herrlicher Maientag ist heute, der erste in solcher Pracht. Gleich wird es von unsrer Uhr sieben schlagen, Herzelein! Von unsrer schönen Uhr! Du! Den Feierabend kündigt diese Stunde an. Es gab für mich wieder allerhand Arbeit heute. Sämtliche Fenster putzte ich, weil Mutsch neue Gardienen aufmachen will. Überall wurde gewischt, gebohnert. Wäsche habe ich auch schon wieder gewaschen; eine ganze Leine voll Strümpfe und Socken, 2 Blusen, 2 Röcke und Kleinkram. Es häuft sich halt viel an bei uns. Gebadet haben wir heute erst, bin kaum ein Stündchen aus der Wanne, Du!! Ganz fein neuwaschen ist Deine [Hildi]. Im frischgeplätteten Arztmantel sitze ich hier, Du! Mutter sagt, ich sähe aus wie eine Assistentin oder Schwester! Du!! Wie Deine Schwester, gelt? Eine ganze Menge Wege habe ich auch wieder erledigt. Ich gehe jetzt ab und zu in das Feinkostgeschäft Tauscher nach Limbach. Dort bekomme ich aller [sic] paar Wochen mal eingefrostetes Gemüse. Mußt Dir vorstellen wie z. B. Blumenkohl, kochfertig geputzt, in einer besonders haltbaren Dose verschlossen. Das bekommen wir Deutsche aus Holland! ‚Bloemkool‘ stand drauf. Ich muß das Gemüse 12 Stunden in kaltem Wasser stehen lassen, damit es auftaut und dann anrichten. Schmeckt ausgezeichnet! Man muß sich halt dauernd kümmern, wo es was zu essen gibt. Ich bin schon auf der Hut!

Zum Bäcker, Fleischer, Krämer lief ich. Da hat mir doch die Tochter von Sch.s mal wieder die Buttermarken nicht entwertet. Ich habe selbstredend – in diesen fettarmen Zeiten – heute die Mutter nochmal geschickt! Sie brachte nochmal die Ration. Es wird uns gut tun! Ich werde Dir paar Plätzchen backen davon, erst will ich aber Deine neue Nummer abwarten.

Ach Du! Denke Dir! Heute traf ich in der Stadt Frau G., wir gingen ein Stück den gleichen Weg. Ihr Mann leitet wieder einen Transport nach Rußland. Er wird zurückkommen und anschließend wieder an die Front gehen. Der arme kommt auch nicht los davon. Plötzlich kommt ein älteres Paar auf uns zu, begrüßt Frau G. freudig und ich erfahre: halt Dich an! Herr Lehrer O. nebst Frau. Das ist also der, welcher! Ein lebhaftes Gerede ging los: ‚Frau [Nordhoff], so – so! sehr erfreut, kenne ihren Gatten, jawohl – jawohl, waren Kollegen. Habe mich entlassen von der Wehrmacht! Halte Schule in Rußdorf, ja. Übrigens, sie kennen doch wohl meinen Steckbrief, durch ihren Gatten? Ja, ja, hab‘s satt, das Soldatenleben, will mal wieder was Ordentliches treiben. Hab ja mein Teil weg vom Weltkrieg, nochmal an die Front, nein!‘ Und so weiter und so weiter –. Schrecklicher Kerl! Aber grüßen soll ich Dich ganz herzlich! [S]eine Frau sah schlecht aus und nachlässig, pfui! Ich würde mich vor ihr ekeln. Sie ist 9 Jahre älter als ihr Mann, wußte Frau G. Es sei eine reiche Bauerntochter! Na schön!

Du! Wenn alle Lehrerehen so aussähen wie gerade diese Ehe, auch in Bezug auf Häuslichkeit und Repräsentation, da müßten sich die Lehrer verstecken! Gottlob ist das hier in allen Dingen ein Ausnahmefall. Diese Begegnung beschäftigte mich schon den ganzen Tag.

