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[OBF-420308-002-01]
Briefkorpus

30.

Sonntag, am 8. III. 1942.

Herzallerliebstes Schätzelein! Mein geliebter [Roland]!

Sonntagnachmittag um 2 Uhr. Feiertag! Und richtiger Feiertag ist doch erst mit Dir, Du!!! Das „Landjahrmädel“ ist in Gnaden entlassen. Es darf nun ihrem, nein seinem Liebsten schreiben. Oh – mit Freuden!! Ich will Dir zuerst mal von meiner Fahrt nach Chemnitz erzählen.

Um 2 [Uhr] war ich in der Stadt, habe rasch einen Weg besorgt im Handarbeitsgeschäft, dann bin ich zum Lokal gelaufen, wo unsre Besprechung stattfinden sollte. Ich war eine der ersten mit. Frau L. und Frau W. traf ich an. Lange hat die Gaureferentin mit uns gesprochen. Zuerst über die Überweisung der Kleinen in die H.J.. Wir wollen das etwas festlich gestalten, weißt, so ein politisches Drum und Dran. Der Ortsgruppenleiter, die Frauenschaftsführerin und die HJ-Führer sollen geladen sein! Es ist garnicht so einfach hier etwas darzustellen, wenn einem ums Herze garnicht so ist! Bei uns ist nun ein kleiner Streit, wer das Amt der Rednerin übernimmt an dem Tage der Überweisung. Ich schlage Frau L. vor, weil sie schon jahrelang im Amte ist und öfter schon dabei gewesen ist. Sie hätte Hemmungen, meint sie, wenn sie vor Erwachsenen frei reden solle. Ich wäre die Geeignetste, weil ich am unbefangensten sei!! Hör nur!! Dagegen protestiere ich.

Ich bin ja nicht mal Mitglied in der Partei, weder Frauenschaft. Mögen nur die alten Kämpfer reden, denen liegt das doch. Frau W.? Na, die kann selbst ich mir nicht in der Rolle denken. Die ist mir zu zimtig [sic], verstehst?

Na – es wird schon so kommen, daß Frau L. dran ist.

Die Frau P., die vom Gau, gab uns auch wieder Anweisungen für unsre Scharnachmittage, eine Art Arbeitsbrief diktiert sie uns. Weil kein Papier mehr verwandt werden darf für die allmonatlichen Arbeitsberichte – sie muß uns jetzt persönlich Anweisungen geben. Unter anderem erzählte sie von der Wichtigkeit unsrer Schararbeit im Zeichen des Kriegshi[l]fsdienstes. Wir wären vom Führer als x [*] kriegswichtig anerkannt. Insofern, als wir beitragen zu allen Sammlungen: Altmetall, Erntehilfe – Teesammeln, Sonnenblumenzucht zur Gewinnung der Kerne, die einen nützlichen chemischen Stoff hergeben (was wir aber für uns behalten sollen!) in Zwickau sei ein Chemiker, der große Dinge treibt!! Dann: die Seidenraupenzucht. Kinder helfen füttern. Und wir Frauen sollen uns melden, wer Lust hat, mit züchten zu helfen. 4 Wochen dauert es, bis sie sich eingesponnen haben, die Tierchen. Auf einem Rahmen muß man sie im Zimmer hegen. Man bekommt 1 Gramm Brut direkt von Zelle (im Hannoverschen) zugeschickt. Für diese Arbeit bekommt man 30 Mark.

Es meldeten sich einige Frauen, die das schon mal gemacht haben. Kennst Du das auch? Ich mag dieses Viehzeug nicht in die [sic] Wohnung haben. Bei uns fehlte sowas gerade noch, Du! Ja, dann haben manche Ortsgruppen ein Stück Gartenland für ihre Kinder, wo sie allerlei bebauen.

