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Briefkorpus

79.

Freitag, am 1. Mai 1942.

Herzensschätzelein! Geliebter!! Mein lieber, guter [Roland]!!

Nun hat die Maienzeit begonnen, die viel besungene, die Zeit der Liebenden – Wonnemonat! Ach ja – wir spüren hier noch nichts von der Wonne linder, kosender Frühlingslüfte. Im Gegenteil: der kleine Temperaturenanstieg [sic] ist wieder zurückgefallen und wir verzeichnen statt Wärmegrade Kältegrade. Heute schneit es lustig drauflos! Kalt ist’s auch. Na, nur nicht gleich verzweifeln und nicht gleich den Kopf verlieren! Es muß doch einmal besser werden, der Monat ist noch lang!

Herzelein! Ich bin doch heute so aufgeregt! Wegen der Prüfung. Ich kann’s auch nicht ändern, ich fühle mich nun nicht eher wohl in der Haut, als bis alles vorüber ist. [H]offentlich falle ich nicht auf, glänze nicht vor Dummheit! Drücke mir die Daumen, Du! Ach, ehe Du sie drücken kannst, ist alles längst vorbei.

Heute soll auch das Waschfest beginnen am Nachmittag, wenn Mutsch heimkommt. Meine ganzen Wege will ich noch besorgen, weil morgen Feiertag ist. Du! Vater war gestern bei einem Manne und hat eine Henne geholt. Da haben wir wieder mal zusätzlich etwas zu essen. Gestern erlebten wir nämlich die Enttäuschung, daß Vater die Zusatzkarte entzogen bekommt. Ich kann es garnicht begreifen, bei 12 Stunden Dienstzeit. Ja, der Chef hätte gesagt: ‚wir haben alles versucht, die Wachposten zählen nicht als Schwerarbeiter – die Langarbeiterzulage fällt ebenfalls weg – sondern sie gelten wie Polizei, und der P[ol]izei ist die Zusatzkarte auch entzogen. Was soll man weiter tun, als sich fügen. Wir müssen halt auch so auskommen.

Wenn man wenigstens als Trost in dieser Lage ein Ende von alledem absehen könnte, dann wärs vielleicht etwas andres. Zum Sattessen ist’s für Vater zu wenig und zum Verhungern zu viel. Aber es geht uns nicht alleine so. Und wir sind immer noch zu dritt, da kann man noch kalkulieren. Was der eine weniger braucht kommt dem zugute, der nicht ausreicht. –

Ach Herzelein! Nachdem 2 Tage keine Post gekommen ist, bekam ich doch heute gleich 3 Boten auf einmal! Gleich 3 soo liebe Boten auf einmal! Oh Geliebter!!!!! Das ist auch ein ganzer Strauß Liebe! Du!!! Du!!!!! Den ich kaum umfassen kann. Oh Du! Sei von ganzem Herzen lieb bedankt für dein treues Gedenken! Mein gutes Herzelein! Nun sehe ich doch, daß mein Herzlieb endlich Post hat wieder. 4 lange Tage hast Du Armer warten müssen! Du!! Ach Du! So geht Dir doch wie mir: soo sehnsüchtig warten wir auf das Zeichen von des Geliebten Hand, auf den Gruß der Liebe.

Ach Du!! Ich weiß: unser Atem, unser Herzschlag, unser Leben, alles bedeuten wir einander doch, Du!!!!! Wir müssen uns doch immer umeinander wissen, ganz eng, ganz lieb und traut. Und wenn der Bote einmal ausbleibt, dann fehlt uns doch etwas, das Liebste, Wichtigste und das Schönste. Aller Sonnenschein kommt mir von Dir, wie er Dir von mir kommt! Und wir brauchen ihn zum Leben, zum Glücklichsein! Du!!!

Schön der Reihe nach will ich gehen, damit ich nichts auslasse. Da ist zunächst Dein Freitagsbote, der liebe, vom 24. April. [Z]ur Abwechslung ist er wieder mal vom Oberkommando geöffnet! Man hat ihn aber sicher beschämt wieder zugemacht, Du! Denn nur ganz persönliche Dinge hast Du mir darin zu sagen, Liebster. Spät ist es, da Du mein denkst. Die Kameraden schlafen schon, bist hinüber in die Schreibstube gegangen, um mein zu denken. Du mußtest mir Deine Freude, mußtest Dich mir mitteilen, Du liebstes Herzelein! Und mich macht es doch sooo sehr glücklich! Goldherzelein mein! Vom Konzert bist Du heimgekommen und warst so voller Freude, warst so ausgefüllt von dem schönen Abend, ich freue mich doch so mit Dir, Du! Und freue mich besonders, daß Dir im fremden Lande wirklich eine gute Freude beschieden werden kann, indem Du dann und wann einmal ein Konzert besuchst. Ich kann es Dir so sehr nachfühlen, Liebster; diese Musik, hier im fremden Lande, sie ist doch wie eine Himmelstochter, wie ein Engel so einzig und wundersam, ein Himmelsglanz, ein Friedensstern und ein Gruß aus der Heimat. O ja! Sie ist wie eine seltene Blume auf dem großen Morast dieser Kriegsnot, ein Ablglanz auch des großen wahren Herzensfriedens.

