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Briefkorpus

Donnerstag, den 7. Mai 42

Herzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]!

Das Wichtigste zuvor. So wie man erst im Zuge sitzend sagen kann, daß man Urlaub hat, so auch, daß man abkommandiert wird. Es ist also ganz dumm, vorher voll Unruhe zu sein, „durchzudrehen“, wie man hier sagt. Aus unsrer Abreise wird also nichts, weil keine Ersatzleute da sind und gestellt werden können. Heute ist deshalb mit der entscheidenden Stelle telefoniert worden, ich war selbst Zeuge dieses Gespräches. Das bedeutet nun (immer mit dem Vorbehalt des Widerrufs), daß wir zunächst mindestens die nächsten 4 Wochen hier bleiben, wenn nicht sogar länger bis in den August/September. Letztere Annahme hat manches Wahrscheinliche für sich. Was wir dazu sagen? Es ist uns recht, so wie uns auch das andere hätte recht sein müssen. Nein, es ist uns mehr recht, weil damit die Aussicht für einen Urlaub in den Sommermonaten wieder gestiegen ist, geliebtes Herz!!!

Herzelein! Ich hätte allein zum Kursus fahren können – ich wollte nicht. Möchte doch gern mit den Kameraden zusammenbleiben – und habe doch immer nur müssen an mein Liebstes daheim denken – an Dich! an Dich! Du! Du!!! Die Du mein wartest, so voll Liebe, voll Sehnsucht! – so lieb und treu – Du!!! – Die Du mich heimziehst und bannst mit Deiner Liebe – der ich in Liebe so innig und fest und wundersam verbunden bin!!!!! Geliebte! Geliebte mein!!! Du mein liebes Weib! Mein Allerliebstes hier auf Erden! Oh Herzelein! Du bist doch mein erster und letzter Gedanke – und wenn ich mich entscheiden muss einmal, dann immer nur für Dich! Für Dich um alles in der Welt!!! Du! Du!!! Oh Herzelein! Ich kann nicht anders – und es kann anders wohl auch nicht richtig sein! Du! Mein Leit [sic] und Ziel! Du! Ziel aller Sehnsucht! Meine Heimat!!!

Herzelein! Nun möcht ich dem Boten auch gleich Flügel geben, damit er Dich schnell berichtet und Du Deinen lieben Boten nicht in den falschen Wind schickst, also nach wie vor [....], und die Null hinten ohne Schwänzel [sic] – ich sehe immer wieder solche Schwänzelnullen! Soll wohl Dein Zöpflein darstellen? Laß es nur fein wachsen – eh Du nicht lange Haare hast, bist Du noch keine Frau – kann ich Dich auch noch nicht heiraten! Du! Du!!! Ja, es gab Zeiten, da gehörte zur Frau das lange Haar und zum Manne der Bart. Und es gab auch Zeiten, da trugen die Männer einen Zopf. Wer mag nur immer den Anstoß gegeben haben zu solchen Wandlungen? Mann oder Frau? Wohl beide! Die Frau wollte gefallen, auffallen, sich begehrenswert machen. Und der Mann hat Freude an diesem Sichbetun [sic], Sichschmücken [sic] um seinetwillen. Die Zopfmode der Männer kann man wohl kühner noch nennen als die Bubikopfmode der Frauen. Sie Jene entsprang einem ganz eigensinnigen Form- u. Stilwillen, der nicht nur die Kleidung und Haartracht der Menschen bestimmte sondern seine ganze Welt, der Stil des Rokkoko [sic] und Barock; während die Bubikopfmode eine Willkür ist im Zuge der Vermännlichung der Frau, gefördert durch eine rein nützliche Erwägung: der Bubikopf macht weniger Arbeit und ist im Berufsleben weniger hinderlich. Der Gedanke, daß Mannerli möchte dann weniger zu zausen haben, war wohl kaum mitbestimmend; denn im Wuschelkopf läßt sich besser zausen als im Hängezopf, gelt? Die Frau will gefallen – dem eigenen Mann, und an der Seite des Mannes auch anderen, daß es eben dem eigenen Mannerli wieder zu Ansehen und Ehre gereiche. Und das Mannerli schmückt sein Weiberli aus Liebe und Freude an Schmuck und Schönheit, und mag daran auch denken, daß dem geliebten Weib aus der Bewunderung der anderen Menschen die eigene Verehrung und Wertschätzung zustrahle. Freilich, so ist es. Dieses Einandergefallenwollen ist im Guten und in den rechten Grenzen doch nur der ein Ausdruck dafür, einander alles zuliebe tun zu wollen. Ach, ein Ausdruck nur, aufs Äußere zielend – in vielen Fällen nur Schein und Trug und Zudecke für innere Leere und Hohlheit; ein Ausdruck, der sich leicht auch lossagt von seiner guten Bestimmung und zum Selbstzweck wird: viele Männer und Frauen, die nicht nur sich schmücken, um dem geliebten Menschen zu gefallen. Ja, auch die Männer schmücken sich und wollen gefallen, nicht nur mit Kleidern.

