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[OBF-420330-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 30. März 1942.

Herzallerliebster! Schätzelein! Mein lieber, guter [Roland]!

Nun kann ich wieder zu Dir kommen, der Dienst ist aus. Das Abendbrot ist vorüber, die Uhr zeigt ½ 7. Und draußen ist‘s noch ganz hell, eben geht die liebe Sonne unter. Was wirst Du denn treiben, Schätzelein? Vorhin schluckte es mich so sehr. Mußt Du doch mal ganz besonders lieb an mich gedacht haben, gelt? Ach Du! Wir denken doch eigentlich immer ganz besonders lieb aneinander! Stimmts? Doch es gibt halt auch mal eine Stunde, wo man eben ganz ganz lieb aneinander denkt. Oh Du! Ich muß Dich doch so ganz sehr liebhaben, mein Herzelein! Weißt Du es denn noch? Du! Du!!! Ach, die Sehnsucht nach Dir ist schon wieder so mächtig in mir, Du!! Es mag der Frühling daran schuld sein – im Frühling ist man immer so voller Sehnsucht. Das Licht steigt auf, damit unsre Hoffnung; die schlummernden Säfte steigen bis in die Spitzen der Bäume und Sträucher, der Gräser und Blumen, alles drängt zu neuem Leben, zu Werden und Blühen; auch unser Lebensgefühl steigert sich. Frühling, glückhafte Zeit! Aller Herzensliebe wird man sich inne. Sehnsucht nach Erfüllung bewegt uns. Und alle guten Gedanken und Kräfte regen sich, wenn die ganze Welt, die Natur so rüstet zu neuem Werden. Wie herrlich, diese Zeit mit Dir in engster Verbundenheit, in innigster Gemeinschaft zu erleben! Du!! Oh, schenke uns Gott bald einen guten Frieden!

Herzenslieb! Ich habe heute so große Sehnsucht nach Dir! Ach Du!! Du!!! Gestern habe ich den ganzen Tag mit Dir geredet, habe Dein gedacht so fest und so lieb! Und dann, als ich die Boten für Dich zum Kasten trug, bin ich anschließend noch ein Stück in den sinkenden Tag gegangen. Ganz allein. Ach Du! Alles war so friedlich in der Natur. Und in meinem Herzen war doch kein rechter Frieden, weil noch etwas zwischen uns ist, das nicht ausgeredet ist. Ich bin lange gelaufen, über mir den Mond, der bald rund ist wieder. Ach, die vielen Sterne all sahen auch herab auf mich. Da oben ist alles klar. Gibt es nur eine Pflicht, der zu dienen ist: dem göttlichen Willen.

Du! Warum ist es auf Erden nicht so einfach? Die Menschen selbst haben sich das Leben verkompliziert. Gott hat es nicht so zum Ziel gesetzt. Die Menschen sind schuld daran an dem, was ist. Weil ihnen zu einfach war, nur Gottes Willen zu leben? Oder zu schwer, Herzlieb? Weil sie flüchteten, weil sie Auswege und Umwege suchen allerwärts? Ja, so wird es sein. Und nun sind wir wieder mitten in einem Krieg. Alle stehenden Ordnungen sind ins Wanken geraten dadurch.

Auch die innere Ordnung, die Moral der Menschen ist umgeworfen überall. Und wir, die wir es erkennen, müssen bangen vor dem Ausgang dieser Katastropfhe [sic]. Wir wollen alle Kräfte aufbieten, diesem Verfall entschieden Widerstand zu bieten. Und das können wir auch. Mit allen Sinnen hängen wir aneinander, mit allen Herzfasern sind wir einander verbunden. Wo uns auch das Schicksal hinstellt, es ändert nichts an dem festen und heiligen Entschluß: einander zu bleiben.

Diese Zeit, die Ordnungen einreißt, Verbundenes auseinanderreißt und nicht Halt machte auch vor uns, die wir so jung uns vermählten zu innigstem Einssein, die kann zur Gefahr werden. Und auch wir bangen darum. Du auf Deine Art, wie ich auf meine Art. Du bangst um mich aus tiefer Liebe – ich bange um Dich aus tiefer Liebe.

