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[OBF-420315-002-01]
Briefkorpus

37.

Sonntag, am 15. März 1942.

Herzensschätzelein! Mein geliebter guter [Roland]!

Es wird bald um 2 Uhr nachmittags sein. Ich sitze wieder bei meiner liebsten Beschäftigung des Tages. Eben habe ich das Radio ausgeschaltet, der Vater will Mittagsruhe halten. Die Heldengedenkfeier, die aus dem Zeughaus in Berlin übertragen wurde, wo der Führer sprach, ist vorbei. Du wirst sicherlich auch vor dem Rundfunk gesessen haben, Euer Sender war doch ebenfalls mit angeschlossen. Es war gewiß als Dienst angesetzt gelt?, daß Ihr der Feier beiwohntet. Ich war auch heute in der Kirche zum Heldengedenken. Der Pfarrer sprach eindrucksvoll zur Gemeinde, und wir von der Kantorei trugen dazu bei, der Feierstunde durch Gesangsdarbietungen ein nachhaltiges Gepräge zu geben. Sehr feierlich verlief alles.

Die Partei veranstaltete anschließend das 'ihre' im Jahnhaus. Ich verstehe das nicht recht. Heldengedenken, das ist eine Angelegenheit des Inneren und findet ihren Rahmen meines Erachtens allein im Gotteshaus. Die Kranzniederlegung am Ehrenmal ist Sache für sich sowieso.

Ach mein [Roland]! Ich glaube, wer zu den Bedauernswerten [sic] Menschen gehört, die solch großes Opfer bringen mußten in dieser Zeit, die gehen schon aus Herzensdrange dahin, wo man Seelenfrieden findet, wo man den Trost findet, den das Innere verlangt. Das Leben und Sterben Christi allein vermag uns, in seiner tiefen Wahrhaftigkeit – mit dem eignen Schicksal abzufinden; es läßt uns stille werden und demütig. Der Glauben allein hält uns aufrecht. Gutgemeinte Worte irgend eines Menschen können niemals soviel Kraft ausströmen, als Worte ewiger Wahrheit. Und der Mensch sucht nie inbrünstiger nach Gott, nach dem ewig Bleibenden, als in seelischer Not.

Ich habe so voll Dankbarkeit daran gedacht heute wieder, daß Gott uns in unserem Kreise vor solch schweren Schicksalsschlag bewahrte. O gebe er, daß das Blutvergießen bald für immer aufhöre! Daß Ihr Lieben alle gesund heimkehren könnt! Geliebter! Am allermeisten bete ich für Dich – Du mein Allerliebstes, Allerbestes auf Erden! Ich liebe Dich so von ganzem Herzen und ich mag nicht mehr leben, wenn Du mir genommen wirst. Oh Herzelein! So ein trauriger stiller Tag, der einem alles Herzeleid so nahe vor Augen [fü]hrt, der will uns doch auch mit traurig stimmen.

Und ich will doch nicht in Trauer versinken, trotzdem ich den Schmerz der Mitmenschen nachfühle. Herzelein! Gottes Liebe hat sich so wunderbar an unserm bisherigen Lebensweg bewiesen, erfüllt. Lob und Dank und zutiefste Herzensfreude will uns bewegen, wenn wir daran denken.

Dürfen wir so glücklich sein, während andre neben uns vor Schmerz vergehen wollen?

Das Leben ist schon immer so gewesen mit seinen Gegensätzen      hoch und tief. [sic]

Das Leben ist stärker als das Vergehen, es reißt uns mit – wir müssen weiter. Und wir müssen der Zukunft leben, alle, soll unser ganzes Volk bestehen bleiben. Gott will auch nicht, daß wir uns in Schmerz vergraben und vor der Welt verschließen. Das Gesetz des Lebens ist ein heiliges. Und wir müssen doppelten Lebensmut beweisen, wenn ringsum blühendes Leben vergeht – wir wollen denen helfen, die übrig blieben, mit der Tat. Wenn sie einst aufwachen aus ihrem Schmerz, aus ihrer Trauer um verlorenes Glück, dann sollen sie nicht in eine trübe, mit sich zerfallene Umwelt zurückfinden – dann sollen sie von Helligkeit, von Schaffensdrang und starkem Lebenswillen umfangen sein, der sie in sich aufnimmt und mit fortträgt. Wie viele gute, wertvolle Kräfte liegen brach, unbrauchbar, weil persönliches Leid die Schaffenskraft lähmt.

