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[OBF-420302-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 2. März 1942

Herzensschätzelein! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Nachmittag ist. Der Hauptfeldwebel hat heute seinen freien Nachmittag (in Wirklichkeit macht er blau heute, gestern war nämlich Unteroffiziersvergnügen(!), etwa 40 Blitzmädel halfen, das Vergnügen vollkommen zu machen – die armen Mädels). Ich habe mich 2 Stunden gut drangehalten mit meiner Arbeit. Und nun setze ich mich gleich erst ein Stündchen zu Dir.

Zwei liebe Boten sind zu mir gekommen. Wenn ich wüßte, daß Du noch immer auf die meinen warten mußt, möchte ich gar keine mehr haben vorerst. Armes Schätzelein! Mußt so lange Dich gedulden! Am Mittwoch kam ich an, am selben Tage habe ich noch geschrieben – kannst Du auch frühestens am Dienstag etwas von mir haben. Aber nun hast Du gewiß auch Nachricht. Und ich wünschte nur, daß sie Dir so viel Freude und Sonnenschein bringt wie mir die Deine, geliebtes Herz! Diese Woche wird es nun auch, daß wir wieder richtig Antwort voneinander bekommen, vielleicht morgen schon! Deine lieben Boten sind vom Sonnabend und Montag. Im Montagboten legst mir Briefe von Siegfried und Hellmuth bei. Sind doch Deine Schwager! (Ob das Mannerli wohl auch gern Schwager oder Schwägerin hätte? – Ach Du! Was nicht sein kann, und nicht ist, darauf verfällt Dein Mannerli gar nicht mit seinen Wünschen. Er hält sich an das, was ist. Schätzelein! Herzallerliebste! Weil ich nur Dich habe, weil Du nur ganz mein bist – darum bin ich ganz wunschlos glücklich!) Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Wollte fragen, obr es Dir denn gefällt in unsrer Familie. Wollte auch nicht fragen, sondern darauf hinweisen, wie wir bei mancherlei Verschiedenheiten doch aus einem Holz geschnitzt sind, wie man es sonst selten findet. Und wie der Glaube eine unersetzliche Brücke, ein unlösliches Band zu liebendem Verstehen bildet. Ich weiß, daß diese böse Zeit diese Bande nur stärker hat werden lassen. Und daß dieses Band geknüpft wurde, danken wir unserem Elternhaus, unsrer lieben Mutter zumal. So lange haben wir im Elternhaus sein dürfen, und sind trotzdem nicht verhockt oder verzärtelt, sind deshalb auch keine Außenseiter im üblen Sinne geworden. Uns Brüdern allen war das Elternhaus der liebste Ort – das Heim, die Zuflucht, in das wir auch all das herzutrugen an Erfahrungen und Erlebnissen, die die Welt draußen uns brachte. Und so tauschten wir, und unbewußt korrigierten, erzogen wir einander, schliffen Ecken und Kanten ab und wuchsen so aneinander. Gewiß hat unser Elternhaus darum so viel gewonnen, weil wir mehrere Geschwister sind, weil so die Beziehungen und Wechselwirkungen untereinander um so Vieles reicher wurden. Jede Person mehr erhöht diese Verbindungen um eine ganze Anzahl. Ach, es ist ein richtiges Konzert mit Mißklängen und Wohlklängen. Spiegel der Fülle und des Reichtums allen Lebens. Das haben wir ja auch bei Euch zu Hause in den Tagen des Urlaubs erlebt – ein Quartett war es nun. Ich bin doch bei Euch nun auch ganz zu Hause — darf richtig mitspielen. Und es macht mir doch so viel Freude – und uns allen. So fein es wäre, wenn wir nun schon ein eigenes Heim hätten, so schön ist es doch auch, wenn wir noch bei den lieben Eltern unterschlüpfen können und einander recht schätzen und lieben lernen, und so die Eltern an unserem Glücke teilnehmen können.

Wenn sie später dann uns besuchen, wird es uns so doch immer zur Freude werden. Herzelein! Geliebte! All diese Erfahrungen dürfen wir mitnehmen, wenn wir darangehen, unser eigenes Heim zu bauen – Du! Du!!! Gebe Gott, daß diese Zeit nicht mehr allzufern ist.

Nun ist es nach Mitternacht, daß ich Dein denke. Bis um 3 Uhr muß ich munter sein. Im Wachstübchen sitze ich am kleinen Tisch, vor mir eine Stallampe. Es ist schön warm. Neben dem Tisch steht ein Bett. Darauf schniebt jetzt der U.v.D. = Unteroffizier vom Dienst. Ich war eben mal draußen. Ganz hell ist es. Der volle Mond steht am Himmel, und jetzt um ein Uhr zu einem Fünftel verfinstert. Muß heute Mondfinsternis sein. Will nachher gleich noch einmal schauen, ob sie fortschreitet. Nur die großen Sterne können sich durchsetzen gegen den hellen Mondenschein. Leise flutet das Meer. Und heute girrt und gurrt und surrt es im Wasser: Die Enten sind munter – sie haben schon Hochzeitsgedanken. So webt und lebt die Welt auch in der Nacht, sie kennt kein Stillestehen, keine Müdigkeit wie die Menschenkinder auf der Schattenseite der Erdkugel.