Ja Herzelein! Wohin bin ich denn geraten? Ich habe mich treiben lassen von den Gedanken und gar nicht mehr daran gedacht, daß ich Dich vielleicht langweile damit? Nein, das denke ich schon nicht. Aber ganz gleich, ob Du nun eingeschlafen bist oder noch brav zuhörst: Jetzt nehme ich erstmal das liebe liebe Köpfchen – Du! Du!!! – und küsse Dich – Du!!! Ganz lieb! Und auf den Schreck gleich noch einmal, Du herzallerliebstes Schätzelein! Und ein Kussel noch, weil´s so süß war, gelt? Und eines, weil´s immer süßer ist – oh Herzelein! Herzelein! Geliebte! Ich habe Dich doch so lieb, soooooooooooooo lieb, Du!

Und jetzt ist erstmal die Mittagspause vorbei. Vielleicht habe ich heute freien Nachmittag. Und heute abend komme ich noch einmal zu Dir, geliebtes Herz! Du! Du!!! Mein Schätzelein! Mein Herzelein! Du! Du!!! Ach könnt ich bei Dir sein! Für immer!!! Geliebte!!!!! Ich bin doch Dein glückliches Mannerli! Du! Du!!!!! !!!!!! !!!

Herzelein! Da bin ich doch wieder! Dein unbärdiges [sic] Mannerli, das Dich gleich so überfällt. Ach, nun bist wohl ganz scheu geworden und fürchtest Dich vor mir? Du Zuckerschneck, Zuckerschneck! Ich glaub Dir's nicht! Du liebes, süßes Leckermäulchen! Darfst mich doch auch einmal so lieb überfallen! Dein Mannerli ist doch gar wehrhaft! Weißt denn de das noch? Du! Du!!!!! Ja, freier Nachmittag war heute! Sonnenschein, etwas trübe, milchig, als ob wir ander[es] Wetter bekommen sollten. Es lockte uns (Kam. K. hatte auch frei) hinaus in die grüne Flur. Mit der Tram sind wir zum Stadtrand gefahren und dann auf bekannten Wegen ganz gemütlich zum nächsten Dorf geschlendert. Ausgedörrt liegt alles schon und durstig von den paar regenlosen Tagen. Die Rosen blühen, die Akazienbäume. Die Weinberge sehen recht schön gepflegt und begrünt aus. Kamerad K. wollte den Spaziergang bis zum Kapellenberg ausdehnen – aber ich winkte ab, weil der Magen sich schon wieder meldete. Ganz so freigebig darf man jetzt mit den Kräften nicht sein. Und ich musste doch daran denken, daß eurer Haushaltsführung daheim eine böse Enttäuschung bereitet wurde. Ach Hezelein [sic]! Wenn ich nicht wüsste, daß Du und die liebe Mutsch so findig und erfinderisch wäret, dann müsste ich mich schon ein wenig mehr sorgen. Ist es nicht gut nun, daß ihr noch zu dritt sein könnt, sodaß eines sich dem Haushalten gut widmen kann und sich alles doch noch besser einteilen läßt, als wenn zwei allein sind? Zumal ihr alle drei doch gern etwas Gutes pappelt, gelt? Die liebe Mutter aus Kamenz denkt doch wahrhaftig daran, wie im vergangenen Kriege in die Heidelbeeren zu gehen, weil ihre Beerenfrau schlimm erkrankt ist. Sie schreibt, daß man in diesem Jahre nirgendshin [sic] in die Sommerfrische fahren könne und daß es fast unmöglich sei, noch jemanden zu besuchen. Es ist doch mit einem Rucke bedeutsam ernster geworden. Wir müssen uns eben darauf einstellen. Wenn ich nur ein bissel helfen könnte! Na, ich will nur Vater recht gut mit Rauchware versorgen, daß er daran wenigstens keinen Mangel verspürt. Herzelein! Und dabei müssen wir immer noch ganz still und dankbar sein, wenn wir an die denken, die zu diesen Erschwernissen noch den schrecklichen Luftangriffen ausgesetzt sind.

Da denke ich doch eben auch an ein paar Fragen, die ich Dir noch beantworten muß. Sprichst vom Gartenbau in Großmutters Grasgarten. Es ist doch recht umständlich, wenn einer von euch täglich dort nach dem Rechten sehen müßte. Ihr rackert euch dabei soviel ab wie ihr erbaut.