Am Morgen um 10 hatten wir heute in der Kirche Dienst. Der Fabrikant H. feierte mit seiner Gattin die goldene Hochzeit! Ach, war das schön und feierlich! So ein Jubelfest hatte ich noch nicht erlebt. Das alte, ehrwürdige Paar vorn am Altar, alle Kinder und Enkel dahinter. Und eine Schar Gäste! Besonders geschmückt war die Kirche dazu, das erhöhte die Feierlichkeit, ein Hain von grünen Bäumen stand am Altarplatz zu beiden Seiten. Ach Herzelein! Der Pfarrer sprach auch so schön, so recht zu Herzen gehend heute. Es hat mir richtig gefallen. Von der Gnade Gottes, die solche Güte schenkt, daß sie beide vereint ihre Lebensfahrt bis auf den heutigen Tag fortsetzen konnten. Vom Sinn der Lebensfahrt sprach er. Diese Fahrt sei keine Vergnügungsreise, sondern eine Dienstreise, – im Dienste Gottes. Zweierlei fassen die Menschen das Leben auf: die einen sehen eine Reihung von Erlebnissen, Ver[g]nügungen, Abenteuern. Und wenn Sorgen kommen, Krankheit, Not, Arbeit und Enttäuschungen, dann sind sie mißmutig, unglücklich, ja verfluchen das Leben, das ihnen von Gott geschenkt ward. Es gibt aber noch eine tiefere Auffassung des Lebens: dem Leben einen Sinn zu geben, es als Aufgabe zu betrachten, es auszurichten nach einem guten Sinn und Ziel. Und er flocht alles in seine Rede, was ein Paar erstrebt, daß [sic] sich in Gottes Namen in Liebe verband zu gemeinsamer Fahrt. Er hat so gesprochen, wie auch wir unser Leben erstreben wollen, wie wir, Du und ich auch gesinnt sind. Herzelein!! Welche Gnade, diesen Jubeltag zu begehen miteinander! Ich möchte das doch mit Dir auch, Geliebter! Auf unser gemeinsames Schaffen zurückblicken können, stolz und glücklich! Du! Solcher Lebensabend ist ein gnadenreiches Geschenk. Ach Du! Wenn uns auch einmal dieses besondere, seltene Glück nicht beschieden sein soll, dann möchte uns doch der Herrgott die Gnade schenken, daß wir das erleben miteinander, was aus unseren Kindern geworden ist. Liebster! Möchte erleben, welchen Weg sie einschlagen und möchte beruhigt wissen: alles ist gut, sie sind glücklich und sind rechte Menschen geworden, die das fortsetzen, was wir ihnen liebend eingaben aus eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen. Daß wir an unsrem Lebensabend auch auf ein Werk zurückschauen können, woran unser Herzblut hängt, woran wir gemeinsam schafften und strebten – wenn es auch nicht so ein sichtbares Werk ist, wie heute bei dem Fabrikant H. – es ist auch die Erziehung der Kinder ein Werk und kein kleines.

Ach Herzelein! möchte der Herrgott unseren Bund segnen! Möchte er uns gute Frucht bringen lassen! Möchte er mir Dich behüten und für immer wieder heimführen, Du! daß wir an unser Werk gehen dürfen, unsrer Lebensfahrt beginnen, die wir so heiß herbeisehnen! Oh helfe uns Gott! Amen.

Ach Herzelein! Es stimmte mich so besinnlich, das Erleben in der Kirche. Das alte Paar hat zwei Söhne, beide sind im Geschäft, nicht im Kriege. Ihre Kinder wieder sind noch nicht so alt, daß sie auch schon mit im Kriege wären. Für sie ist das jetzige Leben im Kriege garnicht spürbar, so meint man. Und einen Moment lang wollte mich ein Gefühl des Beneidens überkommen. Aber das ist nicht recht. Ich will nicht glauben, daß diese Leute darum nicht auch ihre Sorgen und Nöte haben. Das Leben ist rauh [sic] und uneben für den, der es wahrhaft lebt, der nicht ausweicht und Bogen schlägt um Unangenehmes. Jeder Mensch trägt neben den Freuden und Annehmlichkeiten auch ein Bündel Sorgen. Und den Umfang wollen wir nicht messen. Ach – kein Grund zur Klage!

Nein!! Wir sind beide gesund und froh und jung und stark! Wie sollten wir das Leben nicht meistern?!! Du und ich! Wir zwei engverbunden. Was fehlt uns noch? Wir haben einander, halten alles Glück umfangen, das es überhaupt auf Erden gibt! Wir wissen, daß die Gnade Gottes uns leitet! Wir haben beide starke Arme, unser Geschick zu steuern! Gottvertrauen und reine, tiefe Herzensliebe, das sind unsere unversieglichen Kraftquellen! Oh Du! Ich kann doch ganz froh und glücklich werden in dieser köstlichen Gewißheit! Geliebter mein! Und so will ich täglich neu mich laben an dieser Quelle unversiegbarer Kraft. Will Dir in Liebe und Treue zur Seite sein, Schätzelein! Ewig Dein!

Denke auch Du an unser großes Glück! Es ist unser Kleinod! Ganz unser Eigen! Denke an Gottes Güte und Weisheit auch wenn der Weg einmal in Dunkel gehüllt ist. Die Gnadensonne Gottes und die Sonne unsrer Liebe, die verlöschen nie! Nie!!!

Herzelein! Oh Herzelein! Wie dürfen wir dankbar und glücklich sein, daß wir einander so lieb gewannen. Wir wollen nie vergessen, daß einer über uns ist, der uns solches großes Glück schenkte.