Wenn dieses Konzert dann zum zweiten Male vor den Griechen erklingt, wie muß es die empfindsamen Herzen doch ber[ü]hren dieser unselige Weltkrieg mußte erst kommen, all die große bittere Not über das arme Griechenvolk, damit diese Klänge aufstehen – wie muß dann bei ihnen etwas aufklingen von der großen Liebe, die zu allen spricht, die alle erhebt ohne Unterschied. Es gibt ja überall im Herzen unglückliche Menschen, wie muss es die berühren, wie ein großer Trost, wie eine Hoffnung: das Gute weilt noch unter den Menschen, es lebt noch, es wird nicht untergehen! Oh Herzelein! Ich verstehe, begreife Dein Sehnen, solcher herrlichen Aufgabe dienen zu können, solchem Werke. Sie ist wohl die größte, schönste hier auf Erden. Die Menschen rufen zu diesem gGuten [sic], die Herzen mitschwingen und auf[sch]wingen machen zum Himmel.

Keine Kunst kann das besser als die Musik! Geliebter! Du hast mich so nahe an Deiner Seite gefühlt, ich freue mich! Du! So ist es doch immer auch mir zumute, wenn ich etwas besonders Schönem, Edlen lausche überhaupt, wenn mir ein großes Geschenk solcher Art zuteil wird, dann bist Du mir so gegenwärtig, so lebendig wie nie. Weil ich weiß: in Deiner Gesellschaft, mit Dir zusammen kann ich allein vollkommene Freude erleben, ganzes Glück, vollen Gewinn. Ich brauche Dich, Dein Wesen, Deine lieben Augen, damit ich daraus dieselbe Freude, das gleiche Glück, alle gleichen Empfindungen lesen kann. Nur mit Dir ist mir noch rechte Freude! Ist mir noch echtes Glück und gewinnbringendes Schauen! Du bist meine Bruderseele – bist mein, gehörst zu mir! Du! Und auch über alle Ferne bist Du mir gegenwärtig! Das ist ja mein großes Glück! Das ist die Gewalt unserer Liebe! Herzelein!! Spürst Du sie auch so glückselig? Oh Du! Was Dir, mein Lieb, und uns nun so herrlich nicht vergönnt ist, Du! Vielleicht ist es einem unsrer Kinder vergönnt! Oh Herrgott! Laß uns gute Frucht bringen! Segne unsre Liebe! Führe uns zusammen! Amen.

Herzelein! Vom Prachtwetter erzählst du mir, wie es bei Euch herrscht. Ach, wenn nur auch bei uns bald der richtige Frühling einkehrte. Ich freue mich für Dich! Nutze nur die schönen Tage jetzt, Liebster, [we]r weiß, ob Du doch bald noch zum Kursus kommst, dann ist sowieso für eine Weile deine Freiheit beschnitten! Im Mai wird es sich entscheiden, wie es nun wird. Ich drücke die Daumen Du! Wie es auch kommt, zum Guten möge es gehen! Umziehen werdet ihr am Montag, den 27.4. wieder mal voraussichtlich! Ich muß beinahe lachen, wenn Du davon anfängst! Eine drollige Geschichte. Die anderen können sich eben auch nicht trennen, siehst?! Kamerad K. will auf Urlaub? Er bohrt schon wieder? Na, so wie er das macht, möchte ich das nun nicht. Und wenn mir der Urlaub 10000 mal mehr bedeutete als ihm. Einen guten Eindruck macht das nicht eben. Aber laß ich ihn mal – dann könnt Ihr, seine Nachfolger Euch mit Recht berufen zu Eurem Vorteil. Nun sollen bald die zwei Feiertage kommen. Auch Ihr werdet feiern. Denkst Du an den Frieden, wie wir selig waren einmal einen Tag ohne Abschied voraus zu haben? Oh möge bald Frieden sein!! Herzelein! Für heute behüt Dich Gott! Ich will noch beine Arbeiten erledigen. Feuer machen im Waschhaus. Morgen komme ich nach Feierabend noch zu Dir! Du mein Goldherzelein! Ganz lieb küsse ich Dich! Ganz lieb!

Du! Ich bin so glücklich!! In inniger Liebe ewig Deine [Hilde], Dein!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946