Und nun der Klavierkauf. Auch ich mag jetzt daran nicht denken. Unser Klavier genügt mir. Und zu einem günstigen Gelegenheitskaufs eines besseren Instrumentes wird nach dem Kriege noch oft genug Möglichkeit sein. Ich möchte doch auch wie Du erst einmal an die Einrichtung unsrer Zimmer denken! Herzelein! Dein lieber Bote vom Freitag ist doch heute zu mir gekommen. Sei nur viellieb bedankt für Dein treues Gedenken. Mein Herzelein hat doch das Prüfungsfieber, ich sehe es an der unruhigen Schrift. „Viel Geschrei und wenig Wolle“, „viel Trara und wenig Musik“ – so ist doch diese Prüfung. Na, nun ist sie überstanden. Und ich bin froh mit Dir. Hoffentlich hast Du Dich nicht zu sehr hervorgetan im Eifer. Das ist niemals gut. Es ist gar kein Zweifel, daß solch ein Kursus interessant und lehrreich ist. Die Hauptsache sind doch die sicheren Handgriffe, die man doch nur durch fortwährendes Üben recht lernt. Die können wir ja auch gegenseitig etwas auffrischen, wenn wir mal Lust dazu verspüren. Man kann jederzeit einmal in die Verlegenheit kommen, helfen zu müssen – und es ist furchtbar, wenn man dann hilflos sich einer Gefahr gegenübersieht. Vor allem nimmt das Wissen um die Abhilfe auch etwas von dem Ekel und der Scheu, die sonst der Anblick einer Wunde oder einer ärgeren Verletzung in uns auslösen.

Schätzelein! Ringsum mich her sehe ich jetzt halb angezogene Männer, in jeder Ecke einen. Unsre Mannschaft ist jetzt vollzählig. Gleich werden alle lang liegen, nur das Mannerli sitzt noch über seinem Bogen. In den nächsten Tagen werden auch in unsrer Schreibstube Kontakte für die Stehlampen angesbracht, dann kann ich mich nach Herzenslust mal zurückziehen, wenn mir die Gesellschaft zuviel wird.

Ach Du, weißt! Ich bin doch so froh, daß sich am heutigen Tage alles anders entschied, Du! Du!!! Liebes Herzelein! Freu [sic] mich doch auch mit für Dich! Für uns! Geliebte!

Du! Waren doch heute unterwegs wahrhaftig schon die ersten Modelle der Sommermode 1942 ausgestellt. Ich schicke Dir doch eins mit. Weißt, das ist ein echtes Feigenblatt! Gingen hinter uns her doch ein paar griechische Frauen und Mädchen. Die haben so gelacht. Und wir sind doch nicht daraus klug geworden, ob über unsre Bändermützen, die überall Anlaß sind zu Heiterkeit, oder darüber, daß wir die Feigenblätter brachen. Vielleicht ist dieses Blatt in seiner alten Symbolik auch hier bekannt. Hu, das Mannerli ist doch selber erschrocken über dieses luftige Bekleidungsstück. Ich bin doch froh, daß ich Dir noch ein paar Meter Tuch gekauft habe – denn sonst, nur mit dem Blättlein bekleidet, müßt‘ ich Dich ganz fest zu Hause einsperren! Weißt, solches Blättlein entkleidet mehr, als daß es bekleidet – und das haben die Männer nicht gemerkt, die den Malern befahlen, die Blößen ihrer Menschengestalten zu bedecken.

Ja Herzelein! Die Blättlein gibt es nun noch größer und kleiner. Aber Du und ich, wir brauchen doch gar keines voreinander – weil wir eines sind, weil die Liebe und Traute uns einhüllt. Oh Herzelein! Es ist die befreite Scham doch das Zeichen, höchster, letzter Traute, letzten Vertrauens! Und wo dieses Vertrauen verletzt würde durch Untreue – da müssen Scheu und Empfindlichkeit sich feindlich zwischen Mann und Weib stellen. Oh Du! Du!!! Geliebte! Heilig ist mir unsre Traute! Heilig die Stunde, da drängende Liebe uns alle Scheu vergessen läßt – da die Seligkeit und Reinheit und Freude des Paradieses sich auftun für zwei Liebende! Liebe! Schenken! Einssein!!! Oh Herzelein! Wie könnte ich je das Unterpfand unsrer letzten Traute vergessen! Oh Du! Und die es können – wie wenig haben sie geliebt!Oh Du! Geleibte! Geliebte!!! Ich muß Dir ewig treu bleiben! Du! Mein einziges, unersetzliches, geliebtes Weib! Mein Schicksal, Du, mein Leben! Ich liebe Dich Dich sooooooooooooo sehr!

Gott behüte Dich! Er segne unseren Bund!

Ich bleibe in Ewigkeit Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli!

Du Herzelein! Liebstes! Einziges! Einziges!

Du! Du!!! Meine [Hilde]! Meine [Hilde]!

Viel[e] liebe Grüße auch den lieben Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946