Ginge es uns nicht selbst so, wenn ein so harter Verlust zu beklagen wäre? Alles ist aus – vorbei, es scheint alles sinnlos – wozu? Für wen? Und das darf nicht sein! Zuviel gute Kraft geht somit unser[e]m ganzen Volk verloren. Wir müssen uns hindurchringen zu dem Sinn unsres Daseins und Lebens. Und das können wir allein nur mithilfe unsres Glaubens. Oh möge allen Schmerzbedrängten das tröstliche Licht unsres Glaubens aufgehen! Möge der Herrgott sein Volk zu sich ziehen – dann kann alles, alles gut werden.

Mein Herzlieb! Ich will doch ganz froh und glücklich mit Dir sein! Ich möchte Dir doch nur Freude und Sonnenschein bringen! Ich möchte Dich so ganz innig fest an mein Herz drücken, Dir immer wieder zeigen, wie sooo lieb ich Dich habe, mein [Roland]!! Dir recht zeigen, daß Du der Einzige, der Liebste mein bist! Oh mein Geliebter! Mein ganzes Sein gehört Dir. Du hast mein Herz – hast mich so ganz! Unverrückbar fest steht Dein Bild, das gelieb[te] in meinem Herzen. Ich liebe Dich aus tiefstem Herzensgrunde! Ich bleibe ewig Dein! Nichts kann mich von Deiner Seite reißen, als der Tod.

Geliebter! Ich habe heute zwei liebe Briefe von Dir bekommen, vom Sonntag, Montag, dem 8.+ 9. März. Ich danke Dir recht herzlich dafür, Du! [Du] Bist sooo lieb zu mir gekommen, mein Schätzelein! Du!!! !!!!! !!!!! [Du] Bist meines Herzens ganze Freude, mein Glück! Du machst mich sooo glücklich! Ich bin so froh! Nun ist rechter Sonnentag für mich! Draußen scheint auch die Sonne ganz warm heute, es taut, taut!! Die Wege strotzen vor Schmutz. Ich denke: nun hat d[ie] Sonne gesiegt. Mein lieber [Roland]! Eine Neuigkeit eben. Die junge Frau M. war bei mir und sagte mir einen Gruß von Frau B., der Bereitschaftsführerin des Roten Kreuzes, daß ich heute abend 1900 Uhr am Bahnhof zu Oberfrohna mich einfinden möchte. Ein Transport Schwerverwundeter trifft ein. Sie hätte schon bei U.s angerufen, es habe aber niemand gehört. So hat sie es in der Nachbarschaft nochmal versucht. Was soll ich tun?

Du kannst mir nicht raten, Herzelein! Bist zu weit. Ich habe mich bei der Aufnahme zu dem Kursus nicht zur Bereitschaft gemeldet – demnach hat mich Frau B. auch nicht einzusetzen. Warum beachtet sie das wohl nicht? Entweder mangelt es ihr an Hilfen – weil Sonntag ist – oder überhaupt – oder hat sie nur bestimmte Personen dazu herausgezogen? Die keinen Beruf haben? Oder die sie eben nur telefonisch erreichen konnte, weil so ein Transport auch nicht lange vorher angemeldet wird. Oder berücksichtigt sie hierbei das Talent als [He]lferin, sie hat ja den Übungsstunden immer beigewohnt und kann das beurteilen, wer sich eignet. Ich vermute das nur, weil mir die junge Frau M. aufzählte, wer alles dabei ist heute abend und ich muß feststellen, es sind nur alle die, die sich nicht dumm anstellten.

