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[OBF-420213-001-01]
Briefkorpus

Wien, den 13. Februar 1942

Herzallerliebste! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Auf dem toten Gleis, so kommt man sich hier vor, abgestellt. Ach, wie mancher, der jetzt so bös mit dran muß, wünschte es sich vielleicht so. Es ist eben kein Mensch zufrieden mit dem, was er gerade hat. Und wir sollten es doch sein, ganz zufrieden und dankbar. Oh ja, ganz zufrieden und dankbar.

Ich sitze wie gestern in meinem Frühstückslokal, in der Nähe des wärmenden Ofens. Es ist heute etwas kälter draußen.

Die Uhr geht schon auf 11 Uhr. Bei der Befehlsausgabe heute war von einer Abfahrt überhaupt nicht die Rede. Ich habe diese Nacht besser geschlafen. Den gestrigen Nachmittag verbrachte ich mit der vergeblichen Suche nach einem Soldatenheim. Ich will sie heute noch einmal aufnehmen. Gegen Abend bin ich in unsre Höhle zurückgekrochen und habe den Dicken, den Honigkameraden aus Pommern noch einmal aus dem Bau gelotst auf eine Tasse Tee. Ich mag die Stunden wachen Bewußtseins um keinen Preis in diesem Loch verbringen. Dem Kameraden habe ich schon angekündigt, daß wir ihn nach dem Kriege zu unserem Honighoflieferanten ernennen wollen. Er ist einverstanden. Heute morgen habe ich auch mal kosten müssen: es ist ein etwas scharfer, aromatischer Heidehonig.

Mein Tageslauf heute? Nach meinem Schreiben will ich mich erst mal rasieren lassen. Dann pilgere ich zu meiner Kartoffelsuppe, sie war gestern etwas durch Tomatenmark gerötet. Nach dem Essen suche ich das Soldatenheim. Ich werde meine Kurzschriftbücher herzusuchen und darin ein wenig studieren. Das erste der Hefte habe ich übrigens auf der Bahnfahrt in 2 ½ Std. durchgelesen. Es [ist] nicht schwer, sich in die neue Kurzschrift einzuarbeiten. Eine Anzahl Konzerte stehen in Aussicht, ich würde auch gern ein Theater besuchen, müßte die Karten aber natürlich im Vorverkauf erstehen – aber der Tag unsrer Abreise ist doch eben ganz unbestimmt.

Wien bietet ja doch auch sonst viel des Sehenswerten. Aber bei dieser Witterung und dem drohenden Unbehagen unsrer Unterkunf[t] vergeht einem auch daran alle Lust. Ich könnt mir doch auch mein Schätzelein herbestellen. Meinst, ich hätte daran nicht gedacht, gleich im ersten Augenblick? Du!!! Es ist mir zu unsicher. Und dann würden wir miteinander hier so heimatlos umherzigeunern – es wäre nicht schön, gelt? Ja, wenn Sommerzszeit wäre!

Ach Herzelein! Wir brauchen uns nicht an die Hast weniger Stunden zu hängen – wir halten uns lieber an die Gewißheit und Hoffnung, die uns unser Glaube lehrt. Niemals stehen wir auf dem toten Gleis. Jede Stunde, jeder Augenblick gehört zu unserem Geschick, das wir in Gottes Hand wissen. „Dulde, gedulde Dich fein!, Über ein Stündlein ist Deine Kammer voll Sonne.“ Du! Geliebtes Herz! Geliebtes Weib! Du geduldest Dich mit mir! Du wartest mit mir! Das macht es mir sooo viel leichter!

Und heute abend wird Dein lieber Bote bei mir sein! Ein paar Karten lege ich bei, die Gemälde eines berühmten Malers widergeben [sic], ich glaube, man sagt P. Brueghel = Peter Breugel. Die Wiener Galerie ist berühmt darum, daß sie viele Arbeiten dieses Meisters birgt. Wenn es irgend geht, will ich die Galerie besuchen. Freitag ist wieder geworden über dem Warten. Du wirst der Häuslichkeit zuleibe gehen.

Mein liebes Weib! Möchte es bald dahin kommen, daß Du und ich alle Kraft und alle Liebe der eigenen [H]äuslichkeit, dem eigenen Nest widmen können.

Herzlieb! Behüt Dich Gott!

Ich denke immer Dein! Bin ganz voll Glück und Sonne ob Deiner großen Liebe. Und sinne und harre aus und lebe, weil ich Dich liebe, dich von Herzen liebe! Du!!!

Ich bleibe ewig Dein! Ganz Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946