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[OBF-420424-002-01]
Briefkorpus

72.

Freitag, am 24. April 1942.

Herzensschätzelein! Mein allerliebster, guter [Roland]! Du!!!

Frühmorgens kurz nach 8 Uhr! Mein Herzelein steckt gewiß auch schon bis über beide Ohren in der Schreibarbeit. Aber nicht so liebe Schreiberei kann es verrichten wie ich, alte öde Akten muß es bearbeiten. Na – über ein Weilchen ist Abend, dann bist Du erlöst! Du!! Ob Du denn nun wahrhaftig im neuen Bau steckst? Es ist heute wieder Freitag. Dein lieber Bote vom vorigen Freitag kam gestern zu mir, es steht nichts vom Umzug drinnen. Ach, wenn sich‘s nur gleich für ganz aufschöbe!

Herzelein! Es ist bei uns kalt, heute morgen. Ich habe gleich erst eine warme Haferflockensuppe gegessen. [Ich] Habe Feuer gemacht, Schuhe geputzt, aufgeräumt in der Küche und ehe ich nun ans Mittagessen gehe – Kartoffelsalat mit Eiern – will ich mich erst zu Dir setzen. Es wird heute nicht mehr so fein passen, denn ich habe gestern begonnen zusammen mit Mutter, mit dem Großreinemachen; in meinem Stübel und im Wohnstübel. Wir machen das im Jahre nur einmal so gründlich, immer, wenn der Frühling kommt. Die Winterfenster kommen nun raus. Ich wäre schon viel weiter damit, doch gestern mittag ½ 12 [Uhr] war ich zur Bettfedernreinigung bestellt (wir wollten 2 alte Kopfkissen reinigen lassen) und bin davon erst nach 2 [Uhr] nachmittags wiedergekommen. Diese Zeit hat mir mächtig gefehlt. Mein ganzes Programm verschob sich dadurch. Beim Grünwarenmann stand ich dann auch vergebens, er hatte nur Kartoffeln. Sch.s hatten auch nichts zu verkaufen – und doch meint man, daß man etwas versäumt, geht man nicht täglich einholen. Einen Zentner Kartoffeln haben wir noch bekommen, nun kommen wir fein aus.

Der Pauline B. hob ich 100 RM [Reichsmark] ab und sandte sie ihr.

Und abends war ich in der Singstunde[,] am Sonntag ist Heldenehrung, wir übten dafür. Auch wurde Herrn S. und mir das bekannte Geburtstagsständchen gesungen!! 96 Jahre alt sind wir zusammen! Und in 2 Jahren 100! Das wird im Frieden gefeiert, Du! Hellmut W. war da, er ist bei der Polizei in Jugoslawien als Grenzschutz; sie haben mächtige Schießereien da. Er gehört zur Gebirgsjägertruppe, bis in paartausend [sic] Meter Höhe jagen sie nach Banden. Einen schweren Posten besetzt er und kann stündlich mit dem Tode rechnen. Dabei erwartet seine Frau ein Kindchen, das zweite schon. Er mag ungern wieder weg. Auch W. E. hatte geschrieben. Er besteht harte Kämpfe in der Ukraine. Bei einer Fliegereinheit befindet er sich und hat die Aufgabe, als Funker, das Nachrichtennetz für die Truppe aufrecht zu erhalten. Bei diesem furchtbaren Winter sei das unbeschreiblich schwer. Weil nun jetzt vor Morast kein Wagen fahren kann, mußten sie alle reiten lernen. Sein hinterer Teil habe zwar tüchtig gelitten, meint er, doch man [h]ielte alles aus beim Militär. So kämen sie wenigstens vorwärts. Überall laufen mal wieder die Fäden zusammen, alle die Kantoreimitglieder leben noch. Man freut sich darüber. Und obwohl ich nicht so tief verwurzelt bin mit allen, bedaure ich doch, daß dieser Verein nun eingehen soll. Bis Pfingsten will Herr S. noch Kantor sein, dann legt er sein Amt nieder. Aus gesundheitlichen Gründen. Die Mitglieder wissen das noch nicht, der Pfarrer sagte es mir. Na, wenn er selbst dann noch eingezogen wird[,] ändert sich s[ow]ieso das Ganze. Wir wollen mal ruhig abwarten.