S. hat im vergangenem x [*] Sommer allein 60 Pfund Rettiche, 50 Pfd. Tomaten, sonstiges Gemüse, Gurken, an die Lazarette gespendet! Das finde ich schön. Aber wer hat die Arbeit? Die Scharleiterin und die Verantwortung obendrein. Da ist es schon besser, wenn mehrere Erwachsene dazu sind [sic], das Land zu bebauen. Diese Verordnung kommt in nächster Zeit noch an alle Behörden, sie soll durchgeführt werden überall im Reich. Ach, sie haben überhaupt viel vor die Leutchen. Es sollen sich gesunde, mutige Frauen melden für einen Hilfsdienst: „6 Wochen nach dem Warthegau!“ Die Volksdeutschen sind doch nun angesiedelt worden in ehemalig polnischen Dörfern, da ist alles verwüstet, zerschlagen, es geht noch drunter und drüber in allem. Etliche solcher helfender Frauen aus dem Altreich sind in diesen Tagen zurückgekehrt, mit denen hat Frau P. gesprochen. Sie berichten tolle Sachen – mit den primitivsten Mitteln mußten sie wirtschaften. Es kam vor, daß sie im ganzen Dorf herumliefen nach einer Bratpfanne. Blutarm sind sie Leute. Es gibt auch in dem Gebiet nichts zu kaufen.

x [*] Sie lernen [sic] den Frauen kochen, waschen, die Wohnung pflegen, die Kinder pflegen. Kurzum, sie helfen aufbauen. Es sei eine schöne, dankbare Aufgabe, sie wären sich vorgekommen wie einst in der Kampfzeit. Einmal in der Woche sollen auch die Kinder versammelt werden in einem Raum. Sie sollen vom Führer erzählt bekommen, vom Altreich, allerlei Lieder sollen sie lernen u.s.w. Wohlgemerkt: Mut müßte man mitbringen, denn die Männer der Deutschen seien im Krieg, die Frauen wären mit den polnischen Knechten und Gehilfen allein. Und oft kommen noch Reibereien vor, ist ja klar: bei einem „Weiberregiment“ drücken sie sich von der Arbeit. Unsereins hätte dann nur die Ortsfrauenschaftsführerin zur Seite. Es ist also auch da schon alles politisch organisiert.

Na – ich habe an Deine Miene denken müssen, als sie uns das nahelegte. Du ließest mich nie und nimmer dorthin!

Ob ich denn möchte?

Wenn ich frei und ledig wäre, den Mut hätte ich schon. Etwas Heruntergekommenes umkrempeln und auf die Beine helfen, das mag ich gern. Aber ich würde mich nicht von einem ausgesprochenen „Parteigeist“ dabei leiten lassen!

x [*] Ach, ich war ja ganz aufgeregt nach der Dienstbesprechung, gestern. Wenn die so könnten mit uns, wie sie wollten – wer weiß, ob wir da heute noch zuhause säßen, glaubst?

Frau P. geht uns mit leuchtendem Beispiel voran: Mutter von zwei Kindern, im Postamt als Telefonistin tätig, sie will im Sommer auch 6 Wochen nach dem Warthegau gehen!

Ich will mich hier nicht weiter aussprechen.

Wie wird all das nach dem Kriege werden? „Zukunft, du erscheinst mir im rosigsten Lichte!“

Herzelein! Es gibt noch andre Briefthemen, aber ich mußte Dir wenigstens ein Teil von dem gestern gehörten erzählen.

Anschließend fuhr ich zu M.s. Sie waren alle daheim u. man lud mich gleich zum Abendbrot ein. Das Wetter war so schlecht gestern, ich mußte mir erst mal die Schuhe trocknen.

Onkel hatte Mutters Strumpfhaltergürtel besorgt. Nach einem Plauderstündchen, daß Tante Herta ausschließlich mit Modedrasch ausfüllte, bin ich um 9 Uhr abends wieder fortgegangen. Ich erreichte meinen Zug bequem. Weißt Du, wen ich eine ½ Stunde lang beobachtete hinter einem Pfeiler am Bahnsteig? Die Iiiirgmgard [sic] W. auf „spanisch“ hergerichtet! Mit dem kleinen Matrosen von damals, als Du fortfuhrst! Er hat sie nun so abgekusselt! Sie hatte zu tun, daß sie dann noch mit fortkam. Zufälligerweise konnte ich alles von meinem Abteilfenster aus beobachten.

Wenn sie nur wüßte, daß ich sie beobachtet habe!

Um 11 fuhr der Zug in Oberfrohna ein. Die Eltern waren noch auf. Aber wir sind dann bald ins Bett. Ich las nochmal Deinen lieben Brief, dann bin ich auch eingeschlafen. Heute früh um 10 [Uhr] kamen 3 Buben zu mir, mit denen ich nochmal Generalprobe hielt für unsere Galavorstellung (Kasperletheater) am Mittwoch, für alle Scharkinder! Ich habe mich köstlich amüsiert mit Mutsch, schade, daß Papa gerade sammeln war um diese Zeit. Es klappt nun schön. Bis ½ 12 [Uhr] waren die Bu[ben] bei uns, deshalb war mir heute der Sonntagvormittag so schnell vergangen. Was glaubst Du wohl, wie sie heute alle fein sauber aussahen, im Sonntagsanzug, die Haare klebten am Kopfe fest, soviel Pomade hatten sie verschmiert, daß auch der Scheitel saß! Am liebsten wären sie noch länger bei uns geblieben. Doch das gewöhne ich ihnen nicht erst an.

