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[OBF-420430-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 30. April 1942

Herzensschätzelein! Geliebtes treues Herz! Mein liebster [Roland]!

Nachmittags um 3 Uhr ist es jetzt. Ich bin nun fertig mit meiner Arbeit im Hause; fertig für heute. Schon alles reinegemacht habe ich, weil große Wäsche bevorsteht; damit wir uns nicht so zu überanstrengen brauchen. Wir werden wohl Sonnabend Sonntag waschen, – der 1. Mai wird diesmal am 2. Mai gefeiert – da ist Mutter frei und Papa muß Küchenchef spielen! Ich bin ja bloß gespannt, ob wir da etwas zu essen bekommen, oder wird er so lang kosten, bis nichts mehr übrig ist!

Wir haben heute komisches Wetter. Der Himmel färbt sich aller Viertelstunden anders. Der Sturm bläst mit verminderter Heftigkeit, in den oberen Luftschichten scheint es jedoch noch toll herzugehen. Mächtige Wolkenballen türmen sich auf und treiben ab im ewigen Wechsel. Vom schmutzigen Weiß bis zum dunkelsten Grau sind die Farben. Aus Nordwest kommt der Wind, er bringt gewiß Regen. Denke nur, heute früh schneite es auch wieder eine ganze Weile! Mindestens 3° waren immer noch. Der April hat sein Stücklein gemacht bis zum letzten Tag! Unberechenbar war er. Mußt aber nicht denken, daß Dein Weibel darum auch so sei! Herzelein! Ich kann doch ganz lieb sein! Wenn ich will. Du! Mit allen bin ich es nicht! Und wenn man mich ärgert oder reizt, dann kann ich auch verteufelt kratzbürstig sein. Du? Hast Du jetzt Bange? Aber nein!! Du ärgerst mich doch nicht im Ernste [sic]. Bist ja mein ganz liebes, gutes Mannerli, gelt? Und Dir will ich mich auch nicht von der kratzbürstigen Seie zeigen. Du!! Ja ja – man muß sich halt auch seiner Haut wehren können.

Es ist doch wahrlich kühl im Zimmer, durch’s Fensterputzen ist es ausgekühlt. Und ich habe mich am Schluß meiner ‚Reinigungsrazzia‘ selbst vom Kopf bis zum Zeh abgeseift und kühl abgespült, nun friert mich. Ich habe gleich nochmal tüchtig nachgelegt. Herzlieb! [Du] Wirst nun überlegen, wo ich mich gesäubert habe – in welchem Raum! Du! In der kleinen Küche! Im großen Asch voll warmem Wasser plantschte ich herum. Und weil ich so fein allein war – da habe ich doch im Evakostüm dagestanden, Du!!! [Ich] Wäre ja tüchtig erschrocken, wenn mein Mannerli plötzlich hereingekommen wär‘! Hätte mich doch nur hinter‘s Badetuch verkriechen können!! Aber das ging ja garnicht. Die Tür hatte ich von innen 2 mal abgeschlossen. Und das Fenster war verhängt. Weil der Rußland-Urlauber so gern herüberschaut, seit er mich kennt. Schon morgens sitzt er am Fenster und tut so, als ob er liest, wenn ich das Schlafzimmer aufräume und bohnere, sehe ich’s. W.s Wohnzimmerfenster liegt nach uns zu [sic]. Ich lasse mich aber garnicht stören. [Ich] Wundere mich nur, daß er und seine Frau sich nicht [sic] mehr zu sagen haben, wo er doch soo lange nicht da war! Du! Das käme ja bei uns nie vor, gelt? Daß Du von früh bis nachmittags am Fenster sitzt und lesen würdest! Ach Du!!! Bei uns gibt’s ja keine überflüssige Sekunde! Im Gegenteil!! Wir haben noch zu tun, daß wir mit den Stunden auskommen, die ein Tag bietet. Ich kann das überhaupt nicht begreifen, Herzelein!!

