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[OBF-420316-002-01]
Briefkorpus

38.

Montag, am 16. März 1942.

Herzensschätzelein! Mein liebes, liebstes Mannerli!

Du! Gleich will ich mich noch zu Dir setzen, ehe ich zum Pfarramt gehe. Ich muß eben daran denken, daß die Pfarre Dir ein unheimliches Haus ist. In gewisser Hinsicht hast Du recht. So ein großer düsterer Bau – die Lebensgeschichten der Pfarrer betrachtet, die schon drin wohnten, denen allen mehr oder weniger kein glückliches Los beschieden war. Sei es nun durch eigenes Verschulden oder nicht. Es könnte einem schon unheimlich sein.

Mir ist das Pfarrhaus schon ein wenig vertrauter geworden durch unsre wöchentlichen Singstunden, die dort stattfinden. Und seit Pfarrer B. hier einzog und die Räume alle so hell vorrichten ließ, da bedrückt einen das Innere nicht mehr so. Ach Du! Von Gefallen und Wohlbefinden ist ja hier auch nicht die Rede. Es ist eben nun für mich der Ort geworden, wo ich einige Stunden arbeite – und in meinem Zimmer fühle ich mich wohl sonst – doch zuhause ist halt doch am schönsten! Du!

Herzelein! Weißt Du, was ich knabbere, dieweil ich an Dich schreibe? Deine feine Schokolade! O war das ein willkommenes Paketchen heute! Sei nur recht lieb bedankt, mein guter [Roland]. Die feinen Rosinen!! Prima sind die! So sauber! Die wollen wir nur fein einteilen. Wir haben uns ganz sehr gefreut, Du! Auch über das schöne Gewürz. Die Zigarren hebe ich für Vaters Geburtstag auf, ich weiß doch, daß man ihm damit die größte Freude machen kann, Du! Fein geteilt haben wir – ich habe ein bissel mehr bekommen! Weil ich Dein Frauchen bin. Dein vernaschtes!

Also Herzelein! Nochmals tausend Dank für alles Liebe. Ein Brief ist nicht dabeigewesen heute. Es wäre ja auch zuviel des Guten, gelt? Ich habe doch erst gestern 2 bekommen, auf die ich erst noch näher eingehen muß. Ich hätte Dir schon so gern am Vormittag geschrieben, es klappte nicht. Bis um 10 [Uhr] hatte ich zu putzen, aufzuräumen u. so fort. Als ich über[m R Kartoffelschälen war, kam Frau L. Wir haben nun unsern Drasch noch vor der Überweisung. Ich habe 13 Jungen zu überweisen. Für jeden muß ich ein Abgangszeugnis (ungefähr sowas) schreiben. Dann bekommt jeder ein Führerbild mit einer Widmung drauf. All das muß ich morgen abend vom Ortsgruppenleiter u. von der Frauenschaftsführerin unterschreiben lassen. Lauter solches Trara drumrum!! Wenn nur alles erst vorbei ist! Dann bin ich zur Girokasse – [ich] muß H. das Geld überweisen u. paar Braune für Dich – zum Buchbinder[,] zum Schuster, zum Kramer, zum Bäcker. Und dann läutete es 12 [Uhr] – Mittag. Heute abend möchte ich zum Vortrag in den Kaufm[ännischen]. Verein. „Ludwig Richters Sendung", Du schenktest mir doch mal solch schönes Buch von ihm! Ja Herzelein! Dein Weibel ist ein rechter Laufbesen geworden, gelt? Aber kein schlimmer! Und kein böser! Du!!

Von gestern abend will ich Dir erzählen.

Um sieben [Uhr] standen ungefähr 30 Helferinnen bereit. Nach 20 Minuten lief der Zug ein. Wir bekamen vorher alle eine Armbinde, die meisten haben schon eine Tracht. Ich sagte Frau B. Bescheid, sie war ganz vernünftig und bat mich, doch noch mal mit Dir darüber zu sprechen. Es sei ihr sehr lieb, wenn sie Helferinnen hätte, die nicht im Beruf stehen, damit sie sich auch darauf verlassen kann, wenn mal in der Woche ein Transport ankommt, wo die Berufstätigen nicht wegkönnen. Für tägliche Hilfeleistung kommen sie nicht in Frage, lediglich zu Bahnhofsdienst und so wie gestern abend. Dr. H. habe gestern alles alarmieren lassen, was nur irgend ging – die Verwundeten sollten so rasch wie möglich an Ort und Stelle sein. Wir standen in Reihe zu 2 Gliedern am Bahnsteig und harrten der Kommandos des Oberstabsarztes. Der Zug hielt an. Draußen vorm Zaun standen die Krankenautos bereit, auch die Lieferwagen der großen Fabriken innen mit Strohsäcken und Tragen ausgefüllt, worauf die Soldaten dann kamen. Ein großer Kremser mit Pferden bespannt für die, die sitzen konnten.

