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[Saloniki] Mittwoch, den 25. März [‘]42
Geliebtes Herz! Mein liebes, treues Weib!
Heute muß ich aber nun [ein]mal an die ander[e]n Glieder der Familie denken, und Du, Schätzelein, wirst dabei etwas kürzer kommen, aber nur im Umfang, nicht in der Herzlichkeit. Du, ich gerate ja in Schulden, über Schulden, wird gar nicht dauern, laufen die Beschwerden ein. Ach Du! Ich kann mich doch gar nicht trennen von Dir, wenn ich an Deinem bBoten schreibe – ich kann meine Gedanken auf gar nichts anderes richten. Die liebe Mutsch wird auf ein Zeichen warten, die K.er Eltern, Siegfried ist wieder [ein]mal dran, usw. usw. Aber Du kommst ganz zuerst dran heute! Und an den Schluß will ich nur noch den Gutenachtkuß hängen.
Herzelein! Die lieben Boten kommen, trotzdem Du auf Reisen bist – und der heutige sagt mir mit seinem Stempel, daß Du glücklich in G. bist, mit seinen lieben Zeichen aber, daß Du mich mitnimmst, ach, daß ich immer bei Dir sein darf. Wo trägst [Du] mich denn? Im Täschelein – aber nur im Bild. Und sonst? – ich denk[‘], in Deinem Herzelein, im rechten, großen Herzelein, das linke ist’s[,] Du!!! Da steckt das Mannerli wie ein kleiner Daumesdick [: Däumeling] – und hilft ticken und tacken – und lenkt vom Herzen aus das ganze große Herzlieb! So wie Du das Mannerli beherrschst und regierst.
Herzlieb! Wenn uns[e]re Hände ruhen, wenn wir freie Zeit haben, dann wird uns doch die Einsamkeit so recht bewußt, das Getrenntsein – dann steht die Sehnsucht auf, die wir sonst niederhalten mit uns[e]rer Geschäftigkeit. Oh Du! Du!!! Ich mußte heute auch so lieb und sehnsüchtig Dein denken auf dem Wege zum Mittagessen im Hafen. Oh Herzelein! Feiertag ist bei den Griechen heute, die Läden haben geschlossen, die Menschen promenieren in Sonntagskleidern, die Kinder sind hübsch herausgeputzt. Der Himmel hat zum Nachmittag auch sein feiertäglich Gesicht aufgesteckt – seit langem wieder einmal klaren, blanken Himmel. Überall hört und liest man, daß dieser Winter und diese Kälte ganz seltene Erscheinungen und Abweichungen sind von der Norm. Auch die Natur scheint außer Rand und Band zu sein.
Es ist in der siebenten Stunde. Gleich werden die Kameraden heimkehren. Die wichtigsten Handgriffe sind schon getan: Proviant gefaßt, Tee geholt, Ofen im Feuer. Bald sitzen wir zu Tisch, uns[e]re Runde – ganz dankbar muß ich sein, daß ich diese Kameraden fand. Dann wird es 8 Uhr, ehe wir zum Schreiben kommen und nicht noch später – und jetzt bin ich nicht mehr so allein! Aber wenn ich will, kann ich es schon sein.
Herzelein! Vor einem Jahre steckten wir schon in Bulgarien. Und nun ist wieder Frühling – nun wieder die Tage des steigenden Lichtes, wachsender Hoffnung – nur diesmal ernster, auf dunklerem Grunde als noch vor einem Jahre. Erbitterte Kämpfe stehen bevor – stellen sich vor den Sieg im Osten. Möchten sie den ersehnten Schein des Friedens bringen, den ersten Schein wenigstens. Ein Weltenbrand, ein Gottesgericht, eine Katastrophe ist dieser Krieg – und wir stehen darunter nicht anders als die Bäume im Gewittersturm, schicksalgebunden kein Entrinnen – ausharren, uns selber treu bleiben, kämpfen – und Gott vertrauen — mehr können wir nicht tun. Oh Herzelein!
[Wohl fehlt es hier an eine Seite]
Sehnens, meines sehnlichsten Verlangens: Bei Dir sein! Bei Dir sein! Oh Geliebte! So schnell wir allen Schmerz und alle schmerzliche Erinnerung an die Zeit uns[e]res Ferneseins vergessen möchten und vergessen werden – was sie uns an Tiefblicken und Wahrheiten und Einsichten vermittelte, wollen wir tief in unser Gedächtnis graben: die Dankbarkeit für Gottes reiche Gnade und Kraft zuallertiefst – die Einsicht in das, was not tut [sic] und uns[e]re Herzen froh und reich macht ^alsdann.