Aber eines macht mich unsäglich froh und glücklich: daß dieses Bangen umeinander nicht aus einem Mißtrauen oder Nichtverstehen geboren ist! Nein! Aus reiner Liebe und Sorge aus Liebe. Du!

Herzlieb! Erste heiße Liebe brennt in uns, alles übertönend, alles einschmelzend in ihr Feuer – entschieden, eigensinnig. Erste heiße Liebe ist so, sie wird sich wandeln, aber wir sind beglückt davon, weil wir spüren, daß wir einander ganz sehr liebhaben. Und gut ist es so, weil wir bewahrt bleiben vor aller Versuchung.

Mein [Roland]! Du bringst in Deinem Briefe als Beispiel für meinen freiwilligen Einsatz die Zeit des Kriegsbeginnes, den Augenblick, als Du vor der Wahl standest, freiwillig Dich zu melden. Und willst doch damit nur sagen, daß die Liebe nur darin uns alles andre sein läßt als tugendhaft. Du sagst: wenn wir mit den Tugenden des Opfersinns und des Einsatzes für das Vaterland ernst machen wollten – ja, dann müßten wir letztlich die Liebe in uns auslöschen und töten. Damit hast Du recht.

Ach Geliebter! Sag doch selbst! Vor 2 Jahren, nach unsrer Hochzeit, an der Schwelle unsres Lebens, wer von uns beiden hätte sich da freiwillig irgendwohin allein gemeldet?! Keiner von uns beiden! Nur noch zusammenbleiben wollten wir. Und ich wäre doch bei Dir nimmermehr auf den Wunsch gekommen, mich anderswo zu betätigen! Das weißt Du genau. Ebenso wie ich hätte nicht verstehen können, daß Dir etwas andres als unser gemeinsames Leben lieber sein könnte und wünschenswerter. Aber seitdem ist die Zeit nicht stillgestanden. Ein Geschehen reihte sich ans andere. Und auch Du mußtest Dich mit einreihen in das große Heer, das Vaterland zu schützen.

Aus Idealismus heraus wärest Du niemals Soldat geworden, ich weiß es. Und ich verstehe Dich auch. Mir galt das, was uns vorschwebte auch als das Beste und Höchste, das man dem Leben abringen ka[n]n. Das ist Erfüllung: eine gute, edle Ehegemeinschaft, gegründet auf treue gegenseitige Liebe und das vertrauensvolle Ergeben in Gott.

Der Krieg stellt die vollkommene Erfüllung noch zurück, er zwingt uns zu Geduld. Und nur die so von Herzen, so ganz und ausschließlich lieben, wie wir, die wissen was es bedeutet: Geduld, Geduld! Aber das soll nicht heißen, daß uns nun die Kraft zu treuer Liebe mangelte! O nein! Du!! Nur umso inniger hängen wir aneinander! Nur umso köstlicher wird uns das Liebste, das wir entbehren müssen! Du! Und darum kann uns diese Kriegszeit auch nie und nimmer innerlich auseinander führen, das ist ganz unmöglich! Du!! Nur noch inbrünstiger verlangen wir nach des anderen Nähe, nur noch mächtiger fließt der Strom der Liebe zwischen uns. Eins sind wir, für alle Ewigkeit eins. Geliebter!

Du wurdest mir genommen, die Pflicht des Vaterlandes zu erfüllen. Ich mußte mich fügen, so wie Du Dich fügen mußtest. Die Liebe aber ist nur noch tiefer entbrannt zwischen uns! Das fühlst Du genau so wie ich, Herzelein! Und ich muß warten, warten, warten.

Was ist es, das den Wirkungskreis eines Weibes darstellt? Heim und Kind. Es ist uns noch versagt. Ich murre nicht. Unser Wunsch ist, alles gemeinsam zu erleben. Ach Du! Es ist doch meine ganze Sehnsucht! Wer hat hier schuld, daß wir warten müssen? Darauf können wir keine Antwort geben.

Schicksal. Der Krieg hat schuld? Doch da könnte einer meinen: der Krieg muß sein; wenn er nicht sein müßte, dann hätte längst eine höhere Macht eingegriffen. Jeder Mensch erfüllt sein Schicksal und wir wollen nicht zu den Feigen gehören, die ihrem Schicksal irgendwie ausweichen.

