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[OBF-420402-002-01]
Briefkorpus

51.

Donnerstag, am 2. April 1942.

Mein Herzallerliebster! Geliebtes Schätzelein, Du!

Heute habe ich Dir nun allerlei zu erzählen. Und ich will gleich schön der Reihe nach gehen, damit ich auch nichts vergesse. Gestern Mittwoch war Rolltag. Verstehst Du das? Hausfrauenlatein!! (Wäsche.) Nach dem Aufwaschen mittags haben Mutsch und ich rasch noch die letzte Wäsche ausgebessert und um 3 [Uhr] trug ich den Korb mit zur Rolle. Die Mutter besorgte alles andre allein und ließ mich zum Verschönerungsrat gehen! Ich möchte an den Feiertagen bissel schöner aussehen als sonst! Du!!

Viel [sic] Leute waren dort! Fast 3 Stunden dauerte es, ehe ich wieder daheim war. Ich bekam die Chemnitzer Zeitung in die Hand und sah auf der Vorderseite ein Bild von Lübeck, mit der Petrikirche und noch anderen Gebäuden. Die Stadt, das Nürnberg [des] Nordens, so schreibt man, ist vor einigen Tagen einem schlimmen Luftangriff anheim gefallen. Die prächtigsten Kirchen haben große Zerstörungen erlitten. Furchtbar sei es anzuschau[e]n. Ach Du! Welch fürchterlicher Kampf, dieser Luftkampf. Und zu denken, daß nicht nur tausende von Menschen dabei umkommen, sondern auch die wundervollen, alten Baudenkmäler geopfert werden müssen, die doch dann nie mehr in ihrer Schönheit uns grüßen werden; das ist grausam. Zu grausam! Nicht nur die eine Stadt hat derartige Verluste zu beklagen, hundert andre noch! Ich habe sie alle noch, die schönen Postkarten, die Du mir im vergangenen Jahre bei Deinem Aufenthalt in Lübeck schicktest, Alle die bekannten Gebäude sind dabei: Und wenn man denken soll, heute ist all das ein wüster Trümmerhaufen, dann könnte einem eine ohnmächtige Wut packen über das Treiben. Aber – was können wir dagegen tun? Das schreckliche Gericht dieses Krieges vollzieht sich [an] uns wie am Feinde mit grausamer Unentrinnbarkeit. Wir müssen nur Gott danken, wenn wir daraus ohne Schaden hervorgehen. Möge das in Gnaden geschehen!

Herzelein! Um 6 [Uhr] also war ich zuhaus, gleich plättete ich noch die Wäsche, damit Mutter wieder alles an seinen Ort bringen konnte. Abends hatte ich zwei Möglichkeiten offen auszugehen: Kantorei und Kaufmännischer Verein. Es war der letzte Vortrag gemeldet in der Zeitung, dann tritt eine Pause von einem halben Jahre ein. Ich zögerte nicht lange, das Programm entschied für mich ohne Zweifel: „Michelangelo und die Sixtinische Kapelle“.

Ein Professor Dr. Stephano aus Rom hielt den Vortrag. Oh Herzelein! Ich sage Dir, so reich beschenkt wie am gestrigen Abend bin ich mir überhaupt noch nicht vorgekommen, seit ich die Vorträge besuche! Du! Ich mein, Du mußt es gespürt haben, wie ich Dich herbeigesehnt habe!! Herrlich war es. Ein Lichtbildervortrag das Ganze; zu dem der Professor in einer so guten[,] fesselnden Art zu erzählen verstand, wie ich es noch garnicht [sic] erlebte. Vom Leben und Schaffen Michelangelo’s berichtete er, von seiner göttlichen Gabe, seiner begnadeten Kunst. Und als er uns dann sein Lebenswerk vorführte, die Ausschmückung der Sixtinischen Kappelle, zu dem er von dem Papst den Auftrag erhielt, da war jeder – auch der ärmste Laie dieser Kunst – ergriffen und stumm vor der Wucht und Größe dieses Werkes. O[,] daß es so einen Menschengegeben hat! Unsere Zeit gebiert wohl keinen von seiner Art. Sein ganzes Leben war ein Suchen, und Drängen nach Vollkommenheit. In seinem Wesen paarten sich nordisches und südliches Empfinden zugleich und läßt so alle Welt ganz teilhaben an seinem Schaffen. Und wie er den Sinn dieses Lebenswerkes Michelangelo’s klarlegte, – der Professor – , der in seinen Gemälden ruht, da wurde uns der Wert und die Größe dessen erst recht bewußt. Und nun müßte man hingehen und alles im Wirklichkeit schauen können! Glaubst [Du] Herzelein – ich hätte dem Manne noch stundenlang zuhören mögen. Ich kann Dir garnicht [sic] wiedergeben, wie wundervoll er uns alles erklärte. Hast Du schon von dieser Sixtinischen Kapelle gehört? Bilder gesehen? Kannst Du Dir etwas vorstellen dabei, wenn ich Dir so erzähle? Gewiß hast Du durch Hellmuth schon davon gehört!