Oh Du! Geliebte! Wir werden das ja nimmermehr vergessen, und walt’s Gott, noch recht erleben: die Liebe allein macht dieses Leben reich und gut und lebenswert. Oh Herzelein! Daß ich das erfahren darf, daß mir diese Erkenntnis ganz lebendig wurde – daß ich sooo reiches Lieben erfahre – – – Du! Du!!! Liebste! Herzallerliebste mein! Mein[e] liebe, liebe [Hilde]!!!!! Deine Liebe, unser Liebesglück – Gottesgeschenk ist es. Herzelein! Und alles Gottesgeschenk ist eine Gnade, die sichtbar werden soll, ist ein Pfunde, mit dem wir wuchern sollen, ist Auftrag, Aufgabe, Verantwortung! Die Liebe selber drängt uns auf den rechten Weg. Sie will schenken, will sich kundtun und sichtbar werden, will Gutes schaffen.
Oh Herzelein! Wir erkennen die hohe Verantwortung – macht sie nicht uns[e]re Liebe erst recht wert? Und wir sehen die Aufgaben und sind ungeduldig, sie miteinander in Angriff zu nehmen. Geliebtes Weib! Solch hohe Meinung von der Liebe muß uns auch bewahren vor aller Versuchung, Unbestand und Wankelmut. Alle Liebe, die nicht so fest gegründet ist, die nicht so tief verankert ist, ist in schwerer Gefahr in dieser Zeit.
Oh Du! Ich könnte nimmer froh und ruhig werden, wenn ich nicht so in guter Liebe uns eng verbunden wüßte. Hinfällig und brüchig ist alles auf uns[e]rer Erde. Glaube und Liebe allein, die Himmelsboten, bringen Treue und Bestand und Ewigkeit in unser Leben, Himmelsweite. Ohne sie wäre unser Leben hier ein elendes Kriechen, ein dumpfes Krebsen. Oh Herzelein! In Dir ist so wie in mir das Sehnen nach Licht und Freiheit, der Blick in Tiefe und Höhe, der sich nicht betäuben läßt und betören.
Schätzelein! Bis hier hin habe ich gestern geschrieben, dann war es Zeit, sich für den Gang ins Kino bereitzumachen. Prächtig ging dieser Tag zu Ende und das Griechenvolk schwärmte in den Abend, den der Mond erhellte.
Der Film hat mir sehr gut gefallen. Du hast ihn auch gesehen, daran habe ich mehrmals denken müssen und habe im Geiste Dir die Hand gereicht, so wie wir es doch gern tun, wenn wir etwas gemeinsam erleben. Ich kenne Bismarck aus seinem Lebensbericht „Gedanken und Erinnerungen”, auch aus Briefen und der Schulgeschichte. Die drastischsten, bezeichnendsten Szenen sind hier zu einem eindrucksvollen sprechenden Monument gereift, das die überragende Gestalt ins rechte Licht rückt. Vater [Nordhoff] wird seine Freude daran haben, er schwärmt doch für Bismarck.
Herzensschätzelein! Ich war wieder ganz munter, als ich nach Hause kam und konnte im Bettlein gar keine Ruhe finden und war so voll Sehnsucht nach Dir! Du! Du!!! Du!!!!!
Ob Ihr denn die gröbsten Arbeiten zurande habt, wenn nun die bösen Tage wiederkommen? Ich denke immer Dein! Komm zu mir mit Deinem Schmerz – ich mag so gern ihn tragen und teilen mit Dir! Werd[‘] mir bald, recht bald wieder ganz gesund!
Nun laß Dir für heute die lieben Hände drücken. Noch am heutigen Tage setze ich mich ja wieder zu Dir – des Tages liebste Stunde, seine Krönung. Ich drücke Dich in zärtlicher, inniger Liebe an mich, über alles geliebtes Herz, meine [Hilde], Du!!! Oh Du! Liebste! Daß ich Dich umschließen darf, mein Dich nennen, Dein liebster Geselle sein – es ist mein Kostbarstes, mein Ein und Alles – mein ganzes, großes Glück!
Gott behüte Dich mir! Er segne unser[e]n Bund. Ich bin Dein! Ich bleibe in ewiger Liebe und Treue ganz Dein [Roland].
Einen ganz lieben Gutenmorgenkuß, Herzelein!!!