Du! Geliebter! Ich glaube, es ist von Mannesseite schwer, ein Weib bis auf den Grund der Seele zu schauen, zu erkennen. Jedes mißt mit seinen Maßstäben. Und Männlich und Weiblich sind eigentlich Gegensätze. Durch Liebe vereint können sie ein Ganzes werden und darstellen. Und nur Liebe allein wird dazu fähig sein, dieses Ganze zu erhalten. Du! Herzelein!

Wir haben einander so lieb, daß wir ein Ganzes wurden! Du!!! Und nun liegt es an uns, dieses Ganze zu erhalten. Und all unsre Kraft wollen wir doch darein setzen. Geliebter! Ein Mann durchdringt alles im Leben zuerst mit seinem kühlen, klaren Verstand. Das Weib läßt zuerst das Herz sprechen. Das ist wohl bei den meisten Frauen und Männern so, obwohl es auch Ausnahmen gibt. So wie ich in meiner Liebe zu Dir nur mein Herz sprechen ließ, so ergeht es mir oft im Leben bei anderen Entscheidungen. Ein echtes Weib ist eben weiblich, es hat ein großes Herz. Herzensgüte, man sucht sie beim Weibe. Und ich habe [*] sie auch, ich weiß es. Und Du liebst mich darum auch, Herzelein, ich weiß es. Doch Dich beunruhigt meine Güte auch aus der Ferne. Ich weiß das ebenfalls. Und ich kann Dich verstehen. Denn nur zu leicht kann ich damit einmal an einen unwürdigen Menschen geraten. Ach, Geliebter! Weil ich alles in mein weites Herz aufnehme, was in der Welt geschieht, darum fühle ich so stark das Bedürfnis zu helfen, gut zu sein – es tut so bitter not an Güte in unsrer Welt! Ach Du! Ich weiß schon, ich werde noch einmal bitter enttäuscht werden weil ich zu gut bin.

Ich muß eben so sein, Dein Mütterchen – Geliebter Du! Halte es ganz fest! Ach, es will ja nur Deines sein im Herzen. Aber Du bist mir doch ferne, Du! Und wenn ich soll still sitzen und warten auf Dich, alle meine frohen, regen Kräfte sollen ruhen? Ach, kann das denn richtig sein?

Ich möchte sie doch so gerne stählen, alle meine Kräfte, für uns! Und auch sie bewähren, Du! Für uns! Ach Du! Ich denke doch dabei nur daran, daß ich für unser späteres gemeinsames Leben strebe! Daß alle Erfahrungen Dir und mir und und? Du! Du!! Unsren Kindern zugute kommen. Ich mag nicht abseits stehen.

Ich bin eine rege Natur, das spüre ich in mir. O Herzelein! Denke Du nicht, daß ich etwas anderes im Sinne habe! Nur an Dich und unser Leben denke ich. Du! Du!!!!! Das Leben ist ein immerwährend Ringen zw[i]schen Pflicht und Pflicht, es ist in uns ein immerwährend Abstimmen und Wägen.

Unser Lebenlang geraten wir einmal tiefer, einmal weniger tief in solchen Konflikt. Herzelein! Unser Austauschen soll darauf hinausführen, Klarheit und rechtes Verstehen zwischen uns zu schaffen. Und dieses Klären und Verstehen geht um die Herzenspein, die uns das Ringen zweier entgegengesetzter Pflichtgefühle veruracht. Ach Herzelein! Ich möchte Dich doch soo ungerne betrüben! Du! Weißt Du das? Und ich kann mich auch nicht vor allem verschließen, ich bring es nicht fertig, wenn ich nicht eine andre gleichwertige Aufgabe erfüllen kann. Ach: all mein Sehnen bist Du und unser gemeinsames Leben! Du!! Du!!! Ich weiß, daß ich nie eher zufrieden sein werde, als bis mir dieses Sehnen erfüllt ist. O helfe uns Gott zu unserm Glücke! Erhalte er mir Dich froh und gesund! Du mein Ein und Alles! Ich liebe Dich! Ich bleibe in Ewigkeit Deine [Hilde].

 

[* = hier wurde der Text mit einem x am Seitenrand markiert und die folgenden 9 Sätze, bis zum nächsten Absatz, am Rand mit einen Bleistift markiert]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946