Mein Herzelein! Denke nur an! Gestern kam noch ein Bote an vom 27. Februar!!! Ein Säumling!! Gelt? Ein Freitagsbrief, den ich längst verloren gab. Nun freue ich mich umso mehr. Sind doch die schönen Bilder drinnen auch, von Euren Ausflügen nach dem Kapellenberg und dem Chortiatis. Fein, daß ich sie nun wieder habe! Es kam noch ein Freitagsbrief, vom 17. April und einer vom Donnerstag den 16. April. Und 3 Päckchen mit feinen bitteren Mandeln! Oh fein! Du!! Gutes Herzlein! Sei für alle Deine Liebe von ganzem Herzen bedankt, Geliebter! Ach! Du!! Es ist mir so eigen zumute, wenn Du zu mir kommst mit all Deinem Vertrauen, mit all Deiner Liebe. Du mein Herzensmannerli! Wie glücklich, wie selig machst Du mich doch! Ich bin so ganz Dein glückliches Weib, Du!!! An die Jahre Deiner Einsamkeit denkst Du in einem Deiner lieben Boten. Oh Herzelein! Allein in einem fremden Orte, zum größten Teil allein – in einem ungeliebten Beruf. Herzelein! Ich glaube, daß ich es Dir nachfühlen kann, wie bitter, wie so schmerzlich das ist. In Dir war so großes Verlangen nach Größerem, nach Höherem, das Dich so ganz ausfüllen konnte. Du warst gebunden an dein Schicksal, die Verhältnisse machten aus, daß sich dein Weg so gestaltete und nicht anders. Ach Liebster! Das kann so bedrücken und wehtun, wenn man in einem Joche geht. Ich ersehnte auch mehr, als ich das Kinderland verließ. Auch meine Eltern konnten es mir nicht ermöglichen, obwohl ich die Einzige war. Damals waren schlechte Zeiten für Vater. Ich mußte mich mit dem bescheiden was nur eben war. Und ich hätte es auch nicht fertig gebracht, meinen Eltern einen Vorwurf zu machen, mich so zu benehmen, als sei ich todunglücklich, daß ich nun arbeiten ging wie die anderen. Es ist kein schönes Leben, trotz der kleinen Freuden die einem widerfahren auch im ungeliebten Berufe. [D]as Bedrückte, Dumpfe bleibt: Zu manchen Zeiten ist es unerträglich hart. Dabei denke ich an Dich, Herzelein! Wenn Du wieder einmal ziehen mußtest und Dich abfinden mußtest mit der neuen Umgebung. Das macht den Menschen verschlossen, herb – ja, auch verbittert, wenn der Schmerz so tief ist, daß er auch das Sehnen übertönt, das Sehnen nach dem besseren Teil. Du warst einst ebenso jung wie ich jetzt bin und hättest viel lieber den eigenen Wissensdrang befriedigt, als den betretenen Bahnen gefolgt. Ach Liebster! Ich fühle es Dir nach: wie hast Du Dich verzwingen [sic] müssen, innerlich so schmerzlich bescheiden müssen. Und wenn Du hättest rein äußerlich wenigstens nach Deinem freien Willen heb leben können! Es ist doch kein vermessener Wunsch, in der Umgebung, da man nun lebt und atmet und schafft, sich so einzurichten wie man sich‘s wünscht. Selbst das war Dir nicht vergönnt. Oh Liebster! Wenn ich Dir schon damals hätte zur Seite sein können! Oh Herzelein! So jung ich noch war, als ich Dich in Oberfrohna kennen lernte, ich habe es doch gefühlt, geahnt und auch gesehen, wie einsam Du warst, wie unfroh, gedrückt, verzwungen [sic]. Und noch sehe ich sie manchmal in den Augen, Deinen lieben, aufleuchten, die helle Freude, wenn Du selbstvergessen am Instrument saßst, Dich unbeobachtet fühltest. Da wußte ich: in Dir sc[hl]ägt ein Herz, so heiß, so voll Verlangen auch nach Gutem und Schönem. Die Sehnsucht nach Weite, nach Freiheit schwang in Deinem Spiel. Und manchmal, wenn Du die Orgel spieltest, da hat es mich so berührt, das [sic] ich hätte weinen mögen, weil ich Dich wortlos verstand, weil das, was Deine Seele durchlebte auch die meine bewegte. Die Sehnsucht nach Befreiung und die Sehnsucht nach Erfüllung. Heute weiß ich es so klar, was es war, das mich zu Dir hinzog so mit Urgewalt, so mit Macht: die Wesensverwandtschaft.