Und was liegt dem ganzen, einzigartigen Werke wieder zugrunde? Das ewig Göttliche. Die bleibende Macht, die Allgewalt! Nichts kann man auch mit seinem ganzen Herzblut schaffen und wollen und ausdrücken, als die Gottheit und die ewige Gnade über der Menschheit.

Michelangelo legt in sein Werk das ganze Geschehen auf Gottes Erde. Die erdrückende Existenz der Menschheit, von Beginn alles Lebens durch den Sündenfall erworben, bis zu dem Moment, wo Gottes Güte uns die Hoffnung, den Erlöser schenkt: Christus, seinen Sohn. Ich war ganz ergriffen, wie fein, wie unendlich fein und gewaltig zugleich dieser Michelangelo die göttliche Gnade empfand und als bleibendes Geschenk der Nachwelt schuf.

Ach Herzelein! Weißt Du, welcher Wunsch in mir wach wird, wenn ich von den Großen jener Zeit höre? Daß ich doch in jener Zeit gelebt haben möchte!

Aber da hätte ich Dich doch nicht, Geliebter!

Da wäre ich heute ein steinalt‘ Weib, das Du gar nie beachtet hättest! Du!! Ich bin schon zufrieden so, wie es ist! Und so Gott will – Geliebter! – können wir uns bald, bald in friedlicher Zeit unser Herz gemeinsam erwärmen an vergangener Größe und Schönheit!

O[,] magst Du? Sag?! Und dann werden wir doppelt beglückt spüren, daß wir noch so köstlich jung sind und froh, beglückt einander an den Händen halten und das Leben, das reiche, in uns aufnehmen wollen! Ach Herzelein! Daß Du mein Weggesell wurdest! Daß ich Dein liebend Weib sein kann! Oh Du!!! Manchmal will es mir doch schier die Brust zersprengen vor Glück und Jubel! Ach Du!!!!! Mein [Roland]! Mein allerliebster [Roland]! Du!!! Ich liebe Dich! Liebe Dich unendlich!

Herzelein! Und nun ist Gründonnerstagnachmittag. Welch[‘] ein langes Wort! 400 [Uhr] zeigt die Uhr. Die Mutsch ist heute nochmal ins Geschäft, weil nun viele Feiertage sind. Ich bin schön allein. Und ich muß doch noch soo viel schreiben. Schulden! Schulden! Elfriede, seit Weihnachten nicht! Hellmuth, Siegfried, nach Kamenz! Nach Halle, Gertrud G., Elfriede E.! Ach, alle klopfen bei mir an – ich könnte mich zerschreiben [sic]! Aber immer schön der Reihe nach, nur nicht drängen, s’werden alle rasiert! Und mein Mannerli, na der Glückliche, hat halt immer wieder das Vorrecht. Du!! Mein Kontigent an Papier langt kaum für Dich aus, geschweige denn für die ander[e]n! Abends ½ 8 [Uhr] ist Abendmahlsfeier für die Konfirmanden, wir singen. Morgen um 3 [Uhr] singen wir auch und am 1. Osterfeiertag auch. Ich erfuhr es von Ilse, hab[‘] doch gestern die Singstunde geschwänzt! Denke nur: die Dora P. haben sie ins Krankenhaus geschafft, ich glaube Blinddarm. Nachher, wenn ich das geliehene DRK Häubchen wieder hinbringe, will ich näher fragen. Ich will sie mal besuchen. Sie hat mir’s schon lang lamentiert, daß ihr der Leib so weh tät[‘]. Aber sie zeigte mir dabei eine ganz and[e]re Stelle als die rechte Seite. Hoffentlich ist nicht schon das Bauchfell vereitert. Am Sonnabendnachmittag war ich bei ihr, da lag sie auf dem Sofa. Aber sonntags war sie in der Kirche. Im Roten Kreuz war sie nicht vorgestern. Es kann auch etwas ganz and[e]res im Leib sein, die Stelle, die sie mir zeigte, läßt eher eine Gebärmuttergeschichte vermuten, oder etwas mit den Eierstöcken. Daß es bei ihr mit den Hormonen nicht seine Richtigkeit hat, das glaube ich daran zu erkennen, weil sie immer lamentiert über ihre Glieder. Blutkreislauf und Stoffwechsel funktionieren sicher nicht. Der eine Arm stirbt immer ab. Und sie wird immer dünner und weißer. Sie tut mir leid. Und nun sollte sie auch noch in einen Rüstungsbetrieb, weil H.s auch schließen. Am 1. April haben schon viele in den Fabriken angefangen.

