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[OBF-420310-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 10. März 1942

Herzensschätzelein! Mein geliebtes Mannerli!

Gestern abend war es spät geworden im Frauendienst. Bin erst nach 11 Uhr heim. Es war ein schöner Abend. Nach der Ehrung sprach der Pfarrer noch von der russischen Frömmigkeit. Er las aus einem Brief eines Missionars, der voriges Jahr an den Grenzgebieten gewirkt hatte und auch bis zum Ladoga-See vorgestoßen war, von dem jetzt wieder ab und zu die Rede ist im Wehrmachtbericht.

Dieser See soll eine beträchtliche Größe haben – die genauen Maße sind mir entschwunden – jedenfalls im Vergleich mit dem Bodensee ist er 36 x so groß. Von der Insel (Valotuo) Valomo war die Rede, die ein großes Kloster besitzt. Da in der Einsamkeit haben sich Menschen niedergelassen, um ihrem Gott zu dienen. Von der Pracht des Inneren gab uns dieser Missionar ein Bild, das muß ganz einzigartig sein. Man sieht also aus den Aufzeichnungen, daß auch im russischen Menschen das Christentum zuhause ist, der Bolschewismus aber wirkt zerstörend darauf ein – wie in einem Lande etwas andres, ähnliches wie der Bolschewismus das Christentum zu zersetzen droht.

Genug.

Weil es so finster war, gingen Ilse S., ich und der Pfarrer die beiden Schwestern Schwägerinnen heim begleiten: Fr. Dr. O. und Fr. T., am Bahnhof vorbei, die Kreuzstraße vor und dann wurde ich bis zur Einmündung meiner Straße gebracht und Ilse wurde auch bis zur Türe geleitet. Unglücklicherweise hatte keines von uns eine Lampe mit. Nach solch sonnige[m] Tag hatte man eine helle Nacht erwartet, doch es war halt umgekehrt.

Herzelein! Hier hatte ich am Vormittag aufhören müssen, die Hausarbeit drängte sich vor. Und nun ist es gegen Abend, da ich weiterschreibe. Vater ist fort zum Dienst, Mutter ist rasch noch einen Weg gegangen und nach Brot auch.

Ich will mich nun zu Dir setzen, es ist still um mich her. Herzelein! Gestern vermeldete das Radio, daß Feldpostsendungen bis zu 100 Gramm zulässig sind. So habe ich heute gleich Plätzchen gebacken für meine beiden Buben! Staunst Du? [Roland] und Siegfried! Der Herzensbub von den beiden? Welcher wird das wohl sein? Du!! Weil Du so neugierig bist, sag ich Dirs‘ nicht, ätsch! Ich habe für Dich 3 Päckchen, für Siegfried 4. Zwei davon enthielten Hautcreme u. Schuhcreme, die ich schon zu Weihnachten mal verpackt hatte. Und heute, beim Nachwiegen mußte ich die Salbenpakete weiß Knöppchen [sic] wieder mit heimnehmen! Weil sie 20 Gramm überwogen. Und Siegfried hat es so dringend verlangt. Nun habe ich’s umgepackt, morgen bringe ich sie nochmal hin. Aber wehe …. Man wird ganz und gar zur Genauigkeit erzogen dadurch, glaubst?

Du! Ich bekam doch Deinen lieben Sonntagsbrief mit, worin Du von den Pfefferkuchen redest, die ich für Dich gebacken [hatte], vor einiger Zeit – und die ich doch wieder aufgegessen hab, weil die Post Sperre verhängte! Du!! Nun hat es mir so leid getan, daß ich gleich etwas gebacken hab, Du!!! Herzelein! Hoffentlich kommt es bald an, damit die Gewürzplätzchen auch noch schmecken.

Heute hab ich auch nochmal nach Wien alarmiert, weil ich das Päckchen immer noch nicht habe, das ich Dir schickte. Ob’s wohl noch kommt?

Ich bedauere bloß, daß dann die schöne Butter flöten geht – ohne daß Du sie gegessen hast! Na – [das] ist besser noch, als ein Bein gebrochen, ja? Mein Herzelein! Dein Sonntagbrief beschäftigt mich noch immer, wo Du so zerfallen warst mit Dir selber. Du! Ach – daß wir noch immer allein sein müssen, einander ferne und gerade an solchen Tagen, in solchen Stunden, wo man sich nach Liebe sehnt und nach Geborgenheit. Ich kenne es ja so genau, ich habe selbst schon solche Zeit durchlebt, mein [Roland]! Ach Du! Daß ich Dir mit meinem Boten Freude bringen konnte! Daß ich Dein Sonnenstrahl sein konnte! Ich bin doch so froh, Du!! Mein Herzelein!

