
[420223–1‑1]
[Saloniki] Montag, den 23. Februar 1942
Herzallerliebstes Schätzelein! Mein liebes, teures Weib!
Wenn ich jetzt schreibe, schläfst Du ganz gewiß schon. Von 11 Uhr bis 3 Uhr muß Dein Mannerli heute die Gucken [: Augen] offen halten – ‚Läufer’ in unserem Quartier. Wir sind zu wenig Soldaten jetzt, sodaß auch die Funktionäre zum Läuferdienst herangezogen werden müssen. Etwa aller [sic] 5 Tage muß ich diesen Dienst [ein]mal mit versehen.
Ich habe mich nach dem Abendessen gleich ein wenig niedergelegt – und wache nun – und plaudere mit meinem Schätzelein. Und schleich[‘] mich jetzt gleich erst [ein]mal ganz ganz leis[‘] in sein Kämmerlein – bloß bis an die Tür – und gucke und lausche – oh Du! Du!!! – Die da ruht und atmet, die trägt mich in ihrem Herzen – die liebt mich! – die ist mein!!! – Oh Geliebte! Geliebte!!! Und nun springe ich ganz froh und überglücklich auf meinen Posten. Geliebtes Weib! Meine [Hilde]!!! Ich bin Dein glückliches Mannerli! Sooooooooooooo glücklich durch Deine Liebe!
Heute ist Kamerad H. in Urlaub gefahren. Ganz schnell ging’s, wie bei mir, und er wird überraschend kommen. Ich habe mich mit ihm gefreut. Kamerad H. hat mir seine ganze Barschaft überlassen, und ich bitte Dich, ihm 80 RM nach Lohmen zu überweisen. In aller Eile habe ich ihm noch ein Päckchen beigepackt, das er in Lohmen aufgeben wird – „An Frau [Hilde Laube]!”, ja, ja! An den Geburtstagsmann! Fein artig und geduldig sein! Schätzelein! Hoffentlich kommt das Päckchen gut an.
Heute zur Mittagspause haben wir wie verabredet ein Bad genommen. Kamerad H. ist nicht mitgewesen. Er hat wieder einmal not [sic]. 2 M! kostet dieser Spaß jetzt – aber wir leisten ihn uns trotzdem.
Kamerad K. besuchte heute abend den Film „Das andere Ich” [Regie: Wolfgang Liebeneiner, 1941]. Es hat ihm gefallen. Wir haben eine ganze Weile darüber gesprochen. Die verführerische Frau und deren schöner Körper haben ihm gefallen. Für mich hatte die Person etwas so Unsympathisches in ihrer Frechheit und Dreistigkeit, daß auch der schönste Körper nicht hätte damit aussöhnen können. Dieses Mädchen hatte die Zudringlichkeit und Frechheit der Dirne, die sich jedem auf den Schoß setzt. Mag sein, daß es auch dafür Liebhaber gibt.
Herzelein! Ich muß an die O.er Zeit denken – an Fräulein Sch. Ich hätte mich in sie verlieben können. Aber zu dem äußeren Liebreiz mußte auch ein liebes gutes Wesen gehören. Als ich aber erfuhr, daß sie ein lockerer Vogel ist, der sich überall gemein macht – da war ich betrübt und enttäuscht, da war es vorbei mit allem Verehren.
Du! Geliebte!!! Ganz altmodisch liebt doch Dein Mannerli: Ehrenwert und verehrunswürdig muß das Menschenkind sein, das er ganz von Herzen liebhaben kann soll. Herzelein! Wie in allem Großen muß auch in der Liebe das Gute sein, muß auch in der Liebe das Gute wirken und zum Lichte drängen, zur Vollkommenheit. Auch mit uns[e]rer Liebe müssen wir uns unter Gottes Augen fühlen. Das Liebesleben darf nicht ein abflußloser Pfuhl sein, es muß wie alles Rechte und Ganze in diesem Leben in Gottes Ordnung münden.
Und wie ist denn die Liebe gut? Wenn sie alles Gutsein in uns aufruft, wenn sie den Menschen fördert und läutert und anspornt und edler macht. Wenn sie uns Aufgaben stellt, wenn sie uns verpflichtet zu Zucht und Pflicht und Überwindung. Wenn sie uns etwas Köstliches, Einziges, Ideales, etwas Heiliges ist. Wenn wir sie als eine Ordnung Gottes erkennen und nehmen.
Oh Herzelein! Du! Mein liebes Weib! Wir wollen Gott in Demut danken, daß er uns solche Liebe schenkte, daß er uns so hohes, ernstes Sinnen gab. Nur darum können wir so glücklich sein. Nur so können wir diese Liebe bewahren über alle Ferne und Trennung.
Erst vom Glauben her erhalten alle Dinge ihr rechtes Maß, ihren Wert und Sinn. Nur wo noch Glaube ist, sind Ideale. Und nur wo Ideale sind, ist noch Menschenwürde. Und das macht eine Zeit groß: daß sie sich bekennt zu Menschenwürde. Menschenwürde nicht nur darin, daß jeder menschenwürdig wohnt, verdient und sich nährt – sondern Menschenwürde in erster Linie in Haltung und Gesinnung. Un[e]re Zeit ist um die Menschenwürde im Äußeren rührend besorgt und kann sich des nicht genug rühmen. Den Schwund der wahren Menschenwürde^ aber scheint man überhaupt nicht zu bemerken, ja, man beschleunigt ihn sogar.
Herzallerliebste! Morgen wird mich Dein erster Bote erreichen und vielleicht Dich auch der meine! Ich freue mich sooo darauf, dir nun wieder richtig die Hand reichen zu können, mit Dir zu leben und zu teilen – ach Du! wie wir es uns doch beide sooo sehnlich wünschen für dieses Leben! Mein Herz wartet darauf, mit dem Deinen zu schlagen und ihm zu antworten – Du! Du!!!
Die Uhr geht auf 1 Uhr. Siegfrieds Geburtstagsbrief will ich noch beenden und an die Eltern nach K. ein paar Zeilen richten.
Schlaf fein und träum süß, Schätzelein! Ich freue mich auf mein Bettlein nachher. Wenn ich ins Bettlein steige, muß ich doch immer ganz sehr Dein denken, Du! Warum? Du! Nun weil wir uns im Bettlein am allernächsten sein können, und am innigsten umschlingen, und Herz an Herzen ruhen, und uns[e]res Einsseins und der Liebe Kostbarkeit am glücklichsten bewußt werden – weil wir dann ganz allein sind – Du und ich – und weil wir dann einander beschenken mit dem, das nur Liebende einmal im Leben einander schenken können, Zeichen letzter, höchster Traute!
Oh Du, mein liebes Weib! Meines Lebens Glück und Sonnenschein! Behüt[‘] Dich Gott! Bleib froh und gesund! Ich habe Dich von Herzen lieb! Ich hüte und bewahre mit Dir das Glück uns[e]rer Liebe!
Ich bin ganz Dein! Dein Mannerli!
Dein [Roland]!
Und ich küsse Dich, Du! Liebe! Gute! Feine! Du! Du!!! Meine [Hilde]!!!!!

Roland ist auf Wache als Läufer, da es weniger Soldaten gibt. Er bekommt das Bargeld vom Kameraden für Einkäufe wegen der Überteuerung, wobei er konzentriert nicht auf die wirtschaftliche Lage in Saloniki sondern auf die Liebe als Ideal der Güte.