Ist denn unsere Liebe wahrhaftig die größte und tiefste unter Tausenden, die sich auch in Liebe verbunden glauben? E[s] muß wohl so sein. Immer wieder stoßen wir darauf, daß es bei den meisten Menschen ganz anders ist, das Zusammenleben. Ich lasse Dich doch keinen Augenblick allein, wenn Du einmal bei mir bist, an ein paar kurzen Urlaubswochen! [Es] Ist uns doch jede Minute wie ein kostbares Geschenk, Geliebter! Und wenn wir dann wieder getrennt sind voneinander, dann kommt uns noch manchmal der Gedanke an und die Frage: hast du denn auch jeden Augenblick des glücklichen Zusammenseins ausgekostet? Warst du denn immer ganz lieb zu ihm? Und hast du mit keinem Wort an Trübes, Trauriges gerührt, sondern nur ganz der glückvollen Gegenwart gelebt? Hast du sie ganz tief in deine Seele aufgenommen, die seligen Tage, jeden einzelnen, daß du ihn nie vergißt, daß du dich sonnen kannst in ihrem Glück, an den einsamen Tagen voller Sehnsucht? Oh Geliebter! Woran alles denkt man dann? Und es ist doch nichts als der Beweis, wie sehr wir aneinander hängen! Wie innig wir uns lieben! Wie herzinnig! Oh Herzelein! Man kann dem Schicksal nichts abtrotzen. Man ist letztlich ganz machtlos dem allen gegenüber. Aber ich habe den heißen Wunsch und den unbeugsamen Willen unser Schicksal fest, ganz fest aneinandergekettet zu wissen. Dein Schicksal soll meines sein und umgekehrt. Ich will mich so hartnäckig in Dein Leben drängen mit meinem Lieben, mit meiner Sehnsucht, meinem Verlangen – ach ich will Dich und Dein Leben ganz durchdringen. In allen Dingen, zu allen Stunden sollst Du an mich gemahnt sein, an Dein Seelengeschwister, an Dein anderes ich. Ich will Dein Wesen, will Dich selbst so ganz durchdringen! Und [ich] will tagaus tagein daran denken, daß wir bestimmt sind von Gott, dieses, unser gemeinsam begonnenes Leben zu erfüllen. Ein heißer Wunsch, ein brennendes Verlangen, ein unbeugsamer Wille, sie führen zur Erfüllung, führen zum Ziel! Du!!! Was man sich sehr wünscht geht in Erfüllung. Das ist nicht nur ein leeres Wort. Ein tiefer Sinn liegt darin verborgen.

Wenn man alle Herzenskraft auf ein Ziel verwendet, auf ein Ziel richtet, dann muß Erfüllung werden, Sieg! Du!!!

So ist meine Liebe, so ist Deine Liebe – unsere Liebe! Du!!! Groß, mächtig, gewaltig, urgewaltig ist unsere Liebe. Oh Du!!! Sie ist der Sinn uns[e]res Daseins auf Erden. Ohne sie mögen wir nicht mehr leben. Und solange noch Atem in uns ist, wird diese Liebe in uns sein. Ach Geliebter! Wie die Sonne alles Wesen auf Erden lebensfähig erhält, so gleich gewaltig in ihrer Kraft ist uns die Liebe. Seit sie in unser beider Herzen aufgeblüht ist, ist ein Sonnenschein in uns ohne Ende! Ein Jubeln, ein Singen erfüllt uns und wie auf leichten Schwingen fühlen wir uns getragen durch die Zeit. Oh Du!!! Wieviel Freude zieht in unser Leben ein mit der Liebe! Mit wahrer Herzensliebe. Ach Du! So glücklich wir nun sind in uns[e]rer Liebe, und so groß und wundersam sie uns erscheint, ein ganz reiches Geschenk – so mögen wir beide es ermessen wie schwer es doch in unseren Tagen ist, in unseren Zeiten, einen Lebensgefährten zu suchen und zu finden, auszuwählen. In Deinen Boten vorige Woche erzähltest Du mir von Deiner Unfreiheit, von deiner Gefangenschaft. Herzlieb! Lange Zeit versagtest Du Dir selber die Wahl in der Hoffnung auf die Möglichkeit eines Studiums. Dann kamen die Wanderjahre. Und die Menschenkinder, denen Du doch begegnetest? Oh Herzelein! Du sagst es selbst: nicht jede Wahl macht frei und glücklich, wie wir es sind. Zwei freie Menschenkinder, müssen sich finden. Diese Freiheit, die wir finden in einem großen, gläubigen Herzen, auch einem liebevollen Herzen; hellen wachen Sinnen und Aufgeschlossensein allem Guten. Das sind Gaben, die den Menschen frei machen. Oh Du!! Nun h[ab]en wir einander gefunden! Bei mir findest Du Freiheit, die köstliche, Du!!! Nun bist Du ganz glücklich mit mir! Wie beglückt mich solches Wissen, Du!!!!! Ach Herzelein! Glück und Sonnenschein nicht nur für uns! Diese Liebe zur Freiheit und damit zu allem Wahren, Echten, Großen und Guten, sie möchte doch auch in unseren Kindern verankert sein, so wünschen wir [es] uns. Ach Du! Voller Glück nur kann ich Dein denken! Geliebter! An unser Leben! Oh segne es Gott! Er behüte Dich! Ich bin in Liebe und innigster Verbundenheit ewig Deine [Hilde], Dein!!!

Ich küsse Dich! Herzelein! Ich liebe, liebe Dich!! Du!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946