Ach Du! Mein Bub möchtest Du sein, mir ganz nahe, in meinem Schoße möchtest Du ruhen, Du!! Meine Hand fühlen und ganz glücklich [s]ein. Oh Du! Ich will Dein Mütterlein sein, Herzlieb! Will Dich ganz innig und warm in meine Liebe hüllen! Du sollst Dich ganz geborgen fühlen bei mir, Du Herzensbub, allerliebster! Ich möchte Dir soviel Liebes sagen, Du! Alles, das Dich ganz froh und glücklich macht! Du!! Ich will Dich sooo ganz liebhaben immer. Und jetzt, in dieser Stunde auch, mein Herz, ich bleibe bei Dir heute abend. Ich gehe nicht fort. Nicht zum Roten Kreuz und nicht zum Vortrag in den Kaufmännischen Verein. Ich bleibe bei Dir, Herzelein! Weil Du Dich so nach mir sehnst, weil Du so nach mir verlangst. Ach Du! Mein Herzensbub! Ich bin doch im Innersten immer bei Dir! Auch wenn ich woanders weile äußerlich. Ach Du! Auch darüber mußt Du Dir immer noch so viel Gedanken machen, daß ich nun beim Pfarrer bin. Herzelein! Ich verstehe Dich doch so ganz! Und Du hast auch so recht von Deinem Standpunkt aus.

Männer sind wohl in ihrem Handeln männlicher. Frauen lassen das Gefühl, das Herz mitsprechen. Herzelein! Es ist schwer, alles niederzuschreiben, alles das, was mich bewegte, als man mir das Angebot machte. Und zuinnest hat mich doch nur eines beseelt und es hat in mir geglüht mit einer Leidenschaft: nicht fort von hier, nicht irgendwohin, wo ich von Dir mich entfernen muß, auch Du! An den Beispielen, die man erlebt jetzt, erkennt man die gewisse Gewalt, die der Staat auf den Einzelnen ausübt. Ich muß eine gewisse Freiheit haben bei allen Pflichten, die ich auf mich nähme, die ganz nur Dir gehören soll. Dir gehören muß, weil ich Dein denken muß, muß aus übergroßer Liebe, Du! Es ist zu einem gewissen Teil Angst gewesen in mir, daß mich das Arbeitsamt eines Tages doch noch wegholt – mich bestimmt irgendwohin. Dann bin ich unfrei, dann hänge ich wieder so an der Strippe wie früher – ich fürchte mich davor. Herzelein! Verstehst Du mich recht, wenn ich das Amt als die rechte Lösung ansah? Und wenn es wirklich soweit kommt, daß man mich vom Amt aus verpflichten will und ich weise meine Beschäftigung beim Pfarrer nach, so kann es trotzdem noch geschehen, daß diese Arbeit für ungültig, oder unwesentlich erklärt wird.

Du weißt ja, wie es heutzutage den Pfarrern geht. Dann wäre ich wieder preisgegeben. Auch das habe ich bedacht: Doch jetzt habe ich erst mal Zeit gewonnen. Erst soll man an mich herankommen, das weitere wird sich fügen.

Ohne jeden Einsatz in diesem Kriege will und mag ich nicht sein. Es ist direkt ein moralischer Druck, der auf einem ruht, wenn ringsher alles davon redet. Ich fühle mein Gewissen jetzt nicht mehr belastet.

Und wenn ich mich schon wieder ganz voll einsetzen sollte, dann nie in einem ungeliebten Beruf oder Dienst. Der Kranken- und Kinderpflege wollte ich dienen. Und ich glaube nicht, daß Du mich zwingen würdest etwas zu tun, das ich nicht will. Dazu hast Du mich zu lieb.

Ich weiß bestimmt: wäre ich in der heutigen [Ze]it noch ledig, in meiner alten Fabrik säße ich längst nicht mehr – ich wäre Schwester geworden. Ob nun in einem NSV Kinderheim (Kriegskinderheim) oder sonst in der Pflege anderwo.