Herzelein! Ich bekam auch heute Deinen lieben Donnerstagsbrief, ich habe mich sehr gefreut und danke Dir herzlich dafür. Nun fehlen noch Mon[ta]g und Freitag. Ich sehe nun aus den Zeilen, daß die schlechte Postversorgung daran liegen mag, daß bei Euch Hochwasser ist und wieder soundsoviel ursächliche Zusammenhänge sind! Balkanzauber! Na, gedulden wir uns! Ihr habt wenigstens eine Gewißheit auf den Frühling! Bei uns schneit es seit heute nacht wieder einmal. Erzählst mir von Deinem freien Nachmittag, den Du mit Kamerad K. verbrachtest. Schach spielt Ihr zwei? Schärft Euren Geist?! Wofür?! Für den nächsten Urlaub? Für die Zeit Eurer Ausbildung? Gut, gut! Nur weiter so. Den Abendbrottisch habt Ihr mit Bratfisch, eigener Erzeugung bereichert? Ich möchte nicht mal in Eure Stube riechen darnach!

Oh Ihr Ärmsten, darinnen müßt Ihr dann schlafen. K. macht das Anrichten ja fein! Sag, eines vermisse ich dabei! Wäscht er denn die Viehcher auch, nach dem ausweiden? Paß‘ nur gut auf!! Und Schuhe hast Du für Mutsch erstanden! Fein! Ich kriege also auch welche?! Weil ich eventuell mit ihr tauschen soll? Oh, ich bin neugierig! Wir werden schon handelseinig werden, Du! Mutsch wird sich schön freuen. Sie will Dir sowieso durch Kam. H. [ein] paar Braune mitschicken. Und ich auch! Magst Du das?

Du! Deinen guten Rat will ich gleich morgen befolgen wegen der kaputten Schuhe. Das ist mir einleuchtend, vielleicht bekomme ich einen neuen Schein. Ich brauche ihn nicht, jetzt. Aber die Mutter umso nötiger. Ich versuch‘ es. Und wenn ich Glück hab, dann darfst Du Deinem Spieß mal tüchtig die Hand drücken von mir aus! Aus Dankbarkeit. Aber nur die Hand, Du!!

Zu dem 8 wöchentlichen Kursus kommen nun noch 4 Wochen Schreiberausbildung in Sofia? Wohin überall wollen sie Euch noch schubsen! Sie mögen Dich nur nun heimschicken, Du bist klug genug! Sag’s nur mal, Du! Der 3. Monat im Jahre hat begonnen, bald ist er wieder zweistellig! Die Zeit vergeht eigentlich schnell, gelt Herzlieb? Soll sie auch! Und im 6. Monat können wir schon wieder leise hoffen auf den nächsten Urlaub.

Vielleicht wird es auch ganz anders – wer weiß? Wir wollen nur ganz zuversichtlich bleiben, den Mut nicht sinken lassen und Gott vertrauen. Es wird alles wieder ein rechtes Geschick kriegen und wenn unsre Sehnsucht am größten ist, dann ist unser Urlaub am nächsten, Du! Du sagest es auch!! Ach Geliebter! Ich will fest mit Dir glauben, daß uns alles zum Besten dient.

Unsre Liebe, die tiefe, unendliche, sie wird uns alles erträglich machen! Du!! Du gibst mir so viel Kraft und Mut! Mit Dir gehe ich durch Dick und Dünn! Ich fürchte nichts, nichts. Nur Du mußt bei mir bleiben! Du!!!

Ich liebe Dich sooooooooooooo sehr!

Ich bin Dir sooooooooooooo gut!

Mein Herzelein! Mein Sonnenschein!

Ich küsse Dich! Ich liebe Dich!

Gott sei mit Dir allezeit! In Ewigkeit ganz

Deine [Hilde]

 

 

[* = Kreuz am Blattrand vor dem Satz, mit Bleistift]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946