Das gleiche Sehnen und Streben nach den Köstlichkeiten dieses Lebens. Du warst mir der Mensch, von dem ich alles erwarten durfte, was ich mir von diesem Leben wünschte. Du warst der Einzige! Ach Herzelein! Damals war ich noch so jung und ungeschickt und unreif, besser unfertig. Ich war hilflos in meiner Liebe. Und wenn ich nur ein paar Jahre älter gewesen wäre, glaube mir, wir hätten eher zueinander gefunden. Du hast Dich nicht in meinem Jahrgang umgesehen nach einem Menschenkind, mit dem Du Dich unterhalten könntest über dies und jenes. Und ich konnte Dich anfangs nicht anschauen vor Scheu.

Und doch war ich sooo glücklich, wenn ich nur in deiner Nähe sein durfte. Einmal Deine Stimme hören, Dich sehen! Oh Du!!!

Herzelein! So mußten wir nun schicksalhaft unseren Weg gehen. Vorher jedes den seinen, aufgezwungenen, ungeliebten. Und eine höhere Macht fügte es, daß uns[e]re Wege sich kreuzten! Du!! Du!!! Als Du am unglücklichsten warst, als Dir am wehesten ums Herze war, da war Dir doch das Glück am nächsten, Dein Glück! Unser Glück! Oh Geliebter!! Nun ist alles so klar zwischen uns!

Mit unausweichlicher Schicksalhaftigkeit liefen unsere Wege nebeneinander her, von uns noch unerkannt in ihrer Bedeutung – und so unausweichlich steuerte ich auch mein Lebensschifflein bis zu dem Punkt, wo ich glaubte, nicht mehr weiterzukönnen. Ach Du!! Du! Ich rief Dich! Rief nach Dir in meiner Qual, in meiner Sehnsucht.

Und du hast mich erhört! Oh Herzelein! Mein Herzelein! Uns beiden ist dadurch Erlösung geworden! Du !!!!!!!!!!!!! Nun hast Du mir so ganz Dein Herze erschlossen, mir allein. Und Dich mir, als der ersten, so ganz anvertraut, nicht nur in Deiner Liebe, auch in Deinem Schmerz um Deine einsame Jugendzeit. Oh Du mein geliebter [Roland]! Nur noch heißer und inniger brennt in mir der Wunsch, Dich sooo ganz warm einzuhüllen in meine Liebe, Dich an mein Herz zu betten[.] Dich will ich in diesem Leben mit aller Liebe beschenken, deren ich nur fähig bin! Mein Goldherzelein! Mein heißgeliebtes, einzigstes [sic]!!! Oh mein [Roland]! Wenn ich einmal ungeduldig werden will, weil nun Krieg ist und weil wir noch immer warten müssen. Ich will nur an mein Mannerli denken, an seine Ungeduld, die noch viel tiefer ist, noch viel weiter zurückliegt! Oh Du!!! Ganz leicht machen will ich Dir die Zeit bis zu uns[e]rer Erlösung, mein allerliebstes Herzelein! Dein Leben war doch bisher ein einziges Warten und Gedulden. Oh mein Geliebter! Nimm meine Liebe! Nimm mich so ganz! Ich bin Dein! Sei glücklich, sei froh, denke an mich ganz beglückt – so wie ich nur voller Jubel und Seligkeit Dein denke! Oh Du!!! Wie liebe ich Dich! Ich liebe, liebe Dich! Herzensmannerli! Gott schütze Dich! Er segne unser[e]n Bund! Ewig Deine [Hilde], Deine Holde, Du!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946