Geliebter! Mein Geliebter!! Ach Herzelein! Wenn wir nur erst beisammen sein können, dann strahlt uns die Sonne unsrer Liebe noch einmal so hell! Ich freue mich auf unser Leben, ich freue mic[h]!

Tage und Monate verrinnen, wir müssen einander fern sein: Wir müssen, es ist der Spruch des Schicksals so, es ist uns so der Weg vorgezeichnet. Unser Weg – unser gemeinsamer Weg; denn unser gemeinsamer Weg ist es schon Herzelein, ja Herzelein! Unser Weg, unser Schicksal, zusammengekettet sind unsre Wege und Schicksale nun – aneinandergegeben unsre Leben, vor Gott – vor Gott! Ein Paar sind wir auch vor Ihm! Herzlieb! Nicht unser Wille ist es, daß wir so getrennt leben müssen. Ach nein! Du! Oh Du!!! Beieinander wollten wir sein! Ein höherer, mächtigerer Wille fügte es anders. Wenn wir manchmal es auch verkennen: ein gütiger und weiser Wille auch! Geliebter! Dieser Glaube, diese Einsicht erst kann uns still machen und froh trotz aller Trennung. Er läßt uns erkennen, was diese Zeit uns sagen will und bringen will, ach Du! Geliebter! Ich nehme mit Dir das Schicksal aus Gottes Hand. Ich gehe mit Dir den Weg auch über die Ferne und Trennung, ganz lieb und treu Dir verbunden und an Dich gelehnt. Oh Du!!!!! [L]iebster! Liebster!! Goldherzelein! Mein lieber [Roland]! Mein Geliebter, Du!! Ich weiß und ermesse, welch kostbares Glück uns geschenkt wurde! Geliebter! Welch seltenes Glück auch! Ach Geliebter! Wir müssen so lieben! Wenn wir einander nahe sind – und nun, über die Ferne können wir auch nicht anders. Oh Du!!! Ich liebe liebe liebe Dich! Soooooooo sehr! Ach Herzelein! In Deinem lieben Feiertagboten rührst Du so traut an den Anfang uns[e]rer Begegnung. Ich bin doch so glücklich, wenn ich es immer wieder, – jedes Jahr auf’s neue denken wir daran zur Maienzeit – lese von Deiner Hand, was auch Dich im Herzen bewegte einst, als ich zu Dir trat. Mein Herzallerliebster! Du!! Du hast den besten Verglei[ch] gefunden, Herzlieb: Wie die Rose sich entfaltet und auftut, so ist unsere Liebe erblüht. Geliebter! Es sind nicht die geringsten Rosen, die so zögernd und langsam erblühen, die so lange in Knospe stehen. Geliebter! So viele Herzfasern und Würzelein wollten verbunden sein und sich in unsre Herzen senken, sich miteinander verbinden tief, unlösbar! Oh Geliebter!! So viele Seligkeiten mußten sich uns erschließen in ihrer ganzen Tiefe, so viele Türen sich öffnen bis zur letzen [sic] Traute. Geliebter! Mein Roland! Wir sind beide so glücklich und dankbar, wenn wir an unseren Weg denken! Du! Wir wollten einander so ganz zu Eigen haben, Du und ich. Und es ward uns doch herrlichste Erfüllung! Stufe um Stufe, Schritt um Schritt sind wir zu diesem Ziele gelangt.

Oh Herzelein! Worum wir bangten, worum wir hofften, worum wir beteten: nun hat sich alles so herrlich erfüllt! Es hat sich so herrlich erfüllt! Du!!

Wir sind ein Paar! Ein sooo glückliches Paar!

Wie lieb! Wie sooo unendlich lieb haben wir einander [ge]wonnen! Du! Du!!! Mein Alles! Mein Alles!!!!! Du!!! ganz unersetzlich bist Du mir, geliebtes Wesen! Mein! Geliebter! Ich halte mit Dir glücklich und selig umfangen die Blume unsrer Liebe, das Glück unsrer Liebe! Sie wurzelt in unser beider Herzen, sie wird genährt von unser[e]m Herzblut! Oh Du! Du!! Sie ist unsres Lebens Blüte und Krönung, unsres Lebens Sinn und Erfüllung!

Oh schenke Gott uns seinen Segen zu unsrem guten [W]ollen! Schenke er uns Erfüllung all unsres Sehnens! Oh behüte er Dich auf allen Wegen, mein Herzblatt! Ich liebe Dich unendlich! Sooooooooooooo innig! Bist all mein Glück! Mein Sonnenschein! Mein Leben! Meine Sonne! Mein Ein und Alles! Bleibe mein! Ich liebe, liebe Dich! Ich bin immer, immer bei Dir!

Es küßt Dich herzinnig Deine glückliche [Hilde] Dein!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946