Bitte warten...

[OBF-420222-002-01]
Briefkorpus

16.

Sonntagabend, 20 15 Uhr.

Herzensschätzelein! Mein geliebter [Roland]!

Um dieselbe Zeit – heute vor 14 Tagen, Du! Da ging ich mit Dir die letzten Minuten Arm in Arm auf dem Bahnsteig auf und ab. Herzelein! Denkst Du noch daran? Oh Du!!!

Ich habe so bitterlich geweint als ich heimfuhr. Ach Du! Ich mußte doch mein Allerliebstes ziehen lassen! Nur Du kannst ermessen, was das bedeutet – nur Du allein. Weil Du mich ebenso liebst, wie ich Dich. Geliebter! Wir sind tapfer, wir wollen es! Wir müssen es! Aus tiefer, starker Liebe zueinander!

Alle Gedanken, all unsre ganzen Kräfte, wir opfern sie einander, unserer Liebe, unserem Weg! Wir müssen uns sooo herzinnig festhalten, sooo lieb und treu einander denken – ach – wir müssen, Geliebter! Aus Liebe!!! Aus tiefer, wundersamer Liebe heraus. Ich denke immer Dein, mein Herzenslieb! Und ich spüre es im Herzen drinnen, daß auch Du an mich denkst! Du!! Wenn ich auch bis auf den heutigen Tag noch keinen Boten von Dir in Händen halte. Ich warte! Ich warte voll Liebe auf Dich! Und wenn es auch noch einige Tage währt. Der Herrgott wird Dich mir beschützen! Du wirst mir gesund erhalten bleiben! Ich bete jeden Abend für Dich, mein [Roland][!] So inbrünstig, so heiß bitte ich Gott fürum Gnade für Dein Geschick – für unsere Liebe. Gott behält uns lieb – wie wir ihn liebbehalten! Das glauben wir beide zuversichtlich. Und ich bin so getrost, so froh in diesem Glauben. Geliebter! Du bist’s auch! „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen."

Das Licht auf unserem Wege! Herzelein! Es ward uns in die Seele geschrieben!

Du! Geliebter! Wer hätte vor 14 Tagen von uns beiden daran gedacht, daß ich 14 Tage später noch keine Nachricht wieder aus Saloniki haben werde? Keines wohl. Aber nun sind die Dinge anders gekommen, als wir gedacht. Und wir wissen, und müssen es hernach zu oft erfahren, daß alles hat so kommen müssen und nicht anders. Unser Weg hier auf Erden ist längst bei einem Höheren beschlossen. Und wir, Du und ich, können uns glücklich preisen, daß wir [i]hn Gott-Vater nennen dürfen. Wie einen ganz lieben, vertrauten Menschen.

Herzlieb! Ich denke an Dich um diese Stunde. Ich suche Dich in Gedanken inmitten Deiner Kameraden, geborgen in einer guten, friedlichen Häuslichkeit. Ich muß so dankbar sein. Wie viele stehen in Nacht und Kälte, einsam auf Posten; oder dem Feind gegenüber.

Oh, es steht jeder auf einem gewissen Platze. Keiner ist unnütz, wenn ich so nachdenke. Oh möchte Dich der Herrgott vor dem Ärgsten gnädig bewahren! Bleibe mir! Mein [Roland]. Und damit ich garnicht tiefsinnig, oder gar traurig werde heute Abend, so will ich Dir von meinem Tag erzählen, der doch so froh verlief. Und in der Hauptsache verlief er doch nur so froh, weil ich Dich immer neben mir wußte in Gedanken, Du! Ganz eng neben mir, Herzelein!

Vom Abend zuvor will ich beginnen.

Die Familie H. war also bei uns zu Besuch. Es wurde ein ganz gemütlicher Abend. Und ich habe fleißig an meinem Pullover gearbeitet. Heute muß ich feststellen, daß mein Material nicht ausreicht. Erst versuche ich, Garn nachzubekommen – dann eine größere Häkelna[d]el, denn dann wird das Muster weitmaschiger und ich kann so einsparen.

Heute früh um 8 [Uhr] bin ich aufgewacht. Um 9 [Uhr] war Gottesdienst, Heldengedenken. Der Pfarrsaal reichte kaum aus, soviel Leute kamen. Auf dem Weg zum Pfarrhause bewunderte ich etwa 40 – 50 Beamte, Parteimitglieder, die den hüfthohen Schnee wegschaufelten. Entweder in Grundstücke, oder in Kastenwagen mit Pferden bespannt, die fuhren alles nach dem Grundstück des Bauer[n] G. an der Post, da rinnt alles gleich [i]n den Frohnbach wenn’s taut. Na, das hat es auch heute zur Genüge! Zu aller Wohlgefallen! Vom Pfarrer erfuhren wir nun auch heute, daß in den nächsten Tagen unsere Glocken für die Reichsmetallsammlung abgeliefert werden müssen. Also doch noch! Tiefe Stille herrschte darob. Der Tag ist noch unbestimmt. Am Tage der Abnahme werden uns unsre Glocken am Mittag noch einmal zum Abschied grüßen, durch ein einstündiges Geläute. Wir werden sie sehr vermissen. Aber der Krieg fordert Opfer, hier und dort. –