Also: viel nützen werden wir in unserm Fach speziell nicht heute. Denn es kommen bestimmt nur Handreichungen in Frage – allzu weit reichen ja die Kenntnisse unsrer Leute noch nicht. Verpflegung herzutragen, austeilen u. so weiter. Das denke ich. Ich werde es so machen, Herzelein. Ich gehe heute hin und sage Frau B., daß sie in Zukunft bitte beachten möchte, daß ich nicht in der Bereitschaft bin. Mein Mann wünscht nicht, daß ich mich aktiv betätige.

Ich muß ehrlich sein: ich bringe es nicht übers Herz, daß ich mich der Bitte widersetze und den armen Verwundeten nicht helfe, wo ich doch kann. Glaubst Herzelein, es gibt mir überhaupt immer einen Stich ins Herz, wenn Frau B. um freiwillige Meldung bittet zum Hilfsdienst. Es sehen unwillkürlich alle zuerst nach denen, von denen sie wissen, sie stehen nicht in einem Beruf. Ich bin in dieser Hinsicht sehr empfindlich, mich trifft das – vielleicht mehr als die andern. Wenn ich bedenke: es ist so wenig, was verlangt wird, aller paar Wochen mal einen halben Tag Bahnhofsdienst, oder einige Stunden Hilfe bei einem Verwundetentransport – was nicht oft vorkommt. Ist es nicht erbärmlich, wer da noch zögern kann? Was müssen die Soldaten einsetzen? Nicht nur ihre Zeit, ihre Kraft, ihre Freiheit, sogar ihr Leben. Und ich will geizen mit einem geringen Teil nur meiner Zeit? Ach Du! Bin ich nicht ein engherziger Mensch? O Geliebter! Hilf mir doch, ich bitte Dich! Dieser Zustand zwischen Liebe und Pflichtgefühl macht mir Herzenspein. Was soll ich tun, Herzelein? Es kränkt Dich, wenn ich meinem Pflichtgefühl nachgebe, ich weiß es. Und ich will Dich nicht betrüben! Du!! Aber richtig froh kann ich auch nicht sein, wenn ich über alles nachdenke. Oh Du! Hilf mir Klarheit schaffen, mein [Roland]! Berate mit mir ganz lieb darüber, wie in allen Dingen, bitte!

Du! Muß nicht ein jeder von uns sich einsetzen mit seinen besten Kräften – müssen wir nicht ein Ganzes sein in der Heimat? Wenn alle so zögern wollten wie ich – wohin kämen wir da? Oh Herzelein! Wenn ich denke: Du wärest mit dabei, wenn ein Verwundetenzug in der Heimat ankommt und die, von denen man Hilfe erwartet und so sehnlich erwünscht nach allen Strapazen, die steht da zögernd und besinnt sich erst. O nein – so eine will ich nicht sein!

Mein geliebtes Herzelein! Mein lieber [Roland]! Ich will Dir keinen Kummer machen, ich will Dich auch nicht betrüben, Du! Dazu habe ich Dich viel zu lieb! Weißt Du das? Oh fühlst Du das? Du! Ich möchte immer ganz eins sein mit Dir! Geliebter! Sag – vertraust Du mir? Weißt Du, daß ich aus keinerlei unlauteren Regungen solche Gedanken habe, Geliebter! Daß ich nur das schreibe, was ich wirklich empfinde dazu?

Herzelein! Du sollst entscheiden über mich. Du bist mein Mannerli, mein lieber guter Beschützer, dem ich mich in Liebe ergebe. In tiefster Liebe, Du! Wie Du willst, so soll es sein.

Ich muß Dich so liebhaben ––––– ich tue Dir alles zuliebe, Du!

Nun sei für heute von Herzen gegrüßt und herzinnig geküßt von

Deiner glücklichen [Hilde].

Gott behüte Dich, mein Sonnenschein!

Ich bin sooo glücklich Deiner Liebe!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946