Und nun schicke ich meine Gedanken zu Dir, Herzelein, leise, leise, daß sie Dich nicht stören im süßen Schlummer. Gott wache über Dir! Möchte unser Glück und unsre Liebe Dir eine sanfte Wiege sein, immer, Herzelein, solange ich Dir ferne bin. Und wenn ich wieder bei Dir sein darf, dann wollen wir einander selber jeden Abend in diese Wiege betten und ganz froh werden unsrer Liebe.

Nimmermehr soll der Gedanke an mich Dich schrecken. So wie ich weiß, daß Du mich liebst, daß Du mir alles Liebe tun möchtest und mir treu zur Seite stehst, so sollst Du wissen, daß meine Liebe nimmermehr bös von Dir denken kann und daß meine Liebe sich verstehend und verzeihend Dir neigen kann.

Du rührst noch einmal an Dein neues Amt. Gewiß: wenn wir zusammenlebten in Oberfrohna., würden wir die Limbacher Kirche besuchen, würden wir im Limbacher Chor mitsingen, würde es zu dem Angebot dieses Amtes nicht gekommen sein — Du weißt, daß ich darin konsequent bin um der Klarheit willen, und ich bin gewiß, daß Du darin mir folgen würdest. Das bedacht, bleibt dieses Amt eine Unklarheit, eine Unstimmigkeit ebenso wie Dein Verbleiben in der Kantorei.

Solche Entschiedenheit ist Art des Mannes, solche Entschiedenheit gilt in der Welt des Mannes. So entschieden und bewußt wie der Oberfrohnaer Pfarrer ohne Rücksichten auf meinethalben sein Elternhaus oder sonst eine alte Anhänglichkeit und liebe Gewohnheit ^oder auch die große Gemeinde Andersdenkender sich zu den Deutschen Christen schlug – so entschieden scheidet sich der Lehrer [Nordhoff] von ihm, weil er es anders für richtig hält. So entschieden hätte er das Kantorenamt niedergelegt ohne Rücksichten auf Gefühle der Anhänglichkeit und Dankbarkeit, die in diesem Betracht nicht zur Sache gehören – ohne Haß, aber E entschieden. Herzelein, Du kennst mich so und verstehst mich darin.

Frauen sind ^meist anders, sie lassen sich von den nebensächlichen Gefühlen bestimmen, deshalb verstehen sie sich auch nicht auf Politik in diesem Sinne. Und ich weiß, daß man in der Kantorei – ist ja nur noch ein Frauenverein – nicht verstehen würde, wenn Du heute austrittst, man würde Dir Undank und Böses nachsagen. Anders, wenn ich daheim wäre und Dich dazu bestimmte. „Der Mann hat es gewollt“, das gilt dann und läßt man gelten.

Und so ist es mit dem neuen Amt. Wenn ich werde immer bei Dir sein, wird alles gut werden, wird es solche Unstimmigkeiten nicht mehr geben. Wenn der Pfarrer seine Getreuen überzählt, wird er Dich freilich mitzählen, und mich, Deinen Mann, auch, vielleicht, und in der Statistik erscheinen wir dann im falschen Lager – das soll Dir die Unstimmigkeit nur noch einmal recht deutlich machen.

Herzelein! Mehr noch liegt mir das andere am Herzen, von dem ich Dir schrieb, in Betracht jeden Amtes, nicht nur dieses, das Du annehmen könntest. So wenig ich dulden würde, daß man Dich auch nur im leisesten kränkt, Dich mißachtet, Dich sich dreist Dir nähert auch nur in Worten und Gedanken und Blicken, so wenig sollst es Du dulden – als ob ich bei Dir wäre, neben Dir stünde. Sollst unverzüglich die Konsequenzen ziehen. Sollst nicht meinen, Du müßtest tapfer sein und es dulden, dürftest Dich nicht so empfindlich zeigen, wolltest Dich an die Arbeit halten und um die Person gar nicht kümmern. Herzelein! Es geht nicht um die Tapferkeit und Härte und im Falle eines freiwilligen Hilfsdienstes um die Sache der Arbeit, ^du bist eine Frau- — es geht um Ehre und Ansehen, um unsre Freiheit, um die Deine, wie um die meine. Ich weiß: diese Entschiedenheit ist wieder Mannes Art. Aber ich bitte Dich, mir darin zu folgen. Selbst auf die Gefahr hin, daß man Dich nicht versteht. Wer versteht uns denn und gibt sich Mühe, uns zu verstehen? Und was scheren wir uns darum? Wir gehen unseren Weg, wie wir ihn für richtig erkennen. Herzelein! Unsre Freiheit und Unabhängigkeit, – (es ist meine Sache, sie zu verteidigen) – der Schutz, den ich Dir gewähren möchte, es ist [unklar] eines meiner schönsten, meiner besten Geschenke, die ich Dir machen kann — und so sehr ich Dich liebe, so viel liegt mir daran.

Du bist meines Herzens Königin! Nimmermehr könnte ich ansehen, wie man Dich kränkt und beleidigt, nimmermehr es dulden. Dein freies, frohes Leben will ich Dir beschützen, und selber frei und froh mit Dir durch dieses Leben gehen!

Behüt Dich Gott! Herzensschätzelein!

Ich habe Dich sooo lieb! Du bist mein Ein und Alles!

Ich bin und bleibe in Liebe und Treue

ewig Dein [Roland]

 

 

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946