Bei L., wo Mutsch ist, sind gestern alle Ledigen in den ‚Hirsch‘ bestellt worden, da war eine Abordnung vom Arbeitsamt und hat Order verteilt, ohne Widerrede! Bis Dresden, Leipzig, Frankfurt, Dömitz u.s.w. sind sie bestimmt worden.

Kannst Dir vorstellen, wie die Mädel enttäuscht sind, die armen. Was mit den Verheiraten wird, das wissen sie noch nicht. Bei L.'s sitz[e]n nur noch ganz wenig Arbeiterinnen, am 28.4. schließen sie ganz. Ich mag mich hier nicht äußern.

– Heute ist wieder richtiges Aprilwetter draußen, Sturm, Regen; Schnee, keine Sonne. Brrr! Gleich ist’s auch wieder kalt geworden. Du! Herzelein. Ich nehme doch immer noch die Wärmflasche! Ätsch, Du hast auch gefroren, [Du] brauchst mich garnicht auszulachen! Du! Euer Ofen hat nicht mehr gebrannt? Und der am wenigsten noch den guten, fürsorglichen Hausvater gespielt hat, der hat ihn repariert?!! So ist’s richtig!

Ich hab ja so herzlich gelacht! Rußbüttenbu [sic]! Von mir kriegst [Du] aber da kein Kussel, Du! Wenn Du so schwarz bist! Ja, man muß sich nur zu helfen wissen! Gelt? Und ich sehe schon, wir sind alle beide so eingestellt: bei uns wird nicht lange gefackelt, bei uns wird reine Wirtschaft gemacht! Wird das mal ein lustiges Durcheinander: wenn’s dem Mannerli nicht mehr warm genug im Stübel ist: rrums [sic]! Rrraus ]sic] mit dem Ofenrohr! Und wenn mir das Stübel nicht mehr gefällt, weil’s verrußt ist: marsch! Hinaus mit demn Möbeln, Eimer her mit Kalk und ‘ne Bürste, die lange Setztreppe aufgestellt, die Malermütze auf den Schopf und losgepinselt! Oh, ich fürchte mich nicht! Ich pfusche noch jedem in’s Handwerk, Du! Bloß nicht dem Herrn Schulmeister! Weil ich Angst vor dem Stöcklein hab[‘]!

Ach Du! Du lieber[,] süßer Fratz! Ich bin Dir doch sooo gut! Ich möchte doch gleich zu Dir kommen und ganz ganz glücklich mit Dir sein, Du!! Oh Du!!!!! Ich hab[‘] mich ja heut[‘] Nacht so arg nach Dir gesehnt, Du! Geliebter! Geliebter! Oh, behalte mich lieb!

Gründonnerstag ist – Eiersuchtag!

Ja - Kuchen! Keine Eier. Auch kein Schokoladenei, kein Häslein aus Marzipan! Ich hab[‘] doch tüchtig d[a]ran gedacht heute. Kein Wunder, wo ich so ein Süßschnabel bin, gelt? Eine gute Bekannte ließ mir 1/4 [Pfund] Pralinen ab, feine! Für 1,20 M[ark]! Und damit habe ich doch meinem lieben, artigen Bub eine Freude gemacht. Ja, das Muttchen überwindet seinen Appetit an Liebe, weil der Bub so artig war alleweile! Aber ein bissel habe ich doch gekostet davon! Diesmal mußte Herr Postmann nicht schimpfen, daß es zu schwer sei, sie wogen ganz genau 100g jedes! Hoffentlich frißt sie niemand auf unterwegs[,] sonst werde ich wilde! Dein sind sie und keinem sonst. Eher hätte ich sie noch mir gegonnen [gegönnt], als einem so frechen Mausedieb!

So Herzlein! Nun mußt Du für heute zufrieden sein, Ja? Ich geb[‘] Dir noch ein ganz liebes, liebes Kussel „–––– ––––– –––––!“

Und ich behalte Dich ganz, ganz lieb!

Bleib[‘] schön gesund und verlebe ein frohes Osterfest! Wann wird’s bei Euch gefeiert?

Ich denke Dein in inniger Liebe, Du!!!!!

In unverbrüchlicher Treue!

Ganz Deine [Hilde].

Viel liebe Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946