Strahlende Sonne lachte heute vom blauen Himmel. 4 – 6° Kälte im Schatten. Es hat getaut! Auf den Sonnenseiten der Straßen ganz mächtig. Wir freuen uns, daß des Winters grimmes Regiment gebrochen wird! Der Postbote hatte nur einen Brief für mich hinterlassen. Die Urkunde vom Pfarramt zu Naundorf. Nun fehlt mir noch eine. Und Dein ärztliches Zeugnis. Rasch bereiteten wir heute unser Mittagsmahl. Die liebe Sonne sollte auch uns das ‚Fell' auswärmen. Um 1 Uhr gingen wir schon los!! Sowas passiert mir nur, wenn mein Mannerli nicht dabei ist (ich meine sowas an Pünktlichkeit[)]. Also schön! Vater, der Ärmste, hat heute wieder mal Nachtdienst. Er hat geruht am Nachmittag. Nach der Kaufunger Höhe führte unser Weg. Geblendet schritten wir in den prächtigen Wintertag hinein! Ach Du! Du warst so oft in unser Munde! Es wäre auch ein Spaziergang nach Deinem Wunsche gewesen, Du! Weil der Weg dann nur noch über Felder weiterführte, gingen wir zurück. Nach Rußdorf richtete ich mein Sinn, die Umgehungsstraße wollte ich nehmen. Aber da stapften wir nur den Fußstapfen andrer Leute nach, von einem Weg war keine Spur. Es machte uns Spaß! Da, wo dann die Schrebergärten liegen, war der Schnee so [ho]ch aufgeschaufelt, daß ich nicht darüberschauen konnte! Und ich bin gewiß nicht klein! So eine Menge Schnee!! Die Bäume gucken nur noch mit der Krone heraus auf der Landstraße. Toll ist das! Schade, schade, daß ich keinen Photo hatte. Du müßtest das mal sehen. Meiner ist kaputt. Über Rußdorf liefen wir wieder heimwärts. Frau und Tochter P. begegneten uns. Weißt, vom P. (Matsch!) in der Kantorei! Ich soll nicht ve[r]gessen, Dich recht herzlich zu grüßen! Sie würden gerne wieder mal mit Dir reden. Sie gingen auch an die schöne Winterluft. Um 3 Uhr waren wir zuhaus. Ich kochte einen guten Kaffee, weckte den Herrn Papa. Und dann überredete ich Mutsch, daß sie mal mit mir ins Kino ginge! „Meineidbauer".

Deine liebe Mutter machte mich in ihrem letzten Briefe darauf aufmerksam, dieser Film habe sie mit den beiden letzten Nieten ausgesöhnt. Sie hatte Recht! Es war ein schöner Film. Das Sprichwort: „unrecht’ Gut gedeiht nicht gut" oder: „auf unehrlich [E]rworbenem liegt kein Segen", die waren darin verkörpert. Ein Bauer bringt durch Meineid den Hof seines verstorbenen Stiefbruders an sich und stößt damit dessen Weib und zwei vaterlose Kinder ins Elend. Und es zeigt sich, wie immer auf Erden, einmal bringt die Sonne alles an’s Licht, auch die ärgste Schuld und Sünde.

Ein Menschenleben vergeht in trostloser Verzweiflung, zu Unrecht dazu verurteilt. Kinder wachsen heran, reifen in der harten Schule des Lebens. Zwischen Elternliebe und Liebe zum anderen Geschlecht müssen sie sich hindurchringen auf den einzig rechten Weg, den Weg der Wahrheit. Lüge zerbricht, Wahrheit aber siegt. Und Gott läßt keinen ungestraft, der gerechte Strafe verdient.

Der Film war gut.

Gegen ½ 7 [Uhr] abends kamen wir heim. Unser Vater war schon gegangen. Und wir brachten ihm das Abendbrot noch hin, erzählten ihm, was wir gesehen. Und nun sitzen wir zwei Frauen noch hier und schreiben. Mutter an ihre Schwester nach Glauchau. Und ich? Das kann ich Dir nicht verraten[!] Ich hab einen Herzallerallerliebsten! Dem schreibe ich!! Du kennst ihn schon, den Herzensdieb! Du! Mannerli! Weißt, was es heute bei uns noch zum Abendbrot gab? Rate!!

Ewig Deine [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946