90 Verwundete waren es, 60 Liegende, 30 konnten ein wenig humpeln – die kamen zuerst heraus. Wir mußten sie führen, stützen bis zum Wagen und ihnen ihre Sachen tragen. Das ging ganz gut.

Mittlerweile wurde es finster. Wir brannten Dienstlampen an von den Bahnhofsangestellten. Nun mußten die liegenden Soldaten herausgetragen werden. Immer 2 Sanitäter und 2 - 4 Helferinnen, wir brauchten uns nicht Schaden zu tun; es war nicht schwer. 6 Autos fuhren und es ging immer am laufenden Band. Mit Decken wurden sie vor der kalten Abendluft geschützt. Bös sahen manche aus! Direkt von der Front kamen sie über einige Feldlazarette, wo sie den Notverband erhielten. Von Sinferopol [sic], Dnjepro-Petrovsk [sic] – meist vom Asowschen-Meer her kamen sie. Zum größten Teil waren Gliedmaßen erfroren, auch Schußverletzte waren darunter. Auch Nierenkranke, einer mit Rippenfellentzündung u. einem operierten Bein. Mehr oder weniger waren sie eben erkältet. Junge Männer waren dabei, auch viele ältere, verheiratete. Vorwiegend Norddeutsche und Schwaben.

Um ½ 10 Uhr hatten wir noch 3 herauszuholen, dann war der Zug leer. Wir halfen noch mit Betten abziehen, dann waren wir entlassen. Dr. H. lob[te] unser umsichtiges Zupacken. Ich war immer mit Dora P. zusammen. Etliche Mädchen, 15 Stück wurden freiwillig gesucht, die im Lazarett noch mithelfen wollten. Dazu habe ich mich aber nicht gemeldet. Und heute erfuhr ich von Ursel T., weißt[,] die Dicke auf der Girokasse? daß sie noch bis nachts um 1 [Uhr] geholfen haben! Sie war auch mit dabei, die Lotte B., Apothekers Irma u. andre. Denke nur: sie mußten die Verwundeten baden helfen! 300 sind sonst im Lazarett die 90 noch dazu und nur 12 Schwestern! Die Oberin sei heilfroh gewesen, daß unsre Bereitschaft noch Hilfen stellte, sonst hätten sie die ganze Nacht hindurch baden müssen.

Ja es wäre ganz militärisch zugegangen, unter Aufsicht vom Arzt. Die Mädel mußten die verwundeten Beine, Arme halten, damit sie nicht ins Wasser kamen, auch abgewaschen haben sie die Verwundeten. Und sie seien so dankbar gewesen für ihre Hilfe. So erschöpft seien sie dann in ihr Bett gesunken. Auch Essen und Trinken haben sie noch mit verteilt. Dann hat der Doktor noch die Schwestern sich vorgenommen. Es sei immer ein gewaltiges Stück Arbeit, wenn so ein Zug ankommt.

Ach Herzlieb! Ich hätte keine Ruhe gehabt, wenn ich nicht geholfen hätte. Du glaubst nicht, wie dankbar die armen Soldaten sind für eine Hilfe. Und wir können doch nur das nötigste [sic] für sie tun. In allen Gesichtern standen die Zeichen und Spuren harten Kampfes geschrieben; tiefes Mitleid faßt Dich an, wenn Du die großen, starken Menschen so hilflos liegen siehst. Und es ist für uns in der Heimat eine heilige Pflicht zu helfen, immer wieder zu hefen. Herzlieb! Ich weiß, Du wirst mich verstehen und wirst nicht traurig sein, daß ich trotz Deines Wunsches doch mitgeholfen habe.

Es gibt hier kein Zögern, glaube mir! Du!

Eine lustige Begebenheit will ich Dir schnell noch erzählen, Herzlieb! Wir standen zu 5 in einem Abteil des Zuges und luden Sachen auf, zum hinaustragen. Da sah ich den Küchenverwalter mit Dora  P. verhandeln und auf einmal war Dora weg, als ich mich umsah. Nach einer Weile tauchte sie wieder auf. Sagte aber nichts. Als wir miteinander heimgingen um 10 [Uhr], meinte sie an der Bank, die in den Bahnhofsanlagen steht: „Wart' mal 'nen Augenblick, ich muß hier noch was mitnehmen!" Und dabei griff sie unter die Bank und zog eine Kiste heraus! Da sei eine Menge abgeschnittenes Brot drin, das sie nicht vertan hätten und der „Küchenbulle" habe es ihr gegeben! Ich habe ja so gelacht! Nun zog sie mit der großen Kiste los! Da können P.s 3 Tage Schnitten essen davon!

So Herzelein! Nun muß ich Dir für heut die lieben Hande [sic] drücken! Morgen auf Wiederhören! Ich küsse Dich herzinnig, mein Lieb! Gott behüte Dich und erhalte Dich gesund!

Ich bleibe in inniger Liebe, in unwandelbarer Treue

immer Deine [Hilde].

Ganz Dein!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946