Geliebter! Wenn ich nach meiner Neigung entscheiden müßte, so würde ich auch heute noch den Schwesternberuf wählen. Aber ich kann es jetzt nicht mehr, ich bin nicht frei, mein Herz hat schon gesprochen – es gehört Dir. Und die Liebe zu Dir übertönt alles andere. Aus Liebe zu Dir will ich nicht der Bereitschaft angehören im Orte. Ich bekenne mich frei und wahr zu Dir aus Liebe. Schwester, das heißt: für jeden da sein – für jeden ganz da sein. Ich könnte nicht erfüllen, was man von einer Schwester verlangt, ich bin nicht frei. Somit wäre ich auch keine gute Schwester, es wäre nur eine Halbheit. Herzelein! Nicht schwer wird mir, das zu bekennen, es ist meine Überzeugung auch. Du! Obwohl ich mich stark genug fühlte, mich allen Blicken und Zudringlichkeiten Genesender zu erwehren – es wäre doch so, daß ich mit diesem Entschluß unsre Liebe in Gefahr brächte.

Und das will ich um keinen Preis.

Daran habe ich auch gedacht, als ich zum Pfarrer ging. Mit diesem Manne muß ich mich so wenig persönlich befassen; es ist in meinem Dienste kaum Gelegenheit zu irgendwelchen vertraulichen Dingen. Erstens biete ich ihm niemals Gelegenheit dazu durch mein Verhalten, und ich vertraue seiner Ritterlichkeit als Würdenträger, Ehrenmann u. Vater. Mit meiner Arbeit sitze ich allein im Zimmer, das heißt, Frl. St. ist noch anwesend. Herzlieb! Ich bin ein Weib, Dein Weib, Deine Frau. Und wirklich nur ganz Dein. Und wer dieses, Dein Eigentum irgendwie anzutasten wagt, dem würde ich mich sofort entziehen. Mit dem Augenblick, da ich rechtlich und vor Gott Dein Weib ward, ist mir die Kraft und der Mut dazu gewachsen. Ich bekenne mich zu Dir frei und entschieden. Und ich werde darin auch nie versagen, Du! Ich will denken so, als wärest Du neben mir, bei mir. So wenig Du dulden würdest, daß man mich auch nur im leisesten kränkt, mißachtet, sich dreist mir nähert, auch nur in Worten und Gedanken und Blicken – so wenig will ich es dulden. Das verspreche ich Dir, lieber [Roland]!

Es wäre falsche Duldsamkeit und Tapferkeit, wenn ich es anders hielt – ich verstehe Dich recht, Liebster! Es geht nicht um die Tapferkeit und Härte und in meinem Falle eines freiwilligen Hilfsdienstes um die Sache der Arbeit, ich bin eine Frau – es geht um Ehre und Ansehen, um meine Freiheit wie um die Deine, um unsre Freiheit. Und so gut ich Dich verstehe Herzelein, Du bist in Deiner Art, Mannes Art[,] noch entschiedener.

Ich folge Dir darin Herzelein, ohne, daß Du mich bitten mußt. Ach, wer uns auch darum mißverstehen würde. Wer versteht uns denn überhaupt und wer gibt sich Mühe uns zu verstehen? Du hast mich so lieb. Ich weiß es – ich fühle es, und ich bin glücklich darum. Du willst mich behüten, beschützen, es ist Dein Allerschönstes Geschenk, das Du mir bringen kannst! Und ich weiß, soviel Du mich liebst, soviel liegt Di[r] daran, mein [Roland]! Du! Sag? Könnte ich mich eine Sekunde lang Deiner unendlichen Liebe unwürdig erweisen? Du! Geliebter!!! Du! Du weißt wie ich Dich liebe und wenn Du zu mir kommst und sagst: „ich bitte Dich – ich möchte, daß Du es so machst“, dann würde ich mich Deinem Wunsche fügen. Wenn ich Dir etwas zuliebe tun kann, dann tue ich es.

Wenn Du wirst immer bei mir sein, wird alles gut werden, wird es zu Unstimmigkeiten nicht mehr kommen.

Ach Herzelein! Ich bete mit Dir zu Gott, daß er uns bald ein gemeinsames Leben schenke! Wir möchten doch sooo gerne beisammen sein! Ich sehne mich nach Dir!

Ich hab Dich sooooooooooooo